Neunter Auftritt

[407] Lottchen. Siegmund.


LOTTCHEN. Wenn ich Ihre Größe nicht kennte: so würde ich gezittert haben, Ihnen die Nachricht von dem großen Glücke meiner Schwester zu hinterbringen. Aber ich weiß, Sie schätzen mich deswegen nicht einen Augenblick geringer. Unser Schicksal steht in den Händen der Vorsicht. Diese teilen allemal weise aus, und sie werden sich auch noch zu unserm Vorteile öffnen, wenngleich nicht in dem Augenblicke, da wir es wünschen.

SIEGMUND. Mein liebes Lottchen, es wird mir sehr leicht, über Ihrem Herzen das Glück zu vergessen. Wir wollen hoffen. Vergeben Sie mir nur, daß ich noch immer den Zerstreuten vorstelle. Ich habe lange mit Ihrem Papa gesprochen, und ich weiß in Wahrheit nicht was.

LOTTCHEN. Wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie, so wundert mich's nicht, daß Ihnen ein Tag, wie der heutige ist, wo solche Anstalten gemacht werden, einige Wünsche und Unruhen abnötiget. Trauen Sie doch der Vorsehung. Es ist eben heute ein Jahr, da Sie durch den unglücklichen Prozeß Ihres seligen Herrn Vaters Ihr Vermögen verloren. Vielleicht beunruhiget Sie dieser Gedanke; aber viel leicht haben Sie auch alles heute über ein Jahr wieder. Haben Sie mit Julchen gesprochen und dem Herrn Damis zum besten sich etwas zärtlich gestellt?

SIEGMUND. Nein, weil ich so zerstreut bin so ...

LOTTCHEN. Gut. Sie werden diese kleine Mühe fast ersparen können.[407] Ihr Herz scheint keinen großen Antrieb mehr nötig zu haben. Aber sagen Sie ihr noch nichts von der Erbschaft. Ich will sie holen und es ihr in Ihrer Gegenwart entdecken und ihrem Geliebten zugleich.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 407-408.
Lizenz:
Kategorien: