Vierzehnter Auftritt

[435] Simon. Lottchen.


LOTTCHEN. Was ist zu Ihrem Befehle? Haben Sie etwa wegen der zehntausend Taler, die ich meiner Schwester herausgeben soll, etwas zu erinnern? Tun Sie nur einen Vorschlag. Ich bin zu allem bereit.

SIMON. Mamsell, davon wollen wir ein andermal reden. Glauben Sie wohl, daß mir Ihr Glück lieb ist, und daß ich ein ehrlicher Mann bin? So unhöflich diese beiden Fragen sind: so muß ich sie doch an Sie tun, weil ich sonst in der Gefahr stehe, daß Sie meinen Antrag nicht anhören werden.

LOTTCHEN. Mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen? Reden Sie frei. Ich sage es Ihnen, daß ich eben den Gehorsam gegen Sie trage, den ich meinem Vater schuldig bin. Ich will Ihnen den größten Dank sagen, wenn Sie mir eine Gelegenheit geben, Ihnen meine Hochachtung durch die Tat zu beweisen. Ich bin ebensosehr von Ihrer Aufrichtigkeit überzeugt als von der Aufrichtigkeit meines Bräutigams. Kann es Ihnen nunmehr noch schwer fallen, frei mit mir zu reden?

SIMON. Meine Bitte gereicht zum Nachteile Ihres Liebhabers.

LOTTCHEN. Will Ihr Herr Mündel etwa das Rittergut gern haben, weil es so nahe an der Stadt liegt? Nun errate ich's, warum er itzt gegen den guten Siegmund etwas verdrießlich tat. Warum hat er mir's nicht gleich gesagt? Er soll es haben und nicht mehr dafür geben, als Sie selbst für gut befinden werden. Kommen Sie zur Gesellschaft. Ich habe mich wegen des boshaften Briefs, den ich vorhin erhalten, entschlossen, in Ihrer Gegenwart dem Herrn Siegmund ohne fernern Aufschub das Recht über mein Herz abzutreten und seinen Feinden zu zeigen, daß ich auf keine gemeine Art liebe.

SIMON. Aber diesen boshaften Brief habe ich schreiben und auf die Post bringen helfen.

LOTTCHEN. Eher wollte ich glauben, daß ihn mein Vater, der mich so sehr liebt, geschrieben hätte. Sie scherzen.[435]

SIMON. Nein, Mamsell, ich bin zu einem Scherze, den mir die Ehrerbietung gegen Sie untersagt, zu ernsthaft. Erschrecken Sie nur, und hassen Sie mich. Ich wiederhole es Ihnen, Ihr Liebhaber meint es nicht aufrichtig mit Ihnen.

LOTTCHEN. Sie wollen gewiß das Vergnügen haben, meine Treue zu versuchen und mich zu erschrecken, weil Sie wissen, daß ich nicht erschrecken kann.

SIMON. Sie glauben, ich scherze? Ich will also deutlicher reden. Ihr Liebhaber ist ein Betrüger.

LOTTCHEN erbittert. Mein Herr, Sie treiben die Sache weit. Wissen Sie auch, daß ich für die Treue meines Liebhabers stehe, und daß Sie mich in ihm beleidigen? Und wenn er auch der Untreue fähig wäre: so würde ich doch den, der mich davon überzeugte, ebensosehr hassen als den, der sie begangen. Aber ich komme gar in Zorn. Nein, mein Herr, ich kenne ja Ihre Großmut. Es ist nicht Ihr Ernst, so gewiß, als ich lebe.

SIMON. So gewiß, als ich lebe, ist es mein Ernst. Er ist unwürdig, noch einen Augenblick von Ihnen geliebt zu werden.

LOTTCHEN. Und ich werde ihn ewig lieben.

SIMON. Sie kennen ihn nicht.

LOTTCHEN. Besser als Sie, mein Herr.

SIMON. Ihre natürliche Neigung zur Aufrichtigkeit, Ihr gutes Zutrauen macht, daß Sie ihn für aufrichtig halten; aber dadurch wird er's nicht.

LOTTCHEN. Geben Sie mir die Waffen wider Sie nicht in die Hand. Ich habe Sie und meinen Liebhaber für aufrichtig gehalten. Ich will mich betrogen haben. Aber wen soll ich zuerst hassen? Ist Ihnen etwas an meiner Freundschaft gelegen: so schweigen Sie. Sie verändern mein ganzes Herz. Sie haben mir und meinem Hause viel Wohltaten erwiesen; aber dadurch haben Sie kein Recht erlangt, mit mir eigennützig zu handeln. Wäre es Ihrem Charakter nicht gemäßer, mich tugendhaft zu erhalten, als daß Sie mich niederträchtig machen wollen? Warum reden Sie denn nur heute so?

SIMON. Weil ich's erst heute gewiß erfahren habe. Wenn Sie mir nicht glauben: so glauben Sie wenigstens Ihrer Jungfer Schwester und meinem Mündel.

LOTTCHEN. Das ist schrecklich. Haben Sie diese auch auf Ihre Seite gezogen?[436]

SIMON. Ja, sie sind auf meiner Seite, sowohl als Ihr Herr Vater. Und ehe ich zugebe, daß ein Niederträchtiger Ihr Mann wird, ehe will ich mich der größten Gefahr aussetzen. Sie sind viel zu edel, viel zu liebenswürdig für ihn.

LOTTCHEN. Wollen Sie mir denn etwa selbst Ihr Herz anbieten? Muß er nur darum ein Betrüger sein, weil ich in Ihren Augen so liebenswürdig bin? Und Sie glauben, daß sich ein edles Herz auf diese Art gewinnen läßt? Nunmehr muß ich entweder nicht tugendhaft sein oder Sie hassen. Und bald werde ich Sie nicht mehr ansehn können.

SIMON. Machen Sie mir noch so viele Vorwürfe. Die größten Beschuldigungen, die Sie wider mich ausstoßen, sind nichts als Beweise Ihres aufrichtigen Herzens. Die Meinung, in der Sie stehen, rechtfertiget sie alle. Und ich würde Sie vielleicht hassen, wenn Sie mein Anbringen gelassener angehört hätten. Genug ...

LOTTCHEN. Das ist ein neuer Kunstgriff. Mein Herr, Ihre List, wenn es eine ist, und sie ist es, sei verwünscht! Wie? Er, den ich wie mich liebe? ... Sie wollen sich an seine Stelle setzen? Ist es möglich?

SIMON. Dieser Vorwurf ist der bitterste; aber auch den will ich verschmerzen. Es ist wahr, daß ich Sie ungemein hochachte; aber ich habe ein sicheres Mittel, Ihnen diesen grausamen Gedanken von meiner Niederträchtigkeit zu benehmen. Ich will Ihnen versprechen, Ihr Haus nicht mehr zu betreten, solange ich lebe. Und wenn ich durch diese Entdeckung Ihre Liebe zu gewinnen suche: so strafe mich der Himmel auf das entsetzlichste. Nach diesem Schwure schäme ich mich, mehr zu reden.


Er geht ab.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 435-437.
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