Zweyter Auftritt.

[10] Evander, Alcimna.


EVANDER. Ich suche sie schon lange umsonst; sie ist hier nicht, am Wasser-Fall nicht; und unter den Hasel-Stauden hab ich sie umsonst[10] gesucht; doch hieher wird sie wol kommen. Hælt sie die geschæftige Mutter auf? Er sieht umher. Da hab ichs. Er weicht mich aus; mein Vater weicht mich aus, so oft er fyrchtet, ich wolle von meiner Alcimna ihm reden. Gœtter! Ich weiss nicht, was ich von allem denken soll. Was kann es ihm zuwieder seyn, dass ich das beste Mædchen im ganzen Land liebe? denn jeder, er selbst, gestehet ihr den Vorzug vor allen zu. Das macht mir bang, recht bang. Aber wo ist sie? Sie kœmmt noch nicht. Hier an diesen Baum von so glatter Rinde will ich ihren Namen schneiden. Er langt ein Messer aus seiner Hirten- Tasche. Du sollst ihren Namen tragen, und den meinen; dann wachse hoch auf; dich soll kein Beil verlezen; dieser Baum ist der Liebe heilig, wird, der vorybergeht, sagen. Da er anfængt in die[11] Rinde schneiden, kœmmt Alcimna, leise hinter ihn gehypft; sie dekt ihm die Augen mit beyden Hænden.

ALCIMNA. Wer bin ich?

EVANDER. O Alcimna! O Geliebte!

ALCIMNA. Du triegst dich.

EVANDER. Nein, ich triege mich nicht; wo bliebst du so lange?

ALCIMNA. Wenn du dich nicht triegest, so kysse mich. Sie læsst ihn; und sie kyssen sich.

ALCIMNA. O! wenn er mich nur nicht bis hieher verfolgt; mich hielte Milon, der Ziegen-Hirt auf. Wie sehr ist seine Liebe mir zur Last![12]

EVANDER. Gœtter! da ist er.


Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 10-13.
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