Achter Brief.

[56] Kopenhagen.


Der ehrliche H. freute sich, wie Sie noch wol wissen, herzinniglich über seine eignen Einfälle, da wir mit ihm von unsern Zweifeln über das hohe Alter der Hersischen Gedichte sprachen, welche der Schottländer Macpherson zur großen Erbauung seiner Landsleute, und zum noch größern Erstaunen der übrigen Welt, vor einigen Jahren ans Licht treten ließ. Vermuthlich freut er sich noch: Denn es hatte allen Anschein, daß unser Unglaube auch durch die allgemeine Uebereinstimmung der Recensenten gedemüthigt war. Da ich den Humor dieses braven Mannes kenne, und gar wohl weiß, wie sehr sein trefliches embonpoint von seiner Zufriedenheit über seine eignen werthen Gedanken abhängt; so darf ich mir von einer gegenseitigen Entdeckung, das erwähnte[56] hohe Alter der Macphersonschen Gedichte betreffend, gegen ihn schwerlich etwas verlauten lassen; Ihnen aber muß sie nicht unbekannt bleiben.

Ich schicke Ihnen demnach in Anschluß ein Memoire sur les poëmes de Mr. Macpherson, welches unser – – mir erst vor wenig Tagen aus Paris mitgetheilt hat; Sie müssen es lesen; es enthält ausser dem Neuen noch viel Interessantes. Der Verf. soll ein Irrländer seyn; wenigstens konnte man von keinem Franzosen eine so tiefgehende Untersuchung erwarten.

Daß entweder Hr. Macpherson seinen Text ausserordentlich verfälscht, oder auch das untergeschobne Werk einer neuern Hand allzu leichtgläubig für ein genuines angenommen hätte, glaubten wir gleich aus den mancherley Spuren des Modernen sowol, als aus den verschiednen kleinen hints, die der Dichter sich aus dem Homer etc. gemerkt zu haben schien, wahrzunehmen. Damals fehlte es uns an weitern Beweisthümern; der Irrländer hat ihrer die Menge, welche alle aus den besten Gewährsmännern darthun, erstlich, daß Schottland ursprünglich eine Colonie der Irrländer sey, die erst im Jahre 503 durch die Siege des Fergus, eines Irrländischen Prinzen, angebauet worden; zweytens, daß ein gewisser Malcolme, ein Schottländer, sich eine Menge Verfälschungen in der Geschichte und den Ueberbleibseln der Barden schuldig gemacht, um das Alterthum seines Volks in viel frühere Jahrhunderte zurück zu schieben. Von diesem verfälschten System des Malcolme leitet unser Verf. die Irrthümer des Macpherson über das hohe Alter der Ossianischen Gedichte her, und zeigt deutlich, daß sie von einer neuern Hand untergeschoben worden, um gedachtem System einen falschen Anstrich der Wahrheit zu geben. Der Betrug wird durch die Fragmente der Irrländischen Romanzen, worauf das ganze Gebäude aufgeführt ist, offenbar; ich enthalte mich aber eines weitern Details, da Sie dieß alles in der Urschrift selbst nicht ohne Vergnügen nachlesen werden.

Zuverläßiger und weniger alt ist das zweyte Stück[57] meines Anschlusses, die Reliques of ancient English poetry, die in drey Bänden bey Dodsley herausgekommen, und unter der Aufsicht des hochachtungswürdigen S. Johnson gesammelt worden sind. Ich führe Ihnen nur ein einziges Stück daraus an, Ihre Aufmerksamkeit zu reitzen; es ist keines der ältesten: aber Sie haben schwerlich etwas gelesen, das von einer feinern Erfindung, von einer zärtlichern Wendung wäre, oder mehr verdiente, den schönsten Ueberbleibseln des griechischen Alterthums an die Seite gesetzt zu werden. Hier haben Sie es ganz.


It chanc'd of late a shepherd swain


[u.s.f. Vgl. Percy Reliques 1765. Vol. 1.

S. 293 ff. Cupids Pastime.]


Keine Nation in der Welt müßte, meines Erachtens, einen reichern Schatz an Ueberbleibseln dieser Art aufzuweisen haben, als unsre nordische, vornehmlich die Dänische, wenn wir erst einmal anfingen, so aufmerksam auf unsre eignen Vortheile zu werden, als es die meisten andern auf die ihrigen sind. Wir haben schon itzt eine ganze Sammlung alter lyrischer Gedichte, unter dem Namen Kiämpe-Viiser: nur Schade! daß die schätzbarsten Stücke aus ihren ursprünglichen Runen in das neuere Dänische übergetragen, und folglich um ein großes Theil ihres Ansehens gekommen sind; so ist auch das Ganze mit so vieler Nachläßigkeit unter einander geworfen; viele einzelne Stücke sind so zerstümmelt, so jämmerlich gemishandelt, bestehen aus einem so wunderlichen Gemische alter und neuer Wörter, daß schon eine Art von Gelehrsamkeit erfodert wird, sie nur lesen zu können. Ich rede hier nicht von unsern Original-Sagen, die durch den rühmlichen Fleiß eines Wormius, Bartholins, Biörner u.a. ein besseres Schicksal gehabt haben; vielleicht unterhalte ich Sie von den letztern bey einer andern Gelegenheit; itzt ist mein Absehen nur auf die sogenannten Kiämpe-Viiser gerichtet, deren nähere Kenntniß mir zur Aufklärung der alten Litteratur und der Geschichte des menschlichen Geistes nicht wenig beyzutragen[58] scheint. Ich glaube gern, daß Sie von diesen Ueberbleibseln nie das geringste gehört haben; es wäre seltsam, wenn ein Deutscher etwas von einer Sammlung wissen sollte, deren Existenz manchem Dänen unbekannt ist, und von den meisten aus einem höchst falschen Gesichtspunkte beurtheilt wird: aber sollten Sie wol muthmaßen, daß Ihnen auch nur die Spur von demjenigen habe verborgen bleiben können, was so poetisch schön, so naiv, so simpel, und zugleich so heroisch, so voll Sentiment ist, als folgende kleine Fragmente aus den entferntesten Jahrhunderten?


»Der Tag dämmert heran, und der Hahn kräht auf der Zinne. Es ist Zeit, daß die Söhne Odins zum Kampf und zur Arbeit erwachen. Erwacht! o! erhebt euch! tretet hervor, ihr Anführer, theuerste Freunde des Adil; ihr alle seyd die ersten der Krieger.

Har, der mit harter Faust gebeut, und die Vaabne, und Rolv, der Bogenschütze, und ihr andern von edlen Geschlechtern, streitbare Männer, die ihr nicht zu fliehen gewohnt seyd! auf! erwacht! – nicht zum lustigen Schmause, nicht zum sanften Geschwätz mit den Mädchen! Gegen den Feind sollt ihr mit harter Schenkel herantreten.

Wer seinem Könige treu ist, hüte des Krieges, und entsage den Küssen und dem Getränk. Hier ist ein besserer Preis zu gewinnen. Hinweg! Weichlichkeit! wo ein Feind zu bändigen ist.

Der Freygebigste unter allen Königen, Rolv, der uns Gold und Schwerter gegeben, ist der Gewalt erlegen. Der sey ein Nichtswürdiger, der seinen König nicht rächt.«


Hier haben Sie eins von anderer Art, ein Hexenlied, dem es nicht an Colorit und Lyrischen Schwünge fehlt:


»Ich legte mein Haupt auf Elvers-Höhe; meine Augen lieder sanken: Da kamen zwo Jungfern, sich mit mir zu unterreden.

Die Eine streichelte meine weissen Backen, die Andere lispelte mir ins Ohr: Steh auf, munterer Jüngling, und erhebe den Tanz!

Steh auf, muntrer Jüngling, und erhebe den Tanz: meine Jungfrauen sollen die schönsten Lieder dir singen.

Die eine, so reizend über alle ihres Geschlechts, hub ein Lied an; der brausende Strohm hielt inne, und floß nicht mehr.

[59] Der brausende Strohm hielt inne, und floß nicht mehr; die kleinen Fischchen, die in der Fluth schwammen, spielten mit ihren Verfolgern.

Alle kleine Fischchen der Fluth spielten und hüpften; alle kleine Vögel des Waldes zwitscherten durch die Thäler.

Höre, du munterer Jüngling, willst du bey uns verweilen, so wollen wir dich die Runen und Charaktern lehren.

Ich will dich den Bären binden lehren, und der Drache, der sich auf Golde lagert, soll vor dir weichen.

Sie tanzten hin, sie tanzten her auf der Höhe: aber der Jüngling saß, und stützte sich auf seinem Schwerte.

Höre, munterer Jüngling, wenn du uns nicht antwortest, so wollen wir dir mit Schwert und Messer das Herz aus dem Leibe reissen.

Da krähte der Hahn! zu meinem Glücke! ich wäre sonst nie von Elvers-Höhe gekommen.

Jedem jungen Dänen, der nach Hofe zieht, will ich rathen, niemals auf Elvers-Höhe zu schlummern.«


Die Moral dieser kleinen Erfindung scheint durch, und könnte schwerlich glücklicher eingekleidet seyn.


Lied des Aßbiørn Prude.

Dieser angesehene Dänische Held war in die Hände eines gewissen Bruse gefallen, der ihm das Eingeweide aus dem Leibe reissen ließ, bey welcher Gelegenheit Aßbiørn, anstatt weibisch zu wehklagen, oder auch nur zu seufzen, folgende neun Stanzen gesungen haben soll. Eine ähnliche Geschichte hat man vom König Regnar, von dessen sehr bekannten Saga mir gegenwärtiges Lied eine ziemlich genaue Nachahmung zu seyn scheint.


»O Svanhilde, meine Mutter, die du in Dänemark wohnst! wisse, dein Sohn wird sterben. Nicht mehr wirst du im Sommer sein Haar kämmen; nie wird er zu dir zurückkehren; das Schwert ist ihm untreu geworden.

Ganz anders war es daheim, als eine Schiffwand zwischen uns und dem Meer-Schaume war, als das Schiff sich vom Winde fortführen ließ. Ruhig stießen wir von Hvordaland ab, und[60] tranken Meth und Bier, und schwatzten darein. Itzt bin ich in die Schlingen der Räuber gefallen; itzt lieg ich in einer Räuber-Höle.

Ganz anders war es daheim, da der kühne Orm mit andern erhabnen Männern muthig neben uns stand. Im Sunde landeten unsre langen Schiffe. Itzt ergreift mich der Scheußliche, martert mich mit mannigfaltiger Quaal.

Ganz anders war es daheim, da Orm im Kampfe den blutdurstigen Vögeln so manchen Helden in seinem Blute schwimmen ließ. Schwer waren seine Kämpfe, und nahrhaft den Geyern, als er am Ufer der Weichsel Wunden des Todes hieb.

Ganz anders war es daheim, als ich an den südlichen Klippen meinen Feind mit Schwert und Pfeilen zersetzte. Orm netzte seine Waffen im feindlichen Blute, und die Feinde sanken hin zu seinen Füßen.

Ganz anders war es daheim, als wir alle gesammlet waren: Hok, Haki, Hrok und Toke, Söhne des Orkin, Got, Glumer, Stare, Gejr, Samr, Seming. Nie werde ich sie vergessen. Itzt werde ich keine so fröhliche Bahn mehr laufen.

Ganz anders war es daheim, als wir ans Ufer schifften. Da waren Hegen, Hrani, Tume, Torfe, Trit, Sorkvir, Gunner, Grani, Hjelm, Stefnir, Grim und Heit. Noch immer sind sie meinem Andenken theuer.

Ganz anders war es daheim. Wir hatten Hang und Muth zum Kriege; ich rieth niemals von einem Kampfe ab. Wir brauchten es, das lustige Schwert; wir hieben hurtig von der Hand weg vor uns nieder. Aber Orm that das Beste; er überwand den Feind.

Wie würde Orm seine Stirne falten, wie würde er toben, wenn er meine Pein und Marter sähe. Wenn irgend ein Mensch es könnte, so würde er das Ungeheuer für seine Bosheit mit vollem Wucher zu bezahlen wissen.«




Lied der Jomsbürger.

Diese Jomsbürger oder Jomsvikinger waren, wie Sie aus der Geschichte wissen, eine Dänische Colonie, die sich in Pommern niedergelassen, und die Stadt Julin, itzt Wollin, durch ihre kühnen Unternehmungen sehr berühmt machten. Sie wurden einst, wie aus dem folgenden Liede erhellt, durch ein starkes Ungewitter in dem Fortgange ihrer Waffen[61] gehindert, und Siegvald Jarl (wovon das englische Earl herkömmt) that ein Gelübde, nie mehr mit Hexenmeistern, sondern mit Menschen zu kämpfen, und nahm die Flucht. Von ihm soll auch das Lied seyn gesungen worden.


»Ich hörte von Norden her den Donner-Gott einen Sturm herbeyführen; ein fürchterliches Wetter! es krachte auf den breiten Schildern. Von den Wolken herab regneten Stein-Schlossen; Wunden und Beulen regneten sie herab auf die streitenden Jomsvikinger.

Jede Schlosse wog ein Ør1, und richtete Schaden an. Da rann das Blut in Ströhmen herab. Welch ein weites Feld von Leichnamen! Spieß, Schwert und Bogen glänzten im Purpur-Safte. Jeder der feindlichen Krieger zog muthig gegen den Nacken der Jarle.

Sie wurden von drey Zaubrern angeführt, die aus allen Enden ihrer Finger tödtliche niederschmetternde Pfeile schoßen. Da lagen die edlen Helden, von Hagel und Schwertern zur Erde geschlagen. Aber sie wehrten sich, als Männer.

Ein so großes Unglück schmerzte und jammerte den Sigvald Jarl. Fort eilte er mit seinen Schiffen, und befahl den Seinigen, ihm nachzufolgen. Alle Krieger eilten zu Schiffe, und die Barke stieß vom Lande.«


Es fällt mir schwer, hier abzubrechen. Meine ganze Seele wird befeuert, wenn ich in jene glänzende Jahrhunderte meiner Vorfahren zurücksehe. Lassen Sie mich ja bald erfahren, ob ich Sie noch öfterer von diesen mir so interessanten Materien unterhalten soll.

1

Ohngefähr zwey Loth.

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 56-62.
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