I. Des Donners Grollen.

[39] Ein glänzender Ball beim preußischen General-Consul in den Donau-Fürstenthümern hatte eine Anzahl Offiziere des russischen Heeres und die Elite der vornehmen Welt von Bukarest versammelt.

Herr von Meusebach, einer der wenigen Glücklichen, die sich für muthiges conservatives Auftreten in den Sturmjahren von Achtundvierzig und Neunundvierzig eines offiziellen Dankes zu erfreuen hatten, wenn auch hors de Berlin durch eine Mission in's Land der Wilden oder Halbwilden, hat seine gemüthliche und furchtlose Ruhe, mit der er einst der erbitterten Linken das Mene Tekel: »Die Versammlung riecht nach Leichen!« von der Tribüne entgegen warf, auch unter den Bojaren bewahrt und vertritt dort die Flagge seines Königs, wie schon mehrere Gelegenheiten bekundet haben, würdig und nicht ohne Glanz. Junggesell, mit Vermögen und von lebenslustigem Charakter, hat er sich vielfach den orientalischen Sitten bequemt und bildet einen Centralpunkt für den geselligen Verkehr der Fremden und Einheimischen von Bukarest.

Es ist bekannt, daß bald nach der Besetzung der Donau-Fürstenthümer das russische Ober-Kommando seine Macht auch auf die administrative Verwaltung ausdehnte und am 23. Juli den Hospodaren befahl, die Verbindung mit Constantinopel abzubrechen und den Tribut nicht mehr nach Constantinopel zu senden, sondern in der Staatskasse zu belassen. Bereits unterm 25. Juli forderte demnach Reschid Pascha die Hospodare, die Fürsten Stirbey in Bukarest und Ghika in Jassy auf, die Fürstenthümer zu[39] verlassen und nach Constantinopel zu kommen. Die eigenthümliche Zwitterstellung, welche die Regierung der Moldau und Walachei seit langer Zeit zwischen der Oberhoheit des Sultans und dem fremden, namentlich russischen und österreichischen, Einfluß eingenommen, veranlaßte die Fürsten, dem Befehl durch Zögerung auszuweichen, obschon derselbe am 30. August wiederholt wurde. Die Stellung der machtlosen Fürsten zwischen den beiden Gewalten ließ sich unmöglich länger halten und sie erklärten, die Regierung niederlegen zu wollen. Fürst Stirbey verließ mit Bewilligung des russischen Oberbefehlshabers am 29. October Bukarest und ging über Herrmanstadt nach Wien. Die Regierung blieb einem außerordentlichen Verwaltungsrath übertragen, während bald darauf General von Budberg zum russischen Commissar und außerordentlichen Civil-Bevollmächtigten in den Fürstenthümern ernannt wurde und an die Spitze der obern Leitung trat. Ebenso verließ der Fürst Ghika Jassy, um gleichfalls nach Wien zu gehen, und der General Fürst Usuroff trat dort an die Spitze des Administrationsrathes. Viele Bojarenfamilien folgten den beiden Hospodaren und zogen sich nach Österreich zurück, andere – die zum Theil von den Verhältnissen Nutzen zu ziehen hofften – blieben jedoch im Lande.

Die neue Administration brach allen Verkehr mit der Türkei ab und benachrichtigte davon die fremden Consuln. Ein Erlaß versprach den Walachen, die in die russische Armee treten wollten, verschiedene Vortheile, und die Einverleibung der moldau-walachischen Contingente wurde vorbereitet.

England und Frankreich hatten bereits im Juli gegen die Besetzung der Fürstenthümer protestirt und erklärt, daß sie eine Dauer derselben nicht dulden würden.

Am 31. October, an demselben Tage, an welchem Kaiser Nicolaus das Manifest an sein Volk mit der Ankündigung des Krieges richtete, – erhielten die englischen und französischen Generalconsuln und Consuln in den Donaufürstenthümern den Befehl ihrer Regierungen, das Land zu verlassen.

Dies war im Augenblick – jenes Fest, das wir zu Anfang dieses Kapitels erwähnt, fand am 3. November statt, – die administrative Lage in den occupirten Ländern auf dem linken Donauufer. Es ist nöthig, daß wir zunächst einen Überblick über die militairische Lage und die letzten Ereignisse geben.

Offenbar hatte sich das russische Cabinet über den Erfolg[40] sehr getäuscht, welchen ein gewaltsames Vorgehen von seiner Seite zur Lösung der schwebenden Fragen haben würde. Die Türkei hatte in militairischer Beziehung die Zusage und den Schutz Frankreichs und Englands hinter sich, an die Kaiser Nicolaus noch immer nicht glauben wollte, und das andere Europa – wie selbst von Denen nicht geleugnet wird, die auf russischer Seite in dem großen Kampfe standen, – war des mit Unvorsichtigkeit und Anmaaßung dominirt habenden russischen Einflusses müde.

Der Glaube an die Macht dieses Einflusses hatte Rußland zu seinem Vorgehen verführt, ohne daß genügende militairische Vorbereitungen getroffen waren. In anderer Beziehung ist diese Unterlassung wieder Bürge dafür, daß man die Zwecke ohne Eroberung zu erreichen glaubte.

Im Ganzen hatten nur ungefähr 77,000 Mann den Pruth überschritten, nämlich das vierte Corps, eine Division und die Reiterei des fünften, und das war natürlich eine zu geringe Macht, um damit einen Krieg gegen die Türkei zu führen. Eine Division des fünften Armeecorps rückte später von Odessa nach, und erst als die Ereignisse zeigten, daß die Türken den Kampf aufnehmen würden, erhielt das dritte russische Armeecorps, geführt vom General von Osten-Sacken, Befehl, die Armee zu verstärken und rückte in Eilmärschen nach der Moldau, die sein Vortrab am 14. November betrat.

Der größte Theil der russischen Occupationsarmee – wie gesagt circa 80,000 Mann – hatte seine Stellung in der Walachei genommen und dehnte sich entlang der Donau aus. Fürst Gortschakoff hatte sein Hauptquartier theils in Bukarest, theils in Budeschti, einem kleinen Flecken zwischen Bukarest, Giurgewo und Oltenitza, etwa fünf Meilen von dem ersteren, drei von dem letzten Orte entfernt, genommen. Der linke Flügel dieser Aufstellung in der Walachei stand unter dem Kommando des Generals Anrep, auf Kalarasch gestützt, den Türken bei Silistria gegenüber, während General Lüders die Moldaugränze bei Galacz besetzt hatte. General Dannenberg hielt die Mittellinie an der Donau und Giurgewo, Rustschuk gegenüber, und General von Fischbach den rechten Flügel an der Aluta bis Krajowa gegen Kalafat, nachdem man thörichter Weise den Türken gestattet hatte, sich hier festzusetzen. Fürst Gortschakoff behielt, wie erwähnt, die Reserve des Mitteltreffens bei sich, und die russischen Truppen waren durch das strategische[41] Talent des Generalstabs-Chefs Generals von Kotzebue so geschickt aufgestellt, daß es von dem durch die Natur so überwiegend begünstigten bulgarischen Ufer doch nicht möglich war, ihre Vertheilung und Bewegungen zu erspähen, während andererseits vierundzwanzig Stunden genügten, um 30,000 Mann russischer Truppen auf einem der Hauptpunkte zu concentriren.

Auf türkischer Seite befand sich das Hauptquartier und der Centralpunkt der Operationen gegen die Donau in Schumla, doch war in diesem Augenblick Omer Pascha bereits an der Donau im Centrum der Stellung eingetroffen. Den rechten Flügel stützte er auf Hirsowa und Silistria, von Izzet-Pascha kommandirt, den linken, bereits über die Donau vorgeschoben, auf Widdin und Kalafat.

Hier kommandirte Sami-Pascha. Der Sirdar befehligte auf dieser ausgedehnten Stellung ungefähr 100–120,000 Mann, theils Nischam (Linie), theils Redifs (Landwehr) und Baschi-Bozuks (Irreguläre)1. Eine Masse europäischer Flüchtlinge aller Länder befand sich nicht blos in seiner nächsten Umgebung, sondern auch als Offiziere und selbst als Gemeine in dem ganzen Heer, zum großen Theil Renegaten, da durch die Bemühungen des Muschirs bei dem Übertritt der ungarischen Armee im Jahre 1849 Offiziere und Soldaten in Masse dem Religionswechsel des greisen Generals Bem gefolgt waren. Es wird für die Leser, die nicht gleich eine Karte des damaligen Kriegsschauplatzes zur Hand haben, wenigstens ein übersichtliches Bild gewähren, nachstehend die einander gegenüber liegenden Hauptpunkte des linken und rechten Donauufers angeführt zu sehen. Wir beginnen von der serbisch-österreichischen Gränze aus, den Lauf der Donau bis Galatz, also bis zu dem Punkt verfolgend, wo die große Walachei, die Moldau, die Dobrudscha und das russische Gebiet von Beßarabien an ihren Ufern zusammenstoßen.


KrajowaBukarest
Kalafat – – – – –TurnulSimnitzaGiurgewoOltenitza
    –    –    –    –    –    –
WiddinRahovaNicopoliSchistowaRustschukTuturkai
KalaraschFutestie – – – – –BrailowGalatz
    –   –    –    –
SilistriaHassowaHirsowaMatschin – – – – –Isaktscha

[42] Das türkische (bulgarische) Ufer bildet bereits von Matschin aus eine fast ununterbrochen fortlaufende Bergwand, während die walachischen Ufer, mit wenigen Unterbrechungen flach und sumpfig, den Überschwemmungen der Donau ausgesetzt sind, so daß die gewöhnlichen Gränz- und Quarantainewachen am Ufer in Wachthäusern kampiren müssen. Die Donau theilt sich an vielen Stellen in mehrere Arme und bildet größere und kleinere Inseln. Ihre Breite ist demnach sehr wechselnd.

Wie bereits erwähnt, hatten die Feindseligkeiten, und zwar von türkischer Seite, bei Isaktscha2, einer kleinen türkischen Festung in der Dobrudscha, begonnen. Fürst Gortschakoff hatte den Befehl ertheilt, daß ein Theil der in den Mündungen ankernden russischen Donau-Flotille den Fluß herauf bis Galatz fahren solle, um für etwaige Operationen bei der Hand zu sein. Der Befehl lautete, bei Nacht an den Festungswerken von Isaktscha und den von den Türken dort angelegten Schanzen vorüber zu fahren; der Kommandant, Capitain Werpakhowsky, und alle Offiziere der Flotille erbaten jedoch die Erlaubniß, die Festung bei Tage zu passiren, als eine Gnade. Das Geschwader, aus den Kriegsdampfern »Pruth« und »Ordinarez«, jeder vier Kanonenboote im Schlepptau, bestehend, näherte sich um 81/2 Uhr Morgens den 23. October Isaktscha und sofort eröffneten die Türken das Feuer aus 27 Geschützen, worauf sich eine lebhafte Kanonade von beiden Seiten entspann, die fast anderthalb Stunden währte. Zwei der Kanonenboote wurden durch das türkische Feuer so beschädigt, daß sie nur bis Reni gebracht werden konnten, die anderen Schiffe jedoch trafen am Abend in Galatz ein. Ein großer Theil der Stadt Isaktscha war durch die russischen Bomben in Flammen gesteckt; unter den dreizehn Todten des kleinen Geschwaders befand sich auch sein tapferer Kommandant Werpakhowsky. Sechsundvierzig Mann wurden verwundet. –

Am 25. October hatten die Türken unter Sami-Pascha, dem Gouverneur von Widdin, den ersten Übergang über die Donau unternommen. Die zwischen Widdin und Kalafat belegene Insel wurde von einem Corps von 2000 Mann besetzt und befestigt,[43] ohne daß die Russen, deren schwache Vorposten in Kalafat standen, dies im Geringsten zu hindern suchten.

Selbst als am Nachmittag des 27. von der Insel aus die Türken unter dem Befehl von Ismaël-Pascha das linke Ufer unterhalb Kalafat betraten, sahen die russischen Offiziere von dem auf der Höhe belegenen Kaffeehause dem feindlichen Übergang gemüthlich zu, bis es zu spät war, die verlorenen Vortheile wieder zu gewinnen. Die russische Garnison räumte Kalafat, und nach Mitternacht rückte die Avantgarde der Türken dort ein. Die Stärke derselben betrug damals höchstens 7–8000 Mann. Sofort begannen sie die von Natur äußerst feste Position durch Schanzwerke zu verstärken und es bildete sich jenes über eine halbe deutsche Meile lange Vollwerk, an dem der Lorbeer des Fürsten von Warschau noch diesseits des Grabes seine ersten Blätter verlieren sollte.

Die ziemlich abgesonderte, und strategisch außerdem ganz unnütze Position war von dem Muschir kluger Weise eingenommen worden, um jenem großen Plan der Russen auf die Verbindung mit Serbien und die Erhebung des serbischen Volkes gegen die Türkei zuvor zu kommen. Wir werden später Gelegenheit haben, uns länger mit Kalafat zu beschäftigen und wenden uns daher zu den nächsten Ereignissen im Centrum der Stellung.

Am 1. November waren von den Türken hier gleichfalls mehrere Versuche gegen das linke Donauufer unternommen worden. Von Rustschuk aus etwas stromaufwärts bei Tersentschik war ein Corps von 2000 Mann über die Donau gegangen und plänkelte jetzt gegen Giurgewo, das Rustschuk gegenüber liegt. Hier kommandirte General Ssoimonoff. Es erfolgte ein Gefecht längs des Dammes der Stadt ohne größere gegenseitige Resultate. Am Morgen des 2. hatten die Türken den starken Nebel benutzt, welcher die ganze Donaugegend bedeckte, und einen Dampfer mit mehreren Kanonenböten von Rustschuk gegen Giurgewo geschickt. Die Schiffe waren schon in den Kanal eingedrungen, welcher gegen die Quarantaine führt, als sie von den Russen bemerkt wurden. Es entspann sich alsbald eine lebhafte Kanonade, die nach mehreren Stunden mit einem Rückzug der türkischen Schiffe endete. Am nächsten Tage wiederholte sich dies Spiel.

Von Tuturkai aus wurde der dritte Versuch zur selben Zeit gemacht und hier beabsichtigten, wie die späteren Ereignisse ergaben, die Türken den Hauptstoß. Tuturkai selbst war in der letzten Zeit[44] stark befestigt worden, und unter dem Schutz des buschigen und bergigen Ufers war es gelungen, ein Corps von 14,000 Mann zwischen hier und Tschischatscha zu concentriren, durch die nöthigen Reserven gedeckt, ohne daß die Russen die drohende Gefahr bemerkten. Am 1. November setzten die Türken auf die zwischen Tuturkai und Oltenitza, näher am letztern Ort liegende Insel über und begannen diese zu befestigen. Von hier aus faßten sie am 2. Position auf dem linken Ufer unterhalb Oltenitza. Am Morgen des 3. standen bereits etwa 5000 Mann auf der Insel. Das Buschwerk derselben verhinderte jedoch auch hier die Russen, die Zahl und die Vorbereitungen ihrer Gegner zu erkennen.

Der Commandeur der II. Infanterie-Division des IV. Armee-Corps, General-Lieutenant Pawloff, befehligte in Oltenitza, hatte aber nur eine geringe Truppenzahl bei sich.

Dies war die gegenseitige Stellung am Abend des 3. November. –

Fürst Gortschakoff mit seinem Adjutanten hatte selbst den Ball des General-Consuls mit seinem Besuch beehrt, und eine große Anzahl der Offiziere des Dannenberg'schen (IV.) Corps befand sich aus den umliegenden Stationen auf Urlaub anwesend, da die Gefahr an keinem Punkte sehr dringend erschien und man die Vorposten-Positionen an der Donau für genügend hielt, jeden Versuch zu vereiteln, oder die übergegangenen Streifcorps zurückzuwerfen.

Unter den Gruppen des Balles zog jene die Aufmerksamkeit auf sich, die sich um die Schönheit des Tages gebildet hatte. Es war die Gattin eines erst seit wenigen Wochen aus Paris zurückgekehrten Bojaren aus der reichen und angesehenen Familie der Bibesco, und obschon es sehr gewöhnlich ist, daß die galanten Damen von Paris, wenn sie dort ihre Rolle ausgespielt haben oder durch irgend einen Umstand sich veranlaßt sehen, Paris zu meiden, sich von ihren slavischen Anbetern, – und Paris wimmelt in Friedenszeiten von Mitgliedern des reichen slavischen, magyarischen und romanischen Adels, – zu der wilden Heimath entführen lassen, oder auch selbst auf eigene Hand nach Bukarest, Galacz und Jassy kommen, um dort einen goldenen Fisch zu angeln und mit ihrer Hand zu beglücken, – so war Madame Bibesco doch wohl geeignet, unter allen ihren Nebenbuhlerinnen den Sieg davon zu tragen.[45]

Eine hohe, schlanke Gestalt, das Haar cendré, der Teint sein und leicht geröthet, ein Bild, das dem Leser nur flüchtig am Abend des 5. Juli in der Straße St. Josef zu Paris von uns vorgeführt worden ist. Der spöttisch verzogene Mund warf rechts und links seine Wortblitze, während das schmachtende Auge durch die brillanten-besetzte Lorgnette achtlos über den Kreis hinaus kokettirte, der sich um sie gebildet hatte.

Plötzlich erbleichte das schöne Gesicht und dann schoß eine dunkle Röthe auf Hals und Antlitz. Frau von Bibesco wandte sich rasch zu einem der Offiziere und begann ein gleichgültiges Gespräch, während dessen sie ihre Aufregung zu unterdrücken suchte. Alsdann wieder das Lorgnon vornehmend, ließ sie ihre Blicke nochmals wie zufällig durch den Saal schweifen und endlich an einer entfernten Gruppe älterer Offiziere haften.

»Können Sie mir sagen, Herr von Szamarin,« wandte sich die Dame an einen ihrer Verehrer, einen Ulanen-Major vom Regiment Olwiopol, »wer der junge Offizier ist, so viel ich von Ihren Uniformen verstehe, von der Garde, der eben mit dem Oberbefehlshaber spricht? Mich dünkt, ich müßte dies interessante Gesicht bereits gesehen haben.«

»Ich kann Ihnen dienen, gnädige Frau,« erwiederte der Offizier galant. »Mit Ihren scharfen Augen haben Sie einen Adonis der russischen Armee herausgefunden, Fürst Iwan Oczakoff, und es ist möglich, daß Sie ihn bereits gesehen, da er einige Zeit der Gesandtschaft in Paris beigegeben war. Ich habe die Ehre, den Fürsten und seine schöne Schwester, die, wie ich höre, leider krank von Paris zurückgekehrt ist, von Petersburg her zu kennen. Er steht augenblicklich beim Stabe des Fürsten Mentschikoff und ist gestern als Courier mit Depeschen von Odessa hier eingetroffen. Befehlen Sie, daß ich Ihnen den Fürsten vorstelle?«

»Sie werden mich verbinden, Herr Major.«

»Aber nur unter der Bedingung, schöne Frau, daß wir dabei nicht zu kurz kommen, und Fürst Oczakoff, der doch nach dem deutschen Reiterliede nur ›im Sturme um den Minnesold werben! Kann‹, Sie uns nicht entführt.«

Der Major verließ die Gruppe und näherte sich dem Fürsten, der jetzt, von dem General en chef entlassen, mit mehreren jungen Offizieren plauderte.[46]

Die Blicke der Dame folgten ihm nicht ohne Unruhe, – nur zerstreut setzte sie die Unterhaltung mit ihrer Umgebung fort.

»Sie haben eine Eroberung gemacht, Fürst,« sagte scherzend Herr von Szamarin zu diesem, »ohne daß Sie es wissen. Madame Bibesco, die Königin des Balles, wünscht, daß ich Sie ihr vorstelle.«

»Ich habe nicht die Ehre, die Dame zu kennen.«

»Eben deshalb will ich Sie vorstellen. Kommen Sie, Fürst. Die schöne Celeste Bibesco ist eine Pariserin und wird Sie dort wahrscheinlich gesehen haben, wenigstens glaubt sie es.«

Halb gezwungen folgte Fürst Iwan dem Kameraden, der ihn zu der schönen Bojarenfrau führte.

»Hier, Madame, erlaube ich mir, Ihnen unsern gefährlichen Nebenbuhler um Ihre Gunst vorzustellen, Fürst Iwan Oczakoff. Er stammt aus dem Lande, wo Achill einst vor dem trojanischen Krieg verborgen wurde, und ich hoffe, er hat für die Pfeile aus Ihren schönen Augen auch nicht einmal die verwundbare Stelle, die sein berühmter Landsmann besaß.«

»Man muß nach Rußland kommen,« sagte die Dame lächelnd, »um die pariser Complimente noch übertroffen zu sehen. Ich höre, Sie waren noch in diesem Sommer in Paris, mein Fürst?« – Ihr Auge lag scharf und deutungsvoll auf ihm.

»So ist es, Madame.«

»Und wann verließen Sie es?«

»Am Abend des 5. Juli.«

»So bald schon? Ich glaubte, Sie noch später dort gesehen zu haben. Es scheint, daß der 5. Juli ein wichtiger Tag für viele Personen gewesen ist, auch mir war er ein solcher.«

Der Fürst wurde aufmerksamer.

»Meine Abreise kam plötzlich, deshalb habe ich das Datum genau behalten, Madame.«

»Ich zweifle nicht daran, mein Prinz. Ungewöhnliche Ereignisse haften fest in der Erinnerung, wie es scheint, fester selbst als Gefühle.« Ihr Blick flog rasch umher – die umgebenden Herren hatten sich rücksichtsvoll einige Schritte zurückgezogen und plauderten, – sie sah sich unbeachtet und benutzte den Augenblick. »Ich hätte kaum geglaubt, Sie glücklich und so bald nach jenem furchtbaren Abend wiederzusehen.«

»Madame – –«[47]

»Jetzt wird es mir freilich klar, auf welche Weise es Ihnen gelang, sich zu befreien. Die arme Nini!«

Der Fürst war sehr bleich, in seinem Innern kämpfte sichtlich eine große Aufregung.

»Madame – ich verstehe kaum – –«

»Ei, mein Gott, warum sich der kleinen Avantüre schämen, mein Prinz! Ich bin, wenn Sie es wünschen, die Discretion selbst, nehme aber natürlich auch die Ihre in Anspruch. Wenn Sie Lust haben, weiter mit mir zu plaudern, so sage ich Ihnen den zweiten Contretanz zu. Im Augenblick bin ich engagirt und ich sehe eben meinen Tänzer nahen. Au revoir, mon Prince!«

Am Arm ihres Echapeaus rauschte sie in die sich bildenden Reihen, während das Orchester den wilden Mazurka begann.

Der Fürst starrte ihr nach – seine Augen blieben in ernstem Nachdenken auf die unerwartete Erscheinung gerichtet. Dann legte er die Hand sinnend an die schöne Stirn und suchte eines der Nebenzimmer auf, wo er ungestört seinen Gedanken nachhing.

Erst die Takte, welche zum Antreten der Quadrille riefen, weckten ihn. Er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben und eilte in den Saal zu seiner Tänzerin, die ihn bereits mit Ungeduld erwartete.

Während die Touren wechselten, spann sich das Gespräch lebhaft weiter.

»Darf ich fragen, ob Sie Nini wieder gesehen haben?«

»Nein, Madame.«

»Ich dachte es mir,« sagte die schöne Frau mit sichtlicher Erleichterung. »Sie haben demnach gleich nach dem entsetzlichen Auftritt Paris verlassen?«

»So ist es.«

»Es konnte Ihnen natürlich nicht schwer werden, Ihre Identität zu beweisen. Doch war es edel und schön von Ihnen, mein Prinz, sich für Ihren Gegner zu opfern.«

Der Tanz unterbrach die Unterhaltung.

»Und Nini?« fragte der Fürst, von der Tour zurückkehrend.

»Mon Dieu! die Kleine begleitete ihren Bruder und war am andern Morgen spurlos verschwunden. Wir hatten uns alsbald getrennt, um jede Spur zu verwischen, und ich wagte es erst einige Zeit nachher, unter der Hand mich zu erkundigen. Aber seltsam, auch die Polizei hatte keine Nachfrage angestellt, obschon der Mensch schrecklich kompromittirt sein mußte.«[48]

Sie schien die Sache mit einiger Verlegenheit zu umgehen. »Sie sind mir die Erzählung Ihres weitern Abenteuers schuldig, mein Prinz.«

Der Tanz hatte geendet, der Fürst führte die Dame nach ihrem Platz. »Ich fühle ganz die Pflicht, die ich habe, und sie zu lösen ist für mich wichtiger, als es für Sie von Interesse sein kann, nur scheint hier kaum der Ort dazu. Würde Frau von Bibesco nur wohl erlauben, ihr morgen meine Aufwartung zu machen?«

»Fürst Oczakoff wird mir stets willkommen und ich werde von zwölf Uhr an für ihn allein zu Hause sein. – Doch sehen Sie, Fürst, – es muß sich etwas Ungewöhnliches ereignet haben. Ihre Herren Kameraden treten zusammen und ich sah eben Fürst Gortschakoff mit mehreren Generalen durch jene Thür sich entfernen. Bitte, gehen Sie und erkundigen Sie sich, wir Frauen sind neugierig.«

Auch der Fürst bemerkte, daß eine besondere Aufregung im Saale stattfand und die Offiziere in Gruppen zusammentraten. Er beurlaubte sich mit einer Verbeugung und eilte zu der Menge, die sich namentlich um die Thür zu einem der Nebengemächer versammelt hatte, aus dem jetzt Baron von Meusebach seinen Gästen entgegentrat.

»Seine Durchlaucht,« sagte der General-Consul mit lauter Stimme, »bitten die werthe Gesellschaft mit mir, sich durchaus nicht zu beunruhigen oder stören zu lassen. Es sind einige Depeschen eingegangen, die den Fürsten für kurze Zeit in Anspruch nehmen, aber keineswegs irgend eine Besorgniß rechtfertigen. Meine Herren, ich bitte Sie, in dem Tanz fortzufahren.«

Das Orchester begann auf seinen Wink auf's Neue, doch nur wenige Paare bildeten die Colonne. Man flüsterte in Gruppen oder verkehrte mit den Adjutanten, die hastig aus den Gemächern, wohin sich der Fürst zurückgezogen hatte, ab und zu gingen und hier und da einem der Offiziere einen Befehl zu bringen schienen. Man bemerkte, wie alsbald die Angeredeten aus dem Saale verschwanden, und von der Pforte des Hauses aus klang der Galopp der Davonsprengenden herauf.

Fürst Iwan wandte sich an einen ihm bekannten Artillerie-Offizier und fragte ihn nach dem Vorgefallenen.

»Der Teufel ist los!« sagte der Capitain. »Pawloff hat uns[49] bei Oltenitza die Türken über den Hals kommen lassen und ist bereits heute Mittag von ihnen zurückgedrängt worden. Kommen Sie, Fürst, wir hören die sichersten Nachrichten von dem Boten selbst.«

Er nahm ihn unter den Arm und führte ihn durch die Menge zum zweiten Salon, wo am Büffet eine Anzahl Militairs um einen staub- und schmuzbedeckten Kosaken-Offizier versammelt war, der, am Tisch sitzend, große Gläser starken Arracpunsches hinunterstürzte. Die Unterhaltung wurde hier russisch geführt und das andere Publikum hatte sich daher zurückgezogen.

»Nun, Herr Kamerad,« sagte Capitain Besutoff zu dem Kosaken, »kann man von Ihnen erfahren, welche Nachrichten Sie gebracht haben, oder ist die Sache Geheimniß?!«

»Warum halten hinter dem Berg mit der Sach', die doch sein püblic morgen früh!« radebrechte der Kosak. »Wir haben bekommen Schläg', starke Schläg'; die Herren Muselmann, meine Colleg', waren gekommen zu viel und haben gedrängt uns zurück. Wir werden haben morgen starke Affair'.« Er hob das neugefüllte Glas und betrachtete den Inhalt schmunzelnd durch das Licht. »Dieser Punsch sein ser gut. Auf kuten Erfolg, meine Herren Kamerad'!«

Der Bursche leerte das große Glas auf einen Zug. Indeß die Offiziere sich bemühten, die Details aus ihm herauszuholen, trat einer der Adjutanten des Oberbefehlshabers zu der Gruppe.

»Seine Durchlaucht hat den Ball verlassen, meine Herren, und sich in sein Quartier begeben. Sie werden wohlthun, sich fertig zu machen und möglichst schnell im Hotel einzufinden, um ewige Befehle in Empfang zu nehmen. Wir brechen noch diese Nacht auf nach Budeschti. Sie, Herr Lieutenant,« er wandte sich zu Iwan, »wünscht der Fürst gleichfalls zu sprechen.«

Ein allgemeiner Aufbruch der Gesellschaft erfolgte. Als Fürst Oczakoff in den Ballsaal zurückeilte, um die schöne Bojarin noch zu sprechen, fand er, daß sie bereits mit ihrem Gatten das Fest verlassen hatte, das jetzt rasch ein Ende nahm.

Die Offiziere eilten theils nach ihren Quartieren, theils nach den Kasernen, oder direct nach dem Hotel des Oberbefehlshabers. Fürst Iwan traf hier bereits die Vorgemächer voll von Ordonanzen und Offizieren aller Waffengattungen. In dem Saal des Hauses, wohin er mit mehreren Andern beschieden wurde, fand er den[50] Fürsten mit der Generalität und den Mitgliedern des Generalstabs um die Karten versammelt.

Der Oberbefehlshaber dictirte eben die General-Ordre an den Chef des 4. Corps, General von Dannenberg, für die Action des kommenden Tages. Sie lautete: »In der Umgegend von Dobrény und Negoeschti die erste Brigade der 11. Infanterie-Division mit der Batterie Nr. 3 und die leichte Batterie Nr. 5 der 11. Artillerie-Brigade, 6 Escadronen des Ulanen-Regiments Olwiopol mit 2 Geschützen der 9. Batterie der donischen Kosaken und 300 Kosaken vom donischen Regiment Nr. 34 zu concentriren, bei dem Dorfe Mitréni-Fundéni Stellung zu nehmen und mit diesen Streitkräften den Feind von diesem Punkt aus anzugreifen.«

Zugleich wurden Spezial-Ordres an alle diese einzelnen zwischen der Saltscha und dem Mostische cantonirenden Truppen zum sofortigen Ausmarsch gefertigt und die Adjutanten und Ordonanzen flogen damit nach allen Seiten davon.

Der Regen goß in Strömen vom Himmel, die wenigen Straßen und Wege waren bereits grundlos.

In einer Pause der Geschäfte wandte sich der Ober-Kommandirende an den jungen Mann. »Ich habe Sie rufen lassen, Herr Lieutenant, um Ihnen mitzutheilen, daß Sie mich nach Budeschti begleiten und der Affaire beiwohnen werden. Sie haben damit Gelegenheit, sich die Sporen und« – fügte er lächelnd hinzu – »den noch mangelnden Bart zu verdienen. Ich hoffe, Sie mit guter Botschaft von Ort und Stelle an den Herrn Marine-Minister zurücksenden zu können. In zwei Stunden brechen wir auf. Sie werden Pferde aus meinem Marstall nehmen.«

Er winkte zur Entlassung und wandte sich zu einem andern Offizier.

Der Fürst trat ab ziemlich betroffen und mißlaunig, denn er schien große Wichtigkeit auf die Unterredung mit Frau von Bibesco gelegt zu haben und sah diese jetzt vollständig vereitelt. Major Szamarin begegnete ihm.

»Ich höre, Sie werden dem Scharmützel im Generalstabe beiwohnen. Doch wollen wir uns sputen, daß wir mit den lieben Moslems fertig sind, ehe Sie kommen. Gute Nacht oder guten Morgen, Kamerad, ich muß zu meiner Escadron, die Kerls werden sich freuen, daß endlich der Tanz losgeht.«

Beide reichten sich die Hand und trennten sich, der Major,[51] um mit seiner Escadron aufzubrechen, der Fürst, um rasch noch seine kurzen Vorbereitungen zu treffen.

Zwei Stunden darauf wirbelten die Trommeln durch die Straßen und eine Infanterie-Colonne setzte sich bei Sturm und Regen in Bewegung.

Beim ersten Dämmern des Tages folgte ihr der Oberbefehlshaber mit seinem Stabe nach Budeschti. –

Oltenitza, wo der erste größere Kampf dieses Krieges ausgefochten werden sollte, ist ein kleiner Ort an dem Flüßchen Argisch, kurz vor dessen Einfluß in die Donau, die hier etwa 630 Schritt breit ist und in deren Mitte, doch näher dem linken Ufer und Oltenitza gegenüber, wie wir bereits erwähnt haben, eine ziemlich große, stark bewaldete Insel liegt. Links von dem etwas landeinwärts gelegenen Städtchen befindet sich näher am Ufer der Donau das große steinerne Quarantainegebäude, in dessen Nähe mehrere alte, nach der Landseite offene Schanzen und Erdwerke vorhanden waren, von den Russen in früheren Kriegen gegen die Türken aufgeworfen. Der Argisch bildet an seinem Ausfluß sich bis an's Donauufer erstreckende Sümpfe, welche die Position beengen und schützen.

Hier hatte wegen der geringeren Breite der Donau auch bei dem Feldzuge von 1828 die russische Armee mit 40,000 Mann am 23. Juni ihren Übergang nach dem bulgarischen Ufer bewerkstelligt.

Wir haben bereits angeführt, daß die Türken am 2. im Schutz des Nebels ein kleines Corps von der Insel aus auf das linke Ufer geworfen und sich dort in jenen russischen Schanzen festgesetzt hatten. Mustapha-Pascha und der spanische Abenteurer General Prim von Reuß, ein ehemaliger preußischer Lieutenant, der durch die Weiberwirthschaft in Spanien sich zu solchem Range emporgeschwungen hat und mit der Speculation nach der Türkei gekommen war, mindestens ein Oberkommando zu erhalten, – leiteten die Unternehmung. Im Laufe des 3. – es war ein Donnerstag – hatte sich die Zahl der übergesetzten Truppen bedeutend vermehrt und drängte die russische Vorpostenlinie auf Oltenitza und die in Kanonenschußweite hinter dem Ort belegene befestigte Reservestellung zurück. Am Nachmittag entspann sich ein Gefecht, bei dem die Russen – größtentheils nur Kosaken – sehr im Nachtheil waren und Oltenitza räumen mußten, während die[52] Türken ihre Stellung überaus befestigten, auf der Donauinsel zwei Batterieen errichteten und das Quarantainehaus zu einer solchen umgestalteten. Fortwährend kamen zugleich Verstärkungen vom rechten Donauufer an.

Diese mißlichen Umstände waren es, die General Pawloff dem Höchstkommandirenden am Nachmittag des Dritten nach dem etwa acht Stunden von Oltenitza entfernten Hauptquartier gemeldet hatte.

Am Freitag Morgen – der Freitag ist der Sonntag der Moslems – standen bereits 14–15,000 Türken3 verschanzt auf dem linken Donauufer in überaus vortheilhafter Position. Dieselbe lehnte sich rechts an die Donau, links an den Argisch. Ihr rechter Flügel war überdies durch mehrere terrassenförmige Batterieen von zusammen 40 Geschützen am rechten Donauufer und auf dem alten Schloß von Tuturkai, ihr linker Flügel durch die beiden bestreichenden Batterieen auf der Donauinsel gedeckt. Die Front, in deren Mitte das steinerne mit 6 Kanonen besetzte Quarantainehaus stand, war durch Schanzkörbe und Pallisaden geschützt, welche sie vom rechten Donauufer herüber gebracht hatten.

Während des ganzen Morgens und Vormittags feuerte die Artillerie gegen einander, doch in solcher Entfernung, daß wenig Erfolg auf beiden Seiten sich zeigte. Gegen Mittag endlich klärte sich das Wetter auf und zugleich rückten von Mutréni-Fundéni und Szanzowa her die consignirten Truppen des Generals von Dannenberg in die ihnen bezeichneten Stellungen.[53]

Dieselben waren, Alles in Allem, 8000 Mann stark4, da die Regimenter alten Schlages, das heißt sehr unvollständig, waren.

General von Dannenberg hatte sich mit dem Stabe unfern Oltenitza aufgestellt. Die Kosaken plänkelten auf beiden Seiten, obschon die Stellung des Feindes jeden Flankenangriff hinderte. Das Selenginski'sche Infanterie-Regiment (Nr. 21) unter Oberst Sabatinski, und das Jakutzki'sche Regiment (Nr. 22), geführt vom Oberst Bjalui, standen in Kanonenschußweite in spitzem Winkel aufgestellt, die Mitte für die Artillerie freilassend, die General-Major Wedowitschenko kommandirte. Die Ulanen unter General-Major Kosljaninoff bildeten die Reserve.

Da die Stellung der Türken nirgends umgangen werden konnte, beschloß der General den Frontalangriff. Schon während der Aufstellung der Truppen hatte die türkische Artillerie ihr Feuer aus allen Geschützen und selbst aus einigen auf dem rechten Ufer aufgestellten Mörsern begonnen.

Um ein Uhr gab der russische Befehlshaber das Zeichen zum Angriff und sandte die beiden Batterieen Nr. 3 und 5 bis auf etwa 13–1400 Schritt Entfernung von den feindlichen Schanzwerken vor, wo sie abprotzten und sofort das Feuer gegen die türkischen Verschanzungen eröffneten.

Während einer Stunde spielte die Artillerie, auf beiden Seiten trefflich bedient, wobei es jedoch der russischen gelang, bis auf Kartätschenschußweite vorzugehen.

Die Trommeln wirbelten nunmehr zum Angriff und vier[54] Bataillone des Selenginski'schen, nebst zwei des Jakutzki'schen Regiments formirten die Sturmcolonne, kommandirt von Oberst Sabatinski.

In diesem Augenblick traf der Oberbefehlshaber, Fürst Gortschakoff, mit seinem Gefolge auf dem Schlachtfelde ein.

Die Artillerie gab noch eine Salve, dann wandte sie sich zur Rechten und Linken, und beschoß die Schanze und die Insel, während die Colonne im Sturmschritt vorging.

Der erste Aufstoß war fürchterlich – der Tod hielt seine reiche Ernte. Die Geschütze im Quarantainehause schwiegen, bis die Colonne auf hundert Schritt an die Pallisaden heran war, und begannen dann ihr Kartätschenfeuer auf die dichtgedrängte Masse.

Die Colonne wankte, doch der Zuruf der Offiziere hielt sie zusammen und trieb sie vorwärts.

Eine zweite volle Lage begrüßte sie, kaum dreißig Schritt von den Verschanzungen, eine der Kugeln riß den tapfern Veteran zu Boden, der sie führte.

Dies Mal widerstand die russische Tapferkeit nicht, die Bataillone wichen und stürzten in wilder Flucht zurück; zugleich warf sich die zur Seite des Quarantainehauses, zwischen diesem und der alten Schanze gedeckt aufgestellte Kavallerie auf die Weichenden und trieb sie in wilder Flucht vor sich her. Die russische Artillerie vermochte nicht ein Mal, zum Schutz der Ihren zu feuern, so dicht geballt in einander waren Freund und Feind.

»Nun, Fürst, verdienen Sie sich das Hauptmannspatent. Hinunter zu Kolsjaninoff, er soll angreifen und den Leuten Luft schaffen.«

Iwan verbeugte sich vor dem Kommandirenden und gab seinem Pferde die Sporen; in wenig Augenblicken war er bei den Ulanen und hatte die Ordre überbracht.

»Abgeschwenkt, erste, dritte und fünfte Escadron rechts, die zweite und vierte links, die sechste in Reserve. Galopp! Marsch!« Die Kommando's erklangen, die Trompeten bliesen, und im Galopp sausten die braven Ulanen über das schlimme Terrain, während durch die Mitte bereits die Spitzen der Fliehenden anlangten.

Die türkische Kavallerie, aus Husaren und syrischen Baschi-Bozuks bestehend, erhielt von zwei Seiten den Stoß und konnte nur schwer widerstehen. Dieselben Ursachen, welche die russische Artillerie behindert hatten, dienten auch jetzt den Gegnern zum Nachtheil.[55] Ein wildes Einzelngefecht entspann sich, namentlich auf der Seite der Baschi-Bozuks, die mit ihren Lanzen den Ulanen das Gleichgewicht zu halten vermochten.

Hier, neben Szamarin im dichtesten Gewühl, befand sich der junge Fürst. Sein Gesicht war bleich, doch die Augenbrauen finster zusammengezogen, wie von einem festen Entschluß. Seine Rechte hielt den Degen, doch nur zur Verteidigung, – diese Klinge war noch rein von Blut!

In solcher Nähe war der Kampf mit den wilden Söhnen der syrischen Steppen furchterregend. Die braunen Gesichter mit den blitzenden Augen, die wilden ungewohnten Gestalten in der seltsamen oft zerlumpten Tracht, konnten selbst die Kaltblütigkeit eines alten Soldaten verwirren. Dem Fürsten blitzte und wogte es vor den Augen, bis er einen scharfen Schmerz an seinem linken Arm hingleiten fühlte, ein Lanzenstich, für seine Brust bestimmt, hatte ihn leicht verwundet. Im Augenblick darauf hieb Szamarin den Turkomanen vom Pferde.

»Vorwärts, Kamerad, nicht geschont die ....«

Der schwere Schlag eines Yatagans traf durch den Kalpak hindurch seine Stirn, zugleich durchbohrte eine Pistolenkugel seine Brust, – der Tapfere breitete die Arme weit aus – in der Faust noch den Säbel hoch geschwungen – dann stürzte er unter die Hufe der Pferde, die nur den zuckenden Leichnam zertraten.

Dies Mal war es der jungfräuliche Stahl, der den Tod des Kameraden rächte und sich tief in die Seite des Schützen begrub. Ein wilder Schreckensruf erfolgte, als der Türke, offenbar ein Offizier höheren Ranges, fiel, und zugleich brach von der Seite her die Reserve der sechsten Escadron in den Feind. Die regulairen Reiter wandten sich zur Flucht, im Augenblick war diese allgemein; im Carriere nach dem Ufer, bis in's Wasser der Donau hinein, jagte die türkische Kavallerie, verfolgt von den Ulanen, bis das Flankenfeuer von den Batterien der Insel diesen Einhalt gebot und sie zurücktrieb.

Bleich, schwankend auf seinem Roß, den blutigen Stahl noch an der Hand hängend, kam Fürst Iwan in den Reihen der schwergelichteten Escadrons zurück. Ein alter bärtiger Unteroffizier führte am Zügel den prächtig geschirrten Araber, dessen Sattel sein Stoß eben geräumt hatte. –

»Sie sind ein Glückskind, Fürst,« sagte der Cornet an seiner[56] Seite; »ich glaube, es war der Führer dieser Horden, den Sie getroffen haben. Vielleicht findet sich in diesen goldverbrämten Satteltaschen ein Ausweis; schade, daß wir nicht Zeit hatten, den Kerl selbst zu durchsuchen.«

In der That fand man in diesem Reservoir der türkischen Soldaten neben dem Tabacksbeutel die Ordres des Tages, welche erwiesen, daß der Getödtete Hassan-Pascha, der Führer der Kavallerie des Corps, war.

Der Oberbefehlshaber selbst kam der zurückkehrenden Kavallerie entgegen und hörte die dem Kommandirenden erstatteten Rapporte an, während die Colonnen sich wieder sammelten und formirten. Hierbei wurden auch die in dem Sattelzeug des gefallenen türkischen Führers gefundenen Ordres und Papiere übergeben, und von einem der Offiziere, der türkisch verstand, schnell übersetzt.

Sie schienen von Wichtigkeit, denn während die Artillerie von Neuem ihr Spiel begann, zog sich der General en chef mit dem Kommandirenden des Corps und einigen der älteren Stabsoffiziere zu einem kurzen Kriegsrath zurück.

Derselbe war in wenig Minuten beendet, und indeß General Dannenberg auf's Neue seine Befehle für den Angriff ertheilte, winkte der Oberkommandirende den jungen Fürsten zu sich. –

»Ich gratulire, Herr Capitain« sagte er freundlich; »Sie haben sich in Ihrer ersten Affaire ausgezeichnet, wie ich sehe, selbst auf Kosten einer Wunde, und uns zugleich einen wichtigen Dienst geleistet. Ich breche in diesem Augenblick nach Giurgewo auf, wo, wie ich aus den gefundenen Papieren ersehe, unsere Positionen zugleich bedroht sind. Sie bleiben bei General Dannenberg zurück, der Sie später mit Depeschen an General Anrep und General Lüders senden wird. Von Galacz aus begeben Sie sich nach Odessa zurück. Ich hoffe, Herr Capitain, wir sehen uns bald wieder.«

Er galoppirte davon und Fürst Iwan schloß sich, nicht ohne geheimen Stolz und dennoch trübe und ernst, dem Stabe des Kommandirenden an.

Der Tag neigte sich stark, es war bereits 4 Uhr. General Dannenberg hatte die Ordre erhalten, noch einen kräftigen Angriff zu machen und die Türken womöglich aus ihrer Position zu verdrängen, jedenfalls aber die eigene Stellung zu halten.

Die Trommeln gaben das Zeichen zum Antreten, und wiederum gingen die Batterieen vor und eröffneten das Feuer. Dies Mal[57] hatten alle acht Bataillons das Kommando zum Sturm, während die Hälfte der Ulanen mit den Kosaken nachrücken und die türkische Kavallerie in Schach halten sollte. General-Major Ochterlone, ein Ire von Geburt, der Commandeur der Brigade, übernahm selbst das Kommando.

Der Sturmmarsch wirbelte in kurzen Schlägen; die beiden Colonnen setzten sich in Geschwindschritt, die Eine gegen das Quarantainehaus, die Zweite gegen die große Verschanzung.

Beide gelangten zu gleicher Zeit – ohne daß die feindliche Artillerie feuerte, – an das Ziel, die Erste an die Pallisaden, die Zweite an die mit Wasser gefüllten Gräben vor den Schanzen.

In diesem Augenblick begann auf ein von den letztern aus gegebenes Signal ein mörderisches Feuer aus den maskirten Batterieen der Schanzen, aus den Kanonen des Quarantainehauses und von Tuturkai herüber. Zugleich eröffneten die auf der Schanze und im Gebäude postirten Scharfschützen – nach dem mehrfach hörbaren italienischen Kommando meist Piemontesen – ein tödtliches Feuer auf die Anstürmenden.

An den Pallisaden wogte der Kampf in wildester Heftigkeit auf und nieder, die Leichen thürmten sich in Haufen, der Tod hielt seine gräßliche Ernte unter den Russen.

Die finstern verbissenen Männer sanken ohne Klage, noch im Sterben den Feind bedrohend.

Vergebens war der Ansturm; die Pallisaden zwar fielen unter dem Andrängen der Tapfern, die sie mit den Händen aus dem Boden rissen und die stürzenden mit ihren Leichen deckten. Hinter der Wand von Holz starrte die Wand der Bajonette, aus den Fenstern des Hauses regneten die Büchsenkugeln der Scharfschützen und die Kartätschen der Inselbatterieen schlugen grimmig in die Reserve.

Drüben an den Schanzen tobte der Kampf nicht minder heftig. Von den Nachfolgenden getrieben, warfen sich die Vorderreihen in die wassergefüllten Gräben, deren Fluth ihnen bis an den Hals ging. – Das Gewehr hoch in der Hand drangen sie vor, wer glitt, wer stürzte, war rettungslos verloren, die Füße der eigenen Kameraden traten ihn in den Grund. An dem Wall klommen sie empor, Zehn, Zwanzig, Hundert stürzten herab in das nasse Grab, aber hier krallte sich Einer fest auf der Böschung, dort ein Zweiter, ein Dritter, Hundert standen auf dem Wall:[58]

»Hurrah! die erste Schanze ist erstürmt!«

Die fliehenden Türken warfen sich auf ihre Kavallerie, Verwirrung, Toben überall, die Reiter setzten in den Strom, um die Insel zu erreichen, selbst die Infanteristen stürzten sich in die Wellen nach den Booten und Schiffen.

»Victoria!«

Aber der Ruf war zu früh. Von der zweiten flankirenden Schanze donnerten die Kartätschenladungen in die Sieger und rissen breite Lücken. Von Tuturkai herüber schmetterten die Paßkugeln Tod und Verderben in die Reihen, ein mörderisches Feuer erhob sich von den Booten.

Von der Front des Quarantainegebäudes wichen die Tapfern, das Kreuzfeuer der Batterieen war nicht auszuhalten. Zum Glück explodirten, von den russischen Kugeln entzündet, zwei Pulverkasten in dem Gebäude selbst und rissen breite Spalten in die kugeldurchlöcherten Mauern, so daß sich die türkische Artillerie daraus zurückziehen mußte.

Aber am Ufer faßte sie neues Posto und bestrich von hier aus den Platz um das Haus und die eroberte Schanze.

Ein weiterer Angriff auf die von der Insel und Tuturkai her gedeckten übermächtigen Massen wäre Wahnwitz gewesen. General Dannenberg gab das Zeichen zum Rückzug.

Die Ambulancen nahmen unter dem Schutz von Kavallerie-Pikets dicht vor der türkischen Stellung unbehindert ihre Verwundeten auf. Zwölfhundert Todte und Verwundete deckten von russischer Seite das Feld, – fast sämtliche Majors, beide Obersten waren verwundet, achtzehn Offiziere unter den Leichen; – die gesicherte Position hatte den Verlust der Gegner bedeutend geringer gelassen.

Der Sieg war unentschieden; das Dunkel des Abends lagerte sich über die blutgetränkten Fluren, die Türken campirten am Donauufer und in der größeren Schanze, die sie behauptet hatten, die Russen zogen sich auf Oltenitza zurück.

Hier – das Städtchen war verschont geblieben von dem Kampf, – in der Stube eines kleinen Häuschens fertigte General Dannenberg zunächst die Depeschen, mit denen Boten nach allen Seiten abgingen. Capitain Fürst Oczakoff erhielt die Ordre, zunächst nach Kalarasch zu General Anrep, so wie für General Lüders oder den Kommandirenden von Galacz, General Engelhard, die[59] Depeschen zu überbringen, welche eiligst alle disponiblen Truppen requirirten.

Die Nacht lag mit ihren feuchten Nebeln über Flur und Strom, als der neue Capitain mit seinem Diener und zwei Ordonanz-Kosaken durch die Straßen des Orts schritt, um sich eine Strecke unterhalb Oltenitza im Schutz des Dunkels in einem Fischerboot zur Fahrt nach Kalarasch einzuschiffen.

Von dem Schlachtfelde her trugen die Windstöße hin und wieder seltsame Töne herüber. Aus den Häusern, die zu Lazarethen eingerichtet waren, drangen die Klagen und Seufzer des Schmerzes; – ein Zug dunkler Gestalten auf dem Wege zur Kampfstätte defilirte an ihnen vorüber: – die Todtengräber gingen an ihr Geschäft! –

1

Baschi-Bozuks, zu Deutsch etwa Wirrkopf.

2

Das alte Ägisus. Auf dem beßarabischen Ufer der Donau, tiefer hinein im Lande, zwischen dem Kilia-Arm und dem Jalpuk-See, liegt die russische Festung Ismaël, berühmt durch Suwaroff's Sieg, auch durch Byron's Don Juan bekannt.

3

Die Angaben der Zeitungen über die Stärke des türkischen Corps waren damals sehr verschieden und schwankten zwischen 12- und 23,000 Mann (Ostdeutsche Post, Telegraphische Depesche des Preußischen Staats-Anzeigers aus Bukarest). Das Journal de Constantinople war sogar naiv genug, seine erste Angabe von 12,000 Mann auf 3700 zu reduziren, während es die russische Macht auf 25–30,000 Mann angiebt. Bis jetzt ist noch keine irgend zuverlässige und brauchbare Geschichte des Donaufeldzuges bekannt, selbst die offiziellen Rapports sind spärlich und unvollständig und die Zeitungsmittheilungen geben, namentlich über die Treffen bei Oltenitza, die widersprechendsten Nachrichten. – Unter diesen Umständen dürfte das vorliegende Buch, da dem Verfasser besondere Privatquellen zu Gebote standen, zugleich das Verdienst einer ersten übersichtlichen und detaillirten Geschichte haben. Nach diesen Quellen war das ganze, bei Tuturkai concentrirte Truppencorps, 14,000 Mann, über die Donau gegangen und wurde durch Zuzüge bis zum 4. verstärkt. Die Reserven blieben auf dem rechten Donauufer.

4

Nach dem Etat hätten die kommandirten russischen Truppen betragen müssen:

Jedes der beiden Infanterie-Regimenter der 11. Division:

4008 Mann Combattanten und

89 Offiziere 8194 Mann,

6 Escadrons à 187 Mann

inclusive Offiziere 1122 Mann,

2 Batterieen à 178 Mann 356 Mann,

Kosaken 300 Mann,

2 Geschütze 60 Mann,

–––––––––

10,032 Mann,

mit 18 Geschützen. Hierzu die zusammengezogenen Vorposten-Linien der Kosaken. Die russischen Regimenter waren jedoch, wie erwähnt, damals so unvollständig, daß schon die Gesammtzahl 8000 eine sehr hochgegriffene ist. Offiziere, welche die Affaire mitgefochten haben, behaupten, daß nur 6000 Mann versammelt waren, und der Ausgang scheint diese Annahme zu bestätigen.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 2, Berlin 1856, S. 39-60.
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