1.


Der alte Farmer.

[6] Dort, wo der Wabasch die beiden Bruderstaaten Illinois und Indiana von einander scheidet und seine klaren Fluthen dem Ohio zuführt, wo er sich bald zwischen steilen Felsufern, bald zwischen blühenden Matten und blumigen Prairien, oder auch unter dem ernsten Schatten und feierlichen Schweigen des dunkeln Urwalds hin, murmelnd und plätschernd durch tausend stille Buchten drängt, mit dem Schilf und mit einzelnen schwankenden Weidenbüschen spielt und tändelt, hier bald leise und behaglich über runde Kiesel und grüne Rasenstecken dahingeleitet, bald wieder plötzlich wie im tollen Muthwillen herausschießt in die Mitte des Bettes und da, von der Gegenströmung erfaßt, kleine blitzende Wellen schlägt und glitzert und funkelt – da lagen im Frühling des Jahres 184–, die Büchsen neben sich in das schwellende Gras geworfen, zwei Männer auf einer dichtbewaldeten Anhöhe. Im Süden stemmte sich dieselbe dem Lauf des Stromes entgegen und zwang ihn, brausend und scheinbar unwillig über die trotzige Hemmung, wieder seitab zu fluthen; mußte er doch den starren Gesellen umgehen, der weder durch das leise, schmeichelnde Plätschern der Wellen, noch durch den mächtigen Andrang der zornig aufgeschwellten Wasser hatte bewogen werden können,[7] auch nur einen Zoll breit seines behaupteten Grundgebiets preiszugeben.

Der Eine der Männer war noch jung und kräftig, kaum älter als drei- oder vierundzwanzig Jahre, und seine Tracht verrieth eher den Bootsmann als den Jäger. Der kleine runde und niedere Wachstuchhut, mit dem breiten flatternden Band darum, saß ihm keck und leicht auf den krausen blonden Haaren. Die blaue Matrosenjacke umschloß ein Paar Schultern, deren sich ein Hercules nicht hätte zu schämen brauchen, und das rothwollene Hemd wurde von einem schwarzen seidenen Halstuch, die weißen segeltuchnen Beinkleider von einem schmalen festgeschnallten Gürtel zusammengehalten. Dieser trug zu gleicher Zeit noch die lederne Scheide mit dem einfachen Schiffsmesser und vollendete den seemännischen Anzug des Fremden.

Daß er aber auch in den Wäldern heimisch, bewiesen die sauber gearbeiteten Moccasins, mit denen seine Füße bekleidet waren, sowie die von seiner Hand erlegte Beute, ein stattlicher junger Bär, der vor ihm ausgestreckt auf dem blutgefärbten Rasen lag. Ein großer, schwarz und grau gestreifter Schweißhund aber saß daneben und hielt die klugen Augen noch immer fest auf das glücklich erjagte Wild geheftet. Die heraushängende Zunge, das schnelle heftige Athmen des Thieres, ja sogar ein nicht unbedeutender Fleischriß an der linken Schulter, von dem die klaren Blutstropfen noch langsam niederfielen, bewiesen übrigens, wie schwer ihm die Jagd geworden und wie theuer er den Sieg über den stärkeren Feind erkauft habe.

Der zweite Jäger, ein Greis von einigen sechzig Jahren, wurde allerdings an Körperkraft und Stärke von seinem jüngeren Begleiter übertroffen, trotzdem sah man aber keiner seiner Bewegungen das vorgerückte Alter an. Seine Augen glühten noch in fast jugendlichem Feuer, und seine Wangen färbte das glühende Roth der Gesundheit. Nach Sitte der Hinterwäldler war er in ein einfach baumwollenes Jagdhemd, mit eben solchen Franzen besetzt, lederne Leggins und grobe Schuhe gekleidet. In seinem Gürtel stak aber statt des schmalen Matrosenmessers, das sein Gefährte trug, eine breite, schwere[8] Klinge, ein sogenanntes Bowiemesser, und die wollene, fest zusammengerollte Decke hing ihm, mit einem breiten Streifen Bast befestigt, über der Schulter.

Beide hatten sich augenscheinlich hier, wo sie ihr Wild erlegt, nach der gehabten Anstrengung für kurze Rast in's Gras geworfen, und der Alte, während er sich auf den rechten Ellbogen stützte und der eben hinter den Bäumen versinkenden Sonne nachsah, brach jetzt zuerst das Schweigen.

»Tom,« sagte er, »wir dürfen hier nicht lange liegen bleiben. Die Sonne geht unter, und wer weiß, wie weit wir noch zum Flusse haben.«

»Laßt Euch das nicht kümmern, Edgeworth,« antwortete der Jüngere, während er sich dehnend streckte und zu dem blauen, durch die schattigen Zweige auf sie niederlächelnden Himmel emporblickte – »da drüben, wo Ihr die lichten Stellen erkennen könnt, fließt der Wabasch – keine tausend Schritt von hier, und das Flatboot kann heut Abend mit dem besten Willen von der Welt noch nicht hier vorbeikommen. Sobald es dunkel wird, müssen sie beilegen, denn den Snags und Baumstämmen, mit denen der ganze Fluß gespickt ist, wiche Gott Vater selbst nicht im Dunkeln aus, und wenn er sich mit seinen ganzen himmlischen Heerschaaren an's Steuer stellte. Ueberdies hatten sie von da, wo wir sie verließen, einen Weg von wenigstens fünfzehn Meilen zu machen, während wir die Biegung des Flusses hier kurz abschnitten.«

»Ihr scheint mit dieser Gegend sehr vertraut?« sagte der Alte.

»Sollte denken,« erwiderte Jener sinnend, »habe hier zwei Jahre gejagt und weiß jeden Baum und Bach. Es war damals, ehe ich Dickson kennen lernte, mit dessen Schooner ich später nach Brasilien ging. Der arme Teufel hätte auch nicht gedacht, daß er dort solch ein schmähliches Ende nehmen sollte.«

»Das habt Ihr mir noch nicht erzählt.«

»Heut Abend thu ich's vielleicht. – Jetzt, denk' ich, schlagen wir ein Lager auf und gehen dann mit Tagesanbruch zum Fluß hinunter, wo wir warten können, bis unser Boot kommt.«[9]

»Wie schaffen wir aber das Wild hinab? Wenn's auch nicht weit ist, werden wir doch tüchtig dran zu schleppen haben.«

»Ei, das lassen wir hier,« rief der Jüngere, während er aufsprang und seinen Gürtel fester schnallte – »wollen die Burschen Bärenfleisch essen, so mögen sie sich's auch selber holen.«

»Wenn sie aber nun vorbeiführen?«

»Denken nicht dran,« sagte Tom – »überdies weiß Bill, der Steuermann, daß er uns hier in der Gegend erwarten muß, im Fall wir nicht früher einträfen; also haben wir in der Hinsicht keineswegs zu fürchten, daß wir sitzen bleiben. Wetter noch einmal, das Boot wird doch nicht ohne seinen Capitain abfahren wollen!«

»Auch gut!« sagte der alte Edgeworth, während er dem Beispiel seines jüngeren Gefährten folgte und sich zum Aufbruch rüstete – »dann schlag' ich aber vor, daß wir die Rippen und sonst noch ein paar gute Stücke herausschneiden, das Uebrige hier aufhängen, und nachher dort links hinunter gehen, wo, dem Aussehen der Bäume nach, ein Bach sein muß. Frisches Wasser möcht' ich die Nacht doch haben.«

Diese Vorsicht war nöthig, die Männer gingen deshalb schnell an die Arbeit, die kurze Tageszeit noch zu benutzen. Sie fanden auch den Quell und neben ihm eine ganz ungewöhnliche Menge von dürren Aesten und Zweigen, von denen freilich schon ein großer Theil halb verfault war. Das Meiste davon ließ sich aber noch trefflich zum Lagerfeuer benutzen, und an der schnell entzündeten Gluth staken bald die Rippenstücke des erlegten Bären, während die Jäger, auf ihren Decken ausgestreckt, der Ruhe pflegten und in die züngelnden Flammen starrten.

Die beiden Männer gehörten, wie auch der Leser schon aus ihrem Gespräch entnommen haben wird, zu einem Flatboot, das von Edgeworth's oben am Wabasch liegender Farm mit einer Ladung von Whisky, Zwiebeln, Aepfeln, geräucherten Hirschschinken, getrockneten Pfirsichen und Mais nach New-Orleans oder irgend einem der weiter oben gelegenen Landungsplätze[10] steuerte, wo sie hoffen konnten, ihre Producte gut und vorteilhaft zu verkaufen. Der alte Edgeworth, ein wohlhabender Farmer aus Indiana und Eigenthümer des Boots und der Ladung, führte auch eine ziemliche Summe baaren Geldes bei sich, um in einer der südlichen Städte, vielleicht in New-Orleans selbst, Waaren einzukaufen und sie mit in seine, dem Verkehr etwas entlegene Niederlassung zu schaffen. Er war erst vor zwei Jahren an den Wabasch gezogen und hatte früher im Staate Ohio, am Miami gelebt. Dort aber fühlte er sich nicht länger wohl, da die mehr und mehr zunehmende Bevölkerung das Wild verjagte oder vertrieb, und der alte Mann doch »dann und wann einmal«, wie er sich ausdrückte, »eine vernünftige Fährte im Walde sehen wollte, wenn er nicht ganz melancholisch werden sollte«.

Tom dagegen, ein entfernter Verwandter von ihm und eine Waise, hatte vor einigen Jahren ebenfalls große Lust gezeigt, sich hier am Wabasch häuslich niederzulassen. Plötzlich aber und ganz unerwartet änderte er seinen Sinn, und als er zufällig den alten Dickson, einen Seemann und früheren Jugendfreund seines Vaters, traf, ging er sogar wieder zur See.

Damals schiffte er sich in Cincinnati an Bord des dort von Dickson gebauten Schooners ein, der eine Ladung nördlicher Producte nach New-Orleans führte, diese hier verkaufte, Fracht für Havanna einnahm und dann eine Zeit lang die südlichen Küsten Amerikas befuhr, bis ihn in Brasilien, wie Tom schon vorher erwähnt, sein böses Geschick ereilte.

Wenn nun auch erst seit Kurzem von seinen Kreuz- und Querzügen zurückgekehrt, schien ihm die Heimath doch wenig zu bieten, was ihn fesseln konnte. Er war wenigstens gern und gleich bereit, den alten Edgeworth wieder auf seiner Fahrt stromab zu begleiten, und bewies eine so gänzliche Gleichgültigkeit gegen alles das, was seinen künftigen Lebenszweck betraf, daß Edgeworth oft den Kopf schüttelte und meinte, es sei hohe Zeit für ihn gewesen, zurückzukommen und ein ehrbarer ordentlicher Farmer zu werdender wäre sonst[11] auf der See und zwischen all' den sorglos in's Leben hineintaumelnden Kameraden ganz und gar verwildert und verwahrlost.

Um nun aber die Einförmigkeit einer Flatbootfahrt wenigstens in etwas zu beleben, waren sie hier, wo der Fluß einen bedeutenden Bogen machte, mit ihren Büchsen an's Land gesprungen und hatten auch schon, vom Glück begünstigt, ein vortreffliches Stück Wild erlegt. Das Boot, gezwungen, sich nach den Krümmungen des Flusses zu richten, verfolgte indessen unter der Aufsicht von fünf kräftigen Hosiers1 seine langsame Bahn und trieb mit der Strömung zu Thal.

»So laß ich mir's im Walde gefallen,« sagte endlich Tom nach langer Pause, indem er sich auf sein Lager zurückwarf und zu den von der darunter lodernden Gluth beleuchteten Zweigen emporschaute. »So kann man's aushalten – Bärenrippen und trockenes Wetter – etwas Honig fehlt noch: solch junges Fleisch schmeckt aber auch ohne Honig delicat. Blitz und Tod! Manchmal, wenn ich so auf Deck lag, wie jetzt hier unter den herrlichen Bäumen, zu eben den Sternen in die Höhe schaute und dann das Heimweh bekam – Edgeworth, ich sage Euch, das – Ihr habt wohl nie das Heimweh gehabt?«

»Das Heimweh? nein,« erwiderte der alte Mann seufzend, während er seine Büchse mit frischem Zündpulver versah und diese, das Schloß mit dem Halstuch bedeckend, neben sich legte, »das nicht, aber anderes Weh gerade genug. – Sprechen wir nicht davon, ich möchte mir den Abend nicht gern verderben. Ihr wolltet mir ja erzählen, was in Brasilien mit Dickson, oder wie er sonst hieß, geschah.« –

»Nun, wenn das dazu dienen soll, Euch aufzuheitern,« brummte Tom, »so habt Ihr einen wunderlichen Geschmack. Aber so ist es mit uns Menschen, wir hören lieber Trauriges von Anderen, als Lustiges von uns selbst. Doch, meine Geschichte ist kurz genug.«[12]

»Wir waren in die Mündung eines kleinen Flusses, San Jose, eingelaufen und gedachten dort, unsere Ladung von Whisky, Mehl, Zwiebeln und Zinnwaren – mit welchen letzteren wir einen besonders guten Handel zu machen erwarteten – an die Eingeborenen und Pflanzer zu verkaufen. Eine bezeichnete Plantage hatten wir aber an dem Abend nicht mehr erreichen können, befestigten unser kleines Fahrzeug deshalb mit einem guten Kabeltau an einem jungen Palmbaum, der nicht weit vom Ufer stand, kochten unsere einfache Mahlzeit, spannten die Mosquitonetze auf und legten uns schlafen.

Eine Wache auszustellen oder sonstige Vorsichtsmaßregeln zu treffen, fiel Niemandem ein; nur hatten wir den Schooner etwas lang gehangen, damit er neben einen im Wasser festliegenden Stamm kam und nicht dicht an's Ufer konnte. Sonst träumten wir von keiner Gefahr und hielten auch wirklich die Gegend für ganz sicher und gefahrlos. –

Ich weiß nicht, wie spät es in der Nacht gewesen sein kann, als Dickson, der dicht neben mir lag, mich in die Seite stieß und frug, ob ich nichts höre.

Halb im Schlafe noch mocht' ich ihm wohl etwas mürrisch geantwortet haben, zum Teufel zu gehen und andere Leute in Ruhe zu lassen, auch wahrscheinlich wieder eingeschlafen sein, da fühlte ich, wie er mich bald darauf zum zweiten Mal, und zwar diesmal ziemlich derb, an der Schulter faßte und leise flüsterte: ›Munter, Tom! munter! Es ist nicht richtig am Ufer.‹ ›Hallo,‹ rief ich und fuhr in die Höhe; denn jetzt kam mir zum ersten Mal der Gedanke an die rothen Teufel, die ja doch auch dort vielleicht eben solche Liebhabereien haben konnten, wie das wilde Volk bei uns. So saßen wir denn neben einander, Jeder unter seinem langen dünnen Fliegennetz, und horchten, ob wir irgend etwas Verdächtiges hören konnten. Da rief Dickson auf einmal: ›Hierher, Leute – da sind sie – die Schufte!‹ und sprang in die Höhe, während ich schnell nach meinem Messer griff und das verdammte Ding in aller Eile nicht finden konnte. Dickson aber mußte sich mit den Füßen in dem dünnen Gazestoff, aus dem das Netz bestand, verwickelt haben. Ich hörte einen[13] Fall auf das Deck und sah, als ich mich schnell danach umwandte, zwei dunkle Gestalten, die wie Schatten über den Rand des Bootes glitten und sich auf ihn warfen.

In dem Augenblick trat ich auf eine Handspeiche, die wir am vorigen Abend gebraucht hatten, und das war die einzige Waffe, die hier von Nutzen sein konnte. Mit Blitzesschnelle riß ich sie in die Höhe, rief den Anderen zu – wir hatten noch drei Matrosen und einen Jungen an Bord –, das Tau zu kappen, und schmetterte mit dem schweren Holz auf die Köpfe der beiden dunkeln Halunken nieder, die auch im nächsten Augenblick wieder über Bord sprangen oder wahrscheinlicher stürzten; denn meine Keule saß am nächsten Morgen voll Gehirn und Blut.

Während die Uebrigen, ebenfalls noch halb schlaftrunken, emportaumelten, hatte der Junge so viel Geistesgegenwart behalten, mit einem glücklicher Weise dortliegenden Handbeil das Tau zu kappen, so daß schon im nächsten Augenblick der Schooner, von der starken Ebbe mit fortgenommen, stromab trieb.

Meiers und Howitt, zwei von den anderen Matrosen, versicherten mir nachher noch, sie hätten eben falls fünf von den Schuften, die am Schiffsrand gehangen, auf die Schädel geklopft; ich weiß freilich nicht, ob es wahr ist. Unser armer Capitain war aber todt – er hatte einen Lanzenstich durch die Brust und einen Keulenschlag über den Kopf bekommen, und lag, als wir endlich am andern Ufer wieder etwas freier Athem schöpften, starr und leblos an Deck.«

»Und was wurde aus der Ladung?«

»Die verkaufte ich noch in derselben Woche, befrachtete dann die ›Charlotte‹, so hieß der Schooner, mit bei uns verkäuflichen Gegenständen und lief vier Monate später gesund und frisch in Charlestown, wo Dickson's Wittwe lebte, ein. Die arme Frau trauerte allerdings über den Tod ihres Mannes, das Geld aber, was ich ihr brachte, tröstete sie wohl in etwas. Acht Wochen später heirathete sie wenigstens einen Pflanzer in der Nachbarschaft. Das sind Schicksale.«

»Sie wußte doch wenigstens, wo ihr Mann geblieben,« flüsterte der alte Mann halb vor sich hin, »wußte, daß er [14] todt, und wie er gestorben sei. Wie manche Eltern harren aber Monde – Jahre lang auf ihre Kinder, hoffen in jedem Fremden, der die Straße wandert, in jedem Reisenden, der Nachts an ihre Thür klopft, das geliebte Antlitz zu schauen und – müssen sich am Ende doch selbst gestehen, daß sie todt – lange, lange todt sind, und daß Haifisch oder Wolf ihre Leichen zerrissen oder ihre Gebeine benagt haben.«

»Ja, Du lieber Gott,« sagte Tom, indem er, um ein etwas lebhafteres Feuer zu erhalten, einen neuen Ast auf die Kohlen warf, »das ist eine sehr alte Geschichte. Wie Viele kommen allein in diesen Wäldern um, die auf den Flüssen gar nicht gerechnet, von denen die Ihrigen selten oder nie wieder erfahren, was aus ihnen geworden ist. Wie viele Tausend gehen auf der See zu Grunde! Das läßt sich nicht ändern, und so oft ich auch in Lebensgefahr gewesen bin, daran hab' ich nie gedacht.«

»Manchmal kehren sie aber auch wieder zu den Ihrigen zurück,« sagte der Alte mit etwas freudigerer Stimme. »Wenn diese sie schon lange auf- und verloren gegeben haben, dann klopfen sie plötzlich an das so lange nicht gesehene, so heiß vielleicht ersehnte Vaterhaus, und die Eltern schließen weinend – aber Freudenthränen weinend, das liebe, böse Kind in die Arme.«

»Ja,« erwiderte Tom ziemlich gleichgültig, »aber nicht oft. Die Dampfboote fressen jetzt eine unmenschliche Anzahl Leben; bei denen geht's ordentlich schockweise. Das – aber Ihr rückt ja ganz von der Decke herunter,« unterbrach er sich, während er sein erst verlassenes Lager wieder einnahm; »die Nacht ist zwar warm, doch auf dem feuchten Grunde zu liegen, soll gerade nicht übermäßig gesund sein.«

»Ich bin's gewohnt,« erwiderte der Alte, und zwar, wie es schien, ganz in seine eigenen trüben Gedanken vertieft.

»Und wenn Ihr's auch gewohnt seid, die Decke liegt einmal da, warum sie nicht benutzen!«

»An der Stelle dort, wo ich lag, müssen Wurzeln oder Steine sein – es drückte mich an der Schulter und ich rückte deshalb aus dem Wege.«[15]

»Nun, danach können wir leicht sehen,« meinte Tom gutmüthig; »es wäre überhaupt besser, ein wenig dürres Laub zu einem vernünftigen Lager zusammenzuscharren, als hier auf der harten Erde liegen zu bleiben. Steht einen Augenblick auf, und in einer Viertelstunde soll Alles hergerichtet sein.«

Edgeworth erhob sich und trat zu der knisternden Flamme, in die er mit dem Fuße einige der durchgebrannten und hinausgefallenen Klötze zurückschob. Tom zog indessen die Decke weg und fühlte nach den darunter verborgenen Wurzeln.

»Hol's der Henker,« lachte er endlich, »das glaub' ich, daß Ihr da nicht liegen konntet. Eine ganze Partie Hirschknochen steckte darunter und keine Wurzeln; daß wir das aber auch nicht gleich gesehen haben!« Er warf bei diesen Worten die Knochen gegen das Feuer zu und kratzte nun mit den Füßen und Händen das in der Nähe herumgestreute Laub herbei, bis er ein ziemlich weiches Lager zusammenhatte. Dann breitete er wieder sorgfältig die Decke darüber, trug noch einige heruntergebrochene Aeste zur Flamme, um in der Nacht wieder nachlegen zu können, zog Jacke und Moccasins aus, deckte die erstere sich über die Schultern und lag bald darauf lang ausgestreckt auf der Decke, um ein paar Stunden zu schlafen und die Ankunft des Bootes am nächsten Morgen nicht zu versäumen.

Edgeworth hatte dagegen einen der neben ihn hingeworfenen Knochen aufgenommen und betrachtete ihn mit größerer Aufmerksamkeit, als ein so unbedeutender Gegenstand eigentlich zu verdienen schien.

»Nun – seid Ihr nicht müde?« frug ihn sein Gefährte endlich, der zu schlafen wünschte, »laßt doch die Aasknochen und legt Euch nieder. Es wird Tag werden, ehe wir's uns versehen.«

»Das ist kein Hirschknochen, Tom!« sagte der Alte, indem er sich zum Feuer niederbog, um das Gebein, das er in der Hand hielt, besser und genauer betrachten zu können.

»Nun, so ist's von Wolf oder Bär,« murmelte dieser, schon halb eingeschlafen, mit schwerer Zunge.

»Bär? das wäre möglich,« erwiderte nachdenkend der Alte,[16] »ja, ein Bär könnt' es sein, ich weiß aber doch nicht – mir kommt's wie ein Menschenknochen vor –«

»Tretet doch dem Hund einmal in die Rippen, daß er das verdammte Scharren läßt,« sagte der Matrose ärgerlich. »Menschenknochen – meinetwegen auch; wie sollten aber Menschenknochen –« er fuhr auf einmal schnell und ganz ermuntert von seinem Lager empor, während er scheu und wild zu den Bäumen hinaufschaute, die um ihn standen.

»Was ist Euch?« frug Edgeworth erschrocken, »was habt Ihr auf einmal?«

»Verdammt will ich sein,« sagte Tom sinnend und immer noch ängstlich umherblickend, »wenn ich – nicht glaube –«

»Glaube, was? Was habt Ihr?«

»Ist das wirklich ein Menschenknochen?«

»Mir kommt er so vor. Es muß das Hüftbein eines Mannes gewesen sein, denn für einen Hirsch ist es zu stark und für einen Bären zu lang. Aber was ist Euch?«

Tom war emsig beschäftigt, seine Moccasins wieder anzuziehen, und sprang jetzt auf die Füße.

»Wenn das ein Menschenknochen ist,« rief er, »so kenne ich den, dem er gehörte, und habe ihn selbst mit Aesten und Zweigen zugedeckt, als wir ihn fanden. Darum lag also auch hier so viel halbverfaultes Holz auf einem Haufen. Ja, wahrhaftig, das ist der Platz und dieselbe Eiche, unter der wir ihm sein Grab machten; das Kreuz – der Auswuchs hier soll ein Kreuz sein – hieb ich damals mit meinem eigenen Tomahawk in den Stamm. Der arme Teufel –«

»Auf welche Art starb er denn, und wer war es?«

»Wer es war, weiß der liebe Gott, ich nicht, aber er starb auf eine recht niederträchtige, hundsföttische Weise. Ein Bootsmann, dessen Boot gerade da unten am Lande lag, wo wir das unsrige morgen erwarten, schlug ihn todt wie einen Wolf, und das um ein paar lumpiger Dollar willen.«

»Entsetzlich!« sagte der Alte und lehnte sich, den Knochen neben sich legend, auf seine Decke zurück, während Tom ebenfalls seinen so schnell verlassenen Platz wieder einnahm und den Kopf in die Hand stützte.[17]

»Wir jagten hier oben nach Bienen,« fuhr Tom, vor sich niederstarrend und ganz im Andenken der alten Zeiten verloren, fort, »und Bill –«

»Der Bootsmann?« frug Edgeworth.

»Nein, jener Unglückliche,« sagte Tom.

»Und sein anderer Name?«

»Den nannte er nie; wir waren auch nur vier Tage zusammen, und er gehörte, so viel ich verstanden habe, nach Ohio hinüber. Bill hatte jenen Burschen ein paar Dollar sehen lassen, und der wollte ihn gern Abends, als wir am Feuer gelagert waren, zum Spielen reizen. Er spielte aber nicht, und das erbitterte schon den nichtswürdigen Buben. Ein paar Nächte darauf hatte er's denn auf irgend eine Art und Weise anzustellen gewußt, daß er den armen Jungen von uns fortbekam und die Nacht mit ihm allein auslagerte. Wir campirten an demselben Abend in der Nähe der Schlucht, in welcher wir heute zuerst auf die Bärin schossen; denn von der kleinen Prairie aus waren wir dorthin einem Bienencours gefolgt. Den andern Tag ließ sich Niemand von ihnen sehen, und als wir mit Sonnenuntergang zum Flußufer kamen, war das Boot fort.

Dicht am Ufer übernachteten wir. Der alte Sykomorestamm muß noch dort liegen, wo unser Feuer war; denn der hatte sich fest zwischen zwei Felsen gezwängt und konnte nicht fort. Als wir am nächsten Morgen die Bank erstiegen, wurden wir zuerst durch die Aasgeier aufmerksam gemacht, von denen eine große Menge nach einer Richtung hinzog.

Gebt Acht, sagte mein Begleiter, ein Jäger aus Kentucky, mit dem ich damals in Compagnie jagte, gebt Acht, der lumpige Flatbooter hat den Kurzfuß kalt gemacht.«

»Kurzfuß,« fuhr der Alte erschrocken auf, »warum nannte er ihn Kurzfuß?«

»Sein rechtes Bein war etwas kürzer als das linke, und er hinkte ein wenig, aber nicht viel, und richtig – wie wir auf den Hügel hier kommen – ich vergäße den Anblick nicht und wenn ich tausend Jahre alt würde – da lag der Körper,[18] und die Aasgeier – aber was ist Euch, Edgeworth, was habt Ihr? Ihr seid –«

»Hatte der – der Kurzfuß oder – oder Bill, wie Ihr ihn nanntet – eine Narbe über der Stirn?«

»Ja – eine große, rothe Narbe – kanntet Ihr ihn?«

Der alte Mann preßte seine Hände vor die Stirn und sank in stummem Schmerz auf sein Lager zurück.

»Was ist Euch, Edgeworth? Um Gottes willen. Mann – was fehlt Euch?« rief der Matrose, jetzt wirklich erschreckt emporspringend, »kommt zu Euch – wer war jener Unglückliche?«

»Mein Kind – mein Sohn!« schluchzte der Greis und drückte seine eiskalten, leichenartigen Finger fest vor die heißen, trockenen Augenhöhlen.

»Allmächtiger Gott!« sagte Tom erschüttert, »das ist schrecklich – armer – armer – Vater!«

»Und Ihr begrubt ihn nicht!« frug dieser endlich nach langer Pause, in der er versucht hatte, sich ein wenig zu sammeln.

»Doch – er bekam ein Jägergrab,« antwortete leise und mitleidig der junge Mann; »wir hatten nichts mit uns, als unsere kleinen indianischen Tomahawks, und der Boden war dürr und hart da – aber ich martere Euch mit meinen Worten –«

»Erzählt nur weiter – bitte – laßt mich Alles wissen,« bat flehend der Vater.

»Da legten wir ihn hier unter diese Eiche, trugen von allen Seiten Stangen und Aeste herbei, daß kein wildes Thier, wie stark es auch gewesen, ihn erreichen konnte – denn Bären lassen die Leichen zufrieden –, und ich hieb mit dem Tomahawk noch zuletzt das einfache Kreuz hier in den Stamm.«

Edgeworth starrte still und leichenbleich vor sich nieder. Nach kurzer, peinlicher Pause richtete er sich aber wieder empor, schaute zitternd und traurig umher und flüsterte:

»Wir liegen hier also auf seinem Grabe – in seinem Grabe – und mein armer, armer William mußte auf solche Weise enden! Doch seine Gebeine dürfen nicht so umhergestreut[19] länger dem Sturm und Wetter preisgegeben bleiben, Ihr helft sie mir begraben, nicht wahr, Tom?«

»Von Herzen gern, nur – wir haben kein Werkzeug.«

»Auf dem Boote sind zwei Spaten und mehrere Hacken – die Leute müssen helfen. – Ich will meinem Sohn, und wenn auch erst nach langen Jahren, die letzte Ehre erweisen; es ist ja Alles, was ich für ihn thun kann.«

»Sollen wir lieber unser Lager hinüber auf die andere Seite des Feuers machen?« frug Tom.

»Glaubt Ihr, ich scheute mich vor der Stelle, wo mein armes Kind vermoderte?« sagte der Greis; »es ist ja auch ein Wiedersehen, wenngleich ein gar schmerzliches. Ich glaubte an seinem Herzen noch einmal liegen zu können und finde jetzt – seine Gebeine umhergestreut in der Wildniß. – Aber gute Nacht, Tom – Ihr müßt müde sein von des Tages Anstrengungen – wir wollen ein wenig schlafen, und der anbrechende Tag finde uns erwacht und mit unserer Arbeit beschäftigt.«

Sicherlich nur, um den jüngeren Gefährten zu schonen, warf sich der alte Mann auf sein Lager zurück und schloß die Augen. Kein Schlaf senkte sich aber auf seine thränenschweren Lider, und als der kühle Morgenwind durch die rauschenden Wipfel der Kiefern und Eichen säuselte, stand er auf, fachte das jetzt fast niedergebrannte Feuer zu heller, lodernder Flamme an und begann bei dessen Licht die um das Lager herumgestreuten Gebeine zu sammeln. Tom, hierdurch ermuntert, half ihm schweigend in seiner Arbeit und näherte sich dabei dem Platze, wo Wolf, etwa dreißig Schritt vom Feuer entfernt, zusammengekauert neben einem kleinen Ulmenbusche lag. Obgleich die Beiden aber sonst sehr gute Bekannte waren, empfing ihn der alte Hund doch sehr unfreundlich und knurrte mürrisch und drohend. –

»Wolf! Schämst Du Dich nicht, Alter?« sagte der junge Mann, auf ihn zugehend, »Du träumst wohl, Du faules Vieh – weist mir die Zähne?«

Der Hund beruhigte sich jedoch selbst durch die Anrede nicht und knurrte nur stärker, wedelte aber auch dabei leise[20] mit dem Schwanze, gerade als ob er hätte sagen wollen: Ich kenne Dich recht gut und weiß, daß Du ein Freund bist, aber hierher darfst Du mir trotz alledem nicht.

Tom blieb stehen und sagte zu Edgeworth, der auf ihn zukam:

»Seht den Hund an, er hat da etwas unter dem Laube und will mich nicht näher lassen. Was es nur sein mag?«

Edgeworth ging auf ihn zu, schob leise seinen Kopf zur Seite und fand zwischen den Pfoten des treuen Thieres – den Schädel seines Sohnes – wobei Wolf, als Jener die Ueberreste des theuren Hauptes seufzend emporhob, an ihm hinauf sprang und winselte und bellte.

»Das kluge Thier weiß, daß es Menschenknochen sind,« sagte der Matrose.

»Ich glaube, beim ewigen Gott, er kennt die Gebeine!« rief der Greis erschrocken. »Bill hat ihn aufgezogen und ging nie, von dem Augenblick an, wo er laufen konnte, einen Schritt ohne ihn in den Wald.«

»Das ist ja nicht möglich – die Gebeine können keinen Geruch behalten haben. – Wie alt ist denn der Hund?«

»Acht Jahre – aber so klug wie je ein Thier einer Fährte folgte,« sagte der Greis; »Wolf – komm hierher,« wandte er sich dann an den Winselnden, »komm her, mein Hund – kennst Du Bill noch, Deinen alten guten Herrn?«

Wolf setzte sich nieder, hob den spitzigen Kopf hoch empor, sah seinem Herrn treuherzig in die Augen, warf sich mehrere Male unruhig von einem Vorderlauf auf den andern und stieß plötzlich ein nicht lautes, aber so wehmüthig klagendes Geheul aus, daß sich der alte Mann nicht länger halten konnte. Er kniete neben dem Thiere nieder, umschlang seinen Hals und machte durch einen heißen, lindernden Thränenstrom seinem gepreßten Herzen Luft. Wolf aber leckte ihm liebkosend Stirn und Wange und versuchte mehrere Male, die Pfote auf seine Schulter zu legen.

»Unsinn!« sagte Tom, dem bei dem sonderbaren Betragen des Hundes ordentlich unheimlich zu Muthe wurde, »das Thier wittert menschliche Ueberreste, und da geht's ihm gerade[21] wie mit Menschenblut. Laßt das die Hunde plötzlich spüren, so heulen sie ebenfalls, als ob ihnen das Herz brechen wollte.« »Laßt mir den Glauben, Tom!« bat der Alte, sich endlich wehmüthig wieder emporrichtend, »es thut mir wohl, selbst in dem Thiere das Gedächtniß für einen Freund bewahrt zu sehen, und – wir haben ja des Schmerzlichen genug, warum den schwachen Trost noch muthwillig mit eigener Hand zerstören?«

Ein Schuß aus der Richtung her, in welcher der Fluß liegen mußte, unterbrach hier seine Rede.

»Verdammt!« rief Tom, »ob die Burschen nicht schon mit dem Boote da sind – die Seehunde müssen Nachts gefahren sein, es ist ja kaum Tag.«

»Thut mir den Gefallen und ruft sie her!« bat Edgeworth.

»Mir wär's lieber, wenn Ihr mitginget,« sagte der junge Mann zögernd, »Ihr quält Euch hier und –«

»Ich bin gefaßt, wenn Ihr kommt, Tom. – Thut mir die Liebe und ruft sie.«

Im nächsten Augenblick hatte der junge Mann seine Büchse geschultert und schritt dem Flußufer zu. Edgeworth kniete an dem Fuße der Eiche, die Jahre lang ihre Arme schützend über die Ueberreste seines Kindes ausgebreitet hatte, nieder und lag ernst und still im brünstigen Gebet, bis er die Schritte der vom Boote Kommenden hörte. Dann sprang er auf und schritt ihnen fest und ruhig entgegen.

Tom hatte die Männer schon unten am Flusse mit dem Vorgegangenen schnell bekannt gemacht, und ernst und schweigend begannen sie an der engen Gruft zu arbeiten, die des unglücklichen jungen Mannes Gebeine aufnehmen sollte. Dann legten sie sorgsam die gesammelten Ueberreste hinein, warfen das Grab zu, wölbten den kleinen Hügel darüber und trugen nachher eben so still und lautlos die Jagdbeute, die ihnen Tom bezeichnete, auf ihren Schultern zum Boote hinunter.

»Hallo!« rief ihnen hier der an Bord gebliebene Steuermann, eine wilde, drohende Gestalt, das Gesicht ganz von Pockennarben zerrissen, die schwarzen langen Haare wild um[22] die Schläfe hängend, entgegen, »Bärenfleisch! Verdamm' meine Augen, wenn das nicht der vernünftigste Streich ist, den unser alter Capitain in langer Zeit ausgeführt hat. – Macht aber schnell, Burschen, daß wir von hier fort kommen, wir versäumen die schöne Zeit und das Wasser fällt mit jeder Secunde.«

»Wir gehen noch einmal hinauf,« sagte der Eine von ihnen.

»Was zum Henker ist nun noch oben?«

»Oben ist nichts mehr, wir wollen nur die Backsteine aus unserer Küche hinauftragen und, so gut es geht, einen Grabstein daraus machen.«

»Narren seid Ihr,« zürnte der Steuermann, »wie sollen wir nachher kochen?«

»In Vincennes können wir andere bekommen,« sagte Tom, »schaden würd's Euch auch nicht, wenn Ihr eine Ladung mit hinauftrüget.«

»Ich bin zum Steuern gemiethet und nicht zum Steineschleppen,« brummte der Lange, indem er sich ruhig auf's Verdeck streckte. »Unsinn genug, daß Ihr die alten Knochen da oben noch einmal aufrührt; die wären auch ohne Euch verfault.«

Die Männer antworteten ihm nicht, luden ihre Last auf und stiegen damit die steile Uferbank empor. An dem Grabe errichteten sie aber das einfache Denkmal für den ermordeten Jäger, frischten das Kreuz in der Eiche wieder auf und wollten dann langsam den Platz, auf dem Edgeworth noch immer in Schmerz und Gram vertieft stand, verlassen. Da fuhr dieser aus seinen Träumen auf, drückte den Bootsleuten allen freundlich die Hand, schulterte seine Büchse, rief dem Hunde und ging mit festen, sicheren Schritten voran dem Boote zu.

Eine halbe Stunde später knarrten und kreischten die schweren Ruder des unbehülflichen Fahrzeugs, mit deren Hülfe es in die eigentliche Strömung hinausgeschoben wurde. Dann aber drängte es schwerfällig gegen die Mitte des Flusses zu und trieb langsam hinunter seine stille, einförmige Bahn. Wie[23] es aber nur erst einmal in Gang und richtig in der Strömung war, hoben die Bootsleute ihre »Finnen« (wie die langen Ruder solcher Boote genannt sind) an Deck und streckten sich selbst nachlässig und behaglich auf den Brettern aus, die ersten Strahlen der freundlichen Morgensonne zu genießen, die jetzt eben in all' ihrer schimmernden Pracht und Herrlichkeit über dem grünen Blättermeer emportauchte.

Edgeworth aber saß, mit dem Hunde zwischen seinen Knieen, am hintern Rande des Fahrzeugs und schaute still und traurig nach den mehr und mehr in weiter Ferne verschwimmenden Bäumen zurück, die das Grab seines Kindes überschatteten.

Fußnoten

1 Hosier ist ein Scherzname der Amerikaner für die Bewohner von Indiana.


Quelle:
Friedrich Gerstäcker: Die Flußpiraten vom Mississippi. Aus dem Waldleben Amerikas. Zweyte Abteilung, Jena 9[o. J.], S. 24.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Flußpiraten des Mississippi. Aus dem Waldleben Amerikas.
Die Flußpiraten des Mississippi. Aus dem Waldleben Amerikas

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon