Siebender Auftritt.

[57] Evander, ein Gelehrter.


GELEHRTER. Du betriegest dich nicht, Prinz! Bey mir findesft du den Schlyssel zu jeder Wissenschaft. Wer sich meines Unterrichts bedient, der wird gelehrt und ehrenwerther als ein Kœnig seyn.

EVANDER. Wie sehr befreu ich mich, dich gefunden zu haben! Du kennest also auch die Wissenschaft, wie man das Feld bauen soll, und die Pflege der Pflanzen?

GELEHRTER. Nein.

EVANDER. Wie die Herden sollen gewartet, und ihre Krankheiten geheilet werden?

GELEHRTER. Auch das nicht.[57]

EVANDER. Du kennest also auch nicht die heilsame Wirkung der Kræuter?

GELEHRTER. Nein.

EVANDER. Vielleicht find die Musen dir besonders gewogen, und du dichtest schœne Gesænge, die das Gemyth der Menschen erquiken?

GELEHRTER. Wie! Ich sollte ein Poët seyn? Gœtter! Das ist das læcherlichste Geschlecht unter den Menschen!

EVANDER. Das ist wunderbar! So kennst du der Menschen Thun und Lassen, und was ihnen gut ist, wenn sie sollen glyklich seyn?

GELEHRTER. Ich habe mich niemals mit Kleinigkeiten beschæftigt.[58]

EVANDER. Was weissest du denn, das besser ist, als dieses alles?

GELEHRTER. Ich rechne den Sternen ihren Lauf aus; ich kenne Sprachen, die entfernte Nationen reden; ich habe berechnet, wie viele Sandkœrner auf einer Meile Landes ligen; und habe erst vor kurzem noch einen neuen Flek im Mond entdekt, den Endymion selbst nicht gekannt hat.

EVANDER. O ihr Gœtter! Nun will ich entfliehen! O lasst mich! lasst mich! Ich werde mich Tage lang nicht wieder von meiner Verwirrung erholen.[59]

Quelle:
S[alomon] Gessner: Schriften. Band 3, Zürich 1762, S. 57-60.
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