Das Blut Schamyl's.

[115] Es war ein trüber December-Abend, das Sternengewölbe durch düstere Schneewolken verhüllt, die der Wind am hin und wieder mit mattem Glanz durchbrechenden Mond vorüberpeitschte, – als durch eine lange straßenähnliche Lichtung am Saume eines der ungeheuren Urwälder, welche noch große Flächen der Ukraine und Volhyniens bedecken und die Sümpfe von Rokitno und Mozyr genannt werden, ein auf polnische Art bespannter dreispänniger Schlitten über die Schneedecke flog. Eine dürftige Spur zeigte allein an, daß die Reisenden noch auf einem gangbaren Wege sich befanden, obschon dieser wenig genug benutzt werden mochte und meilenweit den Fahrenden kein lebendes Wesen begegnet war.

Im Schlitten saßen zwei Personen, ein alter Mann von straffer militairischer Haltung mit noch jugendlich feurigem Blick trotz des weißen Haars, das unter der dicken Pelzmütze hervorquoll, neben einem jungen Mädchen von liebreizendem Antlitz, so weit aus den Krägen, Tüchern und Hüllen, mit denen sie sich gegen die Kälte geschützt hatte, dieses zu schauen war. Das Gespräch zwischen Beiden war langst verstummt, theils wegen der Unfreundlichkeit der Witterung, theils weil sie schon lange mit einander gefahren und kein Gegenstand zur Unterhaltung nahe lag.

Auf dem Vordersitz des Schlittens neben dem Postillon saß ein Diener, ein Mann von mittleren Jahren und kühnem verständigem Aussehen in der polnischen Tracht, die weiße barankenbesetzte Mütze über die Ohren gezogen.

»Das Wetter will mir wenig gefallen, Herr Graf,« sagte, sich umwendend, der Diener; »ehe eine Viertelstunde vergeht,[116] werden wir volles Schneetreiben sehen, und dieser Wald scheint kein Ende zu nehmen.«

»Hast Du den Postillon gefragt, wie weit wir noch bis zum Schloß des Fürsten haben?«

»Volle drei Stunden. Wir werden vor eilf Uhr in keinem Fall ankommen, wenn – wir überhaupt ankommen.«

»Wie meinst Du das, Bogislaw?«

Der Diener schwieg einige Augenblicke, dann sagte er auf Deutsch:

»Die Schneefälle sind gefährlich in diesen Wäldern, Herr Graf, auch wäre es leicht, daß wir auf Wölfe stoßen könnten. Die ganze vorige Woche war harter Frost und das bringt die Bestien von den Karpathen herauf und aus den Sümpfen her.«

Graf Lubomirski, – der Reisende im Schlitten war der alte Offizier, dem wir in der ersten Scene unseres Buchs und dessen Namen wir zuletzt in Petersburg begegnet sind, – beugte sich besorgt vorwärts.

»Ich habe selbst schon bedauert,« sagte er in der gleichen Sprache, von der er wußte, daß sie der jungen Dame an seiner Seite nicht geläufig war, »nicht in Owrucz geblieben zu sein. Doch hatte ich dem Fürsten zu heute meine Ankunft angezeigt, um morgen mit ihm das heilige Christfest zu begehen. Es bleibt uns Nichts übrig, als so rasch wie möglich vorwärts zu kommen. Frage den Postillon, ob es denn keinen Halteplatz giebt bis zum Schloß des Fürsten?«

Nach einer kurzen Unterredung berichtete Bogislaw, daß zwar ein Gehöft, ein Krug für die Holzfäller, eine Meile weiter seitab im Walde liege, doch sei es besser nach der Meinung des Postillons, den geraden Weg zu verfolgen.

»Was fürchten Sie, Oheim?« fragte die junge Dame. »Sollten wir uns vielleicht verirrt haben?«

»Nein, mein Kind,« beruhigte der Graf. »Es ist kein Grund zur Besorgniß vorhanden, der Weg führt geradeaus durch die Lichtung und ist kaum zu verfehlen.«

Ein furchtbarer Windstoß, der die riesigen Stämme zu entwurzeln schien, strafte seine Betheuerung der Sicherheit Lügen. Er schien das Signal zu sein zum Beginn des Unwetters, denn alsbald entluden sich die Wolken in einem dichten Schneegestöber und binnen wenigen Minuten waren die Reisenden und ihr Fuhrwerk[117] in einen dichten weißen Mantel eingehüllt. Die Flocken fielen so dicht, daß man rechts und links die dunkle Baumwand nicht zu sehen vermochte. Man mußte den Lauf der Pferde ihrem Instinct überlassen.

Das tolle Wetter dauerte ungefähr eine halbe Stunde, von einzelnen heftigen Windstößen unterbrochen, dann begann es nachzulassen und sich aufzuklären – es verzog sich so rasch, wie es gekommen war. Trotz aller Anstrengungen der Pferde hatten die Reisenden während des Wetters doch nur geringe Fortschritte gemacht und das Schlimmste von Allem war, daß nach kurzer Zeit der Postillon erklärte, er sei nicht mehr ganz sicher, ob sie auch noch auf dem rechten Wege wären, da das Schneegestöber jede Spur eines solchen tief bedeckt hatte.

Vor ihnen breitete sich im Mondenschein, der wieder klar und hell vom Himmel strahlte, noch immer eine Lichtung aus, doch war es fraglich, ob es die rechte sei.

Dem Zweifel und der Berathung wurde ein kurzes Ende gemacht, – ein entfernter, klagender, heulender Ton ließ sich hören, bei dessen erstem Laut die ermüdeten Pferde die Ohren spitzten und ohne Antrieb von Zügel und Peitsche sofort sich wieder in Galopp setzten.

»Haben Sie gehört, Oheim?« fragte die Dame. »Wir sind den Wohnungen nahe, das war das Heulen eines Hundes.«

Der Graf antwortete nicht, aber er nahm unter der Decke des Schlittens zwei dort gesicherte Jagdgewehre hervor und reichte das eine dem Diener.

»Ehe zehn Minuten vergehen, werden wir die Bestien auf dem Halse haben,« sagte dieser, diesmal auf Polnisch.

»Um Gott, Oheim, was giebt es?«

»Nichts von Bedeutung, Wanda; einige Wölfe, die vielleicht auf unsere Spur kommen. Wir werden sie mit blutigen Köpfen zurückschicken.«

Die Dame war eine Polin, und obschon in Warschau erzogen, kannte sie doch durch Erzählungen hinreichend die Gefahren der Wälder ihres Vaterlandes.

»Wir sind verloren, Onkel, wenn uns die Wölfe in dieser Wildniß erreichen!«

Gleich als sollte ihre Furcht bestätigt werden, erscholl dicht zur Seite des Schlittens, der am Waldrande dahinflog, ein[118] durchdringendes Geheul und ein dunkler Körper schoß plötzlich aus dem Schatten der Bäume über die helle Fläche des Schnees und sprang dem linken Handpferde an die Kehle. Im nächsten Augenblick erfolgte ein Knall und der Wolf stürzte todt zurück: Bogislaw war beim Anblick der Gefahr vom Schlitten gesprungen und hatte dem Wolf den Kopf zerschmettert. »Vorwärts! vorwärts!« rief er, indem er sich schnell wie der Gedanke auf seinen Sitz zurückschwang, und die Pferde, die scheuend vor dem unerwarteten Angriff kaum einen Augenblick angehalten hatten, jagten auf's Neue davon.

Ein lautes Geheul erklang jetzt hinter ihnen drein, und als der Graf sich umwandte, sah er in der Entfernung von einigen Hundert Schritten eine dunkle bewegliche Masse sich auf der Schneefläche hinter ihnen her wälzen. Feurige hüpfende Punkte glühten gleich Johanniskäfern aus dem dunklen Knäuel.

»Lade schnell das Gewehr, Bogislaw, indeß ich sie in Respekt halte,« befahl der Graf. »Ich habe so manches Mal in längst vergangenen Zeiten meine Flinte auf die Bestien im Bialowizer Walde abgefeuert, daß ich wohl auch heute noch mein Ziel halten werde.«

Die Gräfin Wanda barg ihr Gesicht in dem Pelzcapuchon, das ihren Kopf bedeckte, um die Gefahr nicht zu sehen. Wenige Augenblicke darauf knallte neben ihrem Ohr die Büchse des Oheims und ein Schmerzensgeheul aus dem Rudel, das sich auf etwa hundert Schritt schon dem Schlitten genähert hatte, verkündete ihr, daß ein Verfolger weniger war.

»Sie werden einige Minuten anhalten, um ihren Gefährten zu verzehren,« sagte der Diener. »Ich kenne das Geschmeiß und habe oft mit ihm zu thun gehabt, als ich noch Büchsenspanner und Jäger beim seligen Grafen war!«

Die Voraussage bestätigte sich; nach kurzer Zeit waren die Wölfe wieder auf der Fährte des Schlittens und jagten kaum fünfzig Ellen entfernt hinter ihm d'rein.

Noch zwei Mal schoß der Graf mit gleichem Erfolg das Gewehr ab, das der Jäger ihm reichte, aber der Fall der getroffenen Wölfe vermochte jetzt nur wenig Augenblicke die Verfolger aufzuhalten und zurückzuscheuchen.

Während die Männer die Blicke und ihre Aufmerksamkeit nach jenen gewandt hielten, schrie plötzlich die junge Gräfin laut auf: »Jesus Maria, ich sehe Licht!«[119]

Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr der Rettungsstrahl, die Gefährdeten.

»Es ist das Schloß oder ein Gehöft, in einer Viertelstunde sind wir dort. Hölle und Teufel, was ist das?«

Der Diener Bogislaw, der es rief, beugte sich vorwärts.

»Die Bestie hat das Pferd dennoch verletzt – es stürzt – herunter, Postillon! rasch, rasch! schneide die Stränge los, ehe sie uns einholen, es gilt Tod und Leben!«

Er hatte den Zitternden fast mit Gewalt hinabgestoßen und ihm das Messer in die Hand gedrückt, während er selbst bemüht war, die Zugstränge des Handpferdes zu lösen, das, an einer Halsarterie verletzt, nur, von der Furcht getrieben, so lange ausgehalten hatte und jetzt zusammengestürzt war und wild um sich schlug.

»Den Vordersten, Herr Graf, den Vordersten!«

Wieder knallte die Büchse und der Leitwolf stürzte zusammen, aber an ihm vorbei jagte die Meute, denn sie wußte, daß in wenigen Minuten ihr die Beute entgangen sein würde. Rechts und links am Schlitten vorüber sprangen zwei große Wölfe und einer derselben am Vordersitz empor. Die wie feurige Kugeln glühenden Augen, der weit geöffnete Rachen mit der lechzenden Zunge, aus dem der giftige heiße Athem dampfte, waren schrecklich anzuschauen.

Laut auf klang der Schrei des gefährdeten Mädchens, während der Greis mit dem Büchsenlauf die Bestien vom Rücken des Schlittens zurückzuhalten suchte.

In diesem Augenblick war es den Beiden gelungen, die Stränge abzuschneiden und im selben Moment, als sie sich von der hemmenden Last befreit fühlten, sprangen die beiden Pferde vorwärts und rissen dabei den noch an ihrem Vorderzeug beschäftigten Postillon zu Boden. Bogislaw hatte kaum Zeit, sich auf die Deichsel zu schwingen und festzuklammern, als der Schlitten zwei schwere Rucke erhielt, wie über hindernde Körper hinschnellend, daß die Insitzenden fast herausgeschleudert wurden, und dann wieder über die Fläche dahin sauste. Zugleich gellte ein wilder Angst- und Schmerzensruf, dem alsbald das wüthende Geheul der Bestien antwortete.

Die ganze Sache war so gedankenschnell vor sich gegangen, daß erst jetzt der Graf und Bogislaw den Wolf bemerkten, der sich halb erschrocken noch immer an den Schlitten festklammerte, ohne jedoch durch die rasche Fahrt und seine hängende Lage zu einem Angriff kommen zu können. Die Faust des früheren[120] Jägers, noch mit dem langen Messer bewaffnet, fuhr im Nu nach dem Rachen der Bestie und man hörte das Knirschen des Stahls an dem harten Kiefer und den Zähnen; der Wolf ließ los und stürzte rücklings in den Schnee.

Die beiden Pferde jagten wie toll dem rasch sich nähernden Lichtschein entgegen. Es dauerte eine Weile, ehe es dem tapferen Diener gelang, mit den Zügeln, die er zum Glück um die linke Hand geschlungen gehabt, ihrer wieder Herr zu werden.

Jetzt erst erholte sich die junge Dame so weit von dem Entsetzen der eben erlebten grausigen Scene, um zu bemerken, daß eine der Personen auf dem Schlitten fehlte. »Um Gotteswillen, Oheim, Bogislaw – der Postillon?«

Die beiden Männer antworteten nicht und Bogislaw peitschte nur wüthend auf die Pferde. Das bebende Mädchen brach in einen Thränenstrom aus; das Zurückbleiben der Wölfe, ihr Geheul und Bellen gaben ihr die Ahnung, welchem entsetzlichen Opfer sie die einstweilige Rettung verdankten.

Aber diese sollte vollständig werden; denn von jenem Lichtschein aus, den sie in der Ferne gesehen, und der, wie sie näher kommend schon bemerken konnten, aus einem Gehöft mitten im Walde kam, bewegten sich mehrere Feuer über die dunkle Fläche, Kienfackeln, von Menschen getragen, und lautes Geschrei und Rufen verkündete die Nähe von Helfern in der Noth.

Einige Augenblicke darauf waren sie in der Mitte einer Gruppe von Männern wilden Aussehens, die mit brennenden Kiensplittern, Stangen und Äxten bewaffnet, herbeikamen, Bewohner des düsteren Waldes, die auf das wiederholte Schießen sich von dem wärmenden Heerd in der elenden Waldherberge losgemacht hatten, an deren Hofthor jetzt der Schlitten hielt.

Wenige Worte genügten, um das schreckliche Ereigniß zu melden; das entfernte Heulen der Bestien, die sich außer dem Lichtkreise der Fackeln hielten, verkündete ihre Wuth, daß ihnen der größte Theil ihrer Beute entgangen war.

Es war offenbar ganz nutzlos, Menschenleben zu gefährden in einem Versuch, ob der arme Postillon noch zu retten sei. Ehe der Schlitten noch den dritten Theil des Weges von der verhängnißvollen Stelle bis zum schützenden Hause zurückgelegt hatte, mußte jedes Glied von ihm in tausend Stücke zerrissen sein.

Dennoch, als der Graf mit seines Dieners Hilfe kaum die[121] noch immer zitternde Dame in den großen Raum getragen, welcher die Flur und Küche des ärmlichen Gebäudes bildete, und sie am Heerde niedergelassen hatte, wandte er sich auf ihre Bitte sogleich an die Leute, die mit stumpfer Neugier umherstanden, nahm eine Hand voll Silber aus seiner Börse und bot es ihnen mit der Aufforderung, sich mit Fackeln und Waffen aufzumachen, um wenigstens die Reste des Verunglückten zu suchen.

Als die Männer das Silber sahen, welches der Graf mit so unvorsichtiger Freigebigkeit ausstreute, waren sie alsbald zu dem Gange bereit und machten sich, drei an der Zahl, mit frischen Kienspähnen und ihren Äxten auf den Weg. Nur der Wirth des Hauses, eine grobe vierschrötige Gestalt mit all' dem finster tückischen Ansehen der niedersten Slavenraçe, blieb im Hause bei den unerwarteten Gästen.

Erst jetzt kamen diese dazu, sich in dem Raume umzusehen, der ihnen zu einer Zufluchtsstätte diente.

Die Hütte, ein mit Sumpfbinsen gedecktes einstöckiges Gebäude von Lehm und Holz, bot das traurigste Bild von Dürftigkeit, Unordnung und Schmutz, wie man es in den polnischen Provinzen so häufig findet. Sie war ausnehmend lang, der größte Theil für Pferde, Rinder- und Schweineheerden eingerichtet, welche die Hirten der Gegend hierhin zur Sicherung gegen die Kälte und Raubthiere trieben. Für diese und die Holzschläger, welche die riesigen Buchen und Eichen des Waldes fällten, ein wüstes wildes Geschlecht von Leibeigenen, war ein Theil des Hauses zum Krug1 eingerichtet. Ein halbverfallener Bretterzaun umgab das Hauptgebäude und ein oder zwei ähnliche für die Aufbewahrung der Futtervorräthe. Der Raum, welcher die Küche bildete, nahm den größten Theil des einen Flügels des Gebäudes ein und war rechts und links von Verschlägen oder, wenn man sie so nennen will, Gemächern begränzt.

In dem großen Kamin brannten riesige Kloben von Holz und verbreiteten Licht und Wärme, was um so nöthiger war, als der traurige Zustand der Wände durch zahllose klaffende Spalten dem Luftzuge freien Eintritt sicherte. Diese träge Vernachlässigung inmitten aller Hilfsquellen und alles Materials ist eine charakteristische Eigenschaft der polnischen Raçe. Während der Deutsche mit dem[122] zehnten Theil der Arbeit, die Jener darauf verwendet, das Holz zum Brennen herbeizuschaffen, das Haus dauernd in festen wohnlichen Stand setzen würde, läßt der Pole ruhig seine Hütte verfallen, bis ihr gänzlicher Einsturz ihn endlich zwingt, eine neue zu bauen. Wie in den unteren Ständen, so herrscht auch in den oberen eine gleiche Vernachlässigung, ein gleichgültiges Verkommenlassen und von Ordnungssinn ist keine Spur in dem Volke. In dieser Beziehung unterscheidet sich scharf der polnische und russische Charakter.

In einem großen Kessel auf dem Feuer kochte das Abendbrod der Gesellschaft, Speck und Grütze, und zwei Frauenzimmer, Mutter und Tochter, waren dabei beschäftigt und bequemten sich erst auf eine handgreifliche Ermahnung des Vaters zum Dienst der Dame.

Jener war, wie erwähnt, ein finster und trotzig blickender Mann von robusten Formen, der volle Typus des verkommenden Volkes, im schmuzigen Schafpelz, die fettglänzende Mütze bis über die Ohren heruntergezogen. Dennoch lag bei aller Wildheit und Rohheit seines Wesens eine gewisse kriechende Höflichkeit gegen den vornehmen Gast darin, ein Belauern jeder Bewegung, die derselbe machte.

Bogislaw hatte aus dem Schlitten die Decken und Mäntel herbeigeschafft und nach dem durch einen starken Holzverschlag von der Küche getrennten Räume gebracht, der das Ende des Hauses bildete und der von den Weibern auf das Verlangen des Dieners schnell von einigem alten Geräth und Holz gereinigt worden war, denn hier war man wenigstens entfernter von dem Schmuz der Thiere auf der anderen Seite. An ein Weiterkommen in dieser Nacht war nicht zu denken gewesen, da die Pferde zum Tode erschöpft durch den rasenden Lauf sich zeigten und sie nach der Versicherung des Wirthes von der rechten Straße ab und auf einen Nebenweg gerathen waren, von dem aus man im Dunkel der Nacht unter zwei Stunden das Schloß des Fürsten Lubienski nicht zu erreichen vermocht hätte, selbst wenn man der Gefahr durch die umherstreifenden Wölfe hätte trotzen wollen.

Es blieb demnach nur übrig, den Tag hier, so gut es gehen wollte, zu erwarten.

Während die junge Gräfin am Feuer sich wärmte, und Bogislaw aus den im Gepäck befindlichen Vorräthen Thee kochte,[123] wobei das glänzende Silbergeschirr wieder die gierige Aufmerksamkeit der Hüttenbewohner erregte, suchte der Graf von dem Manne Nachrichten über die Bewohner der Gegend, die Ansichten und die Stimmung des Volkes zu erhalten, stieß aber auf ein hartnäckiges Ausweichen, von dem er nicht ermitteln konnte, ob es Trotz und Verstellung oder angeborene Stupidität war, so daß er endlich die unnütze Mühe aufgab.

Nach einer Stunde etwa kehrten die ausgeschickten Männer zurück – es waren zwei Söhne des Wirths und ein fremder Holzschläger – und brachten die Nachricht, daß man von dem unglücklichen Postillon nur traurige Knochen- und Kleiderreste gefunden hatte, so vollständig war von den Wölfen das gräßliche Werk gethan.

»Aber die Büchse? ich verlor im letzten Kampf das Gewehr und es muß sich auf dem Platz gefunden haben?« fragte Bogislaw. Die Männer schauten einander verlegen an, verneinten aber insgesamt die Frage. Einer meinte, die Wölfe würden die Büchse vielleicht unter den Schnee gestampft haben, oder sie sei später vom Schlitten gefallen und man werde sie morgen bei Tageslicht leichter finden. Dieser Meinung trat auch der Graf bei, obschon sein Diener bedenklich den Kopf schüttelte und erklärte, er wisse ganz gewiß, das er das Gewehr bei dem augenblicklichen Halt, den das Stürzen des Pferdes nothwendig gemacht, verloren habe.

Die Männer setzten sich in einen Winkel der Küche zusammen, ihr Abendbrod zu verzehren, zu dem der Graf eine Flasche Rum aus seinem Vorrath gefügt, und schienen von der Gegenwart der vornehmen Gäste bedrückt, denn sie sprachen wenig und nur flüsternd unter einander. Dagegen bemerkte Bogislaw mißtrauisch, daß hin und wieder Einer oder der Andere auf einen Wink des Wirths das Haus verließ, und draußen eine Unterredung mit ihm zu pflegen schien.

So war eine zweite Stunde vergangen, und die Reisenden machten sich bereit, ihr improvisirtes Nachtlager aus Pelzen und Mänteln einzunehmen, als plötzlich am Eingang des Gehöftes ein Ruf erscholl und Pferde hörbar wurden. Mit finsterm Gesicht fuhr der Wirth empor und zur Thür: »Niech cię djabli wezmą!2 ich kann keine Leute mehr beherbergen, sie müssen weiter!« aber schon waren auch der Graf und sein Diener an die Thür getreten,[124] und vor derselben, in die Mäntel gehüllt, hielten zu Pferde zwei Militairs, ein Ulanen-Offizier mit seiner Ordonnanz. Der Erstere, ein noch junger Mann von hoher, schlanker Figur mit edlem, stolzem Gesicht sprang sogleich vom Roß, indem er den Zügel einem der Männer zuwarf und mühsam in polnischer Sprache befahl, ihm behilflich zu sein, seinen Begleiter aus dem Sattel zu heben, der bei einem Sturz den Fuß gebrochen habe. Vergeblich erklärte mürrisch der Wirth, er könne keine Herberge mehr geben, man möge weiterreiten; der Offizier, an den Umgang mit dem Volk gewöhnt, kümmerte sich wenig darum und drohte mit dem Kantschuh, der statt der Reitgerte an seiner Faust hing. Zugleich erklärte der Graf menschenfreundlich, daß er gern sich jede Unbequemlichkeit gefallen lassen werde, um Hilfe zu schaffen und die Reiter nicht dem auf's Neue drohenden Schneewetter auszusetzen, und wenige Worte, aber derbe Püffe des Jägers Bogislaw brachten den Wirth und seine Söhne alsbald dazu, Hand anzulegen und den Soldaten in den Küchenraum zu tragen, wo er auf einem von Stroh bereiteten Lager niedergelegt wurde.

Nachdem er die Pferde sicher untergebracht gesehen und den Schnee vom Mantel geschüttelt, folgte der Offizier gleichfalls und begrüßte höflich und erstaunt die junge Dame, die sich bereits mit dem Leidenden zu schaffen gemacht und ihn mit einer frischen Tasse Thee erquickt hatte. Auf die Einladung des Grafen nahm der Offizier am Feuer Platz und es entspann sich alsbald in französischer Sprache eine Unterhaltung, in welcher sich ergab, daß der Neuangekommene, zur Garnison des Städtchens Olewsk gehörend, gleichfalls auf dem Wege zu dem Schloß des Fürsten Lubienski begriffen war, um auf die Einladung des reichen Grundbesitzers mit einigen bereits vorausgegangenen Kameraden die Festtage dort zuzubringen. Der Dienst hatte ihn verhindert, eher als am späten Nachmittag aufzubrechen, das Schneewetter ihn gleichfalls im Walde betroffen, und ein Sturz über eine Baumwurzel seinen Burschen so unglücklich vom Pferde geworfen, daß derselbe den Fuß gebrochen hatte und der Offizier gezwungen war, nachdem er ihn mühsam wieder in den Sattel gebracht, ihn langsam weiter zu geleiten, bis er in die Nähe des ihm vom Ansehen bekannten Kruges gekommen war.

Mit Verwunderung hörte zugleich der Graf, daß dieser gar nicht weit ab von der Straße zum Schloß des Fürsten und deren[125] Vereinigung mit dem Wege von Olewsk gelegen sei und daß sie morgen in Zeit von einer starken Stunde an ihr Ziel gelangen könnten. Die Wirthsleute des Krugs hatten sie daher absichtlich getäuscht.

Obschon der fremde Offizier seinen Namen nicht genannt hatte, zeigte ihn doch das ganze Gespräch als Mann von Bildung und Erziehung und eine zufällige Bemerkung ergab, daß er erst seit etwa drei Monaten hier in Garnison stand. Ein Zug von Ernst, ja Schwermuth, der über das ganze Wesen des jungen Mannes ausgegossen war, erhöhte das Interesse, das seine männliche Schönheit erregte. Nur die Begeisterung, mit der er des Kaisers erwähnte, machte die Polen mißtrauisch und zurückhaltend.

Nach einer längeren Unterhaltung mußte man endlich an die Ruhe für die Nacht denken, da die junge Dame offenbar sehr erschöpft war. Der Wirth schlug vor, daß der junge Offizier den Verschlag zur Linken der Küche einnehmen sollte; da dieser jedoch von Schmuz aller Art strotzte, erklärte Jener, daß er es vorzöge, in seinen Mantel gehüllt, die Nacht am Heerdfeuer zuzubringen, wobei ihm der Jäger Bogislaw Gesellschaft leisten wollte.

Diese Anordnung schien dem Eigenthümer des Hauses wenig zu behagen, und er gab sich mehrfach Mühe, den Fremden die Kammer oder den mit Streu und Heu gefüllten Boden anzupreisen, der über den größten Theil des Gebäudes lief. Als er endlich sah, daß sie auf ihrem Willen bestanden, fügte er sich mürrisch und trieb die Weiber in die Kammer, während er, wie er sagte, mit seinen Söhnen und dem fremden Holzhauer die Nacht im Pferdestall zubringen wollte.

Es war Etwas in dem Wesen der Familie, was dem aufmerksamen Diener nicht gefiel und sein Mißtrauen erregte. Dennoch lag kein Grund vor, dasselbe zu äußern, und nachdem er für sich und den Offizier, so gut es ging, zu beiden Seiten des Heerdes ein Lager bereitet, und alle Andern den Raum verlassen hatten, streckten sich Beide zur Ruhe nieder.

In wenig Minuten war der junge Offizier im festen Schlaf, Bogislaw aber blieb, seine Pfeife rauchend, auf dem Lager wach.

Ein eigentümliches Geräusch hatte seinen Verdacht auf's Neue erregt; ihm war, als hätte er einen Reiter vorsichtig den Hofraum verlassen und draußen, davonjagen hören.

Bald darauf öffnete sich leise die Thür der Kammer und[126] die Wirthin des Hauses streckte vorsichtig den Kopf heraus, um nach den Schläfern zu lauschen. Sie schreckte eilig zurück, als sie die glänzenden Augen Bogislaw's auf sich gerichtet sah.

Noch immer hatte sich Nichts ereignet, was genügend gewesen wäre, den Verdacht des Jägers zu rechtfertigen, und dennoch wurde derselbe von Minute zu Minute stärker, bis Bogislaw endlich beschloß, sich auf jeden Fall Überzeugung zu verschaffen.

Die Gluth des Heerdes warf nur ein mattes Licht über den weiten Raum, und da sein Lager sich im tiefen Schatten des Vorsprunges befand, gelang es ihm leicht, seinen Plan auszuführen. Indem er den weiten Pelz scheinbar zusammengeballt liegen ließ, als ruhe ein Körper darunter, wand er sich geschickt daraus hervor und erreichte die Leiter, die an der linken Seitenwand zum offenen Eingang des Bodenraumes führte. Diese stieg er mit katzengleicher Vorsicht hinan, und war gleich darauf im Dunkel des Raumes verschwunden. –

Zur selben Zeit saßen in dem entgegengesetzten Flügel des Gebäudes am Ende des Stalles, der an fünfzig kräftige ukrainer Pferde, außer denen der Fremden, enthielt, der Wirth mit einem seiner Söhne und dem Holzfäller um eine dürftige Lampe in eifrigem Gespräch.

Den zweiten Sohn hätte der Blick eines Lauschers vergeblich gesucht. –

»Ich sage Dir, Stenko,« sprach der Bauer, »Deine Vorsicht wird Alles verderben. Warum den Segen, den uns die heilige Mutter von Czenstochau in unserer Armuth geschickt, erst mit den Anderen theilen? Der Kranke zählt nicht, und mit den Dreien wären wir allein fertig geworden.«

»Du redest, wie Du's verstehst, sobaczy synu!«3 entgegnete der Wirth. »Der Teufel könnte sein Spiel haben und Einer entkommen und dann wären wir Alle verloren. Überdies sind sie bewaffnet und würden sich scharf wehren. Die Freunde, die Iarkow herbeiholt, werden mit der Heiligen Hilfe hier sein, ehe der Tag graut, und dann liegen die Edelleute grad' im tiefsten Schlaf. Auch brauchen wir Jene, um den Schlitten und die Pferde hinweg zu führen, damit wir Alle zu Hause getroffen werden und kein Verdacht auf uns fällt.«[127]

»Es war gut, Vater,« meinte der junge Bursche, »daß wir die Büchse bei Seite gebracht haben. Die Narren glauben sie dort unter'm Schnee, während sie hier wohl aufgehoben ist.«

Er brachte das Gewehr zum Vorschein, das er unter der Streu verborgen hatte, und besah es von allen Seiten.

»Verflucht, daß wir's nicht brauchen können,« grollte der Alte. »Es ist eines von den neuen Dingern, wie sie die Jäger des Herrn haben, ohne Schloß und Stein, aber unsereins versteht damit nicht umzugehen. Schande, daß uns der Herr die Flinten weggenommen, und uns blos die Äxte und Messer zu unserer Verteidigung gelassen hat.«

»Eine Axt ist ein schönes Ding,« meinte der Andere, »wo sie hinschlägt, trifft sie sicher. Die Brüder sagen, der russische Kaiser habe es befohlen, daß die Armen keine Flinten mehr besitzen sollen. Hei! was war es für ein ander Leben, als wir vor vier Jahren Büchse und Säbel hatten und die Schlösser der Edelleute plünderten mit unsern Brüdern in Galizien, und die Köpfe der stolzen Herrn einschlugen, als wäre der Donner des Himmels über sie gekommen!«

»Du warst ein wilder Teufel, Jankowitsch, es war gut, daß sie Dich nicht fingen. Sie hätten Dich an den ersten Baum aufgeknüpft.«

»Ei, ich weiß, daß Du nicht besser warst, als Du bei den Weißmützen stand'st unter Uminski. Boris hat mir's oft genug erzählt.«

»Tysiąc byci mać mordowalo!4 Sollten wir unser Leben denn für die Edelleute opfern, wenn es dabei nicht Etwas zu plündern gegeben hätte? Ein Herr ist wie der andere und drüben in Rußland haben sie's wahrlich noch besser als wir hier. Müssen wir nicht Holz fällen und das Vieh hüten in den Sümpfen Jahr aus, Jahr ein? und haben die Wölfe oder Bären ein Stück zerrissen, muß es unser Rücken nicht entgelten? Ich habe mir sagen lassen, drüben aus Weißrußland ließen viele Herren ihre Leibeigene lernen, zu was sie Geschick haben, und sie kamen in den großen Städten zu Ehren und Reichthum. Wo ist dies je einem der Unsern geschehen? Ich war ein Mal mit dem Herrn in Kiew,[128] um Pferde zum Markt zu treiben, und hab's wohl gemerkt. Die Bauern des Kaisers drüben sind reiche Leute gegen uns!«

»Ob Boris mit dem Jungen kommen wird?«

»Warum sollt' er nicht? Ein solcher Fang findet sich selten, und er läßt einen Freund nicht im Stich, wenn er auf seine Faust und sein Messer rechnet. Reich' mir die Wotkaflasche, Michael.«

Der Branntwein machte die Runde.

»Nun legt Euch auf's Ohr und schlaft,« sagte der Wirth, »vor der zweiten Hahnenkräh' können die Burschen unmöglich hier sein, und ich wüßte nicht, weswegen wir den Schlaf verlieren sollten. Wir haben morgen in der Frühe viel zu thun, um alle Spuren zu tilgen und das Gut fort zu schaffen. Iarkow wird uns schon wecken, wenn er kommt.«

Er warf sich auf die Streu und die beiden Andern folgten alsbald seinem Beispiel. – – –

Das Feuer des Heerdes war im Verlöschen, der Raum fast dunkel, als eine Hand leise die Schulter des jungen Offiziers schüttelte und dieser, an rasches Erwachen gewöhnt, auffuhr und im selben Augenblick nach dem unter dem Mantel neben ihm ruhenden Säbel griff.

Doch die Hand legte sich rasch auf seinen Mund und eine Stimme flüsterte an seinem Ohr:

»Stille, es gilt unser Leben!« Der Offizier erkannte im Halbdunkel den Jäger Bogislaw, der sich lang an seine Seite kauerte. »Ich sehe, Sie sind von rechter Soldatenart,« flüsterte dieser, »im Augenblick munter und die Hand an den Waffen. Wir werden sie brauchen! Bleiben Sie still auf Ihrem Lager und hören Sie mich an, denn jede Bewegung könnte uns zu früh verrathen, ich traue den Weibern da drinnen nicht.«

Der Offizier that, wie der Jäger verlangte, und horchte aufmerksam auf die Mittheilung desselben.

»Wir sind einer Bande jener mörderischen Schurken in die Hände gefallen,« sagte Bogislaw, »die bei dem Aufstande von 49 an der galizischen Gränze raubten und plünderten. Der Wirth hat seinen Sohn nach anderen Genossen ausgeschickt, uns zu bewältigen. Wie viele ihrer kommen werden, weiß ich nicht. Ich habe sie belauscht und erfahren, daß wir Zeit zu unsern Vorbereitungen haben. Sie gedenken uns erst im Morgenschlaf zu überraschen.«[129]

»Es soll den Schuften nicht gelingen,« sagte der junge Mann. »Sie werden sich blutige Köpfe holen. Aber was hindert uns, ihnen zuvorzukommen? Wir sind Drei gegen Drei und gut bewaffnet. Sie vermögen nicht, uns aufzuhalten.«

»Sie vergessen den Wald und die Wölfe. Ohne Führer würden wir uns schwerlich bei Nacht zurechtfinden und den Mördern vielleicht in die Hände laufen. Auch hindern uns die Gräfin und der arme Bursche dort an der Flucht, der jetzt im Wundfieber stöhnt und den wir doch nicht ihrem Messer überlassen können.«

»Aber was ist zu thun? – wir wollen den Grafen wecken.«

»Noch nicht, Herr. Wir müssen erst unsern Vertheidigungsplan entwerfen. Ich weiß nicht, ob die Weiber da drinnen schlafen, und jede Bewegung könnte uns verrathen. Ich sehe, Sie haben Ihre Sattelpistolen bei sich.«

»Sie sind geladen und auch die meines Burschen. Aber wir haben keine Patronen bei uns.«

»Thut Nichts. Drinnen beim Grafen liegt Pulverhorn und Kugelbeutel, und die Jagdflinte des Herrn. Meine Büchse haben die Schurken gestohlen, aber sie nützt ihnen nicht, und da sie weiter kein Schießgewehr haben, sind wir im Vortheil. Ich denke, wir lassen den Grafen und die junge Gräfin noch ein Paar Stunden ruhen und halten abwechselnd Wache. Bis dahin können wir überlegen, was wir am besten thun. Nehmen Sie die erste Wache, Herr, und wecken Sie mich in zwei Stunden, oder wenn Sie das geringste verdächtige Geräusch hören. Vielleicht kommt mir im Schlaf ein guter Gedanke.«

Er schlich zurück zu seinem Lager, nachdem er noch vorsichtig die Leiter abgehoben, die zum Boden führte und sie leise quer vor die Kammerthür zur Linken geschoben hatte; der Offizier, der zu seinem bedächtigen und muthigen Gefährten volles Vertrauen gefaßt, beschloß, sich ganz seiner Einsicht zu fügen. Die Pistolen im Bereich der Hand, stützte er den Kopf auf den Arm und versank in tiefes Nachsinnen.

Wohin führten ihn seine Gedanken? wohin wanderte seine Phantasie?

Bilder seiner Kindheit erhoben sich umher, der mächtige Felsenhorst, auf dem der Adler nistet, wilde abenteuerliche Gestalten im blitzenden Silberpanzer, – Waffen, – brausende Bergströme, – das Getobe des wilden Kampfes, – Ströme von Blut, –[130] und der Knabe emporgehoben von den Armen eines hohen blassen Mannes mit langem dunklem Bart und blitzendem Auge! – Dann Nacht um ihn her, geröthet vom Flammenschein brennender Häuser, das wilde Geheul der Stürmenden, blitzende Bajonnete, donnernde Salven, – Dampf, Rauch, Blut, Feuer, – Tod und Gefahr ringsum! –

Und wiederum aus der frühesten Kindheit liebliche, seltsame Bilder: Frauen, in dichte Schleier gehüllt, die Brust von dem weichen Leder des Berghirsches eng umschlossen, blitzende Steine und Geschmeide um Haar und Hals; – am dunklen Felsenhang die Ziege kletternd, – und von den hohen Bergwällen der Blick des spielenden Knaben hinabtauchend auf Fels und Thal und weit darüber hin die silberglänzende Fläche des weiten Meeres! –

Dann kamen die Erinnerungen seiner späteren Jahre, die Erziehung im Corps zu Petersburg, das Bild der Jugendfreunde und Kameraden, die jetzt weit zerstreut waren über das unermeßliche Reich, – die leuchtende Gestalt des kaiserlichen Herrn, den er so oft geschaut, dem er Treue geschworen, er, der – –

Und nun vielleicht hier unrühmlich, ohne Namen, ohne Ruhm zu enden unter dem Beile eines Mörders; vergessen zu werden unter dem Leichenhügel des Schnees, zerrissen von den gierigen Bestien des Waldes, die seine Leiche aus der heimlichen Gruft gescharrt! –

Dazwischen tauchte ein lichtes schönes Bild auf, seit wenigen Stunden erst gekannt, und dennoch verlockend, reizend vor seinen Augen stehend, – Wanda, – die junge Gräfin, für die er sein Blut vergießen, die er zu retten versuchen, oder mit der er sterben sollte. – –

Eine wilde, energische Kraft, wie edles Blut vom Herzen strömend, schoß durch seine Adern; er fühlte, daß das dunkle schwärmerische Auge des Mädchens ihn zu jeder That und Anstrengung begeistern könne. – –

Die Stunden vergingen, es war Zeit, den Jäger zu wecken, und er that es. Im Augenblick war der Pole munter und bat ihn, nun seinerseits unbesorgt eine Stunde der Ruhe zu pflegen.

Aber der Geist des jungen Mannes war zu aufgeregt, als daß er Schlaf zu finden vermocht hätte. Er überließ zwar seinem Begleiter, ohne sich einzumischen, alle Vorbereitungen, doch schaute er ihnen wach und aufmerksam von seinem Lager aus zu.[131]

Bogislaw horchte erst aufmerksam an dem Eingang, der zu der Kammer führte, in der die Weiber schliefen. Dann untersuchte er sorgfältig die Hausthür.

Sie war zum Glück ziemlich fest, aber ohne Verschluß, als daß ein ziemlich starker Querbaum in Haspen vor dieselbe gelegt werden konnte.

Die Thüren beider Kammern öffneten sich nach der Küche, sie konnten demnach verrammelt werden.

Es blieb noch der Eingang von der Bodenluke her.

Die Dispositionen des Jägers waren schnell getroffen. Er hing den großen hölzernen Riegelbaum vor die Thür und begann vor der Kammer der Frauen von den in der Küche aufgethürmten großen Holzstücken einen förmlichen Wall zu bauen, der bald halbe Mannshöhe erreicht hatte und die Bretter der Thür festhielt.

Darauf schob er ein neues Scheit in das Feuer und fachte dieses wieder an. –

»Es wird eben so gut sein,« sagte er leise nach allen diesen Vorbereitungen, »wenn wir meine Herrschaft schlafen lassen, bis die Gefahr wirklich erscheint. Der Graf ist ein alter Soldat und wird auf dem Platz sein.« –

Die Uhr des Offiziers zeigte die vierte Stunde, als draußen ein leises Geräusch sich hören ließ und Bogislaw seinem Gefährten winkte.

»Sie kommen! machen wir uns bereit, sie zu empfangen, und möge die heilige Jungfrau uns schützen. Halten Sie die Bodenluke im Auge, ich werde die Thür nehmen. Nieder mit Jedem, der herein zu dringen wagt!«

Jeder von ihnen hatte ein Paar der Kavalerie-Pistolen an sich genommen; der Offizier faßte an der Wand, gegenüber der Bodenluke, Posten, der Jäger an der Thür, an deren beiden Seiten zwei kleine Fensterchen, wie sie in den polnischen Hütten üblich sind, sich befanden, eben groß genug, um Licht und Luft hereinzulassen, aber zu eng, um zu einem Einsteigen, wenigstens bei einiger Vorsicht der Vertheidigenden, Gelegenheit zu geben. Beide waren von Außen mit Läden verschlossen, die kleinen Fensterscheiben zerbrochen und mit Papier ausgeflickt.

Auch die Öffnung des Bodenraumes war zum Glück nur so groß, daß Mann gebückt durch sie passiren konnte. Da mit der Seitenwand der Küche der Boden aufhörte und der Raum[132] über derselben bis zu den Dachsparren frei war, lag der Zugang in der Wand ziemlich hoch, von der Erde aus mindestens in doppelter Mannshöhe, die Luke war jedoch offen und ohne Thür.

Der Jäger hatte absichtlich nur spärlich das Feuer wieder aufgefrischt und ein schwaches Licht verbreitete sich über den Raum, das jedoch stark genug war, um den im Innern Befindlichen den nöthigen Überblick zu gewähren.

»Wenn ich nur wüßte,« flüsterte der Diener, »wie Viele ihrer sind! Es ist zu dunkel draußen, um sie zu zählen und ich darf es nicht wagen, sie nochmals wie vorhin zu belauern.«

Das Geräusch hatte sich verstärkt, man konnte deutlich hören, daß mehrere Personen, jedoch vorsichtig, in das Gehöft eintraten und an dem Hause entlang schlichen. Der unter den Sohlen ihrer Stiefeln knisternde Schnee verrieth sie.

Dann war Alles wieder still. – –

Die kühnen Wächter harrten. Ihre Mäntel lagen auf den verlassenen Lagerstätten, so daß sie in dem matten Lichte in einiger Entfernung leicht ein fremdes Auge täuschen konnten. Sie selbst standen in den dunklen Schatten verborgen, so daß sie nicht leicht bemerkt werden konnten.

Wiederum knisterte der Schnee und leise Schritte mehrerer Männer schlichen heran und hielten an der Thür des Hauses still.

Zugleich ließ sich ein leichtes Geräusch auf dem Boden vernehmen. Wenige Augenblicke darauf erschien den scharfen Augen des jungen Mannes ein Gesicht in dem dunklen Raume, eine Gestalt wurde erkennbar – der Wirth des Hauses, – und der Offizier konnte sehen, daß seine Hand mit einem kurzen schweren Beil bewaffnet war. Die andere tastete nach der Leiter umher.

Sie suchte vergeblich. Der Kopf des Mannes bog sich vor aus der Luke, um zu schauen, ob sie nicht an Ort und Stelle sei. Das Blut des jungen Ulanen fieberte, seine Hand spannte sich um den Kolben der Pistole. Aber er fühlte, daß Ruhe und Vorsicht hier mehr galt, als Muth und Tapferkeit.

»Przeklęcie! Die Hundssöhne haben richtig die Leiter weggenommen,« flüsterte oben eine Stimme. »Bleibe Du hier, die Weiber sollen uns öffnen. Ich sehe, die Beiden liegen am Feuer.«

Der Kopf verschwand. Wiederum war eine lange Pause. Dann hörte der Jäger an das Fenster der Kammer klopfen und eines der Weiber aufstehen und herankommen. Es folgte ein kurzes[133] Flüstern, darauf machte die Frau den Versuch, ihre Thür zu öffnen, und als sie dies zu ihrer Verwunderung nicht konnte und die Verrammelung bemerkte, theilte sie dies eilig den Männern draußen mit.

Ein wilder Fluch, – dann eine kurze Berathung folgten.

Gleich darauf erschien der Wirth auf's Neue oben an der Bodenluke, schaute sich um und schickte sich dann an, herabzuklettern.

Der Augenblick des Handelns war gekommen.

»Zurück da! bleibe dort oben oder ich schicke Dir eine Kugel durch den Kopf!«

»Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! Bin ich Herr in meinem Hause oder nicht? – Setzt die Leiter an, ich muß hinunter!«

»Bleibe, wo Du bist, Schurke,« sagte ruhig der Jäger, »wir wissen, was Du willst und welche Gesellschaft Du bei Dir hast. So wahr ich an Gott und die Heiligen glaube, Jeder, der diesen Raum vor vollem Tageslicht betritt, ist ein Kind des Todes! Also troll' Dich und laß uns in Frieden.«

»Ist's so gemeint, Hundssohn? – Her mit der Leiter, Michael, wir wollen doch sehen, ob sie, die wir von den Wölfen gerettet, uns aus dem eigenen Hause zu jagen wagen.«

Eine zweite Gestalt wurde sichtbar und schob eine Leiter durch die Luke. Der Krugwirth half.

»Jetzt hinunter, Michael; ich will sie von Deinen Pferden zerreißen lassen, wenn sie es wagen, Dir ein Haar zu krümmen. Hinunter, Junge, sag' ich!«

Der junge Mann setzte den Fuß auf die erste Stufe der Leiter, ein Dritter zeigte sich hinter ihnen.

Ruhig und kaltblütig hob der Offizier, der bis jetzt im Schatten gestanden und sich bei seiner geringen Kenntniß des Polnischen nicht in die Verhandlung gemischt hatte, die Pistole; im nächsten Moment fiel der Schuß, der junge Bauer öffnete die Arme, stieß einen Schrei aus und stürzte schwer von der Höhe der Leiter herab aus die Tenne des Küchenflurs. Gleichzeitig mit dem Schuß war mit einem raschen Sprung der Jäger von der Thür her unter der Luke und entriß mit kräftigem Griff die Leiter den Händen, die sie oben fest hielten und die im Schreck über die rasche That sich öffneten.

»Verfluchte, Ihr habt mein Kind erschossen!«

Die kurze, schwere Axt, von der Hand des Vaters geschleudert,[134] flog durch die Luft, aber Bogislaw war außer dem Bereich seiner Hand und der Offizier machte eine rasche Seitenbewegung, daß sie unschädlich an ihm vorbeisauste und an die Kammerthür zur Rechten schlug, die eben rasch von innen geöffnet wurde. Der Graf, seine Pistolen in der Hand, erschien in derselben, hinter ihm, bleich, verstört, aus dem tiefen Schlaf geweckt, die Gräfin Wanda.

Zugleich erscholl das Gekreisch der Weiber in der Kammer, wildes Lärmen der Männer draußen, die ihr Werk verrathen sahen, und ihre Axtschläge donnerten gegen Thür und Läden.

Stenko, der Wirth, war im Begriff, in seiner Wuth hinabzuspringen, als sich bedächtig der Arm des jungen Offiziers mit der zweiten Pistole hob und nach ihm zielte.

»Zurück!«

Der Dritte, der mit dem Kneipenwirth auf dem Boden war, riß diesen von der Luke zurück:

»Hinunter zu den Andern!« Sie verschwanden.

Die Gräfin in der Thür der Kammer wies zitternd, erregt aus den blutenden Mann, der sich am Boden krümmte.

»Um Gotteswillen, ein Mord! was ist geschehen?«

Mit der Hochherzigkeit weiblicher Natur flog sie zu dem Verwundeten, ihm Hilfe zu leisten.

»Was bedeutet das Alles, Bogislaw?« fragte der Graf. »Werden wir angegriffen?«

»Mein Verdacht hat sich bestätigt,« sagte der Jäger rasch und kurz. »Wir sind in diesem Hause in einer Falle und der Wirth hat seine Mordgenossen herbeigerufen. Wahren Sie uns den Rücken dort nach dem Boden zu, Herr Graf! Hierher, Herr Lieutenant!«

Die kräftigen Abschläge draußen zerschmetterten die Läden der Fenster und donnerten gegen die zum Glück starke Thür. Stenko hatte den Genossen die Gewißheit gebracht, daß sie entdeckt waren, und ihre Wuth versuchte einen allgemeinen heftigen Angriff.

Der junge Offizier war an das Fenster zur Rechten gesprungen. Durch die zerbrochenen Scheiben langte eben ein Arm nach dem Riegel, um ihn aus den Haspen zu heben.

»Sparen Sie den. Schuß. Den Säbel, den Säbel!«

Der Offizier hatte bereits die Pistole fallen lassen und die eindringende Faust gefaßt. Aber die Kraft derselben, die ihn zugleich packte, war stärker als die seine, sie zog seinen linken Arm[135] aus dem Fenster fast bis an die Schulter hinaus und zwei, drei Hände faßten draußen an den Arm. Er war in einer völlig wehrlosen Lage.

In dem Augenblick entriß eine Hand der seinen den blanken Säbel und die Klinge fuhr dicht an seinem Kopf vorbei durch das Fenster auf die Gegner. Der Stoß, den der alte Graf geführt hatte, mußte getroffen haben, denn ein wilder Aufschrei erscholl, der Arm des Offiziers wurde losgelassen und schnell zog er ihn zurück. Zugleich knallte aus dem andern Fenster ein zweiter Pistolenschuß und die Vorsicht und Ruhe des Jägers war Bürge, daß er ihn nicht ohne sicheres Ziel abgefeuert hatte. Die wilden Verwünschungen, das Schmerzensgestöhn draußen bewiesen, daß der Angriff blutig empfangen worden, – die Tobenden zogen sich eilig zurück aus dem Bereich der Schußwaffen.

Jetzt erst gewann der Diener Bogislaw Zeit, seinen Herrn näher von den Vorgängen zu unterrichten. Die Männer fühlten, daß sie eilig ihre weiteren Vorbereitungen zu treffen hatten, da offenbar der Angriff wiederholt werden würde.

Bogislaw sprang nach der Kammer, um aus dem Gepäck seines Herrn die Pulverflasche zu holen und neu zu laden.

»Przeklęcie! ich kann sie nirgends finden, die Weiber müssen sie gestohlen haben, als sie in der Kammer handthierten. Doch haben wir noch Ihre Flinte und Pistolen, Herr Graf, sie sind geladen. Wer nimmt den Posten in der Kammer ein, um zu verhindern, daß die Schurken hier durch das Fenster brechen?«

Es war die wenigst gefährdete Stelle; Aller Augen wandten sich auf die Gräfin, die in stillem Gebet noch immer an der vorigen Stelle knieete. Das Gebet galt einem Todten. Der kräftige, jugendliche Körper des Verwundeten hatte wild gegen den Tod gekämpft, den die innerliche Verblutung rasch herbeiführte, denn die Kugel hatte quer durch die obere Brust geschlagen, und während des Kampfes an den Fenstern streckte sich zuckend der Leib und lag dann still und starr.

Der Oheim hob das Mädchen empor und führte sie halb tragend zu der Kammer. Es war keine Zeit zu Erörterungen und zur Schonung der Gefühle. Er konnte sie nur kurz bedeuten, daß sie auf das geschlossene Fenster achten und, wenn es erbrochen würde, um Hilfe rufen solle.

Dann trugen Bogislaw und der Offizier den von dem Kampf[136] aus seinem Fieberschlaf erwachten Soldaten an die Wand gegenüber der Bodenluke und befahlen ihm, fest diese im Auge zu behalten.

Der Jäger stand schon wieder auf seinem Posten und recognoscirte durch eines der zerbrochenen Fenster. Die Räuber hatten sich zurückgezogen und waren unsichtbar. Die Nacht lag noch immer finster um das Haus, nur durch die weiße Fläche des Schnees gemildert. Auf ihr nahe dein zweiten Fenster erkannte man eine dunkle Gestalt regungslos ausgestreckt: die Vertheidigung hatte bereits ein zweites Menschenleben gekostet.

So verging eine längere Zeit, während der nur wenige Worte gewechselt wurden. Es schien fast, als ob die Banditen das Grauen des Morgens abwarten wollten, um ihre Gegner besser zu sehen. Die Weiber in der Kammer, die mehrfach versucht hatten, die Thür zu öffnen, waren seit einiger Zeit ganz still geworden. Dagegen vernahm das scharfe Ohr des Jägers ein Geräusch, gleich dem eines vorsichtigen Arbeitens an einer Wand, und traf danach seine Vorbereitungen.

Plötzlich donnerten wüthende Axtschläge an die Eingangspforte und zugleich suchten ähnliche aus dem Innern der Kammer die Thür derselben zu sprengen; in wenigen Augenblicken flog sie in Stücke.

Aber Bogislaw hatte Ähnliches erwartet, die Thür splitterte, aber öffnete sich nicht, denn vor ihr bis zu Manneshöhe lagen jetzt eine Masse schwerer Gegenstände aufgehäuft, die aller Anstrengung des Fortdrängens spotteten.

Durch die Zwischenräume der Verschanzung streckte mit der ganzen Kaltblütigkeit eines alten Soldaten der Graf sein Jagdgewehr und zielte auf die beiden dunklen Gestalten, die hier den Eingang zu erzwingen suchten, aber der Hahn fuhr nieder auf das Piston, ohne daß ein Schuß erfolgte. Er warf die Flinte zu Boden und drückte eine der Pistolen durch die Öffnung ab, – der Erfolg war derselbe. Dem Stoß eines durch die Öffnung funkelnden langen Messers entging er nur durch eine rasche Seitenbewegung.

Ein Schrei der Dame verkündete auch auf ihrem Posten Gefahr – der Offizier war mit einem Sprunge an ihrer Seite und sah die Gestalt eines Mannes, bemüht, durch die enge Fensteröffnung einzubrechen. Einige Stöße des Säbels trieben ihn zurück,[137] – fast gleichzeitig knallte der Schuß des Jägers durch ein Fenster und wiederum brach einer der Banditen zusammen und schleppte sich stöhnend zur Seite. Zum zweiten Male wichen die Räuber, doch dies Mal nur aus dem Bereich der Fenster und eine kurze heftige Berathung wurde gepflogen.

»Wir müssen zu Ende kommen,« sagte der Krugwirth unter gräulichen Verwünschungen, »der Tag graut und es darf Keiner leben von ihnen, sonst sind wir verloren. Mein Michael ist erschossen, Stephanowitsch todt, Boris verwundet, wir müssen Rache haben, und sollte es unser letztes Blut kosten. D'rauf, Kameraden!«

Er wollte auf's Neue an die Thür, doch Boris, der Verwundete, riß ihn zurück.

»Zum Boden! Die Garben hinunter und dann über sie her, ich und Sarko halten die Thür.«

Die Mörder begriffen, sie eilten nach dein Aufgang, der in den Ställen zum Boden führte.

»Es sind ihrer noch immer sechs mit dem Kerl, den ich gezeichnet,« sagte ärgerlich der Jäger. »Der Bursche wandte sich gerade um und bekam die Kugel nur in's Fleisch. – Doch, Herr, jetzt, glaub' ich, wird es Ernst und gilt es, für's Leben zu fechten!«

Graf Lubomirski hatte das Gewehr und die Pistolen untersucht. Eine aus den Läufen tropfende Feuchtigkeit belehrte ihn, daß die Weiber die Gelegenheit benutzt haben mußten, bei dem Aufschlagen des Nachtlagers in der Kammer Wasser in die Läufe zu gießen, wobei sie zugleich die Pulverflasche stahlen. Er bewaffnete sich mit dem Säbel des armen Ulanen, der machtlos dem Kampfe zusehen mußte.

»Das Tageslicht dämmert herauf,« sagte der Offizier; »wenn wir uns noch eine Stunde zu halten vermögen, kann ein Zufall uns Rettung bringen. Sie werden es nicht wagen, den vollen Tag abzuwarten –«

Der Ruf des Soldaten unterbrach ihn – er zeigte nach der Bodenluke. Sie war gefüllt mit einem großen Bunde von Schilf und Schobenstreu, von denen der Boden voll lag; während, das Bund von unsichtbarer Hand herabgestoßen wurde, drängten sich von der Seite bereits ein zweites und drittes schützend vor die Öffnung.

Rasch fuhr die Pistole des Offiziers in die Höhe, der Schuß krachte und man hörte die Kugel klatschen, aber ein wildes Hohngelächter[138] belehrte sie, daß die Räuber das Mittel gefunden, den Schuß unschädlich zu machen, und daß die Kugel nicht durch den dicken elastischen Schirm der Garbe zu dringen vermocht hatte. Wiederum, rasch hintereinander, fielen zwei Bunde herunter und andere drängten sich oben.

Die Gefahr war dringend, Alle begriffen den Plan der Elenden und dessen sicheres Gelingen. Noch einige Bunde und die Räuber konnten sich unbesorgt herabstürzen und, während sie selbst ihre Aufmerksamkeit theilen mußten, sie im Handgemenge angreifen.

Da, während der junge Soldat wie schützend vor die halb ohnmächtig in der Thür der Kammer knieende Dame trat, die Faust fester um den Säbelgriff gespannt, durchfuhr ein glücklicher Gedanke des Jägers Seele. Im Nu war er zum Heerde gesprungen, sein Fuß stieß die noch glühende Asche auseinander und seine Hand suchte einen halb verkohlten Brand. Im nächsten Augenblick war ein Busch der trockenen Schoben darum gewunden, ein Schwung, durch die Luft setzte die improvisirte Fackel in vollen Brand, und noch ehe die nächste Garbe den Boden erreichte, flog sie in die geöffnete Luke. Rascher, als das Wort es zu erzählen vermag, folgte ein zweiter, gleicher Brand, und der wilde Fluch ihrer Feinde verkündete, daß das unerwartete Auskunftsmittel seinen Zweck erreicht hatte. Flammen knisterten in der Luke auf, ehe eine halbe Minute verging, schlug schon die volle Lohe empor, – das Feuer hatte die Schoben und das Gestreu, das die Banditen gerade um die Luke gehäuft, erfaßt, und vergeblich waren alle Anstrengungen, die Flamme zu ersticken, die wie eine züngelnde Schlange durch die trockenen Vorräthe des Bodens hin lohete. Kaum daß sie Zeit hatten, sich eilig über denselben zurückzuflüchten bis zu dem Ausgang, der in die Ställe führte, so füllte schon Qualm und Dampf den langen Raum und hatte die Flamme an vielen Stellen ihren Weg zum Schobendach gefunden, dessen feuchte Schneedecke vor der überflüssige Nahrung findenden Gluth von Unten her schmolz. Während die Mörder noch flohen, war Bogislaw, die Andern zu Hilfe rufend, schon beschäftigt, die heruntergeworfenen, Streugarben fortzuräumen, damit die aus der Luke sprühenden Funken diese nicht entzünden möchten. Es gelang, sie rasch bei Seite zu schaffen.

Der frische Morgenwind hatte unterdeß das Feuer immer weiter verbreitet und nach kaum einer Viertelstunde stand fast das ganze[139] Dach des langen Gebäudes trotz der Nässe in offenen Flammen. Die Verwirrung und der Lärmen waren groß, denn die Pferde und das Vieh, die in den Ställen untergebracht waren, rissen sich bei dem herabfallenden Feuerregen los und stürzten durch die von den Räubern offen gelassenen Thüren in's Freie. Sie sprangen im Gehöft, vor dem lodernden Brande scheuend, wild umher, oder durchbrachen die Einhegung und flohen in den Wald.

Die Wuth und Verzweiflung der betrogenen Mörder, die sich jetzt verloren achten konnten, da der Brand Aufmerksamkeit erregen mußte und ihnen zugleich die Beute entriß, war groß. Bei dem immer mehr sich verbreitenden Morgenlicht konnten die Belagerten schauen, wie sie umhertobten zwischen den stampfenden Pferden, nicht an Rettung denkend, rathlos und nur herüber drohend zu den Verwegenen, die ihrer Überzahl so glücklich getrotzt.

Aber deren eigene Lage wurde jetzt auch immer gefährdeter und verzweifelter. Obschon der mit Streu gefüllte Boden, wie wir bereits bemerkt haben, nicht über den Küchenflur weglief, sondern mit einer Wand abschloß, so war doch diese zu schwach und selbst brennbar, um lange das Feuer aufzuhalten, und auch der Dachstuhl über der Küche gerieth bereits in Flammen, so daß nur wenige Augenblicke noch ohne Lebensgefahr in dem Raume zu verweilen war.

Unter diesen Umständen gab es nur einen Entschluß, den: mit gewaffneter Hand sich Bahn durch die Gegner zu brechen. Die Ausführung war natürlich um so schwieriger, als die drei Männer, wenn auch kühn und tapfer, doch jetzt ohne Feuerwaffen, einer doppelten Anzahl zur Wuth gebrachter Feinde gegenüber standen und noch die Dame und den armen Kranken zu schützen hatten. Der Augenblicke der Überlegung waren nur wenige gewährt, aber jetzt bei hellem Tageslicht übersah der Adlerblick des jungen Soldaten die Gefahr und erkannte rasch den einzigen Ausweg, der Hoffnung ließ. Gerade über dem Hause, nahe am Eingange des Gehöfts, lag ein halb offenes Schuppengebäude, in dem auch der Schlitten der Reisenden untergebracht war. Konnte man dieses erreichen, so vermochte man wenigstens, sich mit größerer Sicherheit weiter zu vertheidigen.

Der Plan war bald gemacht, wenige Worte genügten zur Verständigung. Der Offizier und das junge Mädchen erklärten mit Festigkeit, daß sie den armen Soldaten den Flammen nicht[140] zur Beute lassen wollten. So wurde dieser denn aufgerichtet und die junge zarte Gräfin schlang selbst seinen Arm um ihren Nacken und stützte ihn, daß er auf dem gesunden Fuß und einem improvisirten Stock sich langsam fortbewegen konnte. Zur Linken des Paars trat der alte Graf, mit dem Säbel des Soldaten bewaffnet, zur Rechten der Dame der Offizier, – sein ernster, entschlossener Blick sagte, daß nur der Tod die Bahn zu ihr öffnen werde. Der Jäger Bogislaw stand an der Thür, die Hand am schirmenden Holzriegel, die Büchse des Grafen zur Seite, das Messer, das die Kehle des Wolfes durchschnitten, im Gürtel.

Ein donnerndes Krachen beschleunigte ihren Entschluß, – hinter ihnen brach bereits ein Theil des Daches zusammen und die Trümmer begruben die Leiche des jungen Räubers.

Wilder Jubel der Männer und Weiber erscholl draußen, sie glaubten die Reisenden verloren – –

Bogislaw riß den Riegel hinweg, die Thür flog auf, über die Schwelle sprangen der alte und der junge Soldat, von gleicher Energie beseelt, – hinter ihnen d'rein schwankte das Mädchen mit dem Kranken und der Jäger mit hochgeschwungener Büchse deckte ihnen den Rücken.

Das offene Gebäude, das sie zu ihrer Zuflucht ersehen, war kaum vierzig Schritt von dem brennenden Hause entfernt, – dennoch aber war der kurze Weg ein wilder Kampf für das Leben.

Einen Augenblick lang blieben die Räuber bestürzt über den kühnen Streich, dann, auf Slenko's, des Wirthes, gellenden Ruf stürzten sie von allen Seiten herbei und machten einen wüthenden Angriff auf die kleine Schaar. Der Wirth selbst sprang auf den Offizier los und führte einen furchtbaren Schlag mit der Axt nach ihm, der den Säbel, mit dem dieser parirte, mitten durchbrach, während ein Anderer sich zwischen den Offfzier und seine Schutzbefohlene stürzte und diese von ihrem Begleiter riß, der vergebens einen Schlag mit dem Stock nach ihm führte und zu Boden geworfen wurde. Der Mann, den seine Genossen Boris genannt hatten und der an der linken Schulter verwundet war, hatte bereits mit einem Gefährten den Grafen angegriffen und Bogislaw, der Jäger, wehrte sich tapfer mit dem Kolben gegen die beiden letzten Feinde.

Von allen Dreien vertheidigte sich der Graf mit dem besten Glück, denn ein scharfer Hieb seiner alten einst kampfgewohnten[141] Faust hatte im ersten Augenblick schon den rechten Arm seines zweiten Bedrängers gelähmt und seine scharfen Hiebe und Stöße hielten den riesigen Räuber Boris in Entfernung.

»Zum Teufel,« rief der Graf, »das Gesicht kenn' ich! – Will ein Pole seinen Obersten morden, unter dem er bei Grochow und Ostrolenka gekämpft hat?«

»Niech cię djabli wezmą5« fluchte der Bandit, einen kräftigen Streich führend. »Ich habe Dich längst erkannt, aber Verderben über Euch Edelleute, die Ihr uns zu unserm Unglück verlockt habt! Nieder mit Dir, alter Rebell!«

Er unterlief den Greis und umschlang ihn, Beide rangen wüthend gegen einander, der Eine geschwächt durch die Zahl seiner Jahre, der Andere durch die Wunde.

Weiter hin schlug sich noch immer Bogislaw mit den beiden Männern.

Der Offizier, als seine Waffe zersplitterte, hatte sie von sich geworfen und sich auf seinen Angreifer gestürzt und ihn umfaßt. Auch dieser ließ das Beil fallen und rang mit ihm. Ein Todesschrei hielt die fliehende Gräfin auf – sie sah, wie das Beil des jungen Räubers, welcher sie von dem Soldaten gerissen, den Kopf des Gefallenen spaltete, und sank, die Augen vor dem grauenhaften Anblick mit den Händen verhüllend, in die Knie. Im nächsten Augenblick war der blutige Mensch an ihrer Seite und schwang die noch triefende Axt.

Ein Blick zur Seite hatte dem jungen Offizier die Gefahr gezeigt, in der die Dame schwebte. Mit einer wüthenden Anspannung jeder Muskelfaser schleuderte er in gewaltiger Kraft den starken Wirth von sich und war mit einem Sprunge, gleich dem Tiger, der sein Junges vertheidigt, in der Gräfin Nähe. Seine Linke fing den Stiel der Mordaxt auf und hielt sie fest im gewaltigen Griff, indeß die Rechte in die im Kampf aufgerissene Uniform faßte und mit Gewalt einen Gegenstand losriß, der darunter um den Hals geschlungen zu hängen schien. Im nächsten Augenblick flog eine kleine stählerne Scheide auf den Schnee und eine kaum handlange blaugraue Klinge tauchte sich im kräftigen Stoß bis an die haltende Faust in das Herzblut des Räubers, daß dieser lang den Boden maaß. Wie ein Sturmwind hatte der junge[142] Mann die Gräfin erfaßt und sie halb schleifend zu dem Schuppen getragen, vor dessen Eingang er jetzt wie ein Cherub mit seiner kurzen unzureichenden Waffe stand.

Es war der zweite Sohn des Wirths gewesen, den sein Dolchmesser von gewundener alterthümlicher Form zu Tode getroffen; – heulend, wie der grimmige Wolf seiner Wälder, stürzte der Vater auf ihn zu, rücksichtslos gegen das eigene Leben. »Przeklęty! Du hast meine Söhne gemordet, Du mußt sterben!« Der Stoß des Dolches streifte seine Wange und riß sie blutig, aber er achtete der Wunde nicht, und im nächsten Moment hatte er den jungen Mann gefaßt und zu Boden geworfen. Er kniete auf seiner Brust, bestrebt, die Faust der haltenden Hand zu entreißen, die sich bemühte, das lange Mordmesser, mit dein sie jetzt bewaffnet war, von sich abzuwehren. Alle Furien des Hasses und der Wuth triumphirten in den flammenden Augen, in den fletschenden Zähnen. Die losgerungene Faust holte weit aus zum Todesstoße – –

»Main! Djemala-Din! Retten Sie Herrn Djemala-Din!« eine fremde Stimme in jüdischem Dialekt dicht neben den Kämpfenden rief die Worte. –

Das Messer des Wirthes fuhr nieder – – – eine rasche Bewegung des jungen Offiziers wendete den Stoß, die spitzige Klinge durchbohrte nur den linken Unterarm – im nächsten Augenblicke spritzte Blut und Gehirn über den Liegenden und mit zerschmettertem Schädel stürzte der Pole über sein Opfer weg. Ein Fußstoß warf die blutige Leiche bei Seite und eine kräftige Hand half dem so unerwartet Geretteten empor. Neben ihm standen zwei fremde Männer im weiten jüdischen Talar, unter dem eine seltsame fremde Tracht hervorschimmerte, Beide lange, mit Silber und Elfenbein eingelegte Pistolen in den Händen, von denen die eine noch von dem eben gethanenen Schuß dampfte. Starke gebogene Nasen unter dunkel blitzenden Augen, schwarze sorgfältig gepflegte Bärte zierten beide Gesichter von fremdartigem, aber majestätischem Schnitt – einige Schritte hinter ihnen stand ein dritter Mann, gleichfalls in jüdischer Tracht, deren Berechtigung jedoch seine Physiognomie und die Angst und Furcht, die sich auf ihr ausprägten, deutlich verkündete.

Die Augen der Männer waren fragend, freudig, begeistert auf den jungen Mann gerichtet.

»Bist Du wirklich Djemala-Din, des großen Imams Sohn?« Die Frage ward in einer Sprache an ihn gerichtet, die das[143] Ohr des jungen Mannes seit 16 Jahren nur selten und ausnahmsweise vernommen; dennoch schlugen diese Klänge, in denen er die ersten Laute gestammelt, die Erinnerungen der Knabenzeit bewahrt hatte, wohlthuend und verständlich an sein Ohr und er antwortete sogleich in ihnen: »Schamyl ist mein Vater! – aber seht! – helft!« – er eilte trotz der Wunde dem treuen Jäger zu, der hart bedrängt war, – im Nu standen die seltsamen Fremden an seiner Seite und stürzten auf die noch kämpfenden Räuber, die bei der unerwarteten Verstärkung zu entrinnen suchten. Aber nur dem kühnen Boris gelang die Flucht, indem er sich auf eines der Pferde warf und in dem Gluthregen des einfallenden Daches auf jenem das Thor und den Wald gewann; die andern Drei, von denen zwei verwundet waren, wurden nach kurzem Widerstand überwältigt, zu Boden geworfen und gebunden. Die beiden Weiber schienen sich schon während des wilden Kampfes geflüchtet zu haben. – Auch der Graf und der Jäger bluteten aus leichten Wunden und athmeten dankend auf über die unverhoffte Rettung.

Während der Graf mit des Offiziers und des Juden Hilfe das von den Schrecken des Abends und der Nacht tief erschütterte Mädchen aus der gefährdenden Nähe des brennenden Gehöfts geleiteten, war Bogislaw mit den beiden Fremden beschäftigt, die von den Flammen wildgewordenen Thiere abzuwehren, und wenigstens den Schlitten der Reisenden aus dem Brande zu retten. Auch das gelang nur mit Mühe, alles Andere war verloren und unter den Trümmern des zusammenstürzenden Hauses begraben. Da bereits auch die Schuppen und dürftigen Nebengebäude von den Flammen ergriffen wurden, mußte man die gefangenen Räuber herausschleppen und an die nächsten Bäume binden.

Die Gräfin war zu einem in der Nähe des Gehöfts auf dem vorbeiführenden einsamen Wege angebundenen Gefähr der Fremden gebracht und in den Schlitten gehoben worden. Erst jetzt bemerkte sie, daß ihr Retter verwundet war und das Blut stark aus seinem Arm hervordrang und ihn zu entkräften drohte. Während sie ihr Tuch fest um die Wunde schlang und die Blutung zu stillen suchte, kamen auch der Jäger und die Fremden herbei. Die Letzteren stürzten sich sogleich auf den Offizier, küßten den verwundeten Arm und übernahmen das Geschäft des Verbindens der Wunde, in dem sie geschickt und erfahren schienen. Dann auch kamen der Graf und der Jäger an die Reihe.[144]

Während dessen fand eine kurze Berathung statt, was man zunächst beginnen wolle. Der Offizier hatte einige Worte mit den Fremden in ihrer unbekannten Sprache gewechselt und führte darauf den Grafen bei Seite.

»Mein Herr,« sagte er, »das Schicksal hat uns seltsam zusammengeführt und schwere Gefahren gemeinschaftlich bestehen lassen. Der glückliche Zufall unserer Rettung ist mir selbst noch unklar, aber ich habe eine Bitte an Ihre Ehre, es ist die, wenn Sie das Schloß des Fürsten mit jenem Gespann, das ich zu Ihrer Disposition stelle, erreichen, Sie in der dort versammelten Gesellschaft nicht näher der beiden Männer erwähnen, die unsere Rettung bewirkt haben, und die hier mit mir zurückbleiben werden.«

»Sie müssen mit uns gehen,« entgegnete bestimmt der Graf. »Sie bedürfen von uns Allen zuerst besserer Hilfe, und mein Jäger und unsere fremden Retter können hier zurückbleiben, bis wir Beistand senden können, der vielleicht schon auf dem Wege ist, da man sicher den Brand bemerkt hat.«

»Es ist unmöglich, Herr! ich habe mit diesen Männern zu sprechen.«

»So sind sie Ihnen bekannt? ich hörte Sie in fremder Sprache mit ihnen reden und einen Namen, der mir nicht unbekannt ist. Sie sind ...«

»Ich bin Djemala-Din, des Imam Schamyl ältester Sohn und russischer Offizier.«

»Sie waren noch diesen Sommer im Kadettencorps zu Petersburg? Verzeihen Sie die Frage.«

»So ist es!«

»Dann kennen wir Sie schon lange, nicht bloß durch Ihr unglückliches Schicksal, das Sie in die Hände Ihrer Feinde geliefert, sondern auch durch die Freundlichkeit und den Schutz, den Sie meinem Enkel, dem einzigen Kinde meiner einzigen Tochter, erwiesen haben. Der Knabe – Michael von Lasaroff ist sein Name – war mit Ihnen in dem Corps und hat uns oft von Ihnen geschrieben.«

Er reichte ihm mit sichtlicher Freude die Hand. Der junge Mann nahm sie zögernd und mit einem Erröthen an, das sein vom Blutverlust bleiches Gesicht färbte.

»Ich kenne den Knaben und liebe ihn,« sagte er, »aber Sie irren, mein Herr, wenn Sie sagen, daß ein unglückliches Schicksal[145] mich in die Hände von Feinden geführt hat. Der Czar ist mir ein Vater gewesen, dem ich mehr verdanke, als meinem Erzeuger in den Schluchten des Elbrus, und nie wird meine Treue und Dankbarkeit für ihn enden.«

Er sprach dies mit einer Festigkeit und Energie, die offenbar den bestimmten Entschluß eines kräftigen Herzens zeigen und jede weitere Berührung dieses Gegenstandes zurückweisen sollte.

»Mißverstehen Sie mich nicht, Herr Graf,« fuhr er fort, »wenn ich Sie dennoch bitte, von meiner Zusammenkunft mit jenen Männern, von der Sie der Zufall zum Zeugen gemacht, zu schweigen. Ich spreche zu einem Manne von Ehre, und sage Ihnen daher unverhohlen, daß es Leute meines Volkes sind, die mein Vater mit einer Botschaft an mich gesandt zu haben scheint. Das Weitere weiß ich selbst noch nicht, – doch ist es oft geschehen, auch in Petersburg, daß ich auf ähnliche Weise Kunde erhielt von meiner entfernten Familie. Aber es könnte mir und Jenen nur von Gefahr sein, wenn unsere Zusammenkunft argwöhnischen Spähern bekannt würde.«

Der Graf reichte ihm nochmals die Hand.

»Nehmen Sie mein Wort, Herr Lieutenant, für unser Aller Vorsicht. Bogislaw, mein Diener, ist ein treuer Mann und wird Sie nicht geniren, indem ich ihn hier zu Ihrem Beistande zurücklasse. Nach der Versicherung des Juden, der Ihre Freunde hergeführt, können wir in einer Stunde im Schlosse meines Freundes sein und Ihnen alle Hilfe senden. Dort sprechen wir mehr von Ihnen.« –

Die weiteren Anordnungen waren rasch getroffen. Der Jude sollte mit seinem Schlitten, der nur Raum für zwei Personen bot, den Grafen und die Dame zum Schloß des Fürsten bringen, wohin jetzt beim Tageslicht keinerlei Gefahr mehr war, und mit dem Gefähr und weiterer Hilfe zur Abholung des Offiziers und der Gefangenen zurückkehren, Bogislaw aber bis dahin bei den Letzteren bleiben. –

Als der Offizier sich dem Schlitten näherte, streckte ihm die Gräfin die zierliche Hand entgegen und ihr Auge ruhte mit Innigkeit auf ihm.

»Ich höre von meinem Oheim, mein Herr,« sagte sie, »daß Sie selbst noch andere Ansprüche auf unsere Dankbarkeit haben, als das Blut, das Sie in dieser Nacht für mich vergossen. Kommen[146] Sie ja recht bald uns nach, Herr Djemala-Din, damit ich Ihnen besser sagen kann, als hier, wie tief wir Ihnen verpflichtet sind.« –

Der junge Offizier beugte sich erröthend über die Hand und küßte sie; der Graf empfahl ihm noch besonders, aus seine Wunde Acht zu haben, und dahin flog der Schlitten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Es war eine seltsame Gruppe, die sich jetzt um die dampfenden Trümmer des Hauses versammelt hatte, deren noch fortglimmender Brand Schutz gewährte gegen die Kälte des Wintermorgens. – Auf einem halb verkohlten Balken saß – in den zurückgelassenen Pelz des Juden gehüllt – der junge Offizier, bleich von dem Blutverlust und der Aufregung seines Innern, vor ihm auf dem Boden kauerten die kräftigen Gestalten der beiden Tschetschenzen, der Boten des mächtigen Häuptlings, seines Vaters. In einiger Entfernung hatte sich der Jäger Bogislaw eine warme Stelle gesucht, und bewachte mit finsterm Blick die drei gebundenen Polen, die Flinte für jeden Angriff neu geladen zwischen den Knieen, da er an der Leiche des Wirthes das gestohlene Pulverhorn wiedergefunden hatte. Dicht daneben lagen die Körper der drei im letzten Kampf Erschlagenen, während die beiden Andern unter den Trümmern des Hauses begraben waren. Über dem Allen wölbte sich der jetzt ungetrübte blaue Winterhimmel, so heiter und rein, als ahnte er nicht, welche Kunde von Schrecken und Mord der dunkel qualmende Rauch ihm zuführte.

»Du hast uns gesagt, o Herr,« begann der Älteste der Tschetschenzen, »daß Du Djemala-Din, der älteste Sohn und Erbe des heiligen Mannes bist, der das Volk der Mürbiden beherrscht und zum Kampf führt gegen die Feinde seiner Freiheit. Kannst Du uns ein Zeichen geben, an dem wir erkennen mögen, daß Der, welcher das Gewand unserer Feinde trägt, wirklich vom Blute Schamyl's stammt?«

Der junge Mann zog ruhig den kleinen Dolch hervor, mit dem er das Herz des Räubers durchbohrt, und zeigte ihn den Beiden. Auf der blaugrauen Klinge war ein Spruch des Korans eingegraben.

»Das ist das Einzige, was mein Vater mir gab, ehe er sich von der Felsenwand Achulgo's in den Strom warf, der ihn aus der Gewalt seiner Feinde trug.«[147]

Die beiden Tscherkessen empfingen mit Ehrfurcht das Zeichen, besichtigten es genau und drückten es dann an Brust und Stirn.

»Wir sehen die Chiffre des Imam,« sagte der vorige Redner, »und glauben Dir, o Jüngling. Djemala-Din, Sohn des unbesieglichen Fürsten des Kaukasus, nimm den Gruß Muhrad Ben Hassan's und Ali's, des Ossethen.«

Sie neigten Beide knieend das Haupt vor dem jungen Mann und führten seine linke Hand an Stirn und Brust.

Nach dieser Ceremonie zog der Ältere der Boten aus dem Futter seines Rockes ein mit seidenem Band umwickeltes Schreiben, küßte dasselbe und legte es in die Hand des jungen Mannes.

»Der Imam,« fuhr er fort, »hat zu zweien seiner Tapferen gesprochen: ›Es ist Zeit, daß der Erstgeborene meines Saamens kehre in das Land seiner Väter und an der Seite seiner Brüder stehe in dem großen Kampfe, der sich bereitet. Geht und bringt ihn vor mein Angesicht.‹ – Deine Diener sind zur großen Stadt Odessa gekommen, wo dem Imam ein treuer Mann lebt, der über der Hoffnung der Tschetschenzen stets ein offenes Auge gehalten. Von ihm erhielten wir Kunde, daß der Czar der Moskows Dich von seinem Antlitz gewiesen und in dieses Land der Wälder geschickt hat. Die Männer des Elbrus bargen sich in fremde Tracht und wandten sich nach Kiew, wohin uns Briefe wurden an vertraute Männer aus jenem verachteten Volk, das bestimmt ist, Handel zu treiben über die ganze Welt. So kamen wir gestern heimlich nach der Stadt, in der Du lebst mit Deinen Kriegern. Aber wir hörten, daß Du sie verlassen, und säumten nicht, uns aufzumachen, lange, ehe die Schatten der Nacht gewichen waren, um Dir nachzufolgen und keinen Augenblick zu verlieren. Der Prophet hat es gnädig gewollt, daß der Flammenschein dieses Hauses uns vom Pfade ab zur Stätte gerufen hat, wo der Sohn des Fürsten in Noth war. Wir segnen den Propheten, daß er uns erlaubte, Djemala-Din aus der Hand der Mörder zu erretten, die seiner Tapferkeit zu Viele waren.«

Der Offizier reichte bei der Erzählung Beiden die Hand.

»Ich danke Euch, meine Edlen, und werde dieser Stunde nimmer vergessen, komme auch, was da wolle!«

Er nahm das Schreiben seines Vaters, löste das Band und entfaltete es. Dasselbe war in russischer und türkischer Sprache[148] abgefaßt; während er las, bedeckte eine düstere Falte die männlich freie Stirn.

»Mein Vater schreibt mir,« sagte er endlich finster, »daß ich seinen Boten folgen solle, sobald ich dieses Schreiben erblickt, bei Tag und Nacht. Mein Vater vergaß, daß sein Wort verpfändet ist dem großen Czaren dieses Reiches.«

»Der Imam hat Nichts vergessen,« entgegnete der Mürdite, »aber der Geist hat ihm verkündet, daß die Zeit um sei, da sein Sohn als Geißel dienen mußte dem fremden Herrn, und daß er das Recht habe, ihn an seine Seite zu rufen.«

»Dann möge mein Vater seinen Erstgeborenen zurückfordern von dem Czaren.«

»Es ist nicht die Zeit und Gelegenheit dazu. Große Dinge bereiten sich im Osten und die Herrschaft der Moskowiten an den Küsten unsers gesegneten Meeres ist ihrem Ende nahe. Dein Vater befiehlt, und es ist an Djemala-Din, zu gehorchen.«

»Wenn der Fürst der Mürditen auch sein Wort gelöst glaubt,« sagte der junge Mann ernst, »so möge er doch bedenken, daß Djemala-Din dem Czaren das seine als Krieger verpfändet hat, und daß er es nur als gelöst erachten kann, wenn der Czar selbst ihn seines Schwures entläßt. Ich wiederhole es, mein Vater möge mich von seinem Feinde zurückfordern, wie er mich ihm als Geißel gegeben, und Djemala-Din wird dem Willen seines Erzeugers freudig gehorchen. Er kann nicht, wie ein Dieb in der Nacht, sich aus diesem Reiche stehlen, oder wie ein feiger Verräther seinen Posten verlassen.«

Ali sprang vom Boden empor:

»Beim Barte Schamyl's!« rief er wild, »Du wirst uns folgen zur Stelle, wie uns der Imam befohlen. Hier ist Gold, hier ist ein Kleid für Dich, auf Dein Haupt komme die Gefahr, wenn Du Dich weigerst!«

Der russische Offizier hatte sich gleichfalls erhoben und riß das blutige Tuch des Verbandes von seinem Arm.

»Beim Blute Schamyl's, das aus diesen Adern rinnt, und das ein höherer Schwur ist, denn der Deine! ich werde nicht gehen, bis der Kaiser, dem mein Schwur verpfändet ist, mich selber freigegeben. Bringe dies Wahrzeichen meinem Vater und sage ihm, sein Sohn sei bereit, alle Bande zu zerreißen, die sechszehn lange Jahre hier geknüpft, und in sein Haus zurückzukehren,[149] aber nimmer wolle er seine Ehre opfern als flüchtiger Verräther!«

Der Tschetschenze hatte zornsprühend die Hand an den Handjar im Gürtel gelegt, wie, als wolle er seine Drohung mit der Waffe durchsetzen, doch sein Gefährte Muhrad Ben Hassan legte die Hand aus seinen Arm.

»Halte ein, o Ali, mein Bruder,« sagte er, »denn der Prophet verbietet Zorn und Streit unter den Kindern eines Volkes. Du aber, Jüngling, sage uns, welcher Eid Dich bindet?«

»Ich schwor dem Kaiser der Moskowiten Treue und Gehorsam als Soldat.«

»So thust Du Recht, Dich zu weigern, denn der Koran sagt, das ein freier Eid ein heilig' Ding sein müsse dem Gläubigen, auch gegen den Feind. Der Imam wußte nicht, daß Du schon der Fahne des schwarzen Czaren geschworen. Er wird traurig sein, daß sein Auge den Sohn nicht sieht, aber er wird ein Mittel finden, ihn aus der Knechtschaft zu lösen. Lebe wohl, Sohn unsers Fürstenstammes, – denn mein Ohr vernimmt das Nahen fremder Männer und Rosse, und man soll uns nicht in Deiner Nähe finden. Möge der Prophet Dich schützen, bis wir uns wiedersehen in den Schluchten des Elbrus.«

Er legte die Hand an Haupt und Brust im morgenländischen Gruß und barg das blutige Tuch in seinem Gewande. Dann verließ er mit Ali den jungen Mann und setzte sich entfernt neben den Jäger.

Sein scharfes Gehör hatte den Bergbewohner nicht getäuscht, ehe eine Viertelstunde verging, nahten Menschen und Gefähr von der Seite her, wohin der Schlitten des Juden den Grafen und seine schöne Nichte geführt hatte. Sie waren auf dem Wege bereits Leuten vom Schlosse begegnet, die der Fürst auf den Schein des Brandes ausgeschickt hatte. Der Graf sandte mit ihnen den Schlitten des Juden zurück und hatte in einem solchen vom Schlosse die Fahrt dahin fortgesetzt.

Djemala-Din verweilte so lange auf der Brandstätte, bis die verkleideten Tschetschenzen mit dem Juden ihren Rückweg angetreten hatten und seinen Blicken entschwunden waren. Nicht sein Herz begleitete sie zur fernen Heimath – es flog den nächsten Stunden entgegen, nach einer anderen Seite hin. Mit dem wackeren Jäger sprengte er gleich darauf, den Schmerz der Wunde nicht achtend,[150] auf den vom Schloß gekommenen Pferden dahin, den Reitern und ihren Gefährten überlassend, die Gefangenen nachzubringen.


Das heilige Weihnachtsfest war vorüber – die Gäste hatten das Schloß des Fürsten verlassen, nur Graf Lubomirski mit seiner Nichte war bei dem alten Freunde, und Lieutenant Djemala-Din bei dem gastfreien Schloßherrn gezwungen zurückgeblieben, da sein Wunde durch die Kälte des Wintermorgens und den scharfen Ritt verschlimmert worden, so daß ein heftiges Wundfieber eingetreten war und er mehrere Tage daniedergelegen hatte.

Das alterthümliche Schloß des Fürsten, noch zur Zeit August's des Starken erbaut, lag mitten im Walde, entfernt fast von der Civilisation und dem Verkehr der Welt; nur ein Mal verließ es alljährlich der Eigenthümer, um in Warschau oder Moskau einige Wochen zuzubringen. Er beobachtete streng diese Besuche, um sich dort den Gewalthabern zu zeigen und so jeden Verdacht gegen sich zu entfernen, da er, als einer der Führer des Aufstandes von 1831, nur durch die Gnade des Kaisers Amnestie und die Erlaubniß erhalten hatte, auf seinen Gütern in Volhynien zu leben. Aus diesem Grunde und mit der dem hohen polnischen Adel eigenen unbeschränkten Gastfreiheit, selbst gegen den Unwillkommenen, ja, den Gegner, unterhielt er auch fortlaufenden Verkehr mit den Offizieren der nächsten Garnisonstädte, die bei jeder Gelegenheit heitere Gäste auf dem fürstlichen Schlosse waren.

Die kleine Gesellschaft war in der alterthümlichen, ziemlich großen Speisehalle im Parterre des Schlosses versammelt. Die dunkle eichene Täfelung der Wände, die Stuckatur an der Decke, die Waffen und Jagdtrophäen an den vier Wänden und die beiden großen stubenartigen Kamine an den Enden der Halle gaben ihr ein ehrwürdiges alterthümliches Ansehen. Unter den Waffengruppen befanden sich selbst mehrere slavische Rüstungen früherer Jahrhunderte, als die Zeit der Erbauung datirte, und eine Menge Trophäen und türkischer Waffen aus der Heldenschlacht Sobieski's vor dem erretteten Wien.

Eine große eichene Tafel in der Mitte der Halle lief fast die Hälfte derselben entlang. Sie war jedoch jetzt, der Abend dämmerte bereits, noch unbenutzt, und von den Anstalten für die Abendmahlzeit[151] noch Nichts zu bemerken. In den beiden Kaminen dagegen flammte und brannte es lustig von mächtigen Eichenkloben, eine angenehme behagliche Wärme durch den weiten Raum verbreitend. Von Zeit zu Zeit hob einer der Diener, die am Eingang der Halle sich aufhielten, den großen, den Zugang verschließenden türkischen Teppich, schlich mit leisem katzenähnlichem Tritt durch das Gemach und schürte das Feuer, oder verrichtete irgend eine andere Hilfsleistung. Das Gespräch in den beiden Gruppen, die den Saal belebten, wurde französisch geführt, und sein Gang daher nicht durch das Kommen der Diener unterbrochen.

Am Kamin zunächst des Einganges saßen der Graf und sein Wirth, Letzterer ein hoher Fünfziger mit weißem Haar und klugem aufgewecktem Gesicht. Beide waren im Schachspiel begriffen, während dessen sie sich in langen Pausen unterhielten.

»Sie haben mir selbst zugestanden, lieber Graf,« sagte der Fürst, »daß in dem Augenblick der Gefahr, als Sie mit dem Schurken Boris kämpften, nach dem ich vergeblich habe fahnden lassen, die Verwünschung des Soldaten gegen Sie, seinen alten Führer von Grochow und Ostrolenka her, Sie überrascht, ja, fast gelähmt hat. Doch ich wiederhole es Ihnen, dies war nicht die Stimme eines einzelnen Mannes, es ist leider die Stimme des Volkes! Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt, sie zu prüfen und hauptsächlich durch die Resultate, die ich da fand, bin ich zu anderen Ansichten in der Politik bekehrt worden. Die Revolution von 1831 hat dem Volk selbst wie dem Adel nur verderbliche Folgen gebracht. Der gemeine Mann, dem eine einfache, aber scharfe Auffassung selbst auf seiner niedrigen Kulturstufe nicht abzustreiten ist, meint, er habe sein Blut nur für den Ehrgeiz des Adels vergossen, im besten Fall Nichts zu hoffen gehabt und sei jetzt schlimmer daran denn zuvor. Er giebt – und Sie wissen selbst, nicht mit Unrecht – dem Adel die Schuld, daß wir unterlagen und ist, grade heraus, der ewigen Aufreizungen müde, die es hindern, an sein materielles Wohl zu denken. Dem Volk, lieber Freund, ist es ziemlich gleich, ob der Czar sein Herr heißt, namentlich wen es in dem einen Herrn einen Schutz gegen die Vorrechte der vielen findet. Wir sehen das schlagende Beispiel an den Kronbauern in Rußland. Die Leute revoltirten dort und ließen sich todtschlagen, weil der Kaiser sie nicht kaufen wollte oder konnte. Das wahre Element zur Fanatisirung der Massen war nicht das Nationalgefühl,[152] die russische Tyrannei, die kein Jota harter war, als sie's früher hatten, sondern die Religion, die Kirche. Wo diese Hand in Hand mit der politischen Propaganda ging, waren große Erregungen und Erfolge gesichert.«

»Und ist der katholische Glaube weniger gefährdet in der, Gegenwart, droht die orthodoxe Kirche weniger mächtig wie vor zwanzig Jahren? Sind nicht vielmehr grade ihre Übergriffe und Forderungen ein Fundament dieses Krieges, welcher bestimmt ist, Europa eine andere Gestalt zu geben?«

Lubienski lächelte bedächtig.

»Ich weiß wirklich nicht, Graf, ob ich annehmen soll, daß ein Mann wie Sie, der tief in das Räderwerk des politischen Getriebes und der socialen Entwickelung geschaut zu haben scheint, für einen der Hauptfactoren blind gewesen sein sollte?«

»Wie meinen Sie das, Fürst?«

»Ich meine, daß seit zwanzig Jahren sich ein wesentliches Element der Volkserregung geändert hat, der Glauben an das Heilige. Unsere Revolutionaire seit 1789 haben ihr eifrigstes Bemühen darauf gerichtet gehalten, die religiöse Gläubigkeit und Ehrfurcht im Volke mit Füßen zu treten und zu vernichten. Der Liberalismus hat geglaubt, zu seinem Halt zunächst die Geister von den Fesseln der Religion befreien, seine sogenannte Aufklärung in die Herzen der Jugend pflanzen zu müssen. Was ist seit 1830 von den Propaganden in Paris und London anders geschehen, als schonungslose Maltraitirung der religiösen Gefühle der Völker? Die heranwachsende Generation lohnt dies Bestreben. Mit der Religiosität des Volkes schwindet unbedingt auch das Nationalgefühl. In Spanien, wo man die Kirche ihrer Güter und Würden beraubt hat, wird kein Heldenkampf mehr stattfinden wie 1809, als die Priester das Kreuz in der Hand dem Volke voran gingen. Was macht die Unzahl der Rebellionen in Frankreich, die Nichts geschafft haben, als augenblickliche Gewalt, – als nur die erlangte Unfähigkeit einer gewaltigen höheren Idee? Woran scheiterten die Bewegungen von 48 in Polen, Ungarn, Deutschland, Italien? – Doch nur daran, daß es an einer erhebenden Idee fehlte, welche gemeinsam die Masse belebte. Alle Ihre Revolutionen und Revolutiönchen sind im Grunde nur tausend einzelne Intriguenspiele und Kämpfe der einzelnen individuellen Interessen geworden. Die Fähigkeit zur Revolution haben unsere Revolutionaire selbst erstickt.«[153]

»Sie haben nicht ganz Unrecht, Fürst,« entgegnete nachdenkend der Graf, »aber wie wollen Sie diese Theorie auf ein Volk wie das unsere anwenden, dessen Masse die geistige Selbstständigkeit fehlt?«

»Um so mehr, lieber Graf. Glauben Sie wirklich, daß die Herabwürdigung der Kirche in Rom, die Vertreibung es Papstes, die österreichische und französische Occupation des Kirchenstaates so spurlos an der Masse des Volkes, an dem Priesterthum und selbst an den Gebildeteren vorübergegangen sind? – Ich nicht! – Die Heiligkeit, das Ansehen unserer Kirche hat grade durch die liberalen Revolutionen in den durch und durch katholischen Ländern überall verloren. Sie werden schwerlich mehr die Geistlichkeit an der Spitze einer polnischen oder französischen Revolution sehen! Grade durch das religiöse Prinzip und das streng von Oben herab aufrecht erhaltene Ansehen der orthodoxen griechischen Kirche ist Rußland stark, und wir werden vielleicht Gelegenheit haben, Wunder von Aufopferungsfähigkeit der Massen diesem Kriege zu schauen, wenn das eintrifft, was Sie mir mit solcher Bestimmtheit angekündigt haben, die Aufnahme des Krieges gegen Rußland durch Frankreich und England.«

»Die religiöse Apathie kann aber immer nur ein einzelner Grund sein.«

»Sie haben Recht, aber ein wichtiger. Der Liberalismus hat das Volk selbst denken gemacht. Das Denken führt den Zweifel herbei und ist der Tod jedes Enthusiasmus, dessen Mutter allein das Gefühl ist. Man will jetzt einen Nutzen sehen, theils individuell, theils im Ganzen. Man traut den Leuten nicht recht, die sich an die Spitze stellen. Unsere Polen, grade heraus gesagt, trauen dem polnischen Adel nicht mehr, sie haben keine Lust mehr, um unseres Ehrgeizes, unserer Interessen willen das zu opfern, was sie sicher haben.«

»Pfui, Fürst, so gäbe es keinen Nationalstolz, kein Volksgefühl mehr!«

»Die Revolutionaire in Paris arbeiten ja grade darauf hin, dies auszurotten in der allgemeinen Gleichmacherei. Ich gehe aber keineswegs so weit, das zu behaupten, namentlich in unserem Falle nicht. So lange es Haß und Liebe giebt in der Welt, so lange Sprachen und Gewohnheiten die Völker scheiden, wird es auch ein Nationalgefühl, einen nationellen Ehrgeiz geben. Aber er muß[154] richtig verstanden und geleitet werden. Seien wir aufrichtig, Freund. Sie sagen mir: in diesem Krieg, der sich bereitet, und der nach Ihren Intentionen ein europäischer werden soll, – ist die günstige Gelegenheit gekommen, die Selbstständigkeit unserer Nation wieder zu erlangen. Ungarn und Italien sollen sich gleichfalls erheben, Frankreich und England werden uns unterstützen. Aber, mein Freund, wollen wir etwa selbstständig oder, wie Sie es nennen, frei werden, – leerer Name, der reiche Mann ist es überall! – um uns von Intriguanten und Ehrgeizigen unserer eigenen Klasse dominiren zu lassen? Selbst damit einverstanden, welche Aussicht auf Erfolg haben wir? Frankreich und England machen wahrhaftig keinen Krieg um unserer Nationalität willen. England will einfach das in Asien und am Bosporus für seine eigenen Interessen immer gefährlicher werdende Rußland schwächen, und der Kaiser Napoleon hat eine alte Scharte und persönliche Beleidigung auszuwetzen und außerdem durch einen solchen Krieg Gelegenheit, seine sehr schwankende Position als Eindringling unter den Fürsten Europa's zu einer befestigten und mächtigen zu machen, so wie sich Heer und Land durch gloire und Interesse zu sichern. Er hat denselben Ehrgeiz wie sein Oheim, nur ist er schlauer und versteht seine Zeit. An eine Unterstützung Polens und Ungarns um ihrer selbst willen, denkt keine der beiden Mächte. Man wird uns wieder als Soldaten brauchen, als Legionaire, ja als Rebellen, aber man bekümmert sich um unser Geschick grade so wenig, wie das Recht des Sultans in Wahrheit die Ursache des Krieges ist. Sie versprechen einen europäischen Krieg, – ich zweifle daran. Er wird einfach ein Turnier einiger Herausforderer sein, – die in ihrem Interesse nicht gefährdeten Staaten werben sich frei halten und dafür sorgen, daß das freilich vielleicht etwas blutige Turnier nicht zu sehr überhand nimmt, sondern in den soliden Gränzen einiger Abzapfung bleibt. – Ich wiederhole Ihnen meine aufrichtige Meinung, jede revolutionaire Schilderhebung Polens gegen Rußland bei diesem Kriege würde zwecklos, nutzlos und ein Unglück für unser Vaterland sein!«

»Ich finde Sie so verändert und umgewandelt in all Ihren Gefühlen und Ansichten,« sagte der Graf finster, »daß ich kaum wage, fortzufahren. Sie, einer der kühnsten und bewährtesten Führer der polnischen Armee, der hundert Mal sein Leben im Freiheitskampfe wagte, – Sie geben Polen, unser Polen auf?«[155]

Der Fürst sah ihn groß an.

»Wer sagt Ihnen das, Kamerad? was giebt Ihnen das Recht zu zweifeln, daß ein Lubienski sein Vaterland geringer liebe, wie Sie? Mein Weg, mein Hoffen und Wünschen sind nur andere geworden, wie die Ihren. Nicht in Rußlands Fall, sondern in Rußlands Sieg sehe ich die Hoffnung unseres Volkes. Wer ein echter Pole ist, sollte nicht mit den Franzosen, den Engländern und Deutschen gegen den Czaren fechten, sondern mit ihm; – so allein gelingt zuletzt die Gründung eines großen sarmatischen Reiches, eines Walles und Sieges gegen das Germanenthum, das uns gefährlicher und verhaßter ist, als das stammverwandte Rußland.«

Der Graf ihm gegenüber athmete tief auf bei dieser Erklärung, es war, als sei ihm eine Bergeslast vom Herzen gefallen.

»Das also ist Ihre Meinung, Fürst?« sagte er nachdenklich und reichte dem alten Freunde die Hand. »Mir war in der That ganz Angst um Ihr polnisches Herz geworden bei den Sophismen, mit denen Sie die Revolution bekämpften. Zwar, Aufrichtigkeit gegen Aufrichtigkeit, ist unser Ziel und Zweck nicht derselbe; denn ich arbeite und wirke für die Befreiung aller Völker vom Joche der Bevorrechteten, und die Erhebung unsers Vaterlandes ist mir nur ein Glied in dieser Kette. Sie aber wollen seine Erhebung als einziges Ziel und durch die Benutzung der Macht, die es unterdrückt. Ich müßte kein Sohn Polens sein, wenn ich nicht auch auf Ihrem Wege ihm den Sieg wünschte. – Schach Ihrem König!« – er that einen raschen Zug in dem vernachlässigten Spiel.

Der Fürst lachte.

»Ich nehme dafür Ihren Springer und stelle die Ordnung wieder her. Halten Sie sich an das Reelle, auch im Plänemachen, lieber Graf, prüfen Sie das Erreichbare und die Mittel dazu. Ohne Winkelzug, die Propaganda in Paris, oder wer sonst Ihnen die Mission an einen alten Freund gegeben, hat sich getäuscht. Ich sehe in einer selbstständigen neuen Schilderhebung Polens kein Glück, würde mich unter keinen Umständen ihr anschließen und ihr sogar entgegentreten. Die Ansichten meiner jüngern Jahre haben zwanzig Jahre vollständig umgewandelt. Uns fehlen alle Aussichten auf Erfolg, ja selbst die Männer; denn dem Prahler Miroslawski werden Sie doch wohl keine Rolle zugedacht haben. Unsere alten Freunde aber sind todt und zerstreut. Bem's Grab ist zur Schmach unserer Nation auf dem türkischen Friedhofe zu[156] Kutahija6 mit dein Turban geschmückt, Graf Pac ruht wenigstens auf christlichem Kirchhof zu Smyrna. Wo die Nordstürme sich am rothen Felsen von Helgoland brechen, schläft unser Freund Prądzynski; Chlopicki, der uns in's Unglück gebracht, hat das Ende seines Ehrgeizes in der Gruft eines Freundes bei Kralau gefunden. Szembeck und Chlapowski sind getreue preußische Unterthanen und gründen Familienfideikommisse, Krasinski macht's wie ich, Skrzynecki trauert in Brüssel, Chrzanowski, Dembinski, Rybinski und Dwernicki ließen Sie als gebrochene Greise in Paris – wen wollen Sie noch? Geächtet und zerstreut über die Erde hat uns die Revolution – ich will mein Haupt wenigstens im Vaterlande zur Ruhe legen. Ich habe mich mit der Gewalt versöhnt und wiederhole Ihnen, nur in ihr blüht die Hoffnung unsers Vaterlandes.«

»Und Ihr Sohn?«

»Er ist Offizier in des Kaisers Garde mit meiner Bewilligung und denkt wie ich.«

Der alte Propagandist erhob sich finster, doch sein Wirth zog ihn freundlich wieder auf den Sessel zurück.

»Ich habe absichtlich vermieden, mit Ihren Plänen näher bekannt zu werden. Sind wir auch verschiedener Ansicht geworden, so ändert das doch Nichts an der Freundschaft der alten Schlachtgefährten. Bedenken Sie, daß Ihr einziges Kind sich gleichfalls einem Russen verband, Ihr Enkel russische Erziehung genossen hat. Machen Sie den Frieden, den Sie scheinbar mit der Regierung geschlossen, zu einem wirklichen, und wenden Sie die großen Mittel und Quellen, die Ihnen zu Gebote zu stehen scheinen, dazu an, mit Rußlands Hilfe in diesem Kriege ein neues Slavenreich erstehen zu lassen, das von der Donau bis zur Ostsee reicht.«

Der Graf hatte das Haupt sinnend in die Hand gestützt.

»Der Gedanke ist uns nicht neu und, wie ich hier die Verhältnisse finde, über die unsere Agenten uns vielfach getäuscht, – Adel und Volk gegen eine Revolution! wohl einer ernsten Überlegung werth. – Vielleicht, Fürst, daß unsere Wege dennoch zusammentreffen! – Lassen Sie uns weiter spielen.« – – –

– – –[157]

Am andern Ende der Halle, so entfernt, um nicht zu stören und nicht gestört zu werden, wurde eine Propaganda in verführerischerer Form betrieben, als unter den beiden alten Herren. Gräfin Wanda saß dort, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt, am Ruhebett, auf dem der junge Offizier, Schamyl's Sohn, noch bleich und angegriffen, den Arm in der Binde, lehnte, aus einem Buch der Dame vorlesend.

Gräfin Wanda hatte sich von der überstandenen Angst und Gefahr rasch erholt, der elastische schwungreiche Geist, der den Polinnen inne wohnt, hatte sie leicht darüber hingetragen. Ein Eindruck jedoch schien stärkere Wurzel in ihrem Gemüth, ja, selbst in ihrem Herzen gefaßt zu haben: die Theilnahme für ihren Retter vor dem Beil des Mörders, und das romaneske seltsame Schicksal, des jungen Mannes diente nur dazu, den Werth der ritterlichen That noch zu erhöhen. Während ein deutsches Mädchen die Gefühle des regen Interesses und der Theilnahme in der unbewußten Verschämtheit werdender Liebe schüchtern und zurückhaltend gemacht hätten, lag ein solches Gebahren dem Wesen der Polin fern. Ohne Ziererei und Zurückhaltung, aber eben so entfernt von Unweiblichkeit und Unzartheit gab sie sich frei und ungezwungen ihren Empfindungen hin und zeigte ganz offen den Vorzug, den sie dem jungen Mann vor seinen Gefährten gab. Sobald er das Krankenlager wieder verlassen hatte und im Gesellschaftssaal erschienen war, hielt sie sich unbefangen in seiner Nähe, und zeigte ihm durch alle jene zarten Aufmerksamkeiten ihren Dank, durch die ein weibliches Wesen so wohl des Herzens Empfinden auszudrücken versteht.

Die junge Gräfin war der volle Typus der eigenthümlichen polnischen Frauenschönheit. Von kaum die Mittelgroße erreichender Gestalt war ihr Gliederbau voll und zierlich gerundet. Das Gesicht zwischen den schwarzen Locken zeigte ein längliches Oval en face wie im Profil, und jene volle Bildung von Nase und Mund, jene matte seidenartige Farbe, die den polnischen Damen so eigenthümlich ist. Die sarmatischen braunen und beweglichen Augen, deren Farbe mit der Seelenregung ein lichteres und tieferes Dunkel anzunehmen scheint, belebten dies Gesicht. Die kleine Hand und der zierliche Fuß sind Nationalschönheiten der Polinnen.

»Sie sind ermüdet, Herr Lieutenant,« sagte die Gräfin, – »brechen Sie ab und fahren Sie morgen in der Lectüre fort. Lassen Sie uns plaudern und erzählen Sie mir von Ihrer Heimath.«[158]

»Was können die Erinnerungen eines Knaben von einem wilden, traurigen, öden Lande, die ihm ohnehin nur dunkel vorschweben, Gräfin Zerbona interessiren?«

»Liegt nicht in dem Charakter und Kampf unserer beiden Völker eine gewisse Ähnlichkeit? Haben sie nicht einen gemeinsamen Feind, gegen den sie für ihre Freiheit kämpfen? Sind die Söhne beider Länder nicht geborene Krieger – hängen sie nicht mit jeder Fiber ihrer Seele und ihrer Hoffnungen an der Heimath, für die sie so oft ihr Herzblut vergossen haben?«

Das aufsteigende dunkle Blut färbte die Stirn des jungen Offiziers, die Gräfin bemerkte zu spät, daß sie ihn verletzt, und legte ihre Hand freundlich auf die seine.

»Wir Beide, Herr Djemala-Din,« sagte sie, »dürfen uns nicht mißverstehen. Sie haben nicht selbst ihren Weg gewählt, und wenn Sie auch gewiß gleiche Liebe zu dem Lande, das Sie geboren, hegen, wie ich zu dem meinen, muß es Ihnen doch ferner stehen, da sich nur wenige Erinnerungen daran knüpfen, da Sie sein Leiden und Kämpfen nicht selbst geschaut. Mein Volk ist ein gebeugtes, besiegtes, ach – bei aller Begeisterung im Herzen fühle ich es tief! – unwiederbringlich gebrochenes – das Ihre ein unbezwungenes freies, im Heldenkampf begriffen, um die theuersten Güter und siegreich unter der tapferen Hand Ihres Vaters! Sie brauchen nicht seine Freiheit zu wünschen und zu beweinen, denn es hat sie nie verloren!«

Der junge Mann lächelte trübe.

»Wissen Sie auch, Gräfin, was die Freiheit in einem Lande, wie das meine ist? wissen Sie auch, was Freiheit im Orient bedeutet?«

»Sie sah ihn groß an.«

»Frei ist das Volk, das nicht das schimpfliche Joch eines anderen trägt, das nur dem selbst gewählten Führer gehorcht. Frei ist das Volk, wo Jeder sein Recht hat, wo das Recht eines Jeden geehrt und nicht von Fremden mit Füßen getreten wird; wo Sprache, Gewohnheit und Glaube Eigenthum des Volkes sind; wo die Einrichtungen seiner Väter ihm ungekränkt geblieben; wo der Bewohner nicht der Sclave des Unterdrückers ist, sondern wo er sein Blut und seinen Schweiß für den eigenen Heerd vergießt!«

»Wissen Sie auch, Gräfin, daß wir dennoch einen fremden Oberherrn haben, – den Sultan in Constantinopel?«

»Der ist fern – nur ein Schatten!«[159]

»Aber er nennt sich unsern Herrn, – auch der Czar wohnt in Petersburg. Ich habe wenig Erinnerungen an meine Heimath, und doch könnte ich Sie mit dem Wenigen widerlegen. Der Mächtige, der Reiche, Gräfin, herrscht überall, auf den Höhen des Kuban, wie in den Steppen Ihres eigenen Vaterlandes, wo – wie uns die Geschichte lehrt, – der Bauer der unterdrückte Sclave des Edelmannes war. Der Fanatismus schwingt in meiner Heimath seine Geißel blutiger als irgendwo und verfolgt seine Gegner. Dort giebt es Edle und Knechte, wie hier, und die Kluft zwischen Beiden ist noch schärfer. Halten Sie das Volk für frei, das seine eigenen Töchter und Söhne an seine sogenannten Oberherren in Stambul als Sclaven verkauft, ihren Lüsten zu dienen und ihren Befehlen zu gehorchen? Glauben Sie wirklich türkische Despotie leichter als die Herrschaft des russischen Kaisers? sollten wir wirklich für die Eine kämpfen, gegen den Anderen?«

»Spricht Das der Fürstensohn eines freien Volkes?«

»Er spricht es, Gräfin – sein Vater gab ihn fort, und sechszehn lange Jahre hat er keine Heimath gehabt, als das Haus des Kaisers, kein Eigenthum, als das Kleid des Czaren.«

»Und wenn Schamyl, Ihr Vater, Sie wieder forderte, wenn er Sie riefe zum Kampfe an seine Seite?«

Der junge Mann sah sie finster an.

»Er that es – jene Männer, die uns Beide gerettet, waren seine Boten!«

»Und darf ich wissen, was Schamyl's Sohn dem Ruf eines freien Volkes erwiedert hat?«

»Der Offizier antwortete, was seine Pflicht war, – der Fürstensohn, was seine Ehre gebot. Herz und Seele würden ja dennoch zurückbleiben.«

»Dann ist mir eine große Freude versagt,« lächelte Wanda, »ich träumte mir's so schön, Sie auf jenen Felsenhöhen mir gegenüber zu wissen, wie der Adler horstend und herabstoßend auf silberumpanzertem Roß. Wie stolz wäre ich gewesen, Ihren Namen täglich zu hören, als den gefürchtetsten Helden des Gebirges.«

»Sie, Gräfin – wie meinen Sie Das?«

»Ei, nun, daß ich vergeblich harren werde, daß Djemala-Din, der kühne Führer der Mürditen, in einer wolken-umdüsterten Nacht hervorbricht über den Kuban nach unserm armen Schloß und Wanda davonführt aus der Gewalt der schmuzigen Kosaken.«[160]

»Sie spotten meiner, Gräfin!«

»Wie, wissen Sie wirklich nicht, daß ich nach dem Kaukasus gehe? Sie können mir Empfehlungsbriefe geben an Ihre Vettern und Onkels, da Sie mich doch einmal nicht selbst beschützen wollen.«

»Gräfin Wanda nach dem Kaukasus? Ich beschwöre Sie, enden Sie den Scherz!«

»Ich scherze nicht und glaubte, mein Oheim hätte Sie davon unterrichtet. Eine so gute Polin, wie ich bin, besitze ich doch noch eine ältere Stiefschwester, die es nicht ist. Sie ist die Gattin des Obersten, Fürsten Tscheftsawadse, und wohnt mit ihm im russischen Gränzgebiet am Kuban, wo er kommandirt. Ich bin auf dem Wege dahin, da meine bisherigen Verhältnisse sich geändert; – mein Oheim begleitet mich bis Odessa, von wo mein Schwager mich abholen läßt. Begreifen Sie nun, daß ich hoffte, von Ihnen dort zu hören?«

Der junge Tschetschenze war bleich wie der Tod geworden, – seine gesunde Hand zuckte krampfhaft nach dem Herzen – sein großes dunkles Auge rollte wie irr über das Mädchen, während er sich auf dem Sopha emporgerichtet hatte.

»Sie nach dem Kaukasus – und ich hier? – Großer Gott, ich glaubte, Sie kehrten nach Warschau zurück!«

»Was ist Ihnen, mein Freund? – fassen Sie sich – man wird auf uns achten.«

Er blickte wild um sich.

»Was kümmert mich Ihr Oheim – was der Fürst! Ich Thor, der ich war – fort, ihnen nach, daß sie meinem Vater sagen: sein Sohn ist bereit! – Und meine Ehre – mein Eid – –«

»Sie sind außer sich – was kümmert Sie ein elternloses Mädchen, das in Ihrer fernen Heimath, die Sie nicht mehr lieben, eine Zufluchtsstätte finden soll?«

»Ich, Djemala-Din, mein Vaterland nicht lieben, wo Sie sind, – ich Sie nicht wiedersehen – Sie, Wanda?« er preßte krampfhaft die Hände in einander und gegen die Brust, daß der Verband des Armes sich löste und ein purpurner Strom herausschoß – »beim Blute Schamyl's weigerte ich meinem Vater den Gehorsam! Beim Blute Schamyl's! Wanda, am Elbrus sehen wir uns wieder!« und ohnmächtig sank er zurück auf das Ruhebett. – –

1

Benennung der niederen polnischen Schänken.

2

Polnisch: Der Teufel mag Dich holen!

3

Hundssohn.

4

Mögen die Teufel Deine Mutter quälen! – ein gebräuchlicher polnischer Fluch.

5

Möge der Teufel Dich holen!

6

Stadt in Kleinasien, 15 Meilen von Brussa. Bem trat bekanntlich in Widdin zum Islam über; sein treuer Begleiter und Diener, der Artillerie-Sergeant Janek, der Wächter seines Grabes, erzählt den Reisenden, daß er als guter Katholik gestorben.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 2, Berlin 1856, S. 115-161.
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