Neunter Brief.

[62] Berlin.


Das Feld der deutschen, Prose ist freylich noch sehr unangebaut. Die redselige Gabe, schief zu denken und schief zu schreiben, wirkt von unsern Halbdichtern auf unsere prosaischen Schriftsteller fort, und was sie eine blühende Schreibart[62] nennen, ist nichts als die elendeste Art von Schminke, hinter der sie ihre widerwärtigen Lineamente verbergen. – Hätte man nur einen entfernten Begrif, wie viel dazu gehört, einen Gedanken richtig zu fassen, ihn von allen Auswüchsen zu säubern, ihn auf den einzigen besten Ausdruck zurück zu führen, sich von jedem gebrauchten Worte Rechenschaft zu geben, ihn auf einmal so rund, so stark an innerer Gesundheit und Fülle, wie er nun aus der Seele hervortritt, auch aus der Feder zu bringen: Hätte man jemals daran gedacht; ich bin versichert, der Ehrgeitz hätte unsere jungen Leute auf eine bessere Bahn geführt, wo mehr Ehre zu erwerben war, als da, wo sie sich itzt verweilen. Sie würden überdem den Vortheil davon haben, daß sie, wenn sie in ein Amt kommen, wo es nicht mehr erlaubt ist, von Wein und Liebe zu schwärmen, noch immer etwas Bessers vorzunehmen wüßten, als elende Predigten zu schreiben, die Gott und Menschen ärgern, oder irgend ein erbarmungswürdiges pamphlet in der Tracht der Schul-Programmen, mit hundert Bettler-Lumpen von Paragraphen behängt, ganz wider alle Sitten und Artigkeit in die Welt zu schicken. Was meynen Sie, sollte es wol im geringsten für die Kirche oder den Staat schädlich seyn, wenn unsre jungen Geistlichen auf dem Lande und in der Stadt, nachdem sie sich auf der Universität, um der Hypochondrie nicht ganz unterzuliegen, die Stunden ihrer Musse mit Trinkliedern und Nachtgedanken aufgeheitert haben, nun auch die weit unerträglichere Langeweile des Dorflebens, die sie so oft zu beseufzen Gelegenheit finden, mit dem nähern Studio ihrer Muttersprache und den davon abhangenden Theilen der Litteratur verkürzten? Hoffentlich würde mancher glückliche Kopf in dieser Beschäftigung viel mehr Nahrung und Nutzen finden, als in den itzt gebräuchlichen Verketzerungen etc., die doch immer, was man auch sagen mag, ein undankbares Unternehmen, sind.

Wer weiß, ob wir dieser Sinnesänderung nicht vielleicht gar in einer der vortreflichsten Gattungen der Prose, ich meyne in der Geschichte, aufkeimende Genies verdanken[63] würden? Einige neuere Werke aus der Schweitz lassen mich diese Hofnung nicht ganz unwahrscheinlich finden; und wenn Herr Fäsi, wie ich aus verschiednen Stellen seiner Abhandlungen über wichtige Begebenheiten aus der alten und neuern Geschichte schliesse, ein Prediger ist; so haben die ersterwähnten Herren immer schon ein Muster, das ihre ganze Nacheiferung verdient.


[Besprechung der Fäsischen Schrift.]

Quelle:
Heinrich Wilhelm Gerstenberg: Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur, Stuttgart 1890, S. 62-64.
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