Varna.

[259] Das Geschick der Städte und Orte wechselt wie das der Menschen; Metropolen versanken in Schmuz und Trümmer; wo der Handel der Welt einst sein Gold streute und Tausende fleißiger Hände thätig waren, herrscht ein Jahrzehend darauf Einsamkeit und Elend. So auch umgekehrt – die öde Stätte, die kaum genannt wird unter den Namen, läßt ein plötzlicher Umschwung zum wichtigen Stapelplatz werden. Eine halbe Welt versammelt[259] sich an der Einsamkeit der Gräber und Glanz und Leben vergolden schmuzige Baracken.

Nirgends mehr zeigt sich dieser plötzliche Wechsel, diese zauberhafte Veränderung, als gerade im Orient, jenem seltsamen Gemisch von Lethargie und flammender Leidenschaft.

Wenn der Schiffer aus dem Bosporus an den felsigen, seltsam schroff geformten Westküsten des Pontus Euxinus mit günstigem Wind hinaufstreift, an der Stätte des alten Apollonia vorüber, wo jetzt das Dorf St. Nicol seine Fischerhütten ausgestreut, gelangt er mit dem milden Hauch des Südens zu einem breiten schönen Golf, der sich so weit hineinstreckt in's Land, daß die Flotten der Welt hier stattlich, wenn auch eben nicht sehr sicher vor Anker liegen könnten. Der Golf wird von dem Ausfluß des Dewno-See's in's Meer gebildet, oder der See bildet eine Fortsetzung des Golfes, wie man will. Im Süden erheben sich begränzend die Felsen des Galata-Vorgebirges, die Nordseite steigt in leichter Hebung plateauförmig bis an den Fuß des mächtigen Hämus, dessen breiter Kamm mit unzähligen Ausläufen vom Schwarzen Meere bis zu den Felsenwänden der Adria die bulgarischen und slavischen Provinzen der Türkei durchschneidet. Zwischen dem Gebirge und dem Golf, seine Wälle und Mauern unmittelbar in die blauen Wellen des Letzteren tauchend, liegt Varna, das Obessus der Alten.

Stets ein wichtiger militairischer Vorposten Constantinopel's in den seit 140 Jahren andauernden russisch-türkischen Kriegen, war Stadt und Festung, nachdem ihre Wälle bei der letzten Eroberung durch Diebitsch und bei dem Bombardement durch Admiral Greigh im Jahre 1828 zerstört worden, in Schmuz und Unbedeutendheit versunken, bis plötzlich die rollenden Donner des orientalischen Krieges sie mit einem Zauberschlag zum wichtigsten Stapel- und Sammelplatz zuerst der türkischen Donau-Armee, dann selbst der westmächtlichen Expeditionscorps machten. Durch das Verdrängen der russischen Flotte aus dem Schwarzen Meere concentrirte sich der ganze Transport auf Varna; Truppenmassen wandten sich von hier aus nach dem Feldlager des Krieges, Schumla, oder bildeten in weiten Lagerungen um die Stadt eine neue; kolossale Vorräthe aller Art wurden hier aufgehäuft und der breite Golf wimmelte von Kriegs- und Transportschiffen jeder Gattung.

Vom April bis zum Ende August 1854 war das sonst kaum[260] 16,000 Einwohner zählende Varna eine Weltstadt, in der sich drei Welttheile – Europa, Asien und Afrika – ihr kriegerisches Rendezvous gegeben hatten. Es wird nöthig sein, einen kurzen Rückblick auf die militairischen Operationen der Schutzmächte der Türkei zu werfen, ehe wir zur Beschreibung der vorliegenden Scenen übergehen.

Wir haben am Schluß des zweiten Bandes erwähnt, daß bereits zu Ende Februar die Sendungen französischer und englischer Truppen nach dem Orient begonnen hatten. Am 20. März wurden auch die ersten afrikanischen Truppen eingeschifft; General Canrobert traf mit Bouat und Espinasse zu Anfang April in Gallipoli ein, was zum ersten Sammelpunkt der anglo-französischen Armee bestimmt war. Der Marschall St. Arnaud, der am 22. April mit einer Proclamation in Marseille den Oberbefehl übernommen, folgte im Mai; Prinz Napoleon, der Vetter und präsumtive Thronerbe des Kaisers, hatte sich, mit einem Divisions-Commando betraut, am 1. April eingeschifft, war nach Beseitigung der über die Ausweisung der Griechen zwischen dem französischen Gesandten und der Pforte entstandenen Differenzen in Constantinopel eingetroffen und hatte den Palast von Defterdar-Burnu bezogen. Von englischer Seite folgten im März Lord Raglan, der britische Oberbefehlshaber, und der Herzog von Cambridge, dem vom Sultan das Palais Tschiragan eingeräumt wurde; – in der Mitte des April standen bereits 40,000 Mann englisch-französischer Truppen auf türkischem Boden.

Schon in Gallipoli zeigte sich der große Nachtheil, in dem die englische Armee durch die jammervolle Fahrlässigkeit ihrer Intendanzen und Verpflegungs-Commissariate gegen ihre kriegerischen und gewandteren Rivalen stand. Die Franzosen hatten rasch die besten Quartiere für sich genommen, während es dem ersten englischen Detachement, das ankam, selbst an Booten zur Landung fehlte. Es klingt unglaublich, aber es ist wahr, daß der englische Consul in Gallipoli nie Befehl erhalten hatte, für die Unterbringung der erwarteten Truppen Vorkehrungen zu treffen. Wenige Tage früher waren zwei Verpflegungs-Offiziere, die kein Wort türkisch verstanden, angekommen, um Proviant einzukaufen, das war aber auch Alles, was für die Expeditions-Armee geschehen war. Schon damals fingen daher die auf's Trefflichste bedienten Franzosen an, mit Spott und Achselzucken auf die Engländer zu[261] schauen und John Bull zu hänseln, was häufig zu ernsten Händeln führte.

Mitte April begannen auch die ersten Translokationen der Truppen nach Scutari, Adrianopel und Varna. Durch die strategischen Operationen der Russen gegen die Dobrudscha und Silistria beunruhigt, sahen die Alliirten ein, daß sie zum Schutz Constantinopels eine Position einnehmen müßten, um das bereits ziemlich lau gewordene Vertrauen der Türken zu stärken, und Varna wurde als Operationsbasis für alle weiteren Zwecke gewählt. Anfangs Mai trafen englische Sappeurs und Mineurs in Varna ein und steckten ein Lager am Südende der Bucht ab. Am 18. kamen Marschall St. Arnaud und Lord Raglan in Varna an, wo der bereits früher erwähnte große Kriegsrath über den Entsatz von Silistria gehalten wurde. Die Feldherren begleiteten Omer-Pascha nach Schumla und in der am Bord des Agamemnon, des Flaggenschiffs des Vice-Admirals Sir Edmond Lyons, nach ihrer Rückkehr gehaltenen Verathung wurde zuerst auf die Instruction des Kaisers die Expedition nach der Krimm berathen und beschlossen.

Tiefes Geheimniß sollte diesen Beschluß begleiten, dennoch war er bald den gewandten griechischen Spionen kein Geheimniß mehr. Freilich hatten sie das Schicksal Kassandra's, die auch bei der modernen Iliade nicht fehlen sollte, – die Russen glaubten sich sicher und Sebastopol uneinnehmbar – von der Seeseite. Eine Belagerung zu Lande hielt man für eine Unmöglichkeit.

Im Juni trafen die erste und dritte Division der französischen-Hilfs-Armee, die Divisionen Canrobert und Prinz Napoleon, zur See in Varna ein. Die Divisionen Bosquet und Forey (die zweite und vierte) folgten auf dem Landwege über Adrianopel.

Mitte Juli standen mit den Türken und Egyptern ungefähr 100,000 Mann in Varna. Die Engländer hatten ein festes Lager bei Dewno an der Straße nach Schumla und auf der Südseite des Golfes bezogen, die Egypter und Baschi-Bozuks lagerten neben den Zuaven auf dem Campo und das Hauptcorps der Franzosen hinter dem alten Wall der Festung.

Ein Treiben, wie die bewegteste Phantasie es sich nicht zu malen vermag, herrschte am Nachmittag des 20. Juli in den Straßen, Gassen und Gäßchen von Varna und auf dem Spiegel des Golfs. Eine starke Escadre der ankernden Kriegsschiffe machte sich offenbar fertig, in See zu gehen und nahm Munition und Wasser[262] ein. Am Dewno-Kai wimmelte es von Matrosen und Mariniers, Soldaten und türkischen Lastträgern, Pferden, Kameelen und Maulthieren. Bergehoch waren hier die Munition, die Tornister, die Brotsäcke aufgethürmt. Angebundenes Schlachtvieh brüllte und blökte, betrunkene Matrosen standen und lagen überall im Wege, Jeden mit Grobheiten tractirend, der in ihre Nähe kam, schreiende Griechen, plaudernde und lachende militairische Flaneurs, marschirende Kolonnen, Araber und Lastthiere aller Art. In den Straßen, die zum Staunen der gläubigen, über solche Neuerungen die Augen zu den sieben Himmeln des Propheten schlagenden Muselmänner von den Franzosen rasch mit Namen und Nummer versehen worden, war die Bewegung und das Gedränge nicht minder groß. Der Spahi mit seinem abenteuerlichen afrikanischen Costüm und dem wehenden Mantel, der Araber mit seinem schmuzigen Burnus, den nackten Beinen und dem gelben, durch einen Strick um den Kopf befestigten Tuch; die englischen Uniformen roth mit blauen Pantalons, den steifen erstickenden Halsbinden und den hohen Bärenmützen; die Franzosen mit den leichten Kaskets, die sie auf Befehl des Marschalls schon in Gallipoli gegen die schweren Tschako's vertauscht hatten, auf den Kopf gestellte Engländer, blau oben, roth unten; der Gamin der Armee: der Zuave mit den weiten, türkischen, rothen Pantalons, dem koketten Jäckchen und bloßen Halse und dem langen blauen Schweif am großen Feß; Marketenderinnen in ihrer kecken, zierlichen Tracht; griechische Kaufleute und bulgarische Ochsentreiber mit den quietschenden und knarrenden Wagen; Staabsoffiziere zu Pferde; die irregulären Ägypter in ihren Hosen und Jacken von gelb, roth oder weiß gestreiftem Kattun, die wie ein wandelnder Bettüberzug aussahen; Juden und Maulthiere, Jäger von Vincennes und Bergschotten, faule Moslems, die Hände auf dem Rücken, den langen Tschibuk hinter sich her schleifend; Baschi-Bozuks in ihrer malerisch wilden Tracht; Matrosen in den Rinnsteinen, lachende Midshipman, Mohren, Araber, Europäer, Nord- und Südländer, der Hut neben dem Turban, der Helm neben der braunen bulgarischen Pelzkappe, Filz und Seide, Gold, Tuch, Silber, blinkende Waffen, Pferde, Esel, Kameele, zwanzig Sprachen durch einander – das war das Babylon von Varna!

Welche Feder vermöchte die bunten Scenen zu malen! Dort die beiden Zuaven, die lachend, den Feß schief auf dem Ohr, daß[263] eine wahre Kunstfertigkeit dazu gehört, ihn auf seiner Stelle zu balanciren, zum Thor hereinschreiten, jeder in der Hand ein großes Huhn, während hinter ihnen schreiend und gestikulirend der Grieche herrennt, mit den vierzig Sous nicht zufrieden, die sie ihm als Kaufgeld octroyirt haben; – vor einer der zahllosen, rasch in den Straßen voll Knoblauchsgeruch, Staub und Schmuz etablirten offenen Schenken ein halb Dutzend französischer Offiziere und Unteroffiziere mit dem Frühstück aus freier Faust, der Wurst, dem Zwieback und dem Gläschen Absynth oder Wermuth; – ein betrunkener englischer Matrose mit einem Soldaten der irländischen Brigade zusammenrennend und Pat im nächsten Augenblick im derben Handgemenge, während die Franzosen einen Kreis um Beide bilden lassen; – der türkische Philister, neugierig zuschauend, bis er bei einer falschen Bewegung des Trunkenen selbst einen heftigen Faustschlag in's Gesicht bekommt, worauf beide Kämpen gemeinsam über ihn herfallen und das lange Rohr seines Schibuks auf seinem Rücken zerschlagen; – auf eine Araba, die nicht durch das Gedränge kann, klettern vier Chasseurs d'Afrique und ziehen ein schmuziges Spiel Karten hervor, mit dem sie, trotz aller Protestation des Fuhrmanns, eine Spielparthie dort etabliren; – um die Garküche des Türken, der mit seiner einfachen Dampfmaschine Hammelschnitte am hölzernen Spieß brät, eine Reihe Rothjacken, hungrigen Blickes auf das Garwerden des Bratens harrend, denn das Brot, was die englische Bäckerei liefert, ist nur halb gebacken und ungenießbar; – die Menge plötzlich rechts und links auseinander drängend: eine Kolonne, die vom Exerciren kommt, – eine Wache des Profoß mit zwei gefangenen, französischen Voltigeurs, die mit Gewalt in ein bulgarisches Haus eingedrungen sind, hinter dessen Jalousieen sie ein Paar Mädchenköpfe bemerkt haben, ein seltener Artikel jetzt in Varna; – oder gar vier Krankenträger mit zwei verhüllten Bahren, von Schildwachen begleitet, auf dem Wege zum Lazareth.

»Fi donc! La Cholera! – De quelle troupe les malheureux, mon brave?«

»Des huzards!«

»Merci! Place, Messieurs, pour les malades!«

Der Zuave stößt den langen Engländer bei Seite, der sich mit einer gewissen Unbehaglichkeit den Leib hält.

»Damn your eyes!«[264]

»Beliebt, Herr Kamerad?«

»No!«

Lachend, tobend drängt die Menge hinter dem Krankenzug wieder zusammen, der nahe Tod ist vergessen, so lange voll das Leben pulsirt. Auf dem Tschardak eines Hauses kramt ein armenischer Handelsmann sein Bündel aus, Pfeifenköpfe, Rosenöl, Filigranarbeiten, Wundpflaster und schlechte Seidentücher. Seine gewandte Zunge preist sie in einem Gemisch aller Sprachen den umdrängenden Flaneurs an. Ein englischer Dragoner, der seinen letzten Sold noch in der Tasche hat, kauft fünf Flaschen von der Rosenessenz, die Adrianopel nie gesehen. Die vergoldeten, in Böhmen gefertigten Flacons verlocken ihn und er will sie nach Hause schicken. Einstweilen vermehrt er sein Gepäck damit, das ohnehin 82 Pfund wiegt. – Ein Sürüdschi, mit dem Courier von Schumla sich Bahn brechend durch das Gedränge. »Wo ist der Konak des Pascha?« – »Bilmem!« – ich weiß nicht – mit »Olmas« – es giebt Nichts, kann nicht sein – die ewige Antwort der Türken! – an einer Ecke eine Gruppe Moslems und Engländer, auf das Schauderhafteste die beiderseitigen Sprachen in aller Höflichkeit mißhandelnd, das »Bono Johnny« oder »Francis bono« an allen Enden und wo es ungehört geschehen konnte, ein »Pesevenk Giaurs« oder ein giftiges Ausspucken hinterdrein – das war Varna im Sommer 54, und Sacristi! Marschall Saint Arnaud mit seinen pomphaften Proclamationen von künftigen Siegen oder Nimmer-Heimkehr hielt verdammt wenig Ordnung in diesem Gewühl!

Im Tschardak des »Restaurant des officiers,« wie sich pomphaft mit langen Buchstaben eine der schnell etablirten Garküchen in der großen Corso-Straße nannte, drängte es sich von ab- und zugehenden Offizieren aller Waffengattungen. Eben so im Innern, wo vor ziemlich schmuzigen, rings umher laufenden Rohrbänken Tische standen, die mit französischem Luxus servirt und von zwei gewandten Garçons bedient waren, wenn auch die Speisekarte fast so mangelhaft als die Speisen selbst blieb.

Die Unterhaltung flog von Tafel zu Tafel und jeder der Neueingetretenen gab ungenirt seinen Theil dazu.

Eine laute lärmende Gesellschaft saß in der Mitte des Zimmers.

»Erzählen Sie, Ducru. Also ein Kleeblatt von Jeanne d'Arcs in Constantinopel und wir werden sie hier sehen?«[265]

»Wie heißen sie? Wer ist die Dritte? Das Journal de Constantinople spricht ja Wunderdinge von ihr.«

»Von der Gräfin Zamoyska haben Sie bereits gehört. Parbleu – vor zwanzig Jahren mochte sie passiren, jetzt ist sie in der Zeit, wo das Todtgeschossenwerden ein Glück für sie sein könnte.«

»Lassen Sie das den Capitain Wisimski nicht hören, Vantourin, er war in Galizien einer ihrer alten Courmacher.«

»Bah – sie ist eine aufblühende Rosenknospe gegen den Drachen, die Prinzessin Kirajia Dscheladulha, eine alte kurdische Hexe, die mit 200 Spitzbuben vom Ararat gekommen ist und sich berufen glaubt, das Reich Mahomed's zu retten. Sie trägt nicht einmal einen Schleier, so sicher ist sie ihrer Tugend, und sitzt auf dem Pferde wie ein kranker Affe.«

»Aber die Dritte – sie soll jung und schön sein, und Gott verdamm' meine Augen, wie unsere lieben Alliirten zu sagen pflegen, wir leiden hier abscheulichen Mangel an Damen.«

Der junge Souslieutenant kräuselte sich schwermüthig dabei den Bart.

»Sie können eben so gut einer mit Kartätschen geladenen Batterie in die Mündungen sehen, Villard,« lachte der Erzähler, »als in die Augen dieses kleinen Teufels, das Einzige, was aus der Umhüllung des widerlichen Jaschmaks zu sehen ist.«

»Aber woher weiß man da, daß sie jung und schön?«

»Alle Welt in Constantinopel sagt es. Sie war erst acht Tage vorher mit ihren hundertundfünfzig Arnauten eingetroffen. Sie soll die Tochter eines verstorbenen Pascha's sein und sehr reich, denn sie erhält ihre Schaar aus eigenen Mitteln.«

»Ihr Name?«

»Sie nennt sich bloß die Rächerin!«

»Bah – eine Komödiennärrin! Und sie kommt hierher?«

»So hörte ich.«

»Da ist der Adjutant. Willkommen, Bertholin – was Neues?«

»Der Briefsack ist mit dem ›Roland‹ eben angekommen, der die Dritten von den Zuaven gewacht hat. Hier, einige Briefe für Sie.«

»Geben Sie her. – Peste – das ist von der kleinen, Clairon im Variété, sie schreibt immer mit gelbem Couvert.«

»Mir den Charivari!«[266]

»Eine Nummer des Moniteurs – will Niemand?«

»Ah, bah – wir lesen der offiziellen Albernheiten genug in den Proclamationen des Marschalls.«

»A propos – ist es wahr, daß eine Ordre wegen der Brunnenvergiftungen erlassen ist? Das Wasser ist so verteufelt schlecht, daß man wahrhaftig daran glauben sollte.«

»D'rum trinken Sie auch nur Bordeaux, Commandant.«

Der ziemlich corpulente Bataillonschef faßte sich an die rothe Nase.

»Diantre, er ist nur so abscheulich theuer in diesem verfluchten Nest!«

»Hat Jemand von Ihnen den Capitain de la Tremouille gesehen?« fragte der Adjutant, »hier ist ein Brief für ihn.«

»Er ist heute Morgen an der Cholera gestorben,« sagte eine Baßstimme vom Nebentisch. »Lieutenant Walton machte ihm Platz im Lazareth.«

»Peste – diese Lazarethe, man bekommt das Fieber, wenn man daran denkt.«

»Neuigkeiten von Paris? Leblanc, ich beschwöre Sie, was sagt man im Foyer der Oper?«

An den Krieg, an den bevorstehenden Feldzug dachte kein Mensch.

»Es ist allerdings der Befehl gegeben,« erzählte der Adjutant, »daß kein Grieche oder Türke sich den Brunnen im Innern der Stadt nähern darf. Schildwachen sind ausgestellt und haben Ordre, in der Nacht auf Jeden zu feuern, der nicht zu den Truppen gehört. Man hat in dem einen an der kleinen Moschee Choleraleichen gefunden.«

»Pfui! – Mir wird übel werden, wenn ich noch ein Mal Wasser ansehe.«

»Roqueplan1 hat in der That mehr Glück als Verstand – der Kaiser bezahlt nochmals die Schulden und er soll Direktor bleiben. Das hat er der Cruvelli zu danken, die mit Fould gut steht.«

»Hören Sie – Barthelemi hat wirklich vom Sultan eine Dose mit Brillanten bekommen für das jämmerliche Gedicht im Constitutionnel: Das Bombardement von Odessa.«

»Ich wünschte, wir hätten den Versemacher hier, um vor Sebastopol die Melodie zu seinem Opus pfeifen zu hören.[267]

Der Moniteur dementirt hier die Nachricht, der Marschall sei zum Generalissimus ernannt. Omer soll in Constantinopel seine Demission für den Fall verlangt haben.«

»Bêtes! – diese türkischen Dickköpfe begreifen nicht einmal die Ehre, unter den Adlern der großen Nation zu fechten!«

In der Ecke des Gemaches, an einem kleinen runden Tische, saß der Lieutenant-Colonel Vicomte de Méricourt mit einem Offizier in Husarenuniform bei einer Flasche Bordeaux. Der Colonel führte sichtlich zerstreut das Gespräch, seine Miene war ernst und nachdenkend, und seine Blicke musterten häufig forschend die Eintretenden, gleich als erwarte er Jemand.

»Graf Branicki,« erzählte der Husarenoffizier, »reist morgen nach Constantinopel ab, um mit dem ersten Dampfer nach Marseille zu gehen. Der Prinz sendet ihn, um dein Bericht des Marschalls das Paroli zu bringen.«

»Ich hörte von den neuen Zwistigkeiten, aber nicht den Grund, Sazé

»Bah, Freund,« lachte der frühere Flaneur, »was wollen Sie noch für einen Grund? Seit der Marschall Constantinopel betreten, zanken sie sich. Der Empfang des Sultans mag ein solcher Grund sein. Der Prinz ist bequem, und der Marschall chicanirt ihn.«

»Aber die Veranlassung der neuen Scene?«

»Der Prinz nahm sich Bosquet's an bei einem Widerspruch und es soll zu sehr anzüglichen Worten gekommen sein. Er kam mit rothem Kopf zurück und ließ selbst das Diner stehen, was bei ihm viel sagen will. Er schloß sich sofort mit dem Grafen ein und die Reise desselben ist das Resultat.«

»Haben Sie Etwas über den heutigen Kriegsrath gehört?«

»Er kann erst jetzt zu Ende sein – offenbar die Expedition von Canrobert und Sir George Brown. Ich fürchtete schon, man hätte Sie mit commandirt.«

»Es gehen nur regulaire Truppen; aber die geringe Zahl ist auffallend.«

»Zwölftausend Mann – Regimenter der Division Bosquet und Engländer.«

»Damit kann man unmöglich einen Angriff gegen Sebastopol wagen?«

»Alle Welt sagt's – es ist ein lautes Geheimniß.«[268]

»Bon jour, Commandant!« grüßte ein hinzutretender Ingenieur-Capitain. »Diantre! ich habe heute Morgen Ihre orientalischen Spahi's exercieren sehen, wie der Marschall unsere metamorphosirten Bozuks benennt, und ich muß Ihnen das Compliment machen, Sie haben Merkwürdiges in den zwei Wochen geleistet.«

»Der Mann, der Ihnen bei Arab-Tabia die Mine sprengte, Capitain Depuis, ist einer meiner besten Unteroffiziere oder On-Baschi's, wie es heißt. Ich verdanke seinem Eifer viel.«

»Ich erinnere mich – ein Mohr – sein Gefährte verunglückte in der Mine. Das ist eine schwarze Krähe unter den Geyern. – Sie werden des Gesindels genug haben füsiliren lassen, ehe sie gehorchen lernten.«

»Sie erinnern mich mit dem Worte an ein trauriges Thema – haben Sie von dem deutschen Arzt gehört?«

»Doctor Welland – mein Reisegefährte von Widdin? – was ist's mit ihm – an der Cholera gestorben? ich hörte eben von Santerre aus dem Bureau des Oberstaabsarztes, daß wir täglich an fünfzig Todte zählen.«

»Die Engländer fünfzig Prozent mehr,« warf ein Capitain der Artillerie ein, der dicht daneben ein Huhn verspeiste. »Eine Schlacht mit den Russen könnte kaum so aufräumen, wie wir in der letzten Woche decimirt worden sind.«

»Schlimmer als das, Depuis – Sie scheinen also nicht zu wissen, daß in diesem Augenblick Kriegsrecht über ihn gehalten wird?«

»Fichtre! Warum? ich komme vor einer Stunde erst von Baltschik, wo ich fünf Tage Gurken mit Hammelfüllsel gefressen.«

»Eine unglückliche Denunciation – man behauptet, er habe in Silistria mit dem Feinde correspondirt – es sollen Briefe mit seiner Adresse aufgefangen sein.«

»Ce serait bien le diable! Ich kann es kaum glauben.«

»Ich auch nicht – ich sah den Mann in seiner Pflichterfüllung und lernte ihn achten. Aber ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen verbündet sich gegen ihn.«

»Wer bildet das Kriegsgericht?«

»Leider die Türken – er steht in türkischem Dienst. Es sind zwar ein französischer und ein englischer Beisitzer zugezogen auf Bestimmung des Marschalls, sonst aber blieb Alles Sali-Pascha überlassen und dieser ist ein eingefleischter Türke.«

»Wer bestimmte den französischen Offizier?«[269]

»Bosquet. Ich bat ihn persönlich, mich zu commandiren, da ich in Silistria gewesen. Aber er schien seltsamer Weise ein Vorurtheil gegen den Angeklagten zu haben, denn als er sein Notizbuch nachgesehen, schlug er es rund ab.«

»Kennen Sie die politische Gesinnung des Deutschen?«

»Wie so?«

»Der General, so heißt es, ist Republikaner.«

»Das sind auch Andere, aber der Arzt ist zu unbedeutend, um irgend politische Antipathieen auf sich gezogen zu haben. Ich weiß nicht, wie. – Endlich, Capitain Morton

Der Engländer, dem dieser Zuruf galt, und dem wir in Silistria schon begegnet sind, war hastig in das Haus getreten und hatte sich suchend umgeschaut. Sein Blick war finster, sein Gesicht zeigte deutlich Aufregung. Er trat hastig zu dem Tisch.

»Nun, Herr Kamerad – welche Nachricht?«

»Er ist verurtheilt und soll morgen früh erschossen werden.« – Er stürzte ein großes Glas Rothwein hinunter. – »Goddam! mein eigenes Zeugniß hat den Ausschlag gegeben.«

»Ich bitte, erzählen Sie!«

»Verdammt! daß ich es sagen muß, aber wir haben dem Doctor den Ankläger selbst zugeführt. – Sie erinnern sich meines Landsmannes, des Baronet Maubridge, Vicomte. Er ist es, der aus einer mir unbekannten Ursache den Mann verfolgt und denuncirt hat. Er hat Briefe übergeben, die unzweifelhaft beweisen, daß eine verrätherische Verbindung aus Silistria mit den Russen unterhalten und der Feind vielfach von dem Zustand der Festung und den beabsichtigten Ausfällen unterrichtet worden ist.«

»Aber das ist noch kein Beweis, daß der Doctor darum gewußt hat. Daß es an Spionen in Varna nicht fehlte, ist eine bekannte Thatsache.«

»Der Baronet behauptet, daß er die Briefe am Abend des 13., – Sie erinnern sich der Minensprengung am andern Tag und des großen Ausfalles, bei dem General Schilder fiel – selbst dem Knaben abgenommen habe, der für Mussa Pascha mehrfach Spionendienste verrichtete. Der Knabe ist entflohen oder befreit worden, – aber Sie wissen, daß er sich während der Anwesenheit in der Festung bei Welland aufhielt.«

»Spione dienen häufig beiden Parteien,« bemerkte Depuis.

»Der Hauptbeweis ist leider ein Brief, der an den Doctor[270] selbst gerichtet und von einem Offizier aus dem Stabe Gortschakoff's unterzeichnet ist. Er spricht ganz klar von einer früheren Befreiung des Schreibers aus türkischer Gefangenschaft durch den Arzt, von einem fortbestehenden Einverständniß, und der Angeklagte hat ihn anerkennen müssen.«

»Der Unglückliche!«

»Er weigert jede nähere Auslassung über das Verhältniß, in dem er zu dem Schreiber steht, betheuert aber mit seinem Ehrenwort, daß er nie eine seine Pflicht verletzende Mittheilung gemacht und daß der Brief auf unbekanntem Wege ihm zugegangen und durch seinen Diener auf der Schwelle seiner Wohnung vorgefunden worden sei.«

»Hat man den Diener befragt?«

»Der junge Mohrenknabe ist seit der Verhaftung seines Herrn verschwunden und nicht aufzufinden. Es wurde leider durch Zeugen bewiesen, daß der Doctor nach seiner Ankunft von Silistria in Varna mit Griechen verkehrt hat, die in gegründetem Verdacht der Verrätherei stehen und von der Polizei des Pascha's verfolgt werden.«

»Aber Ihre eigene Aussage, Capitain?«

»Sie erinnern sich des Wortwechsels mit meinem Landsmann kurz vorher, ehe Mussa-Pascha fiel. Ich mußte zugeben, daß bei dem nächtlichen Ausfall am 28. Mai, als ich Kiriki-Pascha aus dem Getümmel brachte, und die Russen uns überfielen, ein feindlicher Offizier, derselbe, der den Brief geschrieben, den Doctor und mich aus den Händen seiner eigenen Leute befreite und entkommen ließ.

So wäre der Unglückliche wirklich verloren – ich weiß nicht, es sträubt sich ein Gefühl in meinem Innern, an seinen Verrath zu glauben.«

»Dasselbe ist bei mir der Fall. Ich schulde ihm eine Freundlichkeit von Paris, die Rettung in jener Nacht und es grollt mich, daß ich seinem Feinde selbst die Gelegenheit geboten. Ich habe dem Baronet meine Erklärung gemacht und erwarte seine Botschaft.«

»Ich stehe in jeder Beziehung zu Diensten. Wohin hat man den Doctor gebracht?«

»Er wird im Hause Sali-Pascha's gefangen gehalten, nahe an dem großen Magazin. Man hat mir den Zutritt verweigert.«

»Wäre, Canrobert nur hier! – doch er ist bereits nach[271] Baltschick aufgebrochen. Vor Allem müssen wir Aufschub der Vollstreckung erlangen, – eilen Sie Beide zu Ihren Freunden, ich werde den Prinzen für den Unglücklichen zu interessiren suchen.«

»Zum Henker, Kommandant,« sagte eine Stimme neben ihnen, »ich suche Sie seit einer Stunde. Ordre im Dienst!«

»Zu Ihren Diensten, Capitain Marcell!«

»Soll mich freuen, Kommandant, denn ich habe gern brave Kameraden neben mir. Aber sputen Sie sich, unsere Brigade ist die erste. Wir sollen dem Prinzen um zwei Etappen voraus sein und Oberst Bourbacki mit seinen Zuaven ist schon aufgebrochen. Sie wissen, der tolle Afrikaner duldet keine Verspätung. Au revoir unterwegs, Kamerad!«

Der Vicomte hatte unterdeß die Ordre gelesen.

»Heiliger Gott! – ich muß in einer Stunde mit meinen Spahi's auf dem Marsch sein. Der Ärmste – Doch halt, Sazé, Sie müssen meine Stelle vertreten und dem Prinzen die Bitte vortragen – es gilt ein Menschenleben.«

»Ich bin zu Ihrer Verfügung und werde thun, was ich vermag.«

»Kommen Sie eilig, Capitain Morton und Depuis begleiten uns; ich muß meine Befehle geben und unterwegs hören Sie das Weitere.«

Sie verließen hastig den Restaurant, doch war es kaum möglich, von dem Tschardak sich durchzudrängen. Die Corsostraße herauf von dem Dewno-Kai her wogte es in dunklem Gedränge – Militairmusik, das donnernde Vive l'empereur! aus tausend kräftigen und durstigen Kehlen. Dann klang es lustig, trotz Staub und Hitze:


As-tu vu

La casquette,

La casquette?

As-tu vu

La casquette

Du père Bugeaud!2[272]


– das berühmte Marschlied der Zuaven – das erste Bataillon, des dritten Zuaven-Regiments aus Algier, so eben ausgeschifft, rückte in die Festung, um jenseits derselben das Lager zu beziehen.

Das Interesse des Kommandanten wandte sich unwillkürlich dem militairischen Schauspiel der stattlichen Truppe zu, in deren Reihen er selbst seine Sporen verdient, als Lieutenant unter Canrobert bei der Belagerung von Zaatcha und im Aurasgebirge gefochten hatte.

Der Leser erinnert sich, daß der Vicomte am Morgen jenes Tages, an welchem er den Besuch der Fürstin Iwanowna empfing, seinen Abschied eingereicht hatte und daß dieser durch das Verschwinden des jungen Fürsten unnöthig gemacht worden. Bei Beginn des Krieges hatte der Vicomte um seine Versetzung aus dem Stabe des Kaisers zur activen Armee gebeten, und war zum Kommandanten des zweiten Bataillons des dritten Zuaven-Regiments ernannt worden. Verschiedene Kommando's beim Einschiffen der Truppen, nach Silistria und zuletzt zur Organisation der Baschi-Bozuks durch die Generale Yussuf und Beatson, hatten jedoch bis jetzt seinen Eintritt in das Regiment verhindert und er begrüßte es jetzt zum ersten Mal auf türkischem Boden.

Die Stabsmusik voran, das Trommlercorps seinen Marsch schlagend, Gamains von den Straßen der Hauptstadt, denen selbst das freie Leben im Antoine noch zu ruhig gewesen und die den Eltern und Lehrherrn davon gegangen, jetzt dem Stabe des bärtigen riesigen Tambourmajors folgten. Hinter der Musik die vier Marketenderinnen des Bataillons, drei junge frische Frauen mit kecker Grisettenmiene, und eine ältere, den Feß der Zuaven auf dem braunen kurzgeschnittenen Haar, blanke Tressen auf dem coquetten blauen Jäckchen, das lose um die Brust saß, und um den kurzen Rock von gleicher Farbe, unter dem die rothen Beinkleider hervorbauschten, – Jede das bekannte Fäßchen auf dem Rücken, die[273] Freudenspenderin der Soldaten. Und hinter den kecken Dirnen, die so oft im blutigen Schlachtgewühl zwischen Pulverdampf und dem Pfeifen der Kugeln ihren Freunden den letzten Labetrunk gereicht, der Oberst des Regiments mit seinen Adjutanten zu Pferde, die Offiziere, die lange Reihe bärtiger lustiger Gestalten in der kecken Nonchalance der französischen Marschhaltung, den Feß hinten auf das Ohr geschoben, das Gewehr leicht im Arm, den hellblauen Shawl mit unbeschreiblichem Aplomb um die Hüften geschlungen, an der Seite Scheersack und Proviantbeutel, auf den Rücken den Tornister, auf dem, mindestens ein Mal in jedem Zuge, die berühmte Katze kauerte, Mademoiselle Minette, der Liebling und Vorkletterer der Compagnie, der bissige, boshafte, Wache haltende, kleine Teufel, der die Kabylen auf 500 Schritt zu wittern verstand.

Der Vicomte sprang an das Pferd des Obersten, ihn zu begrüßen.

»Willkommen, Kommandant! Ich habe Ihr Bataillon offen gehalten und Sie können eintreten, sobald es morgen uns folgt. Du Moulin führt es unterdeß.«

»Nichts wäre mir lieber, Oberst,« berichtete eilig der Offizier, »aber ich bin noch kommandirt zu General Yussuf und seinen türkischen Spahi's und in einer Stunde marschiren wir nach der Dobrudscha.«

»Fatal! – vielleicht, daß wir Ihnen folgen müssen. Auf Wiedersehen also vor den Russen, Méricourt.«

Dieser trat zurück.

»Bon jour, Commandant! Avez-Vous oublié la petite vivandière de Marseille?« fragte eine freundliche Stimme neben ihm.

Es war die Marketenderin vom Quai der Hafenstadt.

»Nini Bourdon?«

»C'est ça, mon Commandant. Ich sehe, Sie haben meinen Namen behalten. Mein Bruder marschirt in der zweiten Compagnie.«

»Und der arme Irre, Dein Vetter?«

»Er bewacht mein Gepäck im Nachtrab. Au révoir, Monsieur – ich muß in meine Reihe.«

Sie sprang davon. Der Vicomte mit seinen drei Gefährten eilte weiter.

»Merken Sie auf, Sazé, das war die Marketenderin, von[274] her ich Ihnen sprach. Der Mensch, der eine so seltsame Ähnlichkeit mit Fürst Iwan hat, folgt ihr, wie sie sagt. Auf meine Ehre, dort ist er – blicken Sie hin, der blasse Bursche da auf dem Maulthier, ein zweites führend.«

»Wahrhaftig, – die Ähnlichkeit ist erschreckend!«

»Die Zeit drängt – lassen Sie uns eilen.«

»Einen Augenblick noch,« bat Depuis. »Ich höre so eben, daß eine Abtheilung Tunesen und die beiden Amazonen folgen, die in Constantinopel mit ihren Freischaaren Aufsehen gemacht haben.«

»So leben Sie wohl, der Dienst ruft mich. Sie wissen, was zu thun ist und der Himmel möge Ihren Schritten Erfolg geben.«

Der Vicomte drängte davon durch den Menschenstrom, den die Neuigkeit von der Ankunft der Freischaar herbeizog. Die anderen Drei verweilten, um das Schauspiel zu sehen, und den Zug vorüber zu lassen: – zunächst die Mohren von Tunis, die ersten Hilfstruppen, die der Bey gesandt und deren man sich in Constantinopel so bald als möglich entledigt hatte, wilde Gestalten, die Mordlust und Zügellosigkeit in den gelben Augen, auf den schwarzen, braunen und gelben Gesichtern, eine Horde, die die Hölle selbst losgelassen zu haben schien. – Dann das wilde Spiel der Zinke und der Trommel, eine gedrängte Schaar prächtig ausgestatteter Reiter in der bunten albanesischen Tracht, die lange Flinte auf dem Rücken oder die Lanze in der Faust, kühne stolze Gesichter. Und zwischen den bunten Albanesen die finsterblickenden dunkeln Söhne eines andern Welttheils, die Kinder des Ararats: die Kurden, broncefarbene Gesichter und Körper, eine rothe Jacke, welche die sehnichten Arme fast bloß ließ, dunkle Beinkleider bis zum Knie, die hohe Mütze von schwarzem Lammsfell auf dem Kopf, den dunklen Filzmantel um die Schultern, mit Flinte, Yatagan und Lanze bewaffnet.

Vor diesem gemischten seltsamen Haufen zog eine Gruppe her, welche aus drei Personen bestand und die allgemeine Aufmerksamkeit erregte, die sich bei den Franzosen sofort in mancherlei spöttischen Acclamationen kund gab.

Die Mitte nahm, auf einem Kameel reitend, ein alter schmuziger Derwisch ein, in grauer Kutte mit nackten Beinen, nach der näselnden Manier der Orientalen Sprüche aus dem Koran laut hersagend, während er die Kugeln seines Rosenkranzes mit rapider[275] Schnelligkeit durch die Finger gleiten ließ. Ihm zur Linken ritt die kurdische Prinzessin, deren Fanatismus die Prophezeihung von einer Jungfrau, die das türkische Reich und den Islam erretten werde, in Bewegung gesetzt hatte. Aber die Jungfrau war längst zur runzlichen alten Jungfer geworden, und ihre etwas buckliche Figur und der ziemlich komische Aufzug, in dem sie auf ihrem Pferde saß, erregte das Gelächter der europäischen Truppen. Die reine Jungfrau trug wahrscheinlich in dem Glauben, daß die Russen vor der Holdseligkeit ihres Antlitzes davon laufen würden, dasselbe unverhüllt, schien sich aber gewaltig über die frechen Blicke der Männer zu ärgern, die von allen Seiten auf ihr ruhten. Sie mochte bereits einige fünfzig Jahre zählen, war klein und mager und nie ohne ihren Adjutanten, den alten schmuzigen Derwisch, zu sehen. Später, da sie allerlei Ansprüche machte und den türkischen Behörden lästig zu werden begann, schoben diese sie bei Seite, ja, man erzählt, daß Omer Pascha die alte Närrin ohne Weiteres auf ein Schiff packen und in Trapezunt an's Land setzen ließ, ihre rüstigen Krieger aber weislich unter seiner Reiterei behielt.

Ein höheres Interesse fesselte die Zuschauer jedoch an die dritte Figur der Gruppe, die geheimnißvolle Reiterin, von der Capitain Ducru erzählt. Ihre Figur war schlank und ebenmäßig und saß fest und sicher im Sattel, nicht hockend und plump, wie die türkischen Frauen gewöhnlich zu reiten pflegen. Ein Yaschmak von feiner schwarzer Spitzengaze verhüllte zwar ihr Gesicht nach muselmännischer Sitte, doch wies der sichtbare Theil der Nase und Stirn und das feuersprühende, dämonisch dunkle Auge, daß die Fremde jung und schön sein mußte. Sie führte mit sicherer Hand das feurige arabische Roß, das sie ritt; ein halb offenes Oberkleid von braunem Tuch mit dunklem Pelz besetzt und weite Beinkleider, von gleichfarbiger Seide bis auf die zierlichen Knöchel herabfallend, bildeten ihren Anzug. Ein reich verzierter Säbel hing an ihrer Seite, Pistolen waren in ihrem breiten Shawlgürtel.

An der Seite des Pferdes schritt unbekümmert um das Menschengewühl ein großer Molosserhund.

Das spöttische Gelächter, der höhnende Zuruf, der zuerst ihre beiden Gefährten begrüßt hatte, verstummte, als sich Aller Augen auf die dunkle Reiterin wandten. Bald murmelte es durch die Menge: »La Vengeresse! la Vengeresse!« und je weniger die Zuschauer von der Benennung verstanden, desto höher schwoll das[276] Interesse daran und brach alsbald in einen stürmischen Hurrahruf aus.

Die Türkin schien mit derselben Gleichgültigkeit und Verachtung auf die Beifallrufenden zu schauen, mit der sie vorhin ihren Hohn und Spott aufgenommen. Plötzlich aber zuckte es wie ein electrischer Funke durch ihren ganzen Körper. Sie preßte ihrem Roß die scharfen Spitzen der Bügel in die Flanken, daß es sich hoch bäumte, drehte es sicher auf den Hinterbeinen um und setzte mit einem Sprung auf die Menschenmauer zu, die erschrocken auseinander stob.

Das Pferd mit seiner wilden Reiterin hielt dicht vor zwei Armeniern, die in ihre weiten schwarzen Talare gehüllt, das Barett tief in die von dunklen Bärten halb verdeckten Gesichter gedrückt, zuschauend unter der Menge gestanden. Mit einem seltsamen Gemisch von Entsetzen und Aufregung blickte der Jüngere auf die Amazone, während der Ältere ihn fortzuziehen sich bestrebte.

Nur einen Augenblick dauerte die Scene. Das Weib auf dem Pferde hob wie warnend die Hand und sagte langsam und deutlich: »Die Reihe ist an Dir, hüte Dich, Nicolas Caraiskakis!« und im nächsten Moment schon lenkte sie ruhig zurück in die Reihe und ritt weiter, gleich als sei Nichts geschehen und als habe ihr Roß nur durch Zufall gescheut, und der Menschenstrom schloß sich alsbald wieder um sie her.

Die Hand des ältern Armeniers aber zog den Erkannten mit sich fort aus dem Gedräng in die nächste enge Quergasse, durch einen kaum mannesbreiten Durchgang, und weiter, bis sie in die Griechenstadt kamen und zu der halbverfallenen Mauer eines Hofes. Auf ein eigenthümliches Klopfen wurde die Thür von Innen geöffnet und Beide traten in den engen Hof, aus dem sie durch einen langen Gang in das von der Straße gleichfalls durch Mauer und Thor abgesonderte Vorderhaus gelangten.

In einem Gemach zu ebener Erde, das an den Fenstern stark vergittert war, hielt endlich der Ältere an und wandte sich zu dem Mann, der ihm geöffnet.

»Rufe Geurgios und wer sonst von den Brüdern im Hause ist.«

Dann, während der Diener sich entfernte, wandte er sich an seinen Gefährten.

»Das Weib erkannte Dich trotz der Verkleidung. Wer ist sie?«

»Fatinitza – die Wölfin von Skadar – die Tochter Selim-Bey's, des verstorbenen Pascha's von Skadar.«[277]

»Ich habe von dem Knaben Mauro Manches gehört von dem Character dieser Frau und Deinem Verhältniß zu ihr, während Dein Mund gegen den eigenen Bruder verschlossen blieb. Du hast sie zu fürchten?«

»Sie hat mir Verderben geschworen – in der Kula von Protopapas.«

»Sie möge ihre Macht probiren, – ehe die Sonne aufgeht über den Golf, wirst Du auf den Wellen des Mavri-Thalassa3 schwimmen.«

Er legte das Barett, die falsche Haartour mit den langgewickelten dunklen Locken und den Bart ab, – es war Gregor Caraiskakis, der mit dem Bruder gesprochen.

Zugleich traten Geurgios der Fanariot und zwei andere Griechen in das Zimmer mit dem Knaben Mauro.

»Ist Nursah in seinem Gemach?«

Der Knabe bejahte.

»Der Bursche hängt mit Fanatismus an seinem Herrn und hat gedroht, Alles zu verrathen, ehe er ihn in Gefahr ließe. Die Nachricht, daß der Doctor verurtheilt ist und morgen erschossen werden soll, muß ihm verborgen bleiben.«

Es klang wie ein leiser Schrei durch das Gemach, und Caraiskakis blickte sich um, aber es war Nichts.

»Die Zeit des Handelns für uns ist gekommen. Höhere und wichtigere Interessen haben mich gezwungen, den Freund in die Gefahr zu bringen, die ihn jetzt bedroht. Fluch diesem Inglis, der ihn und uns verrathen. Meine Pflicht ist es jetzt, ihn zu retten und sei es mit meinem Blute.«

»Was gedenkst Du zu thun?« fragte Geurgios.

»Zuerst die Interessen unsers Glaubens und unsers Vaterlandes. Ich bringe schlimme Botschaft: Hadji Petros ist von Fuad, Zeinel-Pascha und Abdi geschlagen worden. Der General stand mit 4000 tapfern Hellenen bei Kalambaka, – Zacco und Katarachia deckten die uneinnehmbaren Pässe von Syrakos. Da sandten die Franken ihre Commissare zu Zacco und der Verräther gab ihren Lockungen und Versprechungen nach und räumte die Schanzen. Am andern Tage standen die Moslems vor Kalambaka. Hadji vertheidigte es mit viertausend Getreuen fünf Stunden lang gegen[278] Eilftausend, – kaum daß er verwundet selbst dem Gemetzel entkam. Sechshundert Christenköpfe schickten die Paschas auf Pferden nach Larissa4. Das Kreuz ist in Thessalien gefallen, wie es im Epirus fiel!«

»Und der König? – die Königin?«

»Sie liegen in den Banden der Franzosen und Engländer. Ihre Soldaten, stehen im Pyräus, ihre Schiffe kreuzen vor unsern Häfen und durchsuchen unsere Fahrzeuge. Spiro Milios ist arretirt und mach Napolis gebracht, weil er dem Schurken Kalergis und den fränkischen Schergen nicht Rechenschaft geben wollte, woher das Geld ihm gekommen, mit dem er unsere Brüder besoldet. Kalergis und Maurocordato rütteln am Thron, die Macht ist in ihren Händen, unsere Freunde werden in den Kerker geworfen, der König, bis Königin werden offen beschimpft und verhöhnt, unsere Presse ist unterdrückt und der britische und der französische Gesandte gebieten an der Akropolis.«

»Christen gegen Christen! Fluch ihnen, die uns bei Navarin geködert, nachdem unsere eigene Kraft die Fesseln gebrochen hatte.«

Ein trauriges Schweigen folgte den Mittheilungen. Gregor nahm zuerst wieder das Wort.

»Das Unglück darf uns nicht entmuthigen, – wir sind Kinder des Schmerzes und mit dem Kampf gegen die Tyrannei großgesäugt. Unsere Hoffnung richtet sich nach Norden, und ob Ströme von Blut fließen, die Söhne der Hetärie, die Kinder der Elpis werden nicht ermüden in dem Kampf. In dem heutigen Kriegsrath unserer Bedrücker, denn der Franzose und der Engländer sind jetzt so gut der Feind unsers Volkes und Glaubens wie der Moslem selbst – ist Wichtiges beschlossen worden. General Epinasse mit drei Divisionen wird einen Zug nach der Dobrudscha unternehmen. Die Führer sind außer ihm der Araber Yussuf, General Bosquet und der Prinz selbst. General Lüders muß sofort durch einen Boten benachrichtigt werden, denn ein Theil der Truppen ist bereits auf dem Marsch.«

»Mauro soll sich bereit machen.«

»Die Flotte segelt morgen ab, 12 Linienschiffe und 6 Fregatten. Sie wird in Baltschik anlegen, um den General Canrobert und Sir George Brown einzuschiffen.«[279]

»Aber das Geheimniß ihrer Bestimmung – so gilt es wirklich Sebastopol? und der Fürst, der sich auf uns verlassen, hat keine Nachricht?!«

Gregor nahm die Hand seines Bruders:

»Er wird sie ihm bringen und so zugleich diese Stadt verlassen, in der die Ankunft eines Dämons in Frauengestalt ihm Verderben droht. Die Flotte ist nicht, obschon dies allgemein verbreitet wird, zu einer Expedition gegen Sebastopol oder Balaclawa bestimmt, sondern wird nur eine Recognoscirung des Ufers vornehmen und die russischen Schiffe herauszulocken suchen, indem man sich den Anschein giebt, in Balaclawa landen zu wollen. Sie geht an die Küsten von Colchis mit Munition und Waffen für die Bergbewohner.«

»Wie wird Dein Bruder nach Sebastopol gelangen?«

»Die smyrniotische Felucke ›Maria‹ liegt auf der Rhede mit englischer Ladung für Batum, bereit, jeden Augenblick in See zu gehen. Capitano Felicio hat bis diesen Abend gezögert, die Pässe zu holen. Er wird bis Mitternacht in der Stadt verweilen – Nicolas kennt den Ort, wo er uns erwarten wird; er und der deutsche Arzt werden ihn in der Kleidung von Galiandschi's begleiten. Die Felucke wird vierundzwanzig Stunden vor der Flotte das Cap Aya passiren. Nicolas versteht mit einem Boote umzugehen, und wird mit einem solchen die Küste erreichen.«

»Der Weg ist sicher,« meinte Geurgios. »Welche Aussicht hast Du, den Franken zu retten?«

»Der Schlag, den wir erst in drei Tagen zu führen gedachten, muß schon in dieser Nacht erfolgen. Vor Mitternacht muß das französische Arsenal und das große Lazareth in Flammen stehen, und möge diese Brandfackel das Verderben des Halbmonds und seiner Freunde beleuchten.«

»Aber die Unsern sind noch nicht bereit – die Brander nicht fertig.«

»Wir haben sechs Stunden Zeit, darin läßt sich der Untergang von ganz Varna bereiten. Ich will es an allen Ecken anzünden, ehe ich zugebe, daß der Freund ihr Opfer wird.«

»Und Dein Plan, ihn aus dem Konak des Pascha's zu befreien?«

»Wir wissen durch Vaso – Vassili, wie er im Dienst des Pascha's heißt, – daß er in demselben Seitenflügel des zweiten[280] Hofes gefangen gehalten wird, den der Inglese mit dem griechischen Mädchen bewohnt. Wir werden Eingang finden zu ihnen, ich und mein Bruder, das Wie? und Warum? kümmert Euch nicht, es ist eine Rechnung unter mir und dem Briten. Wenn die Flammen des Arsenals in den Nachthimmel emporschlagen, wird der Konak lebendig werden, und Alles zu dem nahen Feuer strömen. In der Verwirrung wird es uns leicht sein, den Gefangenen zu befreien und mit ihm bis in die Khandschia am Hafen zu gelangen, in der uns der Capitano erwartet. Die Thore der Wasserseite bleiben wegen der Flotte die ganze Nacht geöffnet. – Ist Jussuf, der Mohr, hier gewesen?«

»Vor kaum einer halben Stunde, um Abschied zu nehmen von dem Bruder. Die türkischen Spahi's, wie diese Franken die Räuberschaar genannt haben, verlassen die Stadt.«

»Ich, weiß es – und nun an unsere Geschäfte. Die Heiligen mögen uns schützen.«

1

Der damalige Unternehmer der großen Oper.

2

Seit 1844 das Lieblingslied dieses eigenthümlichen und berühmten Corps. Sein Ursprung schreibt sich von folgender Anecdote: In einer Nacht überfielen die regulairen Truppen Abdl-Kaders das Lager des Marschalls Bugeaud und waren mitten darin, ehe die erstaunten Soldaten die Gefahr ahnten. Die Offiziere mußten sie mit ihrem Beispiel ermuntern. Der Marschall war einer der Ersten auf dem Platz und tödtete mit eigener Hand zwei Feinde. Bald war die Ordnung wieder hergestellt, die Zuaven, welche dies eine Mal so schlechte Wache gehalten, sammelten sich, rückten an und verjagten den Feind. Nach beendigter Schlacht bemerkte der Marschall bei der Helle der Bivouacfeuer, daß Alle, die ihn ansahen, verstohlen lachten. Er fährt mit der Hand nach seinem Kopf und findet diesen mit einer solennen – Nachtmütze bedeckt. Als er hierauf nach seiner Feldmütze ruft, erheben sich tausend Stimmen und schreien nach der Mütze des Marschalls. Am andern Morgen circulirte bereits das Lied und hat sich seitdem bei dem Corps erhalten.

3

Neugriechische Benennung des Schwarzen Meeres.

4

Historisch!

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 3, Berlin 1856, S. 259-281.
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