Siebenter Auftritt

[404] Lottchen. Simon.


SIMON. Ich bitte Sie um Vergebung, Mamsell, daß ich unangemeldet hereintrete. Das Vergnügen macht mich unhöflich. Sind Sie nicht die liebenswürdige Braut meines Herrn Mündels?[404]

LOTTCHEN. Und wenn ich nun seine Braut wäre, was ...

SIMON. So habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, daß Ihnen Ihre selige Frau Muhme in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht hat. Sie werden die Gewißheit davon noch heute vom Rathause erhalten. Das Testament ist geöffnet, und Ihr Herr Pate, der Herr Hofrat, der bei der Eröffnung zugegen gewesen, hat mir aufgetragen, Ihrem Herrn Vater diese angenehme Zeitung zum voraus zu hinterbringen, ehe er noch die gerichtliche Insinuation erhält.

LOTTCHEN. Ist das möglich? Die Frau Muhme hat ihr Versprechen zehnfach erfüllt. Wie glücklich ist meine Schwester! Sie verdient es in der Tat. Das ist eine sonderbare Schickung. Mein Herr, Sie setzen mich in das empfindlichste Vergnügen. Ich bin nicht die Braut Ihres Herrn Mündels. Aber die Nachricht würde mich kaum so sehr erfreuen, wenn sie mich selbst anginge.

SIMON. Kurz, Mamsell, ich weiß nicht, welche von Ihnen meinen Mündel glücklich machen will. Allein genug, die jüngste Tochter des Herrn Cleon ist die Erbin des ganzen Ritterguts und also eines Vermögens von mehr als fünfzigtausend Talern.

LOTTCHEN. Das ist meine Schwester. Wie erfreue ich mich!

SIMON. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ebendiese Nachricht bringen kann. Ich wollte es mit tausend Freuden tun. Wo ist Ihr lieber Herr Vater? Wird er nicht eine Freude haben!

LOTTCHEN. Ich habe gleich die Ehre, Sie zu ihm zu führen. Aber ich will Sie erst um etwas bitten. Gönnen Sie mir doch das Vergnügen, daß ich meiner Schwester und Ihrem Herrn Mündel die erste Nachricht von dieser glücklichen Erbschaft bringen darf. Es ist meine größte Wollust, die Regungen des Vergnügens bei andern ausbrechen zu sehen. Und wenn ich viel hätte, ich glaube, ich verschenkte alles, nur um die Welt froh zu sehen. Lassen Sie mir immer das Glück, meiner Schwester das ihrige anzukündigen.

SIMON. Von Herzen gern. Eine so edle Liebe habe ich nicht leicht unter zwo Schwestern gefunden. Ich erstaune ganz. Ich wußte wohl, Mamsell, daß Sie die Braut meines Mündels nicht waren; allein ich wollte mir meinen Antrag durch eine verstellte Ungewißheit leichter machen. Ich glaubte, Sie würden erschrecken, und über die Vorteile Ihrer Jungfer Schwester unruhig werden. Aber ich sehe das Gegenteil und fange an zu wünschen, daß Sie selbst die Braut meines lieben Mündels und die glückliche Erbin der Frau Stephan sein möchten.[405]

LOTTCHEN. Wenn man Ihren Beifall dadurch gewinnen kann, daß man frei vom Neide und zur Menschenliebe geneigt ist: so hoffe ich mir Ihr Wohlwollen zeitlebens zu erhalten. Also wollen Sie Julchen und dem Herrn Damis nichts von der Erbschaft sagen, sondern es mir überlassen! Sie sind sehr gütig.

SIMON. Ich will sogar dem Herrn Vater nichts davon sagen, wenn Sie es ihm selber hinterbringen wollen. Hier kommt er.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 404-406.
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