Fünfter Auftritt

[424] Die Vorigen. Siegmund.


SIEGMUND. Jungfer Julchen hat, wie ich gleich gehört, endlich ihr Ja von sich gegeben? Ist es gewiß? Das ist mir sehr angenehm.[424]

LOTTCHEN zu Simon. Ja, sie hat sich nach dem Wunsch Ihres Herrn Mündels erkläret und wird die Ehre haben, Sie um einen Bräutigam zu bitten, der unter Ihren Händen so liebenswürdig geworden ist. Aber, mein Liebster, hier ist die Abschrift von dem Testamente. Geht es Ihnen nicht ein wenig nahe, daß die Frau Muhme uns beide vergessen hat?

SIEGMUND. Nein, nicht einen Augenblick. Sie sind mir mehr als ein reiches Testament.

LOTTCHEN. Aber wenn uns Julchen etwas von ihrer Erbschaft anbieten sollte, wollen wir's annehmen?

SIEGMUND. Da sie nicht mehr über ihr Herz zu gebieten hat: so hat sie auch nicht über ihr Vermögen zu befehlen.

SIMON. O mein Herr, Sie können versichert sein, daß ihr mein Mündel die völlige Freiheit lassen wird, freigebig und erkenntlich zu sein. Er sucht seinen Reichtum nicht in dem Überflusse, sondern in dem Gebrauche desselben. Er würde Julchen gewählt haben, wenn sie auch keine Erbschaft getan hätte. Und vielleicht wäre es ihm gar lieber, wenn er ihr Glück durch sich allein hätte machen können. Wir wollen wünschen, daß alle Liebhaber so edel gesinnt sein mögen als er.

LOTTCHEN. Hören Sie, Herr Siegmund, was wir für einen großmütigen Bruder bekommen haben?

SIEGMUND. Er macht seinem Herrn Vormunde und uns die größte Ehre.

SIMON. Ja, ich bin in der Tat stolz auf ihn. Er ist von seinem zehnten Jahre an in meinem Hause gewesen und hat bis auf diese Stunde alle meine Sorgfalt für ihn so reichlich belohnet und mir so vieles Vergnügen gemacht, daß ich nicht weiß, wer dem andern mehr Dank schuldig ist.

LOTTCHEN. Dieses ist ein Lobspruch, den ich niemanden als dem Bräutigam meiner Schwester gönne. Und wenn mein Papa sterben sollte: so würde ich Ihr Mündel sein, um ebendieses Lob zu verdienen. O was ist der Umgang mit großen Herzen für eine Wollust! Aber Herr Simon, darf ich in Ihrer Gegenwart eine Freiheit begehen, die die Liebe gebeut und rechtfertiget? Ja, Sie sind es würdig, die Regungen meiner Seele ohne Decke zu sehen. Sie geht auf Siegmund zu und umarmet ihn. Endlich, mein Freund, bin ich so glücklich, Ihren Umgang und Ihre Treue gegen mich durch ein unvermutetes Schicksal zu belohnen. Sie haben mich als ein armes Frauenzimmer geliebt. Die Vorsicht[425] hat mich heute mit einer Erbschaft beschenkt, die ich nicht rühmlicher anzuwenden weiß, als wenn ich sie in Ihre Hände bringe. Ich weiß, Sie werden es mir und der Tugend davon wohlgehen lassen. Hier ist eine Abschrift des Testaments, worin ich zur Erbin erkläret bin, anstatt daß es meine liebe Schwester nach unserer Meinung war. Kurz, die Erbschaft ist Ihre, und ein Teil von zehntausend Talern gehört Julchen. Fragen Sie nunmehr Ihr Herz, was Sie mit mir anfangen wollen.

SIEGMUND. Ohne Ihre Liebe ist mir Ihr Geschenk sehr gleichgültig.

LOTTCHEN. Eben deswegen verdienen Sie's. Fehlt zu Ihrem Glücke nichts als meine Liebe: so können Sie nie glücklicher werden.

SIEGMUND. Ach, meine Schöne, wie erschrecke ich! Sie machen, daß man die Liebe und das Glück erst hochschätzt. O warum kann nicht die ganze Welt Ihrer Großmut zusehen! Sie würden auch den niederträchtigsten Seelen liebenswürdig vorkommen und ihnen bei aller Verachtung der Tugend den Wunsch auspressen, daß sie Ihnen gleichen möchten. Ich danke es der Schickung ewig, daß sie mir Ihren Besitz zugedacht hat. Und ich eile mit Ihrer Erlaubnis zu Ihrem Vater, um ihn nunmehr ...


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 424-426.
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