III. Sinope.

[102] Die russische Pontus-Flotte hatte bisher ungehindert auf dem Schwarzen Meere und bis dicht an die rumelischen und anatolischen Küsten gekreuzt, und bereits mehrere türkische Dampfschiffe, darunter noch während der von Omer-Pascha dem russischen Oberbefehlshaber in den Fürstenthümern gestellten Frist den »Medari Tidjaret,« genommen. Die türkisch-egyptische Flotte ankerte während dessen noch im Bosporus in der Bucht von Beykos. Das französisch-englische Geschwader war am 8. und 9. vor Constantinopel eingetroffen, wobei wieder verschiedene kleine Scenen von Rivalität zwischen den beiden Nationen stattgefunden hatten. Ihre mächtigen Schiffe lagen jetzt vom Eingang des Goldenen Horns bis Bujukdere hinauf an dem europäischen Ufer des Bosporus und ihre Mannschaften füllten die Straßen von Constantinopel, wobei das anständige und freundliche Benehmen der französischen Matrosen einen grellen Gegensatz gegen das brutale und rohe Treiben der englischen Seeleute bildete, die auf den Straßen Schlägereien mit den türkischen Wachen anfingen, Weiber insultirten, die Bevölkerung verhöhnten und sich so viehisch betranken, daß täglich Abends die Gassen in Galata und Tophana voll Sinnloser lagen, die sich im Koth wälzten. Es blieb zuletzt dem Seraskier Nichts übrig, als der Befehl an sämtliche Wachen, jeden Morgen die betrunkenen Matrosen von den Straßen aufzulesen und sie in großen Booten an Bord des englischen Wachtschiffes abzuliefern.

Die Feindseligkeiten in Asien zwischen Russen und Türken hatten unterdeß einen ausgedehnteren Gang und größere Bedeutung gewonnen, so daß die Unterstützung der beiderseitigen Flotten nöthig wurde.

Am 28. October hatte Selim-Pascha, der Oberbefehlshaber der türkischen Truppen in Anatolien, das Fort Nikolajowst (Scheffekil), den ersten russischen Posten an der südlichsten Spitze der Küste[102] von Kaukasien, zwischen Batum und Redutkale, überfallen und nach siebenstündigem hartem Kampf genommen. Der Posten war nur durch die großen Proviantvorräthe von Bedeutung, welche hier lagerten. Der Kommandant der Truppen in Grusien, Oberst Karganow, versuchte zwar denselben wieder zu nehmen, wurde jedoch zurückgedrängt. Der Verlust auf beiden Seiten war erheblich. Die türkische Armee überschritt hierauf auch an anderen Punkten die russische Gränze und nahm einige kleine Posten weg, bis Fürst Bariatinsky, der Chef des Generalstabes der zweiten activen Armee1, dem Feinde in einer vorteilhaften Stellung bei Gümri2 am 14. November eine bedeutende Niederlage beibrachte, bei welcher circa 1000 Türken zu Gefangenen gemacht wurden. Bald darauf, am 26., erfocht Fürst Andronikoff einen zweiten glänzenden Sieg über das türkische Corps, das Achalzik (Akiska) eingenommen hatte und die Festung belagerte. Die Türken verloren hier an 5000 Mann, 12 Kanonen, 7 Fahnen, die ganze Bagage und große Munitionsvorräthe.

Es ist eine bekannte Sache, daß die tscherkessischen Stämme in ihrem Kampfe gegen Rußland seit Jahren im Stillen von England unterstützt wurden.

Bei Beginn der orientalischen Verwickelungen war daher eines der ersten Mittel, was die sogenannte neutrale Intervention in's Auge faßte, die Aufreizung Schamyl's zu einem Angriff gegen die russischen Forts an der abchasischen Küste und die ganze Stellung am Kaukasus. Man hoffte dabei offenbar auf einen Aufstand aller mingrelischen Stämme, um damit eine Schutzwehr für Anatolien zu erlangen. Die Politik der Westmächte, die bis zum letzten Augenblicke den Schein einer abwartenden und ausgleichenden Stellung zu bewahren suchte, schob natürlich bei Verfolgung dieser Intrigue das türkische Cabinet vor. Es wurde im Divan eine Expedition an die abchasische Küste beschlossen, um den Bergvölkern Geld, Waffen und Truppen zuzuführen, und alsbald in's Werk gesetzt. Mit dem Kommando des Geschwaders ward, auf die Einwirkung des Kapudan-Pascha, dieses zweiten Führers der Kriegspartei, der 61 jährige Osman-Pascha betraut. Derselbe empfahl sich wenigstens[103] durch einen 42jährigen Seedienst, indem er schon 21 Jahre im Dienste Mehemed Ali's gestanden, bei Navarin eine Brigg, beim Bombardement von St. Jean d'Acre ein Linienschiff kommandirt hatte und seit 10 Jahren den Titel eines Admirals führte. Die Erfahrung indeß hat gelehrt, daß auch jetzt eben noch wie früher die türkische Marine trotz der in England gebauten Schiffe keineswegs den Ruf verdient, den man ihr mit Gewalt gegenüber der russischen beizulegen versuchte. Mit wenigen Ausnahmen hat die Türkei nie gute Seeoffiziere erzeugt, und das Kommando sich stets in unfähigen Händen befunden. Eben so wenig sind die Türken tüchtige Seeleute und die türkische Flotte war bis zum Beginn des Krieges zum großen Theil mit griechischen Matrosen bemannt, die bei der allgemeinen fanatischen Stimmung unter der griechischen Bevölkerung ihren Dienst verließen, so daß nur eine ziemlich undisciplinirte zusammengeraffte Mannschaft auf derselben zurückblieb. Noch trauriger war es auf der egyptischen Flotte bestellt, die mit Ausnahme der Dampfschiffe aus so jämmerlichen, alten und morschen Fahrzeugen bestand, daß beim Auslaufen dieser Hilfsescadre aus Alexandrien im Sommer das Admiralschiff alsbald gesunken war, und die Flagge schleunig auf einem zweiten Schiffe aufgehißt werden mußte.

Das Geschwader, mit dem Osman-Pascha in der ersten Hälfte des Novembers Befehl erhielt, unter Segel zu gehen, bestand aus 7 Fregatten von 74, 60, 52, 56, 50, 38 und 42 Kanonen, 2 Corvetten, 1 Sloop und 2 Transportschiffen.

Es hatte über 5000 Mann Landtruppen unter Kommando Mustapha-Pascha's, zur Ausschiffung an der tscherkessischen Küste, an Bord, so wie 20 Millionen Piaster in englischem Golde, nebst bedeutenden Vorräthen von Waffen und Munition. Mehrere englische Offiziere und Ingenieure, so wie eine Anzahl politischer Flüchtlinge, befanden sich auf den Schiffen.

Dies war die wichtige Nachricht der russischen Agenten in Constantinopel, welche Caraiskakis von Varna aus, indem er ein auf der Höhe der Bucht kreuzendes Schiff erreichte, dem Geschwader des Vice-Admirals Nachimow, des Kommandirenden der fünften Flotten-Division, und von diesem mit der Bessarabia nach Ssewastopol überbracht hatte.

Am 24. erblickte Vice-Admiral Nachimow, in der Aufsuchung des türkischen Geschwaders begriffen, dasselbe im Hafen von Sinope,[104] wohin sich Osman-Pascha, der am 16. von Trapezunt abgesegelt war, zurückgezogen hatte, theils um Schutz vor den Stürmen zu suchen, theils um abzuwarten, daß die an der abchasischen Küste kreuzenden russischen Schiffe sich zurückzögen. Die Türken glaubten sich auf der Rhede von Sinope vollkommen sicher vor jedem Angriff.

Am folgenden Tage verhinderte ein heftiger Sturm aus Westen den Admiral, sich Sinope zu nähern, und er sandte sofort die Bessarabia nach Ssewastopol mit der Nachricht ab, indem er mit den Linienschiffen »Kaiserin Maria« von 120, »Tschesme« und »Rosstisslaw« von 84 Kanonen und den Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« die Rhede blokirte.

Die Stadt Sinope, im Alterthum berühmt und als Geburtsort des Philosophen Diogenes bekannt, liegt auf einer weit in's Meer vorspringenden Landzunge, die einen sichern Hafen bildet. Von ihren berühmten Tempeln, Lyceen und Porticis ist Nichts mehr zu sehen, aber die großen Fundgruben alterthümlicher Reste sind die Mauern, welche die ärmlich erbaute neue Stadt und die Citadelle umgeben. Letztere scheint ein byzantinisches Werk zu sein und ihre Mauern bestehen ganz aus Bruchstücken von Säulen, Friesen und Kapitälern etc., bunt durcheinander. Die Stadt zählt etwa 10,000 Einwohner.

Die türkische Escadre war bogenförmig längs dem Ufer aufgestellt, mit seitwärts ausgeworfenen Wurf-Ankern, um bei jedem Winde eine Linie bilden zu können. Am Ufer waren, den Zwischenräumen der Schiffe gegenüber, doch ziemlich ungeschickt, fünf Batterieen errichtet.

In der Nacht zum 28. traf der Contre-Admiral Nowossilski mit seiner Abtheilung bei dem blokirenden Geschwader ein. Dasselbe bestand nunmehr aus 6 Linienschiffen und 2 Fregatten.

Am 28. machte der Vice-Admiral Nachimow seine Dispositionen, um beim ersten günstigen Winde den Feind anzugreifen. Dies sollte in zwei Colonnen geschehen, deren rechte der Admiral führen wollte. Sein Flaggenschiff war die »Kaiserin Maria«; die Schiffe »Großfürst Constantin« und »Tschesme« sollten ihm folgen. Die linke Angriffscolonne unter Befehl des Contre-Admirals Nowossilski bestand aus den Schiffen »Paris«, »Tri Sswjatitalja« und »Rosstisslaw«.

Die Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« sollten unter Segel[105] auf der Rhede bleiben, um, falls einige feindliche Schiffe sich durch die Flucht zu retten versuchen wollten, sie daran zu verhindern.

Die Russen ersehnten eifrig den günstigen Wind, während die Türken unter dem Schutz der Batterieen an die Unmöglichkeit eines Angriffs zu glauben schienen.

Endlich am Morgen des 30., Mittwoch, setzte der Wind um und es trat ein leichter günstiger Ost-Nord-Ost ein. Um 10 Uhr Morgens gab der Admiral das Zeichen, sich zum Kampfe fertig zu machen.

Am Tage vorher war Sir Maubridge mit seinen beiden Dienern durch ein Boot in der Nähe der Stadt an's Land gesetzt worden.

Während sich die beiden Colonnen unter Leesegeln dem Feinde näherten, herrschte so starker Nebel und Regen, daß die feindlichen Schiffe kaum in der Entfernung einer halben Stunde deutlich sichtbar waren.

Die »Kaiserin Maria« ging auf ungefähr 250 Faden weit an zwei türkische Fregatten heran, deren eine von 74 Kanonen die Flagge des Bahrielivaki (Vice-Admiral) Osman Pascha zeigte und hinter deren Spiegel am Ufer sich eine Batterie von 12 Kanonen befand, und warf in dieser Entfernung Anker und Wurfanker.

Zugleich legte sich auf dem linken Flügel das Flaggenschiff des Contre-Admirals Nowossilski, »Paris,« noch näher an den Feind und die anderen Schiffe nahmen ihre ihnen angewiesene Stellung ein, der »Tschesme« aus dem äußersten rechten, der »Tri Sswjatitelja« auf dem linken Flügel.

Die russischen Schiffe hatten kaum Anker geworfen, so begannen die türkischen Batterieen und Fregatten ihr Feuer.

Admiral Nachimow hatte mit seinen Offizieren auf der Schanze der »Maria« seinen Platz genommen und beobachtete mit dem Fernrohr die beginnende Schlacht. Die Kugeln der Batterieen, namentlich die des Forts von Sinope, thaten dem Masten- und Spierenwerk des Schiffes großen Schaden, und auch auf dem »Constantin« bemerkte man deutlich denselben Übelstand.

»Lassen Sie die Geschütze der obern Batterie zunächst gegen das Kastell richten, Capitain Budischtschew,« befahl der Admiral, »wir müssen dasselbe zum Schweigen bringen, sonst behalten wir keine Stenge an Bord. Mit den Fregatten wollen wir alsdann schon fertig werden.« –[106]

Lieutenant Roßtißlaw führte den Befehl auf dem ersten Deck. An seinen Geschützen arbeiteten die später durch ihren Heldentod so berühmt gewordenen Matrosen Bolotnikow, Schewtschenko und Koschka mit ihren Kameraden, alle bis zum Gürtel entblößt, auf den ersten Wink zum Beginn des Feuers harrend.

Der Capitain ging selbst durch die Batterieen und ordnete die Richtung der Geschütze, während die türkischen Kugeln durch das Takelwerk pfiffen und hin und wieder in die Wände des Schiffes prasselten. Nachdem Alles geordnet war, erfolgte der Befehl zur Eröffnung des Feuers, und von diesem Augenblick an spie die »Maria« ohne Unterbrechung ihre Breitseiten gegen das Ufer.

»Sehen Sie den ›Constantin‹ an, Excellenz,« bemerkte Budischtew, »wie er mit der Batterie dort umspringt; wahrhaftig, Capitain Rakowskoi rasirt sie, ehe die Türken drei Mal zum Laden kommen.«

In der That war fünf Minuten nachher die Batterie völlig demontirt und das Linienschiff konnte unbehindert seine Bombenkanonen des untern Decks gegen die gegenüberstehende Fregatte wenden.

»Das Feuer auf dem linken Flügel scheint heftig,« sagte der Admiral; »der Rosstisslaw scheint von den kleinen Schiffen, die sich an ihn gehangen, und den Batterieen zu leiden. Geben Sie dem ›Kagul‹ das Signal, sich anzuschließen.«

»Die Bomben der ›Paris‹ haben die Stadt in Brand geschossen, ich sehe eine Feuersäule aufsteigen,« meldete der Lieutenant Birjulew.

»In welchem Theil?«

»Nach den Minarets ist es das türkische Viertel.«

»Ha! – was ist das? Tscherti tjebie by wsiali! da geht sie wahrhaftig in die Höh'!«

Ein donnerndes Geprassel überdröhnte das Brüllen der Kanonen, – die Fregatte, welche dem »Constantin« gegenüber gestanden, flog in die Luft, ihre Trümmer fielen weit ringsum und entzündeten die Flamme an einer zweiten Stelle der Türkenstadt.

Lustig arbeiteten die Kanonen auf den drei Decks der »Maria«, dichter Pulverdampf hüllte sie in fast undurchdringlichen Nebel, daß kaum die Mannschaften der Geschütze neben einander sich sehen[107] konnten. Nur der ermunternde Zuruf der Offiziere, das Ächzen der Verwundeten unterbrach die stille Arbeit an den Kanonen.

Da prasselte es durch das obere Deck und eine Bombe schlug mitten zwischen die Batterie. »Nieder! zu Boden!«

Der Ruf des Lieutenants wurde nur von Wenigen vernommen, die, gewohnt an blinden augenblicklichen Gehorsam, sich auf das Deck warfen. Einer der Matrosen des nächsten Geschützes aber war, mit dem Rücken gegen den Offizier gekehrt, eben mit der Visirung seiner Kanone beschäftigt und hörte den Befehl, oder achtete der Gefahr nicht.

Lieutenant Roßtißlaw, im Begriff, sich niederzuwerfen, bemerkte den Mann. Im selben Augenblick auch erfaßte er ihn bei den Beinen und riß ihn schwer zu Boden, daß der Matrose hart mit dem Schädel gegen das Geschützrad schlug und sein Gesicht sich mit Blut bedeckte. Im nächsten Moment platzte die Bombe und ihre Tod und Verderben bringenden Splitter sprühten umher.

Zehn verstümmelte Leichen deckten den Boden, als der Offizier wieder in die Höhe sprang, schweres Ächzen belehrte ihn, daß noch Mehrere verwundet worden.

»Der Teufel hole die Kugel, sie kostet uns ein Dutzend der besten Leute! Was, auch mein braver Schwetschenko? – Warum hörtest Du nicht auf meinen Befehl, Sukiensyn3

»Hollah, Euer Gnaden,« sagte der Matrose, den der Lieutenant eben bedauerte und welcher derselbe war, den er zu Boden gerissen, »die Bombe hat mir Nichts gethan, Euer Gnaden haben mich nur etwas unsanft angepackt. Aber jetzt weiß ich warum, und schorte wos mi, wenn ich's Euer Gnaden vergesse!«

Ein Adjutant des Admirals sprang die Leiter herunter.

»Vielen Verlust, Roßtißlaw, von der Bombe?«

»Zehn todt, sechs verwundet!«

»Teufel, das wird den Alten ärgern! Ans Werk, Jungens, und richten Sie die Geschütze jetzt gegen das Admiralschiff. Wir müssen die Flagge haben!«

Die Kanonen donnerten, die Männer arbeiteten, von Blut, Dampf, Staub und Schweiß bedeckt, wie die Teufel ausschauend, wie die Teufel thätig in diesem Meer von Donner und Flammen.[108]

Eine neue Explosion erfolgte: die türkische Fregatte, welche der »Paris« gegenüberlag, ging in die Luft. Die See weit umher war von Trümmern, Leichen und Schwimmenden bedeckt.

»Die Wurf-Ankertaue sind durchschossen,« ließ der im Vorderkastell kommandirende Offizier der »Maria« dem Capitain melden. »Das Schiff fällt ab.«

»Auf der Barkasse den Wurfanker! Herunter mit dem Kabeltau!«

Unter dem heftigsten Feuer wurde das Schiff wieder festgelegt. Der »Tri Sswjatitelja« war in gleicher Verlegenheit gewesen.

Eine Stunde hatte das Feuer in voller Heftigkeit gedauert, als es auf türkischer Seite zu ermatten begann. Die Boote der Schiffe, die noch See halten konnten, bedeckten, mit Flüchtenden gefüllt, den Raum nach dem Ufer. Hunderte warfen sich in's Wasser, um schwimmend ihre Rettung zu versuchen.

Um 2 Uhr hörte das Feuer von den türkischen Fahrzeugen fast ganz auf; drei Fregatten, darunter die des türkischen Admirals, standen in Flammen, und von den zwei durch die Kugeln durchbohrten und gesunkenen Transportschiffen waren nur die Masten sichtbar. Eine der Corvetten war gleichfalls von den herbeigekommenen Fregatten »Kagul« und »Kulewtschi« in Grund gebohrt, die andere Corvette und die Sloop kampfunfähig. Die drei Schiffe hatten dem »Rosstisslaw« arg zugesetzt.

Um 21/2 Uhr gab Admiral Nachimow das Signal, das Feuer einzustellen. Zugleich wurde Lieutenant Birjulew mit der Parlamentairflagge nach der Stadt gesandt, um den türkischen Behörden anzuzeigen, daß, wenn noch ein Schuß von den Batterieen oder vom Ufer aus fallen sollte, der Admiral von Grund aus die Stadt zerstören und abbrennen werde.

Der Offizier verweilte fast eine Stunde unbehindert am Ufer, ohne eine obrigkeitliche Person auffinden zu können. Ein panischer Schrecken hatte sich der Moslems bemächtigt und die türkische Bevölkerung sich sämtlich in die nächsten Dörfer geflüchtet. –

Während die Schlacht im Hafen von Sinope wüthete, hatte sich auf der See jenseits der einbuchtenden Landzunge eine andere Kampfscene ereignet.

Am 29., sobald der General-Adjutant, Vice-Admiral Korniloff, den die »Bessarabia« aufgesucht hatte, mit seinem Dampfgeschwader,[109] bestehend aus den Dampfschiffen »Odessa«, »Krimm« und »Chersones«, in Ssewastopol eingetroffen und die Schiffe zum Auslaufen wieder bereit waren, ging er zur Escadre Nachimow's ab. Admiral Korniloff befand sich auf der »Odessa«. Am 30., bald nach 12 Uhr, bemerkte man auf dem Dampfer, der sich bereits der anatolischen Küste genähert hatte, über die Landzunge von Sinope hinweg, daß die Schlacht begonnen, und die Dampfschiffe beschleunigten alsbald ihren Lauf so sehr als möglich, um die Rhede zu erreichen. Als sie am Vorgebirge von Sinope vorübergingen, wurde ihnen die türkische Dampffregatte Taïf, von 20 Kanonen, sichtbar, die, auf dem linken Flügel der türkischen Stellung postirt, weniger gelitten und bereits vor Beginn des Kampfes geheizt hatte und jetzt bemüht war, durch die Flucht der allgemeinen Vernichtung zu entgehen.

Der Vice-Admiral Korniloff befahl alsbald, seine Flagge aufzuziehen und dem türkischen Dampfschiffe, das nach der hohen See steuerte, den Cours abzuschneiden. Der »Taïf«, obschon er fast drei Mal stärker war, als die Odessa, änderte jedoch, sobald er das russische Manövre gewahr wurde, seine frühere Richtung und lief längs dem Ufer hin. Als das Dampfschiff Odessa sich bis auf Kanonenschußweite genähert, eröffnete es das Feuer aus dem langen Neunpfünder auf seinem Vordertheil.

»Bei Gott,« sagte der Admiral, »die Schurken werden den Kampf nicht annehmen, sondern verlassen sich auf ihre stärkere Maschine. Wir müssen zu dem letzten Mittel greifen, sie zum Fechten zu zwingen. Lassen Sie die Enterhaken bereit machen, Capitain Stanißlaw, und die nöthige Mannschaft an die Schanzverkleidungen treten. Wir wollen versuchen, ihn im Vorbeikommen anzulaufen, die Enterhaken an seinen Bord zu werfen und ihm dabei eine Salve zu geben.«

In wenigen Augenblicken waren die Vorbereitungen getroffen und die Schiffe näherten sich rasch einander, denn der Capitain des Taïf sah ein, daß er dem russischen Dampfer nicht ausweichen könne, ohne auf die Klippen des Ufers zu gerathen. Die Besorgniß einer Enterung oder eines Zusammenstoßes war dagegen eine weit geringere, da, wie erwähnt, das türkische Schiff noch ein Mal so groß war wie die Odessa, und nur in dem Kampfe mit allen drei Dampfern Gefahr lag, der beim Gelingen einer Enterung unvermeidlich gewesen wäre.[110]

Die Mannschaften beider Schiffe standen auf den Decks, die Türken mit Rudern und Stangen bewaffnet, um das feindliche Schiff abzuhalten. Auf den Radkästen und an den Seiten der Odessa waren die Enterer postirt, Capitain Stanißlaw auf der Brücke über der Maschine, um die Kommando's für die Bewegungen zu geben.

»Was thun Sie hier, mein Herr?« sagte einer der Offiziere zu einem Manne in einem der grauen russischen Militair-Capots und darunter in Civilkleidung, der, das Glas am Auge, einen Säbel in der Faust, am Bogspriet des Dampfers auf einer der gefährdetsten Stellen sich hielt. »Sie gehören nicht zur Equipage und setzen sich hier unnütz der Gefahr aus.«

Der Angeredete verwandte kein Auge von dem heranbrausenden Gegner.

»Bitte, lassen Sie mich hier,« sagte er dringend, »ich habe von dem Admiral die Erlaubniß erhalten, den Kampf mitzufechten, und bin begierig, Ihnen zu zeigen, daß mein Volk die Gefahren seiner Beschützer zu theilen wünscht.«

Es war keine Zeit zu langem Streit, denn die Schiffe waren etwa nur noch 20–30 Faden weit aus einander, und Gregor Caraiskakis, – denn er war es, der an der Brustwehr stand, und welcher, nach dem er in Sebastopol verschiedene Verfügungen über das Kind seiner Schwester getroffen hatte, auf seine ausdrückliche Bitte auf dem Schiff des Vice-Admirals aufgenommen worden war, um seinem Gegner nach Sinope zu folgen, – behielt seinen Platz.

Während der Taïf in grader Linie seinen Lauf fortsetzte, schoß die Odessa in einem spitzen Winkel gegen ihn heran. In der Entfernung von etwa einer halben Seemeile eilten die beiden andern Dampfschiffe herbei.

Es war die Absicht des Admirals, das Bogspriet des kleinen Dampfers womöglich in den Radkasten der türkischen Fregatte aufzurennen, die Enterhaken zu werfen und die Türken so im Kampf festzuhalten, bis die beiden andern Dampfer herankommen konnten.

Auf dem türkischen Schiff war diese Absicht offenbar erkannt, denn auch dort füllten sich die Radkästen und alle höheren Stellen mit Männern.

Die Odessa schoß wie ein schnaubendes Kampfroß heran und ihr Vordertheil berührte beinahe die Flanke des Taïf, als dieser im selben Augenblick wendete, so daß der Vordertheil des russischen[111] Schiffes an den Radkästen vorüberschoß und nur das hohe Hinterkastell der Fregatte traf. Die Enterhaken wurden zwar geworfen, fanden hier aber wenig Halt, und ein kurzer Kampf entspann sich auf den Decks, während der Dampfer von dem Aufstoß sich langsam herumschwenkte und seitlängs der Fregatte legte.

Einige der russischen Matrosen versuchten an der höheren Brüstung des türkischen Schiffes empor zu klettern, wurden aber zurückgeworfen oder in's Wasser gestürzt. Unter denen, welche vergeblich sich damit abmühten, befand sich auch Caraiskakis. Er hatte mit der Linken sich an eine der herabhängenden Bootketten festgeklammert und war im Begriff, sich über den feindlichen Bord zu schwingen, als ein donnerndes Krachen verkündete, daß die Odessa die vier kleinen Kanonen gelöst, die ihre Breitseite bildeten. Die Schwere der Geschütze war zu gering, um selbst in dieser Nähe eine gefährliche Wirkung auf die Fregatte auszuüben, der Rückstoß der Salve bewirkte jedoch, daß die Schiffe von einander prallten und einige Ketten der geworfenen Enterhaken sprangen, während andere von dem türkischen Schiffsvolk gelöst wurden. Zugleich schoß die Fregatte mit aller Kraft der Maschinen vorwärts und war im nächsten Augenblick schon mehrere Schritte an der Odessa vorbei.

Ein wilder Ruf des Schreckens ertönte von den Lippen Derer, die noch an dem türkischen Schiff hingen und vergeblich jetzt wieder an den eigenen Bord zu gelangen suchten. Einige ließen sofort los und vertrauten sich den Wellen an, Andere wurden von den Türken heruntergestoßen.

Caraiskakis, der zu spät die Schanze des russischen Schiffes unter seinen Füßen weichen fühlte, wurde, ehe er noch einen Entschluß fassen konnte, hart von einem Türken bedroht, gegen den er sich, so gut er es in dieser Lage vermochte, mit dem Säbel vertheidigte.

Schon wollte er den schwankenden Halt aufgeben und sich gleichfalls in's Meer werfen, als er sich von hinten am Kragen ergriffen und von einer kräftigen Faust emporgehoben und über Bord geschwungen fühlte. Im nächsten Augenblick, als er sich emporraffte, starrte er seinem Besieger in's Antlitz, der ruhig die Moslems von dem Gefangenen zurückwehrte, – es war Sir Maubridge. –

Die Odessa verlor mehrere Minuten mit dem Auflesen ihrer[112] Leute und dem Wenden. Als sie die Verfolgung des Taïf wieder aufnahm, war dieser bereits eine ziemliche Strecke entfernt, und obschon die Maschine auf's Höchste angespannt wurde, zeigte es sich doch bald, daß der Lauf der Fregatte zu überlegen war, um ein Einholen möglich zu machen. Sobald dieselbe daher außer Schußweite gekommen, befahl der Admiral, die Jagd einzustellen, und die drei Dampfer wandten sich eilig nach der Richtung von Sinope, um dort ihren Theil am Kampfe zu nehmen.

Aber sie kamen hier zu spät.

Auf der Rhede von Sinope war die Schlacht beendet. Die eintreffenden Dampfer Krim und Chersones erhielten sofort die Ordre, die russischen Schiffe aus der Schußweite der noch kampffähigen Uferbatterieen zu bugsiren für den Fall, daß es dem Feinde einfallen sollte, in der Nacht sein Feuer zu erneuern. Die Odessa aber wurde beordert, die türkische Fregatte »Damiette«, welche am wenigsten von den Kugeln gelitten hatte, in Besitz zu nehmen und vom Ufer fortzuführen.

Dies geschah ohne Widerstand. Man fand auf der Fregatte kaum noch 100 Mann der Besatzung und etwa 50 Verwundete. Der Commandeur und die Offiziere hatten das Schiff schon im Anfange der Schlacht verlassen, indem sie sich mit sämtlichen Ruderbooten in schimpflicher Flucht an's Ufer retteten.

Mehrere der türkischen Schiffe standen noch in vollen Flammen und gewährten in dem einsinkenden Dunkel des Abends ein furchtbar schönes Schauspiel, indem sie aus den glühend gewordenen Geschützen ihre Kugeln weit hinaus über die Rhede versendeten. Als das Feuer die Pulverkammern erreichte, flogen sie endlich in die Luft und die brennenden Trümmer verbreiteten sich über die am Ufer entlang liegende Türkenstadt, so daß diese auf's Neue in Brand gerieth. Gegen Mitternacht stand der ganze, von einer steinernen Mauer umgebene Raum in Flammen; die Griechenstadt blieb jedoch von dem Feuer verschont.

Am 1. December bei Tagesanbruch waren von den 12 Fahrzeugen, aus denen die türkische Escadre bestanden hatte, auf der Rhede nur noch die Fregatte Damiette im Schlepptau der Odessa, die Sloop und die zweite Corvette ganz zerschossen auf dem Strande am Südufer der Bucht zu erblicken. Nach aufmerksamer Besichtigung erwies es sich, daß die »Damiette« 17 Kugeln unter der[113] Wasserlinie erhalten hatte; der ganze Rumpf unter dem Wasser, die Masten und die Takelage waren in dem Grade beschädigt, daß ohne bedeutende Reparaturen, die viel Zeit gekostet hätten, es unmöglich gewesen wäre, sie bis Sebastopol zu bringen. Es wurde demnach befohlen, sie an's Ufer zu werfen und gleichfalls in Brand zu stecken.

Mit gleichem Befehl bemächtigten sich die Boote der Fregatte Kagul der Sloop und der Corvette. Die mit dem Auftrag betrauten Offiziere fanden auf der Sloop den Kommandanten der türkischen Escadre, den Bahrielivaki (Vice-Admiral) Osman Pascha, den Capitain der Fregatte »Raphael«, den Commandeur der Sloop und 80 Matrosen. Osman Pascha war bald nach der Eröffnung des Feuers am rechten Bein verwundet worden, indem eine Kugel den Knochen zerschmetterte. Das Admiralschiff war das zweite, das von den Bomben der Russen in Brand geschossen worden, und die zügellose Mannschaft hatte sich als bald in die Boote geworfen, indem sie ihren Admiral obenein ausplünderte, ihn seiner Uhr und seiner Kleidung beraubten und ihn hilflos und entblößt auf dem Deck liegen ließ. Ein Boot der Sloop, das der brennenden Fregatte zu Hilfe eilte, hatte ihn aufgenommen.

Die türkischen Offiziere wurden auf das Dampfschiff Odessa, die gefangenen Mannschaften auf das Schiff Tschesme gebracht. Am Abend des 1. Decembers fand sich auf der Rhede von Sinope kein türkisches Fahrzeug mehr auf dem Wasser.

Die Beschädigungen der russischen Schiffe beschränkten sich größtentheils auf die Masten und die Takelage; am meisten hatten in ihrer Armirung die Schiffe »Kaiserin Maria«, »Tri-Sswjatitelja«, »Großfürst Constantin« und »Rostisslaw« gelitten. Die Mannschaften gingen trotz der Ermüdung des Kampfes eilig an die Ausbesserung.

Am 2. December lichtete die Escadre des Vice-Admirals Nachimow Anker und verließ die Rhede von Sinope, indem die beschädigten Fahrzeuge von den Dampfern bugsirt wurden.

Schon am 4. langten die drei am schwersten beschädigten Schiffe auf der Rhede von Sebastopol an.

Der Taïf brachte die Kunde von der Vernichtung des türkischen Geschwaders nach Constantinopel und der Schrecken und die Verwirrung über die unerwartete Botschaft waren um so größer,[114] als Niemand an die Möglichkeit eines solchen Schlages geglaubt hatte. Von den zehn Fregatten und sechs Corvetten der türkischen Flotte waren sechs und zwei vernichtet, und die Moslems begannen zum ersten Male bedenklich zu werden über den vielgepriesenen Schutz der Westmächte.

Im Räume des Taïf langte in Fesseln Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, wieder in Constantinopel an.

1

Dieselbe operirte getrennt von der Armee am Kaukasus, die unter Befehl des General-Adjutanten Fürsten Woronzow stand.

2

Alexandropol.

3

Hundssohn.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 2, Berlin 1856, S. 102-115.
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