Madara.

[100] Man kann sich unmöglich darüber täuschen, daß die, durch die politischen Verhältnisse hervorgerufene und von Petersburg befohlene schwankende Haltung der Russen in den Donau-Fürstenthümern und ihre anfänglich viel zu geringe Machtaufstellung das Schicksal des Donau-Feldzuges herbeigeführt haben. Erst nachdem die Absichten der Westmächte selbst der politischen Naivetät klar sein mußten, erhielt am 10. März Fürst Gortschakoff von Petersburg die Weisung, sich nicht länger auf die Vertheidigung des »genommenen Pfandes« zu beschränken, sondern die Offensive gegen das rechte Donauufer zu ergreifen und diejenigen Punkte auf demselben zu besetzen, welche allenfalls bei dem weiteren kriegerischen Vorgehen auf feindlichem Boden zu Pivots dienen könnten.

Die Wahl dieses Vorgehens hatte ihre besondere Schwierigkeiten, und man hat den erwählten Weg dem Fürsten Gortschakoff – indem man ihm nur das Talent eines tüchtigen Taktikers und Artilleristen läßt – zu einem großen strategischen Fehler gemacht. Es läßt sich indeß Vieles zu seiner Rechtfertigung sagen.

Mit einem Übergang an der Gränze der kleinen Walachei, zwischen Rustschuk und Widdin, hätte die russische Armee die türkische allerdings zu einer allgemeinen Schlacht zwingen und durchbreche können. Es stand ihr dann, da die feindlichen Festungen dieser Operationslinie (Sistowa, Nikopolis, Rahowa) nur unbedeutend waren, die Hauptstraße im Isker Thal nach Adrianopel offen, und ein Monat hätte sie vielleicht dahin gebracht. Abgesehen aber davon, daß die Türken mehr denn doppelt so stark waren als 1828, und mit einer Artillerie versehen, die sich mindestens mit der russischen[101] messen konnte, war damit der Rücken und die rechte Flanke der schon damals sehr bedenklichen Haltung der Österreicher und ihrem angedrohten Einrücken in Serbien Preis gegeben, und die Verpflegung einer so bedeutenden Armee bei den grundlosen Straßen aus dem langen Landwege um so schwieriger. Die Küsten des schwarzen Meeres mußten auch hierbei von einem starken Corps besetzt gehalten werden, um eine Operation der Türken und ihrer Alliirten von dieser Seite zu verhindern. Der Aufstand in Griechenland und der erwartete in Montenegro waren noch nicht so weit gediehen, um davon bedeutende Hilfe hoffen zu können.

Der andere Weg war der schon in den frühern Feldzügen gewählte durch die Dobrudscha. Der strategische Plan des türkischen Oberbefehlshabers erleichterte sogar den Angriff auf diesen Punkt, indem Omer, auf die Flotten der Westmächte bauend, sein Hauptaugenmerk und seine Kraft nach der oberen Donau und Widdin-Kalafat geworfen, um die Verbindung mit Serbien und Rumelien zu hindern, und Mustapha-Pascha zur Besetzung der untern Donau und der Dobrudscha nur 10 Bataillone Nizam, 8 Bataillone Redifs, 3000 Baschi-Bozuk's und 4000 Reiter mit 48 Kanonen zur Disposition gestellt hatte. Bei dem Stoß gegen die Dobrudscha behielten zugleich die Russen stets ihre Basis an der Moldau und dem eigenen Gebiet.

Freilich fehlte ihnen diesmal gegen die früheren gleichen Feldzüge die Unterstützung ihrer Flotten und die Beherrschung des Meeres.

Dennoch wurde dieser Angriffspunkt gewählt und zunächst der Übergang an vier Stellen bestimmt.

Mustapha-Pascha erhielt durch die zahlreichen Spione, die sich auch im russischen Lager befanden, bereits am 22. Nachricht von den beabsichtigten Operationen, konnte sie jedoch, obschon er aus sein dringendes Verlangen 6000 Mann Verstärkung erhalten, nicht hindern, da die russische Hauptarmee hier eine Macht von 90,000 Mann hatte1.[102]

Am 20. ging Oberst Suroff mit einem Detachement von 2000 Mann durch die Donaufurt, 2 Meilen unterhalb Hirsowa, und setzte sich gegen die zum Schutze der Feste errichteten Schanzen in Bewegung. Sein rascher Angriff wurde durch das Feuer von Kanonenböten unterstützt, mußte aber, da die Türken wüthend kämpften, drei Mal erneuert werden. Am 21. waren die Schanzen genommen, am 22. begann die Cernirung, am 23. die Belagerung der Citadelle Hirsowa's. Am 30. Morgens wurde sie mit Sturm genommen, nachdem ein Theil durch das Bombardement ein Raub der Flammen geworden war.

Am 23. ließ der Oberbefehlshaber, Fürst Gortschakoff, nachdem am 22. bereits ein lebhaftes Feuer auf die bei Matschin errichteten türkischen Verschanzungen vom linken Ufer aus eröffnet worden, unter dem Schutz von 24 Zwölfpfündern und 6 Achtzehnpfündern eine Pontonsbrücke nach birago'schem System bei Ibraila über die Insel vor Gedschid an das rechte Donauufer, schlagen und setzte mit einem starken Corps über. Die Türken zogen sich nach Matschin zurück.

Gleichzeitig schlug General Lüders eine zweite Brücke von Galacz aus das rechte sumpffreie Ufer zwischen Matschin und Isaktscha und überschritt unter Kanonendonner den Strom mit dem Lublin'schen und Samoszki'schen Jäger-Regiment und den Infanterie-Regimentern Modlin und Bragasch, nebst Kavallerie und Artillerie.

An demselben Tage erzwang auch auf dem vierten Punkte General Uschatoff nach blutigem Kampf den Donauübergang von Ismaël aus, dessen weiße Mauern durch Byron's »Don Juan« gefeiert sind, oberhalb Tultscha, und nahm die türkischen Redouten mit Sturm.

Am 24. wurden bereits Matschin, Isaktscha und Tultscha belagert. Die Besatzung von Matschin, das mit bedeutenden Proviant und Munitionsvorräthen versehen war, – etwa 6000 Mann – ergab sich am Morgen des 27., nachdem die Festung zwei Tage lang beinahe ununterbrochen mit Bomben beworfen und zwei Mal gestürmt worden.

Am selben Tage fielen Isaktscha und Tultscha, – die Russen befanden sich also am 30. im Besitz sämmtlicher festen Punkte an der Donau unterhalb des alten römischen Trajanswalles, der an dem schmalsten Punkt von der Donau zum Meere führt und an[103] der Erstern von Tschernawoda und Karassu, an der See von Küstendsche flankirt wird.

Mustapha Pascha mußte daher die Verteidigung von Babadagh – der Position im Innern der jetzt eingeschlossenen Halbinsel Dobrudscha, – so eilig aufgeben, daß sämtliche Vorräthe in die Hände der Feinde fielen, und sich auf den Trajanswall zuzückziehen.

Nachdem in den ersten Tagen des Aprils auch die Operationen gegen Silistria von Kalarasch aus begonnen, räumte der türkische General vom 6. bis 11. auch Tschernawoda und Karassu, und zog sich auf der Straße nach Basardschik zurück, so daß sich die Russen im vollen Besitz der obern Dobrudscha befanden. –

Kaiser Nicolaus hatte unterdeß den Veteran seiner Schlachten, den General-Statthalter von Polen, Feldmarschall Fürsten Paskiewitsch, auf den Kampfplatz beordert und diesem die obersten strategischen Anordnungen übertragen.

Der Fürst traf in den ersten Tagen des Aprils in den Fürstenthümern ein und nahm die einzelnen Stellungen der russischen Streitkräfte in Augenschein, zunächst vor Kalafat, das General Liprandi jetzt näher cernirt hielt, und wo in den letzten Tagen des März einige blutige Gefechte vorgekommen waren.

Aus dem Helden von Eriwan war aber auch ein Diplomat geworden – es galt nicht mehr, Schlachten zu schlagen, sondern auch zu fragen, ob sie geschlagen werden dürften?

Der Allianztractat zwischen Österreich und Preußen mußte dem Ersteren eine drohende Stellung in Bezug auf die Fürstenthümer geben, und obschon der preußische Kriegsminister, General Bonin, der offene Gegner der russischen Interessen, seinen undiplomatischen Erklärungen bei Berathung der Creditbewilligung auf die Beschwerde Rußlands bald darauf zum Opfer fiel, war damit die freie Hand Österreichs nicht beseitigt. Von den Tractat-Verhandlungen und der verabredeten Somnation gegen die fortdauernde Occupation der Fürstenthümer, hatte natürlich die russische Diplomatie zeitige Kunde und diese, so wie die Unterdrückung der Aufstände in Czernagora und den türkisch-griechischen Provinzen bewogen ihn, schon am 16. dem General Liprandi den Befehl zu ertheilen, die Cernirung Kalafat's aufzugeben und seine Streitkräfte auf das Ufer des, die kleine von der großen Walachei trennenden Flusses Aluta zurückzuziehen. Sofort wurden die Spitäler aufgehoben und der Belagerungspark[104] in Sicherheit gebracht. Am 23. sammelten sich bereits die Truppen in Krajowa und setzten am 25. ihren Marsch gegen die Aluta fort. Die Türken drangen sofort von Kalafat nach, setzten an mehreren Punkten über die obere Donau, und es kam, namentlich am Schyl, zu blutigen Gefechten, in denen meist die Türken Sieger blieben.

Am 16. hatte ein bedeutendes russisches Streifcorps die Donau bei Oltenitza passirt, wurde aber gleichfalls durch die Bajonnetangriffe der Türken zurückgeworfen.

Auch in der Dobrudscha war es zu harten Kämpfen gekommen, und General Lüders wurde in einem blutigen Gefecht bei Tschernawoda am 20. nach einem sechsstündigen Kampf geschlagen und verlor an 500 Todte, 250 Gefangene und 15 Kanonen. Doch mußten die Sieger vor der anrückenden Hauptcolonne der Russen wieder weichen. An der oberen Donau schlug Sali-Pascha die Gegner bei Turnul und Nikopoli, Suliman-Pascha erstürmte Radowan, so daß Ende des Monats die Türken Herren des grüßten Theils der kleinen Walachei waren. –

Am 27. April war Fürst Paskiewitsch in Kalarasch eingetroffen und die Bewegungen zur Cernirung von Silistria, in der letzten Hälfte des April von General von Schilder begonnen, concentrirten sich. Nachdem die Verbindung zwischen Kalarasch und den Donauinseln hergestellt worden, beschossen die Russen die türkischen Uferbatterieen und die türkische Flotille vor Silistria. Die Festung, die zwar 179 Geschütze, aber keine Feldbatterie zur Disposition hatte, wurde von Mussa-Pascha anfangs mit mir 9000 Mann vertheidigt. Der Sirdar eilte daher, Verstärkungen von Schumla her hinein zu werfen und ein Theil der Corps aus Kalafat und Widdin wurde zum Ersatz eilig herangezogen.

Am 3., 4. und 5. waren bereits Truppen der Westmächte in Varna eingetroffen.

Nachdem wir hiermit die Kriegsereignisse im Allgemeinen bis zum Mai nachgetragen, nehmen wir den Faden unserer Erzählung wieder auf.


Es war in der ersten Hälfte des köstlichen lieblichen Mai, des Wonnemonds, von dessen Wonne und Köstlichkeit wir Nordländer gewöhnlich Nichts erfahren und von dein wir allein die Erinnerung haben, daß der Hexentag auf dem Blocksberg ihn eröffnet.[105]

Anders ist es im Süden – da quellen die Wonnen wirklich aus Busch und Strauch, von Matte und Baum, von Thal und Berg, da öffnet die Natur in voller Milde und Lieblichkeit den Busen, und der balsamische Hauch des neuen Blumenlebens, die milde Luft des blauen Himmels schwellt die Herzen.

Der helle Mondschein goß sein Licht über eine rauhe wilde Gegend am Paß nach Ternowo aus der Höhe des Gebirges. In tiefen Uferwänden sprudelte ein lebendiger kleiner Gebirgsfluß, – üppiges Rankengewächs überdachte die springende von Stein zu Stein fallende klare Fluth, kolossale Felsblöcke rahmten das Ufer ein und zogen sich bis zur hohen Basaltwand, die, mit dichtem Gesträuch bekleidet, emporstieg. Ahorn-, Wallnuß-, Feigen- und Maulbeerbäume, umrankt und verbunden durch den kleinblättrigen wilden Wein füllten mit ihrem frischen Laub die Umgebung, und ihre Blätter zitterten und spielten in phantastischen Effecten, bald im Mondstrahl, bald im langen Lichtschein, der von einer Stelle zwischen zwei mächtigen Feldstücken hervorbrach. Dort lagerte um ein Feuer eine bunte Gesellschaft, wie sie die wilden Verhältnisse des Gebirges und der Zeit zusammengeführt – eine Anzahl Männer und zwei Frauen, letztere hinter dem Kreis der Männer mit einem jungen Mohren an den Resten des Mahles beschäftigt, das ihre Herrn und Gebieter eben gehalten.

Acht oder neun der wilden Gestalten, die um das Feuer saßen, behaglich den Schibuk im Mund und von Zeit zu Zeit die Rakihflasche im Kreise umhergehen lassend, gehörten offenbar ihrer Kleidung und Bewaffnung nach zu den freien Bewohnern der Berge, den kühnen und unermüdlichen Feinden der Türken, den Haiducken, mit den weißen wollenen Röcken und dem in zwei lange Flechten geheilten Haar des Hinterkopfes. Um so mehr fiel zwischen ihnen, und augenscheinlich ihnen befreundet, die Gestalt eines greisen Moslems auf, in blauen weiten Halbbeinkleidern und rothen Strümpfen, blauer Ärmeljacke und einer hohen, oben breiten, weißen Mütze, mit dem langen rothen Sack. Wer vor dem Juni 1826 Constantinopel besucht, kannte die Tracht sehr wohl, – es war die der Ienethtschjeri oder Janitscharen, der alten gefürchteten Krieger des Reiches.

Zur Seite des Buluk-Baschi's oder Capitains der Haiducken, saßen zwei Europäer, Doctor Welland, der Arzt des Lazareths von Widdin, und ein französischer Genie-Offizier, Capitain Depuis,[106] aus der Begleitung des Seraskiers, der in letzter Zeit wieder nach Kalafat gekommen war, um die Verschanzungen gegen die vorrückenden Russen zu verstärken.

Beide waren, bei dem Rückzug der Russen von Kalafat und der Auflösung der dortigen türkischen Stellung, auf dem Marsch nach der ersten Bestimmung des Arztes, nach Silistria, begriffen und hatten den Weg durch die Gebirge auf Schumla eingeschlagen. Ihre heutige Tagereise hatte jedoch bereits am Nachmittag ein unerwartetes Ziel gefunden, denn der Saptieh, jene Sorte türkischer Spitzbuben von Gensd'armen, die als bewaffnete Wachen und Wegführer den Reisenden von Station zu Station begleiten, gewöhnlich aber, wenn ihnen nicht ein größerer Vortheil durch die Ehrlichkeit in Aussicht steht, mit den Räubern des Gebirges zur Plünderung ihrer Schutzbefohlenen im besten Einvernehmen stehen, hatte sie auf Nebenwege geführt, eine Sache, die bei dem Zustande der Straßen in der Türkei leicht genug ist, und bei dem Erscheinen eines kleinen Truppes von Haiducken spurlos verlassen. Ein Widerstand der beiden Männer und ihrer zwei Diener gegen die wilden Söhne des Gebirges hätte nur nutzlos ihr Leben gefährdet, und so machten sie sich bereits auf eine vollständige Ausplünderung gefaßt, als zu des Arztes Verwunderung der Mohrenknabe Nursah den Anführer der Haiducken anrief und nach einer kurzen Besprechung in türkischer Sprache zu seinem Herrn führte.

»Du bist der fränkische Hekim-Baschi, der in der Lokanda des Slowaken Alexo zu Widdin gewohnt hat?« fragte der Capitano.

»Ja. Kennst Du mich?«

»Ich habe Dich oft gesehen, wo Du mich nicht sahest, und weiß, daß Du ein Bulgare und unser Freund bist. Ich bin Michael Miloje, der Schwiegersohn des Handscha Gawra vor dem Thore Widdin's, und weiß, daß Du der Mutter meines Weibes beigestanden in schwerer Krankheit, und für den Handscha gesprochen hast bei dem Vali2 von Widdin. Sei mir gegrüßt, Bruder, Du und die Deinen, Ihr seid sicher unter dem Schutz Miloje's und werdet seine Gastfreundschaft nicht verschmähen.«

Obschon der Arzt sich des Haiducken nicht erinnerte, war die unerwartete Umwandlung desselben in einen Freund doch viel zu willkommen, um sie nicht mit beiden Händen zu ergreifen, und wiewohl[107] die Reisenden gern ihren Weg fortgesetzt hätten, mußten sie sich doch bequemen, die gebotene Gastfreundschaft des Haiduckenführers anzunehmen und ihn in das Innere des Gebirges zu begleiten.

Die kleine Karavane wandte sich demnach unter Führung Miloje's auf ungebahntem Weg zwischen Felsen und Gestrüpp nach der Höhe der Berge und kam nach einem Marsch von etwa einer Stunde auf dem prächtigen Felsenhang an, auf dem die Schaar ihr fliegendes Lager aufgeschlagen und von wo sie in einzelnen Streiftrupps die jetzt sehr belebte Straße durch die Pässe belästigte und häufig selbst größeren Abtheilungen der Türken ernste Scharmützel lieferte.

Da fast alle Mitglieder der Gesellschaft auf solchen Streifereien nach der Niederung entfernt waren, fanden sie unter den von Strauchwerk, Fellen und Stangen flüchtig errichteten Hütten nur Marutza, jetzt die Frau des Führers nach der kühnen Entführung, und das Weib eines anderen Haiducken, nebst dem oben beschriebenen alten Janitscharen und einem anderen Mann.

Alsbald wurden Anstalten zum Mahle gemacht, das aus dem unvermeidlichen Nationalgericht, dem Gaourt (geronnener saurer Milch) und der Hälfte eines in einer Grube zwischen Steinen gerösteten Schafes bestand. Hier, in den Öden des Gebirges, hörten die Reisenden die neuesten Nachrichten von dem augenblicklichen Schauplatz der Kämpfe.

Mit Triumph erzählte der Bulgar von der Übergabe Matschins mit einer frischen Garnison von 6000 Mann und guten Wällen an seine Freunde, die Russen. Im ganzen Volke und selbst in der Armee war damals die Fabel verbreitet, daß Omer-Pascha eine ungeheure Belohnung von den Russen bekommen, um Kalafat an sie zu verrathen, und daß eben deshalb Achmet-Pascha, sein Freund, so träge und thatenlos sich in den großen Verschanzungen gehalten habe. Der Plan sei aber dadurch vereitelt worden, daß man außerhalb der Schanzen einen Brief Achmet's an den russischen General gefunden, worin er diesem die Stunde angab, in welcher ihm Kalafat überliefert werden sollte. Stender-Pascha, Mustapha-Pascha und Ismaël-Pascha hätten sich dein Verrath widersetzt, und so sei Omer genöthigt worden, seinen Freund Achmet im Kommando durch Halim-Pascha zu ersetzen und ihn als Generalstabschef zu sich nach Schumla zu berufen, worauf er alsbald die[108] Russen am andern Ende der Donau bei Matschin in's Land gelassen habe. In dieser Weise wurde die kluge Defensive des Muschirs in der ganzen Türkei ausgelegt und von seinen vielen Feinden in der alttürkischen Partei selbst in Constantinopel verbreitet. Es ist bekannt, daß sein erbitterter Gegner Riza-Pascha auf die Nachricht von der Einnahme Matschins ein Gastmahl gab und sie seinen Gästen mit den Worten verkündete: »Ich habe es immer gesagt, der Dschaur wird uns die Dschaur's in's Land herein lassen!« –

Da Welland während des Jahres seines Aufenthalts in der Türkei bereits ziemlich gut die türkische Sprache erlernt hatte und auch der lustige französische Capitain das Kauderwälsch der Lingua Franca einigermaßen handhabte, ging die Unterhaltung ziemlich geläufig von Statten. Der Arzt und der Franzose mußten von den fernen Ländern erzählen, denen sie angehörten, und der Erstere benutzte die Gelegenheit, möglichst viel von den Sitten und Gebräuchen des Volkes zu erfahren, unter welches das Schicksal ihn geführt.

Ihm gegenüber saß ein Mann im mittleren Alter, dessen keckes, mit mehr als einer Narbe bedecktes Gesicht von dem abenteuerlichen Leben zeigte, das er geführt, und den die Fremden bei ihrer Ankunft im Lager dort und im Gespräch mit dem alten Janitscharen gefunden hatten. Er sprach fertig italienisch und seine Reden zeigten, daß er weit in der Welt umher gekommen. Auf sein Befragen erfuhr der Doctor, daß er einer jener Kiradschia's sei, gewöhnlich geborene Bulgaren, die als Agenten, Hausirer oder Spediteure der Großhändler alle Provinzen durchstreifen und bis nach Syrien, ja bis zum Kaukasus hin Waaren an bestimmte Handlungshäuser befördern und von da auf ihren kleinen Balkan-Pferden oder Kameelen neue Ladung mitbringen, häufig auch Hausirgeschäfte auf eigene Hand machen. Diese Menschen zeichnen sich durch eine erprobte Ehrlichkeit aus; eher könnte man die Sonne von ihrer Bahn ablenken, als die Kiradschia's von dem Wege des Rechts, das heißt jenes Rechts, das unter diesen Völkern als solches gilt, denn sie kaufen und vertreiben eben so gern die ›ehrlich‹ erworbene Beute der Räuber, was freilich nach unsern Begriffen für Hehlerei angesehen werden würde. Als weit gereiste Leute haben sie immer höchst interessante Abenteuer zu erzählen: bald serbische, walachische und moldauische Hofintriguen, bald Klatschereien[109] von den Höfen zu Cairo, des Pascha's von Bagdad und der Drusen- und Maronitenhäupter; bald wilde Räuberzüge und Kämpfe am Kuban oder aus den Öden der arabischen Wüste; kurz, sie sind das Orakel der Dorfbewohner und die Vorsehung der umherstreifenden ›Freien‹ im Balkan wie am Libanon. Sie kaufen zu ehrlichen Preisen ihren Raub und liefern ihnen Pulver, Waffen und alle sonstigen Bedürfnisse.

Paswan, der Kiradschia, war seit einer Woche bei der Bande des Michael Miloje, und seine Vertraulichkeit mit allen Mitgliedern zeigte, daß er hier ein häufiger, sein wohlgefülltes Gepäck, daß er ein willkommener Gast sei. Er wollte am andern Morgen zugleich mit den Fremden aufbrechen und diese bis Schumla begleiten, und erzählte jetzt bei dem Keff3 um das Feuer von seinen Wanderschaften.

Ein zufälliges Lüften seiner Kopfbedeckung hatte den Fremden gezeigt, das; er sein linkes Ohr eingebüßt, und der Blick danach war den scharfen Augen des Kiradschia's nicht entgangen.

»Ihr müßt nicht denken, Franken, ich sei aus eine schlimme Weise darum gekommen,« sagte er. »Es ist ein Andenken an diese Berge und meine Knabenzeit, und wenn's Euch gefällt, will ich Euch erzählen, warum ich Paswan der Einohrige heiße.«

Der Arzt und der Offizier baten um das Abenteuer und der Hausirer begann:

»In den Felsenklüften des Balkan wohnt neben dem Eber, dem Hirsch und dem Wolf auch der Bär, und er ist für die zahlreichen Hirten unseres Landes das gefährlichste Thier. Er ist der Feind des Bulgaren, denn wenn er ein Rind oder ein Pferd zu Boden reißt, so muß der Bulgare es dem Spahi ersetzen. Schon von meiner frühesten Jugend an half ich meinem Vater die großen Heerden hüten, die seiner und eines seiner Vettern Aufsicht von dein Kiaja anvertraut waren. Unser Vetter hatte einen Knaben, der in meinem Alter war, – ich hatte dreizehn Winter gesehen, – wo er jetzt ist? Gott allein weiß es, und wir Beide hüteten gewöhnlich gemeinschaftlich eine Heerde von Pferden an dem nördlichen Abhange des Gebirges, von dem der Osma herabströmt, eine Tagereise von Ternowo, der heiligen Stadt unseres Landes, wo die Gräber sind unserer letzten Krals.[110]

Seit einiger Zeit hatte eine Bärenfamilie, die in der Tiefe des Gebirges ihr Lager zu haben schien, den Heerden unseres Celo arg zugesetzt und bereits mehrere Pferde zerrissen. Vergeblich waren alle Streifzüge, welche die Männer der Gegend nach den Schluchten unternommen hatten; eines Abends aber kam, während ich mit meiner Heerde am Fuße der Berge weidete, Weliko, mein junger Vetter, aus seinem besten Schimmel angejagt und ich konnte schon an seinem frohen Aussehen merken, daß er eine besondere Kunde auf dem Herzen habe. Er war am Morgen in's Gebirge geritten, um eine entlaufene Stute wieder aufzusuchen. – ›Paswan,‹ sprach er zu mir, indem er vom Pferde sprang, ›wenn Du Muth hast, so können wir das Schußgeld für einen Bären verdienen. Aber Du mußt mir versprechen, daß Du keiner menschlichen Seele davon ein Wort sagst, sonst behalte ich für mich, was ich gesehen habe.‹ – Ich schwor ihm dies bei der Sweta-Horata hoch und theuer, und der Junge, er war kaum ein halbes Jahr älter als ich, erzählte mir nun, daß er ganz nahe an unseren Weideplätzen zufällig auf einem Felsen das Lager eines Bären entdeckt habe, das unsere Jäger so weit im Gebirge gesucht hatten.

Er hatte bei dem Suchen des Pferdes den Bären gesehen und war ihm gefolgt, bis er sich sicher überzeugt, daß das Thier sein Lager gefunden. Aus die Klauen eines erwachsenen Bären waren damals von der Regierung des Paschaliks 50 Piaster gesetzt, auf die der Jungen die Hälfte; außerdem hatte das Fell einen guten Preis, und wir Burschen glaubten in unserer Dreistigkeit, uns das Geld so gut verdienen zu können, wie ein alter Jäger, und machten danach unseren Plan, indem wir beschlossen, am anderen Tage das Lager aufzusuchen.

Die Heiligen seien mir gnädig, aber ich war damals ein wilder Bube. Mein Vater hatte eine alte Trombole in seiner Hütte – er ist längst im Paradiese, wie mir der Popa gesagt, der mich schwere Dukaten dafür zahlen ließ! – und Niemand achtete mehr darauf. Weliko, mein Vetter, übernahm es, seinem Vater Pulver und einige Kugeln zu stehlen, während ich das Gewehr bei Seite zu bringen versprach. Nachdem wir Alles auf's Beste verabredet, trennten wir uns; ich trieb meine Pferde in den Pferch und es gelang nur glücklich, die Trombole wegzubringen und in der kleinen Hütte von Weidengeflecht zu verbergen, in welcher ich gewöhnlich mitten unter den Pferden die Nächte zubrachte. Als[111] ich am andern Morgen mit Hilfe meines Vaters die mir überwiesene Heerde ausgetrieben und dieser sich mit der seinen nach der andern Seite entfernt hatte, kehrte ich rasch zurück und holte mir das Gewehr. Es war um Mittag, als Weliko zu mir stieß, der einen andern Buben beredet hatte, während unserer Abwesenheit die Pferde zu beaufsichtigen und sie nötigenfalls heimzutreiben. Wir machten uns daher sofort aus den Weg nach der Richtung, in der Weliko das Lager des Bären wußte, ohne daß eine menschliche Seele weiter von unserem Anschlag erfahren hatte. Unterwegs luden wir das Gewehr mit dem ganzen Pulver, das mein Vetter gestohlen, und zwei Kugeln, und füllten die Mündung außerdem bis an den Rand hinauf mit Kieselsteinen an. Triumphirend schleppten wir die Waffe auf unseren Schultern und stiegen so die Berge und Felsen hinauf. Die Sonne war bereits stark im Sinken, als wir uns endlich dem von Weliko bezeichneten Platze näherten. Der Felsen, auf dem er sich befand, war ziemlich hoch und mit dichtem Gestrüpp und Buschwerk bewachsen. In diesem krochen wir fort, bis wir eine ziemlich freie Stelle erreichten, wo mich Weliko festhielt und, nach dem Hintergrund zeigend, an dem eine hohe Felswand den Platz abschnitt, mir zuflüsterte, daß dort das Lager der Bären sei. Wir lauschten eine Weile, ohne indeß eine Spur von der Bärin zu merken, und faßten endlich Muth genug, uns naher an das Lager zu wagen. Hier trafen wir richtig in einer Vertiefung des Felsens und in einem von Buschwerk und Gras förmlich zusammengebauten Nest zwei junge Bären, etwa sechs Wochen alt, die munter wie Kätzchen mit einander spielten. Wir beriethen, ob wir nicht lieber mit diesem Fang uns begnügen und eilig das Weite suchen sollten, und waren schon dazu entschlossen, als uns ein leises Brummen vom Fuße des Felsens herauf die Gewißheit gab, daß die Bärin in der Nähe und uns also der Rückweg abgeschnitten war. Es blieb uns demnach Nichts übrig, als an unserm ersten Plan festzuhalten und nach der Bärin zu schießen. Wir sahen uns zunächst nach einer geeigneten Stelle um, von der wir unbemerkt das Thier belauschen und unseren Schuß anbringen könnten, und glaubten eine solche hinter einem Felsblock gefunden zu haben, an dessen Seiten ein junger Wallnußbaum in die Höhe wuchs. Schon vorher war großer Streit zwischen uns gewesen, welcher von uns Beiden den gefährlichen Schuß thun solle; ich behauptete, das Anrecht darauf zu haben,[112] weil ich das Gewehr geschafft, Weliko dagegen, weil er Pulver und Blei geliefert und der Ältere war. Trotz unserer wenig sicheren Lage zankten wir uns daher jetzt auf's Neue, als plötzlich ein lautes Brummen, eben nicht mehr sehr weit von uns entfernt, dem Streit ein Ende machte, und ich erschrocken das Gewehr fahren ließ, das in Weliko's Händen blieb. Wir waren kaum hinter das Felsstück gekrochen, als wir von der anderen Seite die Bärin herauftraben sahen, die zuerst nach ihren Jungen ging, gleichwie eine Baba besorgt nach den Kindern schaut, dann aber schnüffelnd auf unsern Versteck zukam. Ich rief Weliko zu, fest zu zielen und sich nicht zu übereilen; doch die Furcht mochte ihn in diesem Augenblicke auch wohl stark erfaßt haben, und die Trombole entlud sich alsobald mit einem großen Knall und mit einem durch die unvernünftige Ladung so heftigen Stoß, daß er uns Beide, die wir dicht an einander kauerten, zu Boden warf. Der Bär zuckte zusammen und hob sein linkes Vorderbein in die Höhe, das von dem, Schuß ganz zerschmettert war; außerdem hatten wir ihn aber auch nicht weiter verletzt. Zugleich sprang Weliko auf, warf die Flinte von sich und begann so eilig als möglich das Felsstück und den jungen Wallnußbaum hinaufzuklettern; ehe ich aber noch aufstehen und ihm folgen konnte, war das Thier bereits zur Stelle und hob sich an den Hinterfüßen an dem Baum empor. Sie können denken, daß dies nicht wenig dazu beitrug, die Schnelligkeit meines Vetters zu vermehren, der mich so kläglich im Stiche ließ. Meine Lage war in der That schlimm genug, denn jede Bewegung mußte sofort die Aufmerksamkeit der Bestie aus mich ziehen. Der Bär gab auch bald den Versuch auf, den Baum zu erklettern, wahrscheinlich, weil er mit seiner zerschossenen Pranke nicht fort konnte, und er wandte sich nun gegen mich. In diesem Augenblicke, Gott allein weiß es, wo ich ganz rath- und hilflos war, fuhr mir plötzlich die oft gehörte Erzählung durch den Sinn, daß der Bär nie einen todten odemlosen Menschen berühren soll, und indem mich das Thier bereits mit der Schnauze anstieß, beschloß ich, mich todt zu stellen und hielt den Athem an. Die Bestie stellte sich nun quer über mich und begann mich von oben bis unten zu beschnüffeln. Ich konnte, indem ich die Augen geschlossen hielt, den heißen Athem des Thieres und seine feuchte kalte Schnauze auf meinem Gesicht fühlen, und mir mit Anstrengung aller Willenskraft gelang es mir, die Augen geschlossen zu halten. Schon fing[113] die Kraft, den Athem zu halten, an, mir auszugehen, als ich mich plötzlich von der gesunden Tatze der Bestie gestoßen und mich um und um gerollt fühlte. Dies wiederholte sich mehrere Male, bis mir die Luft völlig ausging und ich es nicht länger auszuhalten vermochte. Ich öffnete daher zugleich Mund und Augen und sah mich zu meinem Entsetzen dicht am Abhange des Felsens, der hier in einer fast senkrechten Wand wohl über 50 Ellen tief in eine Schlucht fiel. Das boshafte Thier hatte, keinen Athem an mir spürend und dennoch mißtrauisch, versucht, mich mit seiner gesunden Tatze an den nahen Abhang zu rollen und gab mir eben den letzten Stoß, der mich hinunter werfen sollte. In der Todesangst faßte ich zu und ergriff im Fallen glücklich die wunde Klaue der Bärin. Der Ruck meines Falles war so heftig, daß ich meinen dicht am Abgrund stehenden Feind mit hinunter riß und er nur noch Zeit hatte, sich mit der rechten gesunden Klaue an einer vorlaufenden Wurzel des Randes festzuklammern. Er brüllte grimmig vor Schmerzen in dem wunden Bein, an dein ich mich festhielt, und versuchte vergeblich, nach mir zu schnappen, oder mit seinen Hinterfüßen an der glatten Felswand einen Halt zu fassen; während dem gelang es mir, mit den Beinen und Armen den Rücken des Bären zu umklammern, und so einen bessern Halt zu gewinnen. Ich rief Weliko aus allen Kräften zu, mir zu Hilfe zu kommen, sah ihn aber nur von dem Wipfel seines Baumes herunterrutschen und hörte ihn dann eilig davonlaufen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, mir in meiner gefährlichen Lage beizustehen. Der Bär bemühte sich nun, mit seiner linken Pfote gleichfalls den Felsrand zu fassen, doch ließ ihn der Schmerz der zerrissenen Muskeln nicht dazu kommen. Dagegen sah ich, daß seine Kraft unmöglich lange die doppelte Last an einer Tatze würde tragen können und glaubte uns Beide in wenig Augenblicken schon zerschmettert auf dem Grunde der Schlucht. Meine Augen rollten in der verzweifelten Lage hilfesuchend umher, als sie plötzlich etwa 6 Fuß unter mir und etwas zur Seite auf einen dort aus der Felsenritze hervorgewachsenen, jedoch vom Sturm wenige Fuß über dem Boden abgebrochenen jungen Baum fielen. Ich begriff im Augenblick, daß hier die einzige Möglichkeit der Rettung lag, und ohne mich weiter zu bedenken, ließ ich mich an dem Körper des strampelnden und arbeitenden Thieres hinunter gleiten. Während ich den nach der Seite des Baumes hin gerichteten Hinterfuß umklammert[114] hielt, suchte die Bestie mich mit dem anderen von sich abzustreifen und riß mir dabei mit der Klaue das linke Ohr vom Kopfe, verletzte mich auch sonst im Gesicht und an den Armen, daß meine Kleidung ganz zerfetzt war, und das Blut aus vielen Wunden und Schrammen herausfloß. Dennoch gelang es mir, mit meinem Fuß den Stamm des Bäumchens unter mir zu erfassen und, mich allen Märtyrern empfehlend, ließ ich den Bären los und mich rittlings auf den neuen Stützpunkt niedergleiten. Der Stamm war glücklicher Weise zähe und fest genug, um den Stoß und meine Last zu tragen, und ich fand mich auf ihm reitend in einer, wenn auch nicht sehr bequemen, doch wenigstens vorläufig gesicherten Lage. Ich schaute nun nach meinem Feinde hinauf und bemerkte bald, daß, obschon von meinem Gewicht befreit, seine Kraft doch nicht mehr zureichte, ihn länger zu halten. Nach einem letzten verzweifelten Versuch, empor zu klimmen, ließ die Tatze los, und der Bär stürzte dicht neben mir und mich im Falle berührend, in den Abgrund, aus dessen Tiefe sein Aufschlagen dumpf emporschallte. Gott gab es, daß ich mich in dem verhängnißvollen Augenblick fest an meinen Sitz geklammert hatte, so daß mich die streifende Masse nicht aus dem Gleichgewicht brachte. So war ich nun zwar meines grimmigen Feindes los, doch meine Lage wahrlich nicht um Vieles besser; denn vom Blutverlust und von der Angst ermattet, saß ich hier zwischen Himmel und Erde auf einem schwankenden Baumstamm, der jeden Augenblick nachgeben konnte, und ohne fremde Hilfe war es mir unmöglich, den Felsenrand zu gewinnen, der mehr als fünf Ellen über mir lag.«

»Der lose Mund der Weiber hat Dir also mit Unrecht nachgesagt,« meinte Miloje, indem er gleichmüthig den Schibuck aus dem Munde nahm, »daß die Moslems Dir in Constantinopel das Ohr abgeschnitten, weil Du ihnen falsches Gewicht verkauft!«

»Fluch über sie!« murrte der Kiradschia ärgerlich, indem er nach dem Handjar in seinem Gürtel faßte. »Ich wollte, es wagte es ein Mann, um ihm die Lästerzunge auszureißen.«

Die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme des alten Janitscharen, lachte bei dem listigen Augenzwinkern des Anführers, aber Capitain Depuis, der sich für die Geschichte als Jäger interessirte, bat eifrig den Gekränkten, fortzufahren. Nachdem er ein Paar lange beruhigende Züge von Dampf aus Mund und Nase von sich geblasen, erzählte er weiter:[115]

»Gott weiß es, mir war schlimm zu Muthe, aber ich hoffte, daß Weliko, obgleich er mich so feig verlassen, bald mit herbeigeholter Hilfe zurückkehren werde, um mich aus meiner verzweifelten Lage zu befreien, und suchte unterdeß eine möglichst bequeme Stellung anzunehmen, das Blut zu stillen und den Kopf mit einem Lappen meiner Kleider fest zu umbinden. Aber Zeit auf Zeit verging, die Sonne war schon versunken und der Mond warf bereits sein Licht über die Felsen, ohne daß sich von Weliko oder, einer menschlichen Hilfe etwas sehen ließ, und mein Geschrei verhallte ungehört im öden Gebirge. Dagegen kam es mir vor, als hörte ich ein leises Brummen immer näher und näher kommen, und bald konnte ich mich nicht länger tauschen; der Bär, an den wir gar nicht, oder ihn nach seiner Gewohnheit entfernt, auf eigene Hand jagend, gedacht hatten, befand sich in der Nähe und kehrte zu seiner Familie zurück. Das Brummen erscholl jetzt laut und als ich empor blickte, sah ich über den Rand des Felsens den Kopf des Thieres hervorragen, das mich mit grimmigen Blicken und die Zähne nach mir hinunterfletschend, betrachtete. Es war der Blutwitterung seiner Gefährtin gefolgt und fand mich hier in meiner hilflosen Lage; freilich war ich außerhalb des Bereichs seiner Klauen und Zähne, aber schon der grimmige Anblick des Thieres, wie es so auf mich herunterstarrte, war hirnverwirrend und ich mußte alle Kraft aufbieten, um meinen Verstand zu behalten. Ich schloß die Augen und blieb lange Zeit so sitzen; wenn ich aber unwillkürlich, ja, halb gezwungen, wieder emporblickte, sah ich stets über mir den Rachen des Bären, und seine grünlich, gleich leuchtenden Käfern, funkelnden Augen. Stunde auf Stunde verging so in dieser entsetzlichen Lage, ohne daß mein Feind wich; endlich tauchte das erste Morgengrauen über die Felsen und Wälder auf. Mit allen Gebeten an Gott und die Heiligen, die ich irgend auswendig wußte, begrüßte ich das Licht und schöpfte neue Hoffnung, als ich das Thier jetzt sich bedächtig zurückziehen sah. Aber es geschah nur, um einen so boshaften als wohlüberlegten Plan vorzubereiten, und es sage mir Keiner, daß der Bär nicht Verstand hat, mindestens so viel wie ein Türke. Es dauerte nämlich nicht lange, so kam mein Gegner zurück und trug in seinen Vordertatzen einen Stein, den er über den Felsrand nach mir herunterstieß. Das wiederholte er mehrere Male, zum Glück aber waren die Steine entweder klein, oder es gelang mir, durch Bewegungen nach rechts und links[116] ihnen auszuweichen, so daß ich nur unbedeutend beschädigt wurde. Jetzt aber hörte ich deutlich, wie die Bestie sich bemühte, ein größeres Felsstück zu der Stelle zu schieben und in meiner Angst schrie ich laut auf, als plötzlich ein Schuß und ein Freudengeschrei diesem Hilferuf antwortete, worauf noch ein zweiter Schuß und ein Schmerzensbrüllen des tödtlich getroffenen Bären folgte, und mein Vater mit mehreren Nachbarn an den Rand des Felsens geeilt kam und mich so unverhofft in meiner freilich kläglichen Lage wieder erblickte. Sofort wurden mir Stricke zugeworfen, die ich um mich knotete und an denen man mich in die Höhe zog. Ich war so schwach, daß ich nicht stehen konnte, und man mußte mich die Felsen hinunter bis dahin, wo die Pferde hielten, tragen.«

»Alle hatten mich längst verloren und höchstens meine Gebeine zu finden geglaubt,« fuhr der Kiradschia nach einer kleinen Pause und einem tüchtigen Schluck Rakih fort, »aber Gott und die Heiligen hatten es anders gewollt. Weliko hatte sich nach seiner Flucht still nach Hause geschlichen und dort, ohne ein Wort zu sagen, voll Angst über das angestiftete Unheil, versteckt. Erst als ich bei Einbruch der Nacht noch nicht wieder erschienen, wurde mein Vater aufmerksam. Er ging nach dem Pferch und fand zwar die eingetriebenen Pferde, aber mich nicht. Erst später gelang es ihm, zu ermitteln, wer diese zurückgebracht und der Bursche erzählte nun, daß er mich und Weliko mit einer Flinte habe nach den Felsen gehen sehen. Weliko wurde endlich aus seinem Versteck hervorgeholt und eine tüchtige Tracht Schläge brachte ihn bald zu dem Bekenntniß unsers Unternehmens und des ganzen Vorganges, wobei er denn angab, daß er erst dann geflohen sei, als er mich bereits von der Bärin hätte zerreißen sehen. Mein Vater und die Nachbarn brachen alsbald auf und schleppten ihn mit sich, bis zu der bezeichneten Stelle, wo sie so glücklich noch zur rechten Zeit eintrafen. Den mit so vielen Gefahren verdienten Preis für die beiden Bären und die drei Jungen erhielten nun freilich weder ich noch Weliko, sondern den steckten wohlweislich unsere Väter ein. Dafür aber wurden wir Beide, nachdem erst mein Kopf geheilt war, noch weidlich ausgepeitscht zur Warnung, daß es uns nicht wieder einfallen möge, auf eigene Hand zur Bärenjagd zu gehen. – So bin ich auch um mein Ohr gekommen!«

»Und zu einer Tracht Schläge,« sagte Miloje. »Schade, daß Du nicht ein Jäger geworden bist!«[117]

»Gott wollte es so!« meinte der Erzähler seufzend. »Ich habe später manchen Bären geschossen, aber es hat mir keiner so viel Angst gemacht, und bei jedem dachte ich an die Prügel, die mir mein Vater gegeben. Er war ein ächter Bulgare, mögen die Heiligen gut mit ihm sein.«

»Wallah!« sagte der Janitschar, »was hilft es, zu klagen, wir müssen Alle sterben. Mir ist der Tod näher wie Dir gewesen, und ich bin ihm entgangen. Das Schicksal wollte es und da sitze ich auf meine alten Tage, der ich ein Länderbesitzer war und ein Haus in Constantinopel hatte, und rauche mit den Djaurs!«

»Erzähle es uns, Effendi,« bat der französische Capitain. »Meinst Du Dein Entwischen aus der Niedermetzelung der Janitscharen? – Ich wünschte schon lange, den Hergang etwas umständlicher zu erfahren, als damals die Zeitungen meldeten und die Bücher erzählen.«

»Mashallah,« entgegnete der alte Türke melancholisch, »was ich Euch erzählen will, Fremdlinge, regt eine Wunde in meinen Eingeweiden auf, die das Alter und fast dreißig Sommer nicht haben schließen können. Allah sende ihm Unglück, der dies gethan – es liegt Staub auf dem Grabe des Großherrn Mahmud und die Inglis und Franken wären nimmer nach Stambul gekommen, wenn die heiligen Orta's nicht vertilgt worden aus dem Strahl der Sonne! – Der Prophet zürnt mit den Gläubigen und hat ihr Land in die Hände der Dschaur's gegeben.

Wißt Ihr, wer mit Euch spricht, Fremdlinge? Melek-Ibrahim, der Oda-Baschi4 der Zagrandschi's von der 64. Orta5 des heiligen Stambul.

Ich hatte ein Weib genommen und zwei tscherkessische Sclavinnen, denn mein Einkommen war reichlich und der Tschor-Baschi6 mein Freund. Wir wohnten in einem eigenen Hause in Cassi-Pascha7 und nur im Sommer zog ich alljährlich nach dem Balkan auf mein Spahilik, das ich von Selim, meinem Bruder, geerbt[118] im Ejalet8 von Widdin. Mein Weib und die Sclavinnen vertrugen sich anscheinend gut bis auf kleine Zänkereien, denn ich führte kräftig den weißen Stab und litt es nicht, daß die Frauen mir in den Bart lachten. Zwei Kinder erfreuten mein Herz, ein Knabe und ein Mädchen, die mir beide meine Lieblingssclavin geboren, denn mein Weib war unfruchtbaren Leibes. Irene, die Mutter meiner Kinder, war schön wie die guten Geister, die den Gläubigen umschweben. Ihr Antlitz war wie die Mandelblüthe und ihre Lippen glichen den rothen Granaten.

Aber das Kismet läßt sich nicht abwenden. Schwarze Wolken zogen auf am Himmel der Ienethtschjeri und das Antlitz des Großherrn verdunkelte sich gegen seine tapfersten Kinder vor den Einflüsterungen falscher Franken, und man nahm uns unsere Rechte und wollte uns zwingen, zu fechten gleich den Christen.

Der Bluttrinker hatte den Nizam gemacht und die Topschi's9, die unsere Feinde und Neider waren von Anfang an. Es kam damals viel Unheil über die Muselmanns, denn Alles sollte anders werben, als es die Väter hinterlassen, und der Großherr haßte uns, weil wir dem widerstanden und man ihm fälschlich hinterbracht, daß Viele aus den Orta's der Buluk10 den Glauben des Propheten schmähten und heimliche Christen wären.«

»Fluch über die Gräber der Lügner!«

»Ich wohnte, wie ich gesagt, im eigenen Haus, wie viele meiner Brüder, und nicht in der Oda11 unsers Corps. Aber täglich war ich bei meiner Orta und wußte, was vorging. Es war im selben Mond, den wir jetzt schreiben, im Jahre Zwölfhundertundvierundvierzig der Hedjira12, als der Bluttrinker die neuen Krieger machte, die man Askeri-Muhammedije nannte. Wir sollten unsere Kaserne hergeben oder Alle in ihr wohnen, keine Reißkuchen mehr vor den Thoren des Divans erhalten, und andere Führer haben, als die wir selbst erwählt.

Der Aga der Ienethtschjeri war ein Verräther, ohne daß wir es wußten, und er hatte uns dem Hunkiar längst verkauft,[119] bevor wir es ahnten. Aber der Kjetchuda-Bey13 Mohamed und sein Kul-Kjetchuda14 waren treue Ienkridschari's und standen zu uns mit ihrem Blut. Es war am Abend des dreizehnten Tages im Monat15, als ich zu meiner Oda vor dem Thore von Pera kommend, das nach Therapia führt16, die kupfernen Kessel ausgehängt und die Männer des Buluk in wilder Aufregung fand17. Ein Hat18 war verkündet worden, worin uns Hussein-Aga befahl, die Waffen, die wir schon längst nicht mehr tragen durften in den Straßen Istambols, abzuliefern in's Arsenal, und daß ein Jeder sich einschreiben lassen solle in die Bataillone der Askeri-Muhammedije, oder keinen Sold empfangen werde, wie Sultan Orkan seligen Andenkens doch bestimmt hat. Da zerrissen wir unsere Jacken und schwuren bei den Kesseln, daß wir den Schimpf und die Unterdrückung nicht länger dulden wollten. In allen Oda's Constantinopels waren die Koridschi's19 diese Nacht versammelt und es gingen und kamen Boten von einer zur andern. Als der große Halbmond der Aya20 geröthet war vom ersten Sonnenstrahl, da zogen von allen Seiten herbei die Orta's: die Zagrandschi's oder Aufseher über dir Hunde, die Samsondschi's, die Aufseher über die Bullenbeißer, die Tumandschi's, die Wächter der Windhunde und Falken, und die Orta's der Sumangs, der Schützen. Am Platz der Oda, welche der gesegneten Moschee des Fürsten Schekzade gegenüberlag, stießen die Orta's zusammen und die Straßen waren von mehr als zwanzigtausend Ienethtschjeri's gefüllt. Dann erhob sich eine Stimme aus der Menge und rief uns auf, zum Palast des Hussein-Aga zu ziehen, der uns verrathen, und von ihm unsere Rechte zu fordern. Der Palast lag unsern des Thurmes der Feuerwächter und wir zogen dahin und zerstörten ihn, bis er der Erde gleich war. Dann nahmen wir[120] den Weg gegen das Serail und lagerten vom Horn bis zur goldenen Pforte und forderten Gerechtigkeit von dem Großherrn.

Wir waren die Herren von Constantinopel, aber wir waren Kinder in unserm Willen und Staub vor dem Hauch der Verräther. Die Boten des Sultans erschienen vor uns und verkündeten uns, daß alle Beschwerden untersucht und abbeholfen werden sollten, wenn die Orta's sich in ihre Kaserne zurückziehen und dort verhandeln wollten. Wir glaubten den Versicherungen und gingen, die Becken schlagend, nach unseren Oda's zurück, obgleich Viele von uns ein bedenkliches Gesicht machten, denn wir wußten, daß die Topschi's, unsere Feinde, bereit standen, und die Schiffe des Kapudan, mit dessen Galiondschi's wir stets in Streit lagen, hatten sich vor die Stadt gelegt. Dennoch gehorchten wir dem Befehl unserer Führer; Fluch dem Teufel, der uns blendete, es war unser Verderben. Das Schicksal wollte den Untergang der Ienethtschjeri's.

Während wir in den großen Höfen der Oda's lagerten, kamen Boten des Großherrn zu uns und redeten mit uns, Bismillah! Einer so und der Andere anders, Alles Wind, was von ihren Lippen kam. Sie sollten uns nur hin halten, bis die Mörder bereit waren: was kann ich sagen, – sie brachten uns einen Sack voll Lügen und auf dein Grunde war der Tod.

Auf dem Atmeidan hatte der Sultan indeß die geheiligte Fahne des Propheten erhoben gegen die Ienethtschjeri's, und das Volk glaubte der Verläumdung, daß wir heimliche Christen wären, und war gegen uns. In großen Haufen zogen sie heran, an ihrer Spitze die Topschi's mit den Kanonen, und der Scheik ul Islam schleuderte seinen grimmigsten Fluch gegen unsere Häupter.

Zu spät sahen wir ein, daß wir Thoren gewesen und wir beschlossen, wenigstens als Männer zu sterben. Ich habe nicht das Verderben meiner Brüder in Stambul geschaut, wie sie niedergemetzelt wurden, gleich einer Heerde von Schlachtvieh, aber wir hörten das Geheul der Schlächter bis zu uns dringen auf den Höhen der Griechenstadt. Durch die Straßen Stambuls floß das Blut in rothen Strömen und auf dem Atmeidan, der so oft unsere Spiele gesehen, lagen die Leichen der Tapfern hoch übereinander, und das Volk spie sie an und verunreinigte die Gräber ihrer Väter.

Inshallah! es war um die Stunde, da der Imam am Abend[121] den Azam vom Minaret singen soll, – aber es dachte Niemand der heiligen Pflicht, – als die Würger sich gegen uns kehrten. Wir hatten selbst das große Thor der Oda verrammelt und hielten uns in den Gemächern und auf dem Hof, als sie vier Kanonen herbeiführten und vor dem Thor aufstellten. Schande, Schande! es waren ihrer Viele und sie umgaben das ganze Haus mit einer langen Reihe.

Wir hatten zwar Waffen, die Pistolen in unseren Gürteln, die Flinte auf unserm Nacken – aber das Pulver hatte man längst aus den Oda's geholt und es blieben uns wenige Schüsse zur Vertheidigung des Lebens.

Man forderte uns auf, einzeln herauszukommen und die Waffen abzulegen. Viele von uns glaubten ihnen und gingen heraus, aber als sie entwaffnet unter ihnen standen, fielen die Topschi's über sie her und schnitten ihnen die Köpfe ab.

Da beschlossen wir zu sterben – tausend tapfere Krieger, tausend Männer voll Kraft und Muth!

Wir schlugen auf die Becken und häuften Koth auf die Gräber ihrer Väter. Darauf befahl Hussein-Aga, der Verräther, der selbst herbeigekommen, Feuer anzulegen an die Oda des Buluk.

An vier Seiten wurde das Feuer gehäuft und die rothe Flamme stieg lustig in die Höhe, wie grimmig wir auch gegen die Mordbrenner kämpften. Viele versuchten, aus den Fenstern zu entkommen, aber die Kugeln und die Bajonnete unserer wachsamen Feinde tödteten sie. Immer unerträglicher wurden die Hitze und der Qualm, und die Flammen füllten jeden Raum. Gar viele tapfere Ienethtschjeri gingen im Feuer in des Propheten Schooß.

Dann räumten wir selbst die halbverbrannten Balken fort, mit denen wir das Thor verrammelt, und öffneten weit die Pforte. Ein dichter Haufe von Kriegern ergoß sich hinaus, um den Weg der Rettung mit dem Säbel in der Faust sich zu bahnen. Drei Mal versuchten wir es, drei Mal warf der Strom der Kartätschen aus ihren Geschützen den Strom der Menschen zurück und hohe Wälle von Leichen thürmten sich vor dem Thore.

Ein altes Gesetz heißt die Ienethtschjeri drei Mal gegen den Feind anrennen. Als wir es zum dritten Male vergeblich versucht, ohne daß Allah uns Sieg und Rettung gegeben, fügten die Meisten sich in das unabänderliche Schicksal und erwarteten ruhig das Ende.[122]

Denn die Mörder wollten uns nicht lebendig, und während die Mauern umher brannten, sandten fort und fort die Kanonen ihren eisernen Hagel durch das Thor und die züngelnden Flammen.

Aman! Aman! In Bergen lagen die Leichen umher und der Gestank der verbrennenden Leiber und die Hitze waren fürchterlich! –

Was soll ich noch sagen? – Wir waren unserer an Zwanzig, die sich im Schutz einer Mauer im Innern des Hofes zusammengefunden, Viele, darunter auch ich, zu Pferde, wie wir in die Kaserne gekommen. Wir beschlossen, fechtend zu sterben oder uns durch die Feinde zu schlagen, und als das Feuer der Kanonen einen Augenblick schwieg, brachen wir durch ein Seitenthor über Leichenhaufen und Trümmer hervor. Rauch und Qualm umgab uns und wir waren mitten unter ihnen, ehe sie es wußten. Was soll ich Euch erzählen von dem Schlachten, das erfolgte, – Mashallah! es war ein Meer von Blut, von blitzenden Säbeln, von Bajonneten und pfeifenden Kugeln um mich her, – was kann ich sagen? als ich wieder von mir selbst wußte, jagte ich über die Felder von Demetri mit einer tiefen Wunde in der Schulter, ohne Mütze und Waffen, und um mich war Nacht, nur in der Ferne erhellt durch die Feuerströme gen Himmel, in denen der Großherr die alten Stützen seines Reiches verbrannte. Auf dem Campo zwischen den weißen Gräbern stürzte mein Pferd – Bismillah! – es war ein treues Thier und hatte mich aus der Gefahr getragen. Ich setzte den Weg zu Fuß fort nach meinem Hause – und es war mein Glück, daß Angst und Furcht noch alle Thüren und alle Fenster verschlossen hielt. Der Morgenstern begann bereits zu erlöschen, als ich in die Nähe meiner Wohnung kam, aber ich war so schwach, daß ich auf einen Stein niederfiel. In der Ferne hörte ich wilden Lärmen durch die Straßen und meine Eingeweide erzitterten. Da stand plötzlich ein Mann vor mir und rief meinen Namen. Ich wußte, daß ich verloren und beugte mein Haupt dem Todesstreich. Aber eine freundliche Hand half mir empor und zog mich fort. Es war Paswan, der Kiradschia, der jetzt an meiner Seite sitzt. Sein Haar war damals schwarz, seine Haut jung und glatt, und obschon er ein Dschaur war, hatte er doch das Herz eines Gläubigen.«

Der greise Janitschar unterbrach seine Erzählung und nickte freundlich mit dem Haupt nach dem Genannten.[123]

Dann fuhr er fort:

»Zwei Jahre vorher hatte das Kismet es gewollt, daß ich dem Kiradschia begegnete und ihn aus der Hand schlimmer Albanesen befreite, die seine Waaren in Beschlag genommen und ihn tödten wollten eines Zankes halber. Seitdem waren wir Freunde geblieben und er kam zu mir, so oft seine Geschäfte ihn nach Stambul führten.

›Unglücklicher, wo willst Du hin?‹ fragte mich mein junger Freund, ›weißt Du nicht, daß Tod für Dich lauert aus jedem Schritt?‹ – ›So will ich Abschied nehmen von den Meinen und sterben. Der Zorn des Würgers ist über uns.‹ – ›Komm,‹ sagte Paswan, ›ich werde Dich retten. Man wird die Häuser aller Ienethtschjeri durchspähen und Dein und der Deinen Verderben wäre dann sicher. Ich war bereits an Deinem Hause, um Dich zu warnen, und will Dir jetzt helfen, da Gott Dich bewahrt hat.‹ –

Er verband, so gut es ging, an der einsamen Stelle, an der wir uns befanden, meine Wunde, hüllte mich in seinen Mantel und setzte mir seine Mütze auf. So führte er mich in die engen Gassen des Griechenquartiers bis zu dem Schuppen eines Handelsfreundes. Dort verbarg er mich zwischen Ballen und Koffern.

Es war ein böser Tag, den ich da zubrachte, und wohl zehn Mal wollte ich mich herausstürzen, um das Verderben meiner Brüder zu theilen, das noch immer, gleich dem schwarzen Engel, seine Flügel über Stambul breitete. Ich hörte das Umherziehen der Würgerschaaren, wie sie die Häuser erbrachen, um die versteckten Ienethtschjeri aufzusuchen, und das Geschrei der Weiber und Kinder. Christen, an diesen drei Tagen, denn ich blieb zwei Tage und zwei Nächte in meinem Versteck, waren achtzehntausend Ienethtschjeri im Kampf umgekommen und hingerichtet worden. Der Scheik ul Islam hatte durch einen Fetwa den Fluch aus unser Geschlecht geworfen.

Zwei Mal im Laufe der zwei Tage erschien Paswan in meinem leichten Versteck, aus dem er ohne Gefahr mich doch nicht fortführen konnte, wusch meine Wunden und brachte mir Nahrung. Mein Herz dürstete aber nur nach Kunde von den Meinen. Endlich am dritten Morgen kam er und sein Auge war trübe, sein Antlitz bleich.

›Freund Ibrahim,‹ sagte er zu mir, ›die Stunde ist da,[124] wo Du zeigen mußt, daß Du ein Mann bist. Ziehe diese Kleiner an, färbe Deine Arme und Dein Gesicht mit dieser Schwärze und laß mich Deinen Bart abschneiden. Die Soldaten des Großherrn halten scharfe Wache und ein Zucken Deines Auges kann mich verderben, wenn Du nicht genau meine Worte erfüllst.‹

Aber meine Frauen und meine Kinder! Ich schwöre bei meinem Bart, daß ich Stambul nicht verlassen will, wenn ich nicht zuvor mein Haus wieder gesehen.« –

»›Wenn Du bei den Kesseln der Orta gelobst,‹ entgegnete Paswan, ›daß Du damit zufrieden sein und erst weiter forschen willst, wenn wir Stambul im Rücken haben, soll Dein Verlangen erfüllt werden.‹ –

Ich gelobte und litt geduldig die Schmach, daß der Christ meinen Bart abschor und mir die Kleidung eines schwarzen Sclaven anlegte. Dann führte er mich heraus aus meinem Versteck und bis zu einem entfernten Hofe, in dem zwei beladene Pferde standen, nebst zwei anderen für uns bestimmt. Wir schwangen uns in die Sättel und nahmen Jeder den Zügel eines der Packthiere; so ritten wir auf die Straße.

Es war ein schlimmer Anblick für mich. Auf den Plätzen, über die wir kamen, sah ich überall die abgeschlagenen Köpfe meiner Brüder aufgesteckt und hörte die Verwünschungen des betrogenen Volkes gegen uns. Meine Eingeweide zitterten, als mein Freund zur Straße einbog, die zu meinem Hause führte. Ein Blick von ihm mahnte mich zur Vorsicht, aber obschon ich ein Mann war und in Schlachten geprüft, schrumpfte mein Herz zusammen, als ich von Ferne vieles Volk um die Stätte versammelt sah, da mein Haus gestanden hatte. Denn meine Augen suchten vergeblich nach ihm, es war von der Erde vertilgt und nur eine Brandstätte noch, von der der Dampf empor qualmte. Zwischen den rauchenden Trümmern stand auf einer Stange eine Tafel mit den Worten:

›Melek-Ibrahim, der Oda-Baschi der verfluchten Jenethtschjeri, ist verflucht mit Allen seines Geschlechts!‹

Das Kismet hatte mich schwer getroffen und ich wollte mich herabstürzen vom Pferde und die Asche meines Glückes streuen auf mein Haupt, aber Paswan war an meiner Seite und mahnte mich an mein Gelöbniß, und seine Hand faßte die Zügel meines Pferdes und führte mich davon. Inshallah! es war mein Schicksal[125] und das Unglück über mir. Erst als wir die süßen Gewässer hinter uns hatten und auf der Straße von Edrene davonritten, die wir bald wieder in's Land hinein verließen, um aller Verfolgung zu entgehen, erzählte mir der Bulgare von dem Schicksal der Meinen. Die Khanum, die ich an meinem Herzen gehabt, mein rechtmäßiges Weib, war der Teufel gewesen, der mein Glück zerstört hatte. Schon lange hatte sie still in der Brust, ohne daß ich es bemerkt, Eifersucht und Haß getragen gegen die griechische Sclavin, die mir zwei Kinder geboren, und als die Verfolgung der Jenethtschjeri begann und sie wußte, daß sie Nichts von mir zu fürchten hatte, da war sie davongegangen und hatte mich angeklagt als heimlichen Christen und die Würger selbst in mein Haus geführt. Die Mutter meiner Kinder hatten die Henker als Sclavin verkauft, meine Diener waren verjagt und meine Kinder verschwunden, verkauft vielleicht auf einem fernen Sclavenmarkt, trotz des Propheten Gebot, und Keiner wußte ein Wort von ihnen zu sagen, ich war ein entblätterter Stamm.

Was soll ich weiter sagen – mein Schicksal ist besiegelt. Mein Retter führte mich glücklich durch den Balkan und ich fand Schutz bei Mollah-Pascha, dem Vali von Widdin, der den Jenethtschjeri heimlich Freund war und gegen die Neuerungen des Großherrn kämpfte. Aber der Würger meines Stammes selbst kam in's Land, Hussein ward vom Sultan zum Dank für die Vernichtung meiner Brüder zum Pascha von Widdin gemacht und ich mußte nochmals fliehen aus meinem Spahilik vor meinem grimmigsten Feinde. Wiederum war es Paswan, der mir die Kunde der Gefahr brachte und mich zu seinen Verwandten in's Gebirge führte. Mein Schicksal wollte es, ich habe mit ihnen gefochten gegen die Krieger des Großherrn, bis ich alt geworden bin und das, was Ihr von mir sehet. Ich werde bald eingehen zum Paradiese des Propheten, denn siebenzig Winter liegen auf meinem Haupte, aber, wenn ich ihrer noch siebenhundert lebte, das Herz Ibrahim's, des Jenethtschjeri, würde dankbar bleiben für Paswan, den Bulgaren.«

Der alte Janitschar schwieg melancholisch und dampfte große Wolken aus seinem Tschibuk. Er war vielleicht der Einzige, der noch übrig geblieben von jener einst so furchtbaren Schaar, dem Schrecken Europa's. Sein Freund, der Kiradschia, noch im kräftigen Mannesalter und wohl fünfzehn Jahre jünger als er, reichte[126] ihm die Rakihschaale. – »Es war Dein Kismet, Freund Ibrahim, – wer kann es ändern?«

»Und hast Du auch später keine Kunde erfahren, was aus Deinem verrätherischen Weibe und den Kindern geworden ist?« fragte theilnehmend der Arzt.

»Allah bilir – Gott allein weiß es. Ich habe vernommen, daß vor einiger Zeit ein altes Weib in Madara gestorben ist, deren nachgelassene Habe die Zeichen der 64. Orta der Jenethtschjeri und den Namen Ibrahim trägt. Ein altes Weib ist ein großes Übel, aber dennoch wird es Paswan nicht versäumen, nachzuforschen, wenn er morgen mit Euch in Madara übernachtet.«

»Das Ziel unserer nächsten Tagereise ist das berühmte Dorf Madara?« fragte der französische Capitain.

»So ist es. Es liegt abwegs im Gebirge, aber Ihr werdet sicherer reisen in meiner Begleitung,« sagte der Kiradschia.

»Ei, Ventre bleu!« lachte Depuis, »ich würde auch einen stärkern Umweg nicht scheuen, um das berühmte Amazonennest zu besuchen. Sie kennen seine Geschichte, Doctor?«

»Ich bin nicht so glücklich.«

»Dann rüsten Sie sich, Doctor, und schicken Sie vorläufig alle Prüderie und Keuschheit zum Henker. Madara ist das Paradies der türkischen Frauen in dieser Welt und die Opferstätte der Männer. Es ist der einzige Ort in der ganzen Türkei, wo die Frauen Frauen sein dürfen und lieben, wen sie wollen, ohne gleich fürchten zu müssen, dafür gesackt und geköpft zu werden. Madara ist das Capadocien der alten Amazonen und die Wlaskaburg der böhmischen Mägde. Weiß der Teufel, ob seine Rechte sich noch, aus der alten Heidenzeit herschreiben, so viel aber ist sicher, daß weder Christ noch Türke die Vorrechte dieses seltsamen Asyls je zu brechen versucht. Es ist ein Weiberstaat im Kleinen. Hierhin flüchten sich alle Frauen und Mädchen aus der ganzen Türkei, die irgend einem grimmigen Vater oder Mann entlaufen sind. Wenn sie die Grenze dieses kleinen Reiches überschritten haben, sind sie freie Bürgerinnen desselben bis zu ihrem dreißigsten Jahre. Kein Mensch, selbst der Sultan nicht, darf sie zurückfordern, aber eben so wenig dürfen sie vor jener Zeit freiwillig das Asyl wieder verlassen. Mit ihrem dreißigsten Jahre hört die Zeit des Vergnügens und der Freiheit auf, die Älteren müssen, wollen sie den Ort nicht verlassen, dann die Geschäfte der Dienerinnen versehen[127] und für ihre jüngeren Schwestern putzen, waschen, kochen, braten und backen, säen und ernten, was weiß ich! Kurz, so viel ist sicher, daß es junge Schönheiten und alte Weiber zur Genüge in Madara giebt!«

»Und sind die Männer ganz daraus verbannt?«

»Ei, mit nichten! Das ist eben das Vortreffliche an der Sache. Man munkelt darüber höchst seltsame Geschichten, die meine Neugier auf's Äußerste gespannt haben. Ventre bleu! Man wird mich beneiden in der ganzen französischen Armee, wenn ich eine Nacht wirklich und wahrhaftig in Madara zugebracht habe. Effendi Paswan, Ihr zernarbtes Spitzbubengesicht, wißt gewiß mehr von den Geheimnissen des Amazonendorfes zu erzählen. Heraus damit!«

Der Kiradschia lächelte.

»Als ich noch jünger war,« sagte er, »führte mein Weg mich wohl öfter dahin, ich will es nicht läugnen. Ich war gern gesehen unter den Frauen und bin es noch, denn ich bringe ihnen Seide von Brussa, Stickereien von Constantinopel, die Wohlgerüche von Edreneh und die Leckereien von Chios. Nicht Jeder darf über die Grenze der Frauen, aber wer mit einem Freunde kommt und ein freier Mann ist, ist ihnen willkommen.«

»Aber die Bedingungen? die Bedingungen des Eintritts, Alter?« forschte eifrig der Capitain.

»Was soll ich sagen – Ihr werdet es selbst schauen. Wer eintritt in Madara, muß sich den Gesetzen des Dorfes fügen – Ihr seid Beide noch jung und werdet schwerlich ein Nachtlager auf dem Grase der Berge vorziehen. Doch es ist nöthig, daß wir das unsere halten, denn wir müssen aufbrechen, ehe die Sonne die Gipfel der Berge röthet. Schlaft wohl, Franken!«

Er hüllte sich in eine große wollene Decke und stützte sein Haupt auf eines seiner Waarenpackete. Wenige Minuten darauf war er in tiefem Schlaf, indeß Ibrahim, der greise Janitschar, unverändert an seiner Seite sitzen blieb und Wolke auf Wolke hinaus in die Nachtluft qualmte.

Miloje, der Capitano der Schaar, lud gleichfalls seine beiden unfreiwilligen Gastfreunde ein, die Ruhe zu suchen und führte sie nach einer der leichten Hütten, die er ihnen allein zu ihrer freilich sehr geringen Bequemlichkeit überließ. Bald war das Feuer erloschen und heilige Stille um die Schläfer her, nur unterbrochen[128] von den plätschernden Wellen des Gebirgsbaches oder dem Schrei eines Nachtvogels. – – –

Mit dem ersten Tagesgrauen weckte der Kiradschia seine Reisegefährten. Ehe sie ihre Hütte verließen, hatte er bereits seine zwei Packpferde mit ihrer Last versehen und Nursah und die Haiducken hatten die Pferde gesattelt. Paswan drängte zum Aufbruch, das Frühstück, aus Kaffee und hartem Brot bestehend, war bald verzehrt und nach wenigen Augenblicken saßen sie im Sattel.

Miloje und einige seiner Gefährten begleiteten sie zurück bis in die Nähe der großen Straße, dann schieden sie mit herzlichem Händedruck. Die kleine Gesellschaft war auf dieser erst eine kurze Zeit vorgegangen, als ihr Führer sie wieder verließ und einen kaum erkennbaren Seitenweg einschlug. Doch schien er mit dieser Gegend auf das Genaueste vertraut, denn die wilden Pfade, die er sie führte, wurden von ihm ohne die geringste Zögerung gewählt und waren, wenn auch mühsam, doch gangbar für die Pferde. Unter verschiedenen Gesprächen, zu welchen die eigentümlichen Sitten ihrer nächsten Lagerstätte nicht den wenigsten Stoff abgaben und die vielfach durch die Erzählung eines Abenteuers des Kiradschia's in den verschiedenen Ländern gewürzt wurden, kamen sie vorwärts, und als die Sonne sich zu neigen begann und die türkische Tagesrechnung ihrem Ende nahte, sagte der Führer ihnen, daß sie nahe am Ziel wären.

Obschon die wilde oft Grausen erregende Natur des Hochgebirges, rauhe Felsenmassen, abwechselnd mit üppig grünen Matten, seine Aufmerksamkeit vollständig in Anspruch nahmen, war es doch dem Arzt nicht unbemerkt geblieben, daß sein Diener Nursah wieder während des ganzen Tages ein unruhiges, seltsam befangenes Wesen zeigte. Bald ritt er träumerisch dahin, in tiefe Gedanken versunken, bald drängte er sich hastig und auffallend an seinen Herrn, und seine Blicke hingen ausdrucksvoll und doch mit einer gewissen Scheu an diesem.

Sie hatten den Gipfel des Balkans überstiegen und befanden sich bereits – wenn auch im Hochgebirge, auf den südlichen Abhängen desselben, die schon von den milden Winden des ägeischen Meeres bestrichen werden und auf denen die Rose, der Wein, die Myrthe und die Feige in üppiger Fruchtbarkeit gedeihen. Zwischen rauhen Felsenmassen dahin reitend, dem Zug eines Gebirgsbaches[129] folgend, öffnete sich plötzlich vor ihnen ein weites Gebirgsthal mit aller üppigen Vegetation der tiefer liegenden Landschaft Zagora. Von hohen Bergen umschlossen und geschützt vor den rauhen Stürmen des Hochgebirges lag es da in seiner grünen Pracht, die Prairie mit ihrem fast mannshohem Grase, üppige Getreidefelder von Myrthen- und Feigenhecken eingehegt, an den Platanen und Eichen die Ranken des Weins emporstrebend, weite Gärten von Rosen und wohlriechenden Kräutern, ein Hauch wollüstigen Duftes und lieblicher Schönheit über dem ganzen Eden!

Madara!

Es war die Colonie der türkischen Frauen, jenes so selten erreichte Zauberland der Reisenden im Balkan.

Von der Höhe, wo sie hielten, konnten sie das aus zahlreichen Grünen versteckten und zierlich gebauten Häusern bestehende Dorf und die seltsamen Bewohnerinnen in Gruppen versammelt sehen – in dem klaren Gebirgsstrom ihre Abendwaschungen verrichtend, auf munteren Pferden umherjagend durch das Thal, oder durch die Felder schweifen, Kränze windend von duftenden Blumen – alle bunten Trachten des Orients, wallende farbige Gewänder, die Schönheit unverhüllt prangend im Strahl des Lichts.

Reizendes Madara! Oase im Frauen- und Liebesleben des Orients!

Sie lenkten ihre Pferde zum Thal, bezaubert von dem wunderlieblichen Anblick, aber schon waren auch sie bemerkt, und die Gruppen der Frauen und Mädchen in der Tiefe begannen sich zu sammeln. An den Trümmern eines Thurmes, der weit über das Thal ragte, sprengte ihnen eine Gruppe von Frauen entgegen, Frauen, die, obschon theilweise noch schön und frisch, doch offenbar schon jenen Wendepunkt überschritten hatten, den die Erzählung des Kiradschia, als die Trennung von ungezügelter Freiheit zum Leben der Arbeit und der Mühen des kleinen seltsamen Staates, angegeben hatte. Ihre Hand führte keck den Zügel, die Flinte hing am hohen Sattel, im Shawl, der die Hüften umschlang, steckten blanke Feuerwaffen. Schon von ferne ertönte ihr Haltruf.

Als sie näher heran kamen, ritt ihnen Paswan, der Kiradschia, entgegen, und kaum, daß sie ihn erkannt, erhob sich ein gellendes Freudengeschrei in die blaue Mailuft, denn wo in öden Ländern wäre der wandernde Kaufmann nicht willkommen, der Kunde bringt von dem Leben draußen hinter den Bergen oder den Wäldern, der[130] Putz und Zier, Schmuck und alle jene hundert Gegenstände mit sich führt, die Frauenaugen lieben und bewundern.

»Seid gegrüßt, Kiradschia Paswan, Du und Deine Gefährten,« sagte die Führerin des Zuges. »Mögen sie eintreten in Mdara's geheiligte Gränzen und Brot mit uns brechen, wenn sie unseren Gesetzen sich fügen wollen. Sage uns, ob Deine Freunde freigeborene Männer sind, die allein Anspruch haben auf die Rechte unserer Gäste?«

»Sie sind es, o Khanum, bis auf einen armen nubischen Sclaven.«

»Möge er zur Bedienung seines Herrn mit ihm gehen. Die Weiber von Madara werden ihm ihren Leib, aber nicht ihr Brot verweigern. Deine Freunde sind bereit, unser Gesetz zu erfüllen?«

Der Kiradschia blickte nach seinen Reisegefährten lächelnd um.

»Sie werden es, Licht meiner Augen!«

»So seid uns willkommen und möge Euer Eingang gesegnet sein!«

Sie schoß ihre Flinte in die Luft ab und wandte ihr Roß; ihre Gefährtinnen folgten dem Beispiel und Alle jagten den Abhang hinab, während die Fremden langsam folgten, mit gespannter Aufmerksamkeit auf das nun kommende Schauspiel. Bald darauf verkündete ihnen ein lautes Freudengeschrei, wie die Wächterinnen des Thales dessen Bewohnerinnen wahrscheinlich die frohe Nachricht gebracht, daß ein Kiradschia mit seinen Waaren komme, sie zu besuchen; denn von allen Seiten sah man die Frauen zu dem Eingang des Dorfes eilen.

Als die Reisenden um ein dichtes Gebüsch bogen, das ihnen einige Zeit die Aussicht auf das Dorf benommen hatte, kam ihnen von dessen Eingang her ein seltsamer, überraschender Zug entgegen, eine Anzahl junger und schöner Frauen oder Mädchen, einige das Tambourin oder Becken schlagend, andere aus zierlich geflochtenen Körben mit Rosen den Weg bestreuend, und Alle ein bulgarisches Lied singend, das mit seinen eigenthümlich melancholischen Klängen sie, willkommen hieß.

Die Frauen umringten die Pferde der Reisenden und, Blumenkränze durch ihre Zügel schlingend, führten sie die Gäste im Triumph in ihr merkwürdiges Dorf, und bis in die Mitte desselben, die einen freien Platz bildete. Es kam dem Arzt ganz eigenthümlich vor, sich hier umgeben von mehr als drei- oder vierhundert[131] schöner Frauen zu sehen, die sie umdrängten, alle redend, durcheinander schnatternd, alle ihn mit offenen Blicken musternd, unverhüllt durch den häßlichen Yaschmak, ihren Putz und ihre Schönheit zur Schau tragend, beweglich, froh und frei, statt der trübseligen bewachten Gestalten, die er seit Jahresfrist fast allein zu schauen bekommen hatte.

Der französische Capitain wußte sich vortrefflich in die Lage zu finden und kauderwelschte und scherzte bereits nach allen Seiten hin, so gut es ging. Auf dem Platz, an dem der Zug hielt, stiegen sie von den Pferden, und alsbald wurden diese, nachdem sie des Gepäcks entledigt worden, nach einem offenen Schuppen geführt und mit reichlicher Nahrung versehen. Wie die Beiden von dem Kiradschia erfuhren, waren sie, obschon in der Kriegszeit das Thal häufiger besucht, als sonst, ja ein Mal sogar mit Einquartirung belegt wurde, doch heute die einzigen Gäste, und der Eifer, sie zu bewirthen und zu unterhalten, daher desto größer.

Es schien zur Aufnahme der Fremden eine Anzahl zierlicher Wohnungen in dieser seltsamen Republik in Bereitschaft gehalten zu werden, denn der Kiradschia, der Arzt und der Capitain, so wie dessen Diener, wurden Jeder zunächst in ein abgesondertes Häuschen geführt, um von demselben Besitz zu nehmen, und dann eingeladen, ein türkisches Bad zu nehmen, in dem alte Frauen sie bedienten. Nur der schwarze Sclave Nursah durfte das Haus seines Herrn theilen, da die orientalischen Frauen das Princip haben, das häufig auch in der civilisirten Welt zur Anwendung kommt, den Sclaven oder Diener nicht für einen Mann anzusehen.

Als sie, von dem Bade nach dem langen Ritt gestärkt, wieder auf dem Platz erschienen, waren Teppiche für sie ausgebreitet, und während der Kiradgia seinen Waarenballen öffnete und dessen Inhalt vor den funkelnden Augen der Menge enthüllte, die Waaren und Geschmeide Hand in Hand gingen und der Kauf- oder Tauschhandel geschlossen wurde, umgaben andere Frauen den Arzt und den Offizier, ihnen Kaffee, Sherbet und Früchte vorsetzend, die Nargileh's in Brand haltend und sie mit tausend neugierigen Fragen bestürmend.

Zugleich wurden von den älteren Frauen Anstalten für die Abendmahlzeit gemacht. Jeder Franke gilt im Orient für einen Hekim-Baschi oder Arzt, und als der Kiradschia verrathen hatte, daß der Eine seiner Begleiter ein berühmter Doctor der Armee sei,[132] wurde der Sturm der Fragen, die für allerlei eingebildete Übel Heilmittel verlangten, immer größer, theilte sich aber komischer Weise auf den Capitain und den Arzt, denn da beide militärische Kleidung trugen, schien es den schönen Hilfesuchenden ziemlich gleich, welcher von ihnen der Rechte sei.

Der Schlag auf ein großes Becken schaffte ihnen endlich Ruhe, indem er den Beginn der Abendmahlzeit verkündete, und die schönen Bewohnerinnen des seltsamen Dorfes lagerten sich in Gruppen und Kreisen um die Gäste, während alte Frauen, die allein das Gesicht in türkischer Weise verhüllt trugen, die Platten und Schüsseln mit Pillaw und gekochtem und gewürztem Geflügel oder den mit gehacktem Fleisch gefüllten Gurken herbeitrugen.

Die zierlichen, oft eben nicht allzu reinen Finger der Schönen fielen nach türkischer Sitte alsbald über die Gerichte her und für einige Zeit herrschte Stille in der sonst so lebendigen und lauten Gesellschaft, da die ewig beweglichen Zungen und Lippen mit der Mahlzeit beschäftigt waren.

Die Fremden, reichlich und mit dem Besten bedient, ließen es sich gleichfalls schmecken und Welland beobachtete mit Vergnügen, wie der martialische Capitain von zwei schönen, ihm rechts und links sitzenden Frauen, deren offene Kleidung seine lüsternen Augen in Bewegung hielt, gleich einem sybaritischen Pascha sich füttern ließ.

Die beiden Frauen rollten die Kugeln des Pillaw in der Fläche der Hand und stopften sie mit großen Fleischstücken und Oliven ihm unbarmherzig in den Mund, und der galante Franzose warf dankbar-verliebte Blicke nach rechts und links, während er fast erstickte.

Als die Mahlzeit vollendet war und man wieder Pfeifen und Kaffee zur Hand nahm, wobei der Kreis der Frauen den Männern Gesellschaft leistete, begann der Tanz. Aus den Reihen um sie her traten blumengeschmückte schöne Mädchen hervor, faßten einander an weißen Tüchern an und tanzten den Rundtanz um die in der Mitte stehende Koriphäa oder Vortänzerin, indem sie in türkischer, griechischer und bulgarischer Sprache improvisirte Lieder sangen und Andere das Tambourin oder eine kleine Trommel dazu schlugen. Dann ergriff Eine oder die Andere die Guzla, lagerte sich im Kreise ihrer Gefährtinnen und sang in monotonem Declamiren ein Gedicht voll Sehnsucht und Liebe, voll Schwermuth und wollüstigem Hauch, in das der Schlag der Nachtigal einstimmte, die[133] aus den Wipfeln der überall einzeln oder in Gruppen durch das Thal verstreuten Kastanienbäume, Eichen und Cypressen ihre lockenden Töne flötete. Die Rosen hauchten ihren Duft durch die würzige Abendluft, leuchtende kleine Käfer funkelten durch die Gebüsche und schwebten umher gleich beflügelten Sternen.

Dazu klang das heitere Lachen silberner, jugendlicher Frauenstimmen aus den zahlreichen Gruppen und Kreisen auf dem großen Platz, leichte Gestalten eilten umher, bald dem eintönigen Vortrag einer Massaldschi oder Märchenerzählerin lauschend, bald eintretend in die Kreise der Tanzenden, oder neugierig sich herandrängend in jene, die sich um die Fremden gebildet hatten. Und wenn ein Tanz oder ein Lied beendet war, dann traten die Tänzerinnen und Sängerinnen näher zu den Gästen, knieeten nieder vor ihnen und breiteten ein weißes Tuch vor ihnen aus, in das Jene einige Piaster warfen; oder sie boten ihnen knieend Blumen zur Auswahl, und wenn die Hand der Wählenden glücklich die Blume getroffen, die sich die Darbietende zum Sinnbild erwählt, klatschte sie fröhlich in ihre Hände und ihre schönen Gefährtinnen sandten ihr neidische Blicke zu.

An der Thür des bescheidenen aber zierlichen Hauses, das dem Deutschen zum Aufenthalt bestimmt worden, stand der schwarze Knabe Nursah und schaute eifrig nach der Gruppe um seinen Herrn.

Sein Auge leuchtete mit einer gewissen Angst und Gluth, – die Blume, die sein Herr zog, – das Jauchzen der Frauen, wenn er – was zwei Mal geschah, die richtige getroffen, schien wie ein scharfer Stahl durch sein Herz zu dringen, so zuckte die ganze Gestalt zusammen, und die kleine Hand preßte fest in der ihren die welke des alten Weibes, das neben ihm stand und mit Luchsaugen die Vorgänge beobachtete, und bald anregende, bald beruhigende Worte dem Mohrenknaben in's Ohr flüsterte. Dazu klimperten die Finger der Alten lustig und gierig in ihrer Tasche und der helle scharfe Klang verrieth die Goldstücke.

Immer lustiger, immer munterer wurden die Kreise auf dem Platz. Der Capitain leerte seine Börse, um Putz und Schmucksachen für die tanzenden und singenden Schönen zu kaufen, und die Mädchen und Frauen drängten ihm jubelnd die Blumen auf, ihm selbst die symbolischen Blüthen in die Hand drückend, daß der galante Franzose mit den duftigen Frühlingskindern wie überschüttet war. Die weißen Hände der jungen Frauen und Mädchen kredenzten[134] Wein in Schaalen und Bechern, den goldenen, süßen, milden Wein, der an den Höhen des Balkan und drüben auf den Hügeln der Walachei wächst, das dunkle Purpurblut von Gallipoli, den schwarzen Traubensaft vom Olymp, den milden Duft von Brussa oder das glühende Feuer von Chios und den Vulkanen Santorins.

Und immer höher schwoll und stieg die Lust – bacchantisch rasten die Frauen, durch die schwarze Nacht summten leuchtend die glühenden lüsternen Käfer, aus dem Platanengipfel schlug die Nachtigal girrende, verlangende Töne, das Tambourin klang zum lustigen Tanze, die Düfte der Rosen, der Myrthen und der hundert würzigen Kräuter verdichteten die Luft, – die bunten Papierlaternen, die den Gruppen geleuchtet, verloschen, – der Kiradschia war in sein Haus gegangen, – zwei Mädchen im Arm, das Kind eines Pascha's und das junge entwichene Weib eines alten Griechen, jubelte der Capitain und brüllte französische Opernarien und lockere Grisettenlieder, – stiller und stiller wurde es auf dem weiten Platz, – auf die ausgebreiteten Teppiche, in ihre Decken und Schleier gehüllt, lagerten die süßen Amazonen von Madara, oder legten ihr Haupt in den Gemächern und den Tschardaks auf weichen Polstern oder dem harten Holze zur Ruhe – stiller und stiller wurde es ringsum – nur einzelne verhüllte Gestalten nahten in der duftigen, warmen, üppigen Mailuft den vier Häuschen, die den Fremden zur Wohnung angewiesen waren.

O, Madara, süßes phantastisches Madara, poetische Oase im Schmuz des Orients!

Lange schon hatte der Deutsche sich in sein Gemach zurückgezogen und ausgekleidet auf die weichen Kissen geworfen, die sein Lager bildeten. Er hatte es kaum bemerkt, wie sorgfältig die Jalousieen geschlossen waren, wie tiefes Dunkel rings um ihn herrschte, als er die Lampe ausgelöscht.

Er wußte, was folgen würde, er kannte jetzt die Gesetze und Gebräuche der seltsamen Republik und er war kein prüder, engherziger Tugendprahler, der sich den Sitten und Gebräuchen des Landes entzog. Durch seine Adern rollte feurig und kräftig das unverdorbene Blut, die Phantasie malte ihm süße köstliche Bilder des Naturgenusses und vor ihm gaukelten die dunkeln, feurigen, mandelförmigen Augen, die schmachtend in die seinen gesehen, die Reize, die zum ersten Male ihm unverhüllt erschienen waren.

Leise Schritte schlürften heran, ein Flüstern vor der Thür[135] ward laut, dann hörte er, wie der Besuch die klappernden Pantoffeln als Zeichen der Anwesenheit vor der Thür stehen ließ und hereinschlüpfte in das mysterienvolle Gemach.

Die Thür ward verschlossen, alles dichte Finsterniß, dichtes Geheimniß ringsum.

Ein betäubender Rosenduft erfüllte die Luft des Gemachs – ihm war, als hörte er das wogende Athmen eines Busens, den leisen sehnsüchtigen und dennoch ängstlichen Seufzer, der über halbgeöffnete Lippen quoll.

Er hatte sich halb aufgerichtet auf dem Lager – seine Pulse wogten fieberisch!

Sein halb erstickter Ruf verkündete seine Erregung, – im nächsten Augenblick warf sich ein voller, weicher, warmer, üppiger Körper an seine Brust, zärtliche Arme umfingen ihn, heißer Odem mischte sich mit dem seinen und glühende trunkene Lippen preßten ihm den Mund.

Dazwischen aber klang es wie leises Weinen und ängstliches Schluchzen.

Aber der Sturm der Leidenschaft, der erregten Sinne ließ ihn Nichts achten und hören, als deren glühende Befriedigung; Brust an Brust, Lippe auf Lippe sanken sie in die Kissen.

Er verwünschte das Dunkel der Nacht, das ihn hinderte, die leuchtenden Augen, die süßen Züge zu sehen, aber er wußte, daß sie jung und schön war, denn nur Jugend und Schönheit tragen den Hauch und Duft der Liebe. Voll glühender Zärtlichkeit umschlangen ihn ihre Arme und dennoch fühlte er, wie er sie in den seinen hielt, daß sie zitterte in Schaam und Angst.

So vergingen die Stunden – wie Minuten flogen sie ihm dahin. Zwei Mal im Laufe der Nacht hörte er, wie draußen an der Thür Schritte trippelten, Stimmen flüsterten; erst leise, dann erregt und zornig, dann wieder beruhigt und sich verloren im geheimnißvollen Schweigen der Nacht, und jedes Mal fühlte er, wie das Weib in seinem Arme heftiger zu zittern begann, wie ihre Brust sich in ängstlicheren Athemzügen hob und sie das Gesicht furchtsam an seiner Brust verbarg, ihn umschlingend, gleich, als wolle und könne sie nicht von ihm und ihn einer Anderen lassen.

Mit Schmeichelworten suchte er sie zu beruhigen, und als ihr Mund in türkischer Sprache ihm zuflüsterte, daß sie ihn liebe, daß diese Nacht ihr höchstes Glück sei, daß sie seiner gedenken werde[136] immer und ewig, so lange sie lebe, da war es ihm, als wehten ihn bekannte Klänge an, als öffne sich ein lange verschlossener Schrein in seinem Herzen, als sei ihm diese Liebe und Wonne, die, wie die Rose sich entfaltet im wollüstigen Hauch der warmen Abendsonne, entsprossen war aus dem Sturm der Sinne, aus den unsichtbaren, mystischen Reizen der dunklen Nacht, – etwas längst Vertrautes und Bekanntes und Empfundenes. Die Stimme des Weibes in seinem Arm war leise und zagend, aber süß und wohllautend, und ihre Worte zeigten von tiefem natürlichen Gefühl und einem Denken und Empfinden, das gewöhnlich den jeder Bildung des Herzens und Geistes ermangelnden, in launenleerem Geplauder sich ergehenden türkischen Frauen fehlt.

»Wer bist Du, seltsames Wesen,« fragte der Deutsche in diesem seligen Rausch, »Du, die mir Liebe so zärtlich betheuert, und mir dennoch erst vor wenigen Stunden zum ersten Mal begegnet ist im Leben, die mein Auge nicht ein Mal unterschieden hat im Kreise ihrer Gefährtinnen, die ich nicht wieder kennen würde, wenn der Morgenstrahl mir nicht Deine Züge verriethe, und die dennoch ein Gefühl in mir weckt, wie es der ruhige, verständige Mann, über die Jahre der Leidenschaft hinaus, noch nie empfunden?«

»Sage mir,« flüsterte die Stimme, »bist Du glücklich, o Franke, an meinem Herzen?«

»Ich bin es – aber ....«

»Forschest Du dem milden Hauch der Abendluft nach, der Dein Gesicht kühlt? Kannst Du den Duft schauen, der Deine Sinne erfreut?«

»Und dennoch sehne ich mich, Dir in's Auge zu sehen, Deine Züge in mein Herz zu prägen für immer. Ich werde es, wenn der erste Sonnenstrahl dies Gemach erhellt.«

Sie antwortete nicht.

»Nimm diesen Ring, Mädchen,« sagte er, indem er einen einfachen Granatreif von seinem Finger zog und an den ihren steckte, »er ist ein Geschenk meiner Schwester und mir lieb. Ich möchte, daß, wenn ich fern von Dir bin, Du Dich meiner erinnern mögest, wie ich es thun werde.«

Er fühlte, wie sie die Hand emporhob und den Ring an ihre Lippen drückte, und zog sie an seine Brust.

Lange vorher, ehe das erste Morgengrauen durch die Jalousieen des Gemaches schimmerte, lag er in tiefem festen Schlaf.[137]

Als der Ruf des Kiradschia ihn später aus wilden aber süßen Träumen weckte, streckte sein Arm sich vergeblich nach der Gefährtin der wonnigen Nacht aus – sein Lager – das Gemach waren leer.

Er sprang empor – sollte denn Alles ein Traum gewesen sein? Unmöglich – er war in Madara – dort auf den Kissen noch der Eindruck des Hauptes der seltsamen Geliebten, – er kannte jetzt die Rechte der Republik, er wußte, daß eine Frau bei ihm gewesen.

Die Mahnung des Kiradschia hieß ihn sich beeilen. Er rief nach Nursah, seinem Diener, aber erst auf wiederholten Ruf erschien dieser, und es war, als scheute sich der sonst so zutrauliche, auf jeden Wink merkende Knabe vor seinem Herrn.

Bald saßen sie auf; Capitain Depuis mit seinem Diener kam von dem Hause her, in dem er die Nacht zugebracht. Sein Aussehen war erschlafft, matt und zeugte von den Schwelgereien der Nacht; sein Faunenblick traf den deutschen Arzt und jagte diesem das Blut in das Männerangesicht.

Aber man hatte wenig Zeit zur Verständigung – der Kiradschia drängte zur Abreise, denn sie mußten am nächsten Tage Schumla zu erreichen suchen, und aus den Hütten und Häusern des seltsamen Dorfes strömten bereits wieder die heiteren Bewohnerinnen zusammen und umgaben mit jubelndem Morgengruß die Reisenden. Vergeblich schaute der Arzt nach irgend einem Erkennungszeichen seines nächtlichen Besuches sich in der Menge um, überall schöne, heitere, neckende Gesichter, aber nirgends ein seiner Frage begegnender Ausdruck, nirgends ein Bild, das zu dem seiner aufgeregten Phantasie paßte. Zu fragen scheute er sich, denn er fürchtete den Spott des Offiziers und des Kiradschia's, und so mußte er denn mit ungestillter Neugier sich ihnen zur Abreise anschließen.

Ein ähnlicher Zug wie der, welcher sie empfangen, geleitete sie bis zum Ausgang des Thales, wo das Gebiet des seltsamen Weiberstaates endete und die Reisenden schieden hier, nachdem sie die Begleitung nach ihren Mitteln reichlich beschenkt hatten. Die Frauen schossen wiederum ihre Pistolen und Flinten in die Luft und jagten davon.

»Nun, Doctor,« sagte lustig der Capitain, als sie einen Augenblick auf der Höhe des Bergpasses hielten und zurückschauten auf[138] das ferne Thal, »was denken Sie von unserm Abenteuer und wie haben Ihnen die Gebräuche der höchst ehren- und achtungswerthen Republik gefallen? Der Teufel soll mich holen, wenn ich nicht, aller Censur zum Trotz, eine verlockende Beschreibung in den Moniteur einrücken lasse. Ich bin überzeugt, die Sitte findet in Frankreich Nachahmung.«

»Gut für Ihre orientalischen Hilfstruppen, Capitain, daß es nur ein Madara in der Türkei giebt. Sie könnte sonst ihr Capua finden, nach Ihrer eigenen Miene zu urtheilen.«

»Pah – es sind wahre Teufelsweiber, eine pariser Grisette ist eine Vestalin dagegen. Aber sorgen Sie nicht, Doctor, unsere Soldaten werden aus den wohlverbarrikadirten Harems unserer werthen Bundesgenossen Madara's genug zu machen verstehen, trotz aller Tagesbefehle des Marschalls. Tausend Donnerwetter, ich denke mir ein Regiment unserer Jäger oder der Zuaven in unser eben verlassenes Nachtquartier einmarschiren. He, Monsieur Kiradschia, alter Sünder – wie ist's Euch ergangen in dieser Nacht?«

»Hast Du Etwas erfahren in Betreff des Auftrags Deines Freundes, des Janitscharen-Baschi's?« fügte der Arzt hinzu.

»Wenig genug, Signoris,« sagte der Führer, »und dennoch hat uns das Gerücht nicht getäuscht. Das alte Weib von dem wir hörten, daß es in Madara gestorben, muß in der That das verrätherische Weib Melek Ibrahim's, meines Freundes, gewesen sein. Sie war seit länger als zwanzig Jahren in Madara und muß mich oft dort gesehen haben, wenn ich sie auch nicht wieder erkannte; denn der Oda-Baschi hielt streng auf das Geheimniß seines Haremliks und ich habe sein Weib nur in dichtem Schleier geschaut.«

»Woher schließest Du dies Alles?«

»Höre weiter, Signor. Das Weib hatte einen bösen Ruf, selbst in Madara, und war zänkisch und boshaft. Die jungen Frauen fürchteten sie wie den Teufel. Sie war schwer erkrankt und mochte ihr Ende fühlen, obschon sie zwanzig Jahre weniger zählt, als der Jenethtschjeri, ihr Gatte. Ich weiß nicht, ob sie je erfahren hat, daß er gerettet wurde aus dem Gemetzel zu Constantinopel, aber ich vermuthe es jetzt, daß sie Kunde bekommen von unseren späteren Nachforschungen und deshalb sich nach Madara geflüchtet hat. Als der Tod ihr auf der Zunge saß, hat sie[139] einen Schreiber aus der Nachbarschaft kommen und ihn einen Brief schreiben lassen. Diesen und ein Paket hat sie den Ältesten des Dorfes übergeben, die sie mir aushändigen sollten, wenn ich wieder nach Madara käme. Also ist es geschehen.«

»Zum Donner! die Sache wird ja ordentlich romantisch. Und was enthält der Brief, Freund Kiradschia?«

»Gott weiß es, wie die Moslems sagen,« entgegnete der Alte, »ich habe ihn noch nicht geöffnet, es hat Zeit, bis unsere Pferde Rast halten in der Mittagsstunde. Die Botschaft eines Unheils kommt immer noch früh genug, und was kann ein altes Weib anders bringen als Schlimmes!«

Mit diesem Trost mußten seine beiden Gefährten sich denn auch begnügen bis zu der festgesetzten Zeit. Als sie in der brennenden Mittagssonne im Schatten riesiger Kastanienbäume an einer Quelle die Pferde fütterten und, im Grase ausruhend, ihr einfaches Mahl verzehrten, öffnete der Kiradschia sein in ein Lammfell gebundenes Paket.

Es enthielt außer dem erwähnten Briefe ein Kästchen von jener Art, wie sie in Constantinopel so vorzüglich gemacht werden. Der Schlüssel lag in dem Brief, dieser aber lautete:


»An Paswan, den Kiradschia, einen Bulgaren und in Ewigkeit verfluchten Christen!


Vernimm meine Worte, o Paswan, der Du ein Freund meines Gatten warst und, wie ich vor Jahren gehört habe, ihn gerettet hast vor dem Zorne des Padischah und der Vernichtung der verfluchten Jenethtschjeri. Auf Dein Haupt komme es. Ich weiß nicht, ob der Höllensohn noch lebt, aber ich glaube es nicht und setze Dich darum zu meinem Erben ein, statt dieser alten Weiber, die mich schlecht behandelt haben und nun nur behalten mögen, was werthlos ist. Ich habe Melek-Ibrahim, den Oda-Baschi gehaßt und dies mit Recht, denn er hat mir viel Übels gethan, und die schlechte Sclavin war über mir in seinem Hause, blos weil sie ihm Kinder geboren hat. Wah! war ich nicht seine rechtmäßige Freude? Er hat meine Rache empfunden. Nun aber will der Prophet, daß man Böses gut mache vor seinem Tode und ich habe mich dazu entschlossen, da Eblis, der schlimme Engel, hinter mir sitzt. Ich habe den Kindern meines Gatten Übles gethan, aber das Schicksal wollte es so. Sie sind verkauft[140] worden als Sclaven, Jussuf, der Knabe, der zehn Sommer zählte, auf ein maltesisches Schiff, das die Rosalba hieß, und ich weiß nicht, wo er geblieben ist. Aber der Wille Allah's kann Dich ihn finden lassen und ich sage Dir, daß er ein Kennzeichen hat, die Anfangsbuchstaben des Namens seines Vaters auf der linken Schulter, eingezeichnet mit einer Nadel und eingerieben mit Pulver und Salz, daß sie fortwachsen mit seinem Leben. Das Mädchen, Zuleika, zählte erst vier Jahre, und ich hörte, daß sie gestorben sei. Was aus ihrer Mutter geworden ist, weiß ich nicht, – Fluch über sie und die Gräber ihrer Eltern. Aber die Habe, die ich mitgenommen, gehörte nach dem Gesetz den Kindern meines Mannes, und so gebe ich sie Dir, o Kiradschia, von dessen Redlichkeit die Leute Großes erzählen, obgleich Du ein Dschaur bist, damit Du sie dem Knaben wiedererstattest, wenn er sich finden sollte. Gott ist groß und in seiner Hand ruht Alles. Ist Deine Mühe vergeblich, so siehe das Erbe als das Deine an. Besser in den Händen eines Dschaurs, als dieser tollen Weiber, deren Dienerin ich geworden bin. Allah beschütze Dich und gebe mir ein gutes Ende. Am fünften Tage des Monats Zilkadé, im Jahre Zwölfhundertundneunundsechszig21. Unterschrieben von Zulmah, der Frau des Melek-Ibrahim.«


In dem Kästchen lagen ein Menge sehr werthvolles Geschmeide, Rosenkränze und Amulets, nebst einer nicht unbedeutenden Anzahl Goldstücke.

»Beim Henker!« sagte der Capitain, »ich möchte der Erbe der alten Verrätherin sein. Schade, daß meine Abkunft auf der Mairie registrirt ist! Was wollt Ihr nun thun in der Sache, würdiger Kiradschia?«

»Was ich thun will, Signor Capitano?« fragte erstaunt der Bulgare. »Was kann ich anders thun, als meinem Freunde Ibrahim sein Eigenthum zustellen. Es kann Sonnenstrahlen werfen auf die Tage seines Alters. Mögen die Märtyrer mir beistehen, daß ich ihm von seinem Sohne einst Kunde bringen kann!«

»Das möchte etwas schwer werden, alter Freund, nach achtundzwanzig Jahren und in dieser Völkerwanderung dreier Welttheile. Wer weiß, an welchem Galgen der Bursche längst hängt,[141] oder wo er gespießt worden. Ich rathe Dir, mach' Dir keine vergebliche Mühe und Kosten, sie sind weggeworfen.«

»Wie Gott will,« sagte der Kiradschia treuherzig und fromm. »Die Wege der Heiligen sind wunderbar, und ich werde sein Erbe bewahren. Laßt uns aufbrechen, Freunde.«

Nach wenig Augenblicken waren sie in den Sätteln und auf dem Wege nach Schumla.

Hinter dem filmenden Gebieter ritt der Knabe Nursah und sein Auge hing mit seltsamem, fast zärtlichem Ausdruck an der Gestalt seines Herrn.

1

Unsere Leser, denen nicht gleich eine Karte zur Hand ist, wollen sich erinnern, daß die in der Aufwärtsbiegung der Donau von Silistria zwischen dieser und dem Meer liegende Dobrudscha von Silistria ab durch folgende befestigte Punkte vertheidigt wurde:

Rassowa, Tschernawoda, Hirsowa, Matschin, Isaktscha, Tultscha.

2

Gouverneur.

3

Das türkische dolce farniente.

4

Lieutenant.

5

Die Janitscharen zerfielen in 4 Hauptabtheilungen, deren jede eine Anzahl Orta's oder Unterabtheilungen zählte.

6

Suppenkoch – der Hauptmann der Orta, so genannt, weil er die Suppe vertheilte.

7

Eine Vorstadt Constantinopels auf der nördlichen Seite des Horns.

8

Gouvernement.

9

Artilleristen.

10

Die Hauptabtheilung, bei der der Großherr selbst als Janitschar eingeschrieben war.

11

Kaserne.

12

1826.

13

Der zweite Befehlshaber.

14

Sein Lieutenant.

15

Am 13. Juni.

16

Die Artillerie-Kaserne steht jetzt an dieser Stelle.

17

Die kupfernen Kessel, zum Kochen des Pillaw dienend, wurden zum Zeichen einer Versammlung der Janitscharen ausgestellt und ihr Verlust durch den Feind galt als Schimpf.

18

Befehl.

19

Name der Janitscharen, die in Constantinopel standen.

20

Aya-Sophia.

21

1. Juli 1853.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 3, Berlin 1856, S. 100-142.
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