DAS BEBEN DES BERGES

[102] Nachdem ihn unser blick verloren hatte

Strebten wir fortzukommen auf dem walle

Soweit als unsre kraft es uns gestatte.


Da fühlte ich so wie ein ding im pralle

Den berg erzittern.. frost hat mich umgeben

Wie einen der zu tode geht befalle.


Gewiss war Delos nicht so stark in beben

Bevor Latona es erkor zur spreite

Als beiden Himmels-lichtern sie gab leben.[102]


Dann fing ein rufen an von jeder seite ..

Drum kam der meister auf mich zugegangen

Und sprach: Sei ohne furcht solang ich leite!


›Gloria in excelsis Deo‹ sangen

Sie all – nach dem was in der nähe webte

Aus der für mich der ruf war aufzufangen.


Wir harrten · so wie starrte und erbebte

Die hirtenschar als erstmals klang DIE weise ..

Dann liess das zittern nach und sie verschwebte.


Wir fuhren fort in unsrer heiligen reise ..

Ich sah die schatten lagernd an der erde

Zurückgewandt zur alten klageweise.


Nie hat unwissen mit soviel beschwerde

Begierde mir verursacht zu verstehen –

Wenn mein gedächtnis hier nicht irre werde –


Als das in dem ich damals schien zu gehen ..

Der eile wegen wagt ich keine frage

Noch konnt ich etwas durch mich selber sehen ·[103]


So schritt ich hin gedankenvoll und zage.


Fegefeuer · XX. Gesang · 124–151.

Quelle:
George, Stefan: Dante. Die göttliche Komödie. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 10/11, Berlin 1932, S. 102-104.
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Dante. Die göttliche Komödie
Sämtliche Werke in 18 Bänden. Bd. 10/11: Dante - Die göttliche Komödie. Übertragungen