JEAN PAUL

[59] Von einem dichter will ich euch reden einem der grössten und am meisten vergessenen und aus seinem reichen vor hundert jahren ersonnenen lebenswerk einige seiten lösen von überraschender neuheit unveränderlicher pracht und auffallender verwandtschaft mit euch von heute damit ihr wieder den reinen quell der heimat schätzen lernet und euch nicht zu sehr verlieret in euren mennigroten wiesen euren fosfornen gesichtern und euren lila-träumen ..

Wenn es seiner hohen zeitgenossen befriedigung war empfundene und geschaute wirklichkeiten deutlich wiederzugeben so war es Sein heiliges streben den zauber der träume und gesichte zu verbildlichen .. wenn andere mit der worte klarheit und richtigkeit siegten so hat Er mit der worte verschwindend zarten abschattungen gewirkt · über ihren geheimnisvollen unsichtbar rauschenden und anziehenden unterstrom aufschlüsse gegeben und zuerst – ein vater der ganzen heutigen eindruckskunst – die rede mit unerwarteten glänzen und lichtern belebt mit heimlichen tönen mit versteckten pulsschlägen seufzern und verwunderungen.


Ich war an die fünfte säule auf den obersten stufen eines griechischen tempels gelehnt dessen weissen fussboden die gipfel taumelnder pappeln umzingelten – und die gipfel von eichen[60] und kastanien liefen nur wie fruchthecken und geländerbäume wallend um den hohen tempel und reichten dem menschen darin nur bis ans herz.


O wenn ein erdenmensch in einem traum durch das Elysium gegangen wenn grosse unbekannte blumen über ihm zusammenschlagen wenn ein seliger ihm eine von diesen blumen gereichet hätte mit den worten: ›Diese erinnere dich wenn du erwachst dass du nicht geträumt‹ wie würde er schmachten nach dem elysischen lande so oft er die blume ansähe!


Da sanken vor uns lichte schneeperlen wie funken nieder · wir blickten auf und drei goldgrüne paradiesvögel wiegten sich oben und zogen unaufhörlich einen kleinen kreis hintereinander her und die fallenden perlen waren aus ihren augen oder ihre augen selber.


Da begann die lallende zunge aus orgeltremulanten durch die öde stille den seufzer des menschen anzureden und der wankende ton wand sich zu tief in sein weiches herz.


Er sah nie einen so reinen schnee des augapfels um die blaue himmelsöffnung die weit in die schönere seele ging und wenn sie das auge in den garten niederschlug stand das grosse verhüllende augenlid mit seinen zitternden wimpern ebenso schön darüber wie eine lilie über einer quelle.


Er weinte nicht aber konnte doch nicht mehr sprechen · ihre zwei herzen ruhten verknüpft ineinander und die nacht umhüllte schweigend ihre stumme liebe und ihre grossen gedanken.


Wenn oft ein undurchdringliches gestrüpp uns den weg durch den anmutigen duftenden garten mühsam[61] macht: wenn ganze seiten von wunderlichen zusammenstellungen und maasslosen abschweifungen uns erschrecken so sollen wir uns zurückrufen dass der dichter zur zeit des zopfstils gelebt hat den Er allein im welt-schrifttum vertritt · zur zeit in der man die edlen formen mit lächerlichen anhängen hässlichen schnörkeln und überflüssigen zierraten versah und wenn mitten im trauten gespräch der liebenden ihr des schlummernden vaters rohes gelalle hören und mitten in einem erhabenen sternen-chore bis auf die minute erfahren müsst wann der mond aufgeht: so ist dies ein jäher rückruf · der peinliche unvermeidliche schlag den der dichter sich und euch wiedergibt so wie ihn seine hehre seele in all den kleinen städten an all den kleinen höfen vom niederen leben empfing.

Doch um wieviel öfter bleiben wir erstaunt und beschämt stehen vor einem so zarten empfinden einer so frauenhaften aufmerksamkeit einem solchen reichtum der gefühle · besonders da wo es ihm gelingt – entgegen dem beispiel der gleichaltrigen – herzlich und zugleich fein zu sein: traulich aber nicht derb weich aber nicht verschwommen.

Wie hat er noch den wald gesehen das kindliche tal und die einfachen blumen! wie hat er noch der vögel sange lauschen können · mit welcher kühnheit und mit welch frommem schauer ist er durch die unermesslichkeiten[62] durch räume voll sonnen monden erden geschwebt! wie hat er noch den mai genossen von seinem ersten kühlen windrauschen an bis zur himmlischen trunkenheit und verzückten auflösung im warmen blüten-meere!

Und sind sie nicht alle etwas von unserem fleische: seine wesen in denen wir nur die kämpfenden und sich versöhnenden teile der eigenen seele sehen · die ohne grosse täter zu sein unendlich sinnen und unendlich leiden · die zwischen dem flötenspiele zarter jünglinge und dem rosigen welken zarter mädchen hin und her ziehen vom stillen Lilar zum lauschigen Blumenbühl?

Sei aber nicht gesagt dass es in seinen werken an heftig ergreifenden auftritten fehle! wie Lindas verderben · Emanuels entschlummern · Vults abschied von Walt und der grössten und rührendsten einer: Albanos wahn genesung und reise mit einem beinah heldengeschichtlichen abschluss.

Wenn Du höchster Goethe mit Deiner marmornen hand und Deinem sicheren schritt unsrer sprache die edelste bauart hinterlassen hast so hat Jean Paul der suchende der sehnende ihr gewiss die glühendsten farben gegeben und die tiefsten klänge.

Quelle:
Stefan George: Tage und Taten. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 17, Berlin 1933, S. 59-63.
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