Siebenter Auftritt

[426] Lottchen. Siegmund.


LOTTCHEN indem sie den Brief für sich gelesen hat. O mein Freund, man will mir mein Glück sauermachen. Man beneidet mich, sonst würde man Sie nicht verkleinern. Es ist ein boshafter Streich; er ist mir aber lieb, weil ich Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens und meiner Liebe geben kann. Ich will Ihnen[426] den Brief lesen. Er besteht, wie Sie sehen, nur aus zwo Zeilen. Sie liest. »Mamsell, trauen Sie Ihrem Liebhaber, dem Herr Siegmund, nicht. Er ist ein Betrüger. N.N.«

SIEGMUND. Was? Ich ein Betrüger?

LOTTCHEN sie nimmt ihn bei der Hand. Ich weiß, daß Sie groß genug sind, dieses hassenswürdige Wort mit Gelassenheit anzuhören. Es ist ein Lobspruch für Sie. Ich verlange einen solchen Betrüger, als Sie sind, mein Freund.

SIEGMUND. Aber wer muß mir diesen boshaften Streich an dem heutigen Tage spielen? Wie? Sollte es auch Herr Simon selbst sein? Liebt er Sie vielleicht? Macht ihn Ihre Erbschaft boshaft? Warum ging er, da der Brief kam? Soll ich ihm dieses Laster vergeben? Wenn er mir meinen Verstand, meinen Witz abgesprochen hätte: so würde ich ihm für diese Demütigung danken; aber daß er mir die Ehre meines guten Herzens rauben will, das ist ärger, als wenn er mir Gift hätte geben wollen. Ich? ... Ich, ein Betrüger? Himmel, bringe es an den Tag, wer ein Betrüger ist, ich oder der, der diesen Brief geschrieben hat! Ist das der edelgesinnte Vormund?

LOTTCHEN. Ich bitte Sie bei Ihrer Liebe gegen mich, beruhigen Sie sich. Verschonen Sie den Herrn Vormund mit Ihrem Verdachte. Es ist nicht möglich, daß er eine solche Niederträchtigkeit begehen sollte. Sein Charakter ist edel. Wer weiß, was Sie sonst für einen Feind haben, der von unserer Liebe und von meiner Erbschaft heute Nachricht bekommen hat.

SIEGMUND. Sie entschuldigen den Vormund noch? Hörten Sie nicht den boshaften Ausdruck: Wir wollen wünschen, daß alle Liebhaber so edel gesinnt sein mögen als mein Mündel? Ist dieses nicht eine unverschämte Anklage wider mich?

LOTTCHEN. Ich sage Ihnen, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie ihn noch einen Augenblick in Verdacht haben. So, wie ich ihn kenne, und wie mir ihn sein Mündel beschrieben hat: so ist er ein Mann, dem man sein Leben, seine Ehre und alles vertrauen kann.

SIEGMUND. Aber sollte er nicht unerlaubte Absichten haben? Ich habe gemerkt, daß er sehr genau auf Ihr ganzes Bezeigen, bis auf das geringste Wort Achtung gegeben hat. Es kommt noch ein merkwürdiger Umstand dazu. Er hat in dem Billette an Ihren Herrn Vater schon triumphieret, daß er heute eine erfreuliche Nachricht vom Hofe erhalten hätte. Und er hat es dem Herrn Vater auch schon entdeckt; aber mir nicht.[427]

LOTTCHEN. Ich beschwöre Sie bei Ihrer Aufrichtigkeit, lassen Sie diesen Mann aus dem Verdachte.

SIEGMUND. Warum hat er mir nicht gesagt, daß man ihm vom Hofe einen vornehmen Charakter und eine ungewöhnliche Pension gegeben hat? Was sucht er darunter, wenn er nicht mein Unglück bei Ihnen sucht?

LOTTCHEN. Ich vergebe Ihren Fehler Ihrer zärtlichen Liebe zu mir. Außerdem würde ich Sie nicht länger anhören. Wir wollen die Sache zu unserm Vorteile enden. Ihre Feinde mögen sagen, was sie wollen. Sie sind bestraft genug, daß sie Ihren Wert nicht kennen. Und wir können uns nicht besser rächen, als daß wir uns nicht die geringste Mühe geben, sie zu entdecken. Lassen Sie Ihren Zorn hier verfliegen. Ich komme in der Gesellschaft meines Vaters und der übrigen gleich wieder zu Ihnen, unser Bündnis in den Augen unserer Feinde sicher zu machen.


Quelle:
Christian Fürchtegott Gellert: Werke, Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 426-428.
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