Ssewastopol

[374] Wir haben den Leser bereits ein Mal in den Conferenz-Saal der neuen Admiralität auf der Südseite von Ssewastopol geführt und verlegen unsere Scene wiederum dahin.

Wie damals füllten Offiziere aller Grade und Waffengattungen den Vorplatz und die Räume des großen Gebäudes. Nur sah man diesmal eine große Anzahl der Versammelten die Spuren des furchtbaren Kampfes an der Alma in Binden und Pflastern tragen. Die alte Admiralität war zum zweiten Marine-Hospital eingerichtet und dort lagen die langen Reihen der zerschmetterten Kranken im Wundfieber.

Fürst Menschikoff war nach der Schlacht, ohne die Defensiv-Stellungen an der Katscha und dem Beljbek weiter zu beachten, um die Bai von Sebastopol und über die nachmals so berühmt gewordene Traktir1-Brücke von Inkerman hinter die Tschernaja nach der Südseite Sebastopol's zurückgegangen, eine möglichst starke Garnison in den nördlichen Festungswerken zurücklassend. Wir haben bereits erwähnt, daß die alliirte Armee wegen der starken Verluste in der Almaschlacht jede Verfolgung aufgegeben. Erst am 22. September brach sie auf und rückte nach dem Beljbekfluß und nahm am Abend dieses Tages eine Stellung auf den Höhen dieses Flusses im Angesicht der Nordforts.

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Unter dem Säulenaufgang des Admiralitätsgebäudes wimmelte es von Soldaten, Matrosen und Einwohnern, welche begierig auf Nachrichten lauschten, denn es hieß, daß die Stadt von den Bewohnern geräumt werden solle. Boote von den im Hafen und der Bai ankernden Kriegsschiffen legten fortwährend am Quai an und brachten obere Flotten-Offiziere; über die Schiffsbrücke vom Fort Nicolas her drängte und wogte es von Kommenden und Gehenden.[375] Ein weiter Halbkreis von Neugierigen füllte den Platz um die Admiralität, Muschiks; Kaufleute, Schiffsvolk, Tataren, – Handwerker und Beamte, Soldaten und Civilisten, Allee bunt durcheinander.

An eine der Säulen gelehnt stand Fürst Iwan Oczakoff mit mehreren Offizieren der Landarmee und Marine. Unfern von ihm befand sich die Gruppe des alten Kosacken mit seinen sechs Enkeln, die der junge Fürst gleichsam als Freizügler in seinen persönlichen Sold und Dienst genommen hatte und als Ordonnanzen verwandte. Zwei der jungen Männer trugen die Spuren leichter Verwundungen aus der blutigen Almaschlacht.

»Sehen Sie, Barjatinski,« sagte der junge Capitain zu einem Offizier in Marine-Uniform mit den Abzeichen eines ersten Lieutenants, »da kommt Einer, der Ihnen die Belohnung für Sinope vorweg genommen hat. Wahrhaftig, ich hätte es ebenso gut haben können, wenn mich der Fürst nach Petersburg geschickt hätte.«

»Sie würden schwerlich die Courierfahrt in fünf Tagen ausgehalten haben, lieber Freund,« sagte lachend der Offizier des »Wladimir.« »Überdies hatten Sie sich ja erst bei Oltenitza die Capitains-Epauletten geholt und müssen Anderen auch Etwas gönnen. Der Podpolkavnik2 Konzaroff ist ein wackerer Offizier.«

»Ist die Anecdote wahr, die man von seiner Beförderung erzählt?« fragte ein junger Fähndrich vom lithauischen Jäger-Regiment.

»Gewiß, Drunewitsch, und weil Sie sich an der Alma-Brücke so brav geschlagen haben, will ich Ihnen, was ich als zuverlässig davon weiß, erzählen.«

»Sie werden mich verbinden, Herr Capitain.«

»Als die Nachricht von der Schlacht von Sinope in Odessa eintraf, befand sich Konzaroff unter den Ordonnanz-Offizieren in der Umgebung des Fürsten. Menschikoff fragte, in welcher Zeit man den Weg bis Petersburg zurücklegen könne, und Alle nannten die gewöhnlichen sechs Tage, nur Konzaroff erbot sich, es in fünf möglich zu machen. Der Fürst vertraute ihm die Depeschen an und der Capitain warf sich, wie er ging und stand, nur mit Geld versehen, in eine Britschka und jagte unterwegs zehn Pferde todt. Am fünften Abend war er im Winterpalast, halb erfroren, halb zu Tode geschüttelt, so erschöpft, daß er sich kaum aus dem Schlitten erheben konnte. Er wurde unmittelbar nach der Ankunft dem Kaiser vorgestellt, der ihn mit in sein Cabinet nahm, wo er sich niederließ, um die freudige Botschaft mit Muße durchzulesen. Als er damit fertig war und sich nach dem Boten wandte, fand er, daß dieser auf einen Sessel an der Thür gesunken und eingeschlafen war. Der Kaiser befahl, ihn zu wecken, aber es war durch die gewöhnlichen Mittel bei der ungeheuren Übermüdung des Mannes[376] total unmöglich. Da rief der Kaiser mit dem ihm eigenthümlichen raschen Verständniß der menschlichen Natur, dicht zu ihm tretend, plötzlich in barschem Tone aus: ›Heda! Ihre Pferde stehen bereit!‹ und der eifrige Courier, der sich noch unterwegs glaubte, sprang rasch empor, um dem Gebote der Pflicht zu gehorchen. Der Kaiser fragte ihn nun, welchen Rang er habe. – ›Capitain,‹ war die Antwort. – ›Nun denn,‹ sagte der Kaiser zu einem Adjutanten, ›bringen Sie ein Paar Epauletten!‹ und setzte, an den Courier sich wendend, hinzu: ›Ich befördere Sie auf der Stelle zum Podpolkavnik; umarmen Sie mich und dann gehen Sie schlafen.‹«

»Es lebe der Kaiser! Tschorte wos mi! Ich weiß, daß Konzaroff sich bei der ersten Gelegenheit für ihn tödten läßt.«

»Das wird, glaub' ich, auch Andern passiren, wenn sie so eigensinnig alle Vorbedeutungen verschmähen.« – Fürst Barjatinski deutete dabei auf eine eben eintretende Gruppe hoher Marine-Offiziere, indem er salutirte.

Alle Offiziere grüßten ehrerbietig. Es waren die Vice-Admirale Nachimoff und Korniloff, der tapfere Istomin, der Vice-Admiral Rogula, zweiter Commandant des Hafens von Sebastopol, und die Contre-Admirale Ssinitzinn und Zebrikoff.

»Schau', Djeduschka,« sagte der junge Kosack Ohlis, der auf einen Stock gestützt wegen des verwundeten Beines, neben dem Alten stand, »der dort kommt, das ist der Mann, der die türkischen Schiffe drüben über der See verbrannt hat. Fürst Iwan zeigte mir ihn diesen Morgen, und der Andere da neben ihm ist auch dabei gewesen.«

»Ich sehe ihrer Drei,« murmelte der greise Kosack, »aber alle Drei haben keine Köpfe. Es sind lebendige Leichen –«

»Dein armes Haupt war heute der bösen Mittagssonne wieder ausgesetzt,« beruhigte der Knabe, »Du hast Deine bösen Träume davon bekommen, Großväterchen, und siehst Bilder, die nicht vorhanden sind.«

Der Alte sah ihn starr an. – »Meinst Du, thörichtes Kind! Ich sage Dir, mein Mund redet die Wahrheit, wenn ich Leichenberge ringsum verkünde, und dieses Wasser zu unsern Füßen geröthet von Strömen Blutes. Der Geist zeigt mir nicht das Schicksal meines Fleisches, aber ich sage Euch, von Denen, die Ihr um Euch schaut, werden nur Wenige diesen Tag wieder erleben, wenn das Jahr gewechselt hat.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der große Conferenzsaal des Admiralitätsgebäudes war gefüllt mit höheren Offizieren, welche die Tafel in der Mitte umstanden, an der sieben oder acht der oberen Befehlshaber sich in eifriger Berathung befanden.

Die Mitte nahm der Oberst-Kommandirende Fürst Menschikoff[377] ein. Der Ausdruck dieses Kopfes paßte ganz zu dem starren, stolzen, unbeugsamen Character, den er als Staatsmann und Feldherr bewiesen. Das kleine, sarmatisch geschlitzte, graue Auge funkelte mit einer unbezwingbaren Willenskraft unter den buschigen weißen Brauen so tief aus der Kopfhöhle hervor, daß oft seine Form und Farbe kaum zu erkennen war. Die hohen Backenknochen zeigten die mongolische Abstammung, der festgezogene Mund mit dem breiten eckigen Kinn Kraft und unbändigen Stolz. Nur um die Winkel lag zuweilen eine Falte voll sarkastischen, in Augenblicken selbst gutmüthigen Humors.

Um den General-Gouverneur von Taurien saßen und standen der General Fürst Gortschakoff I.3, der Gouverneur der Stadt General Lermontoff, die Commandeure der Bezirks-Artillerie General-Major Pichelstein und des Ingenieur-Corps, der Festungsbaumeister General-Lieutenant Pawloffski, die Chefs der 16. und 17. Infanterie-Division, die in der Almaschlacht gefochten, General-Lieutenants Kwizinski und Kirjakoff, der General-Major Trubnikoff von der 16. Artillerie-Brigade und die Commandanten der Festung und des Hafens, General-Lieutenant Kismer, Vice-Admiral Rogula und Vice-Admiral Stanjukowitsch mit vielen Andern.

Die drei Commandanten des Geschwaders standen am Ende der Tafel. Vor dem Fürsten lagen die Festungspläne und eine Land- und Seekarte der Gegend.

»Die ersten Hilfstruppen,« sagte er, »können selbst aus Kertsch und Feodosia kaum vor Mitte October hier sein, aus Nicolajef und Odessa dürfen wir sie erst zu Anfang November erwarten. Es gilt daher, so lange uns selbst zu helfen. Sie behaupten also, meine Herren, daß die Nordforts stark genug sind, der Belagerung zu widerstehen?«

»Ich bürge dafür, Durchlaucht,« erwiederte der erste Commandant.

»Wie viel Mann brauchen Sie, um sich zu halten?«

»Zehntausend Mann.«

»Ich werde Ihnen 8 Bataillone der Reserve-Brigade der 15. Division in Sebastopol lassen. Nachimoff, wie hoch rechnen Sie das gesamte Matrosen-Corps aller Schiffe in der Bai?«

»Mit den Hafen- und Arsenal-Arbeitern Zwölftausend, Durchlaucht.«

»Gut. Sie werden nöthigenfalls für die Südseite und zur Unterstützung der Forts genügen. So behalte ich ungefähr achtzehntausend Mann, um gegen die Belagerungsflanke des Feindes zu operiren.«[378]

Alle sahen den Fürsten erstaunt an.

»Euer Durchlaucht wollen die Stadt verlassen?« fragte General-Lieutenant Kismer.

»Es ist das Beste, was wir thun können, General. Ich denke noch diese Nacht über die Brücke von Inkerman zurück zu gehen. Ich wäre am Besten gleich jenseits der Tschernaja geblieben. Hier wäre die Armee abgeschnitten, in der Stellung zwischen Baktschiserai und dem Beljbeck jedoch kann ich fortwährend die linke Flanke der Belagerer bedrohen.«

Der tapfere Führer der 16. Division, General-Lieutenant Kwizinski, der, am Arm und Kopf verwundet, sich in den Kriegsrath hatte tragen lassen, nickte zustimmend.

»Wenn der Feind die Forts nimmt, ist die Flotte verloren,« sagte mit harter Stimme der Vice-Admiral Korniloff.

Der Fürst sah ihn finster und spöttisch an. – »Sie ist es auf jeden Fall. Gegen die viertausend Kanonen des alliirten Geschwaders können unsere Schiffe nicht aufkommen; wir müssen sie anderweitig so gut zu benutzen suchen, als es geht.«

Die Augen der Offiziere wandten sich auf die drei Admiräle. Jeder konnte sehen, während der Fürst sich über die Karten beugte, wie Admiral Nachimoff das Blut in das Gesicht trat, als er die Hand auf den Tisch legte.

»Wie meinen Euer Durchlaucht dies?«

»Sie sollen sogleich meinen Plan hören. Wie groß ist die Entfernung zwischen Fort Constantin und Fort Alexander, Herr Hafen-Commandant?«

»Zweihundertvierzig Faden,«4 berichtete der Vice-Admiral Stanjukowitsch.

»Dann werden wir freilich mindestens sieben Schiffe brauchen. Es gilt vor Allem, meine Herren, der alliirten Flotte den Eingang in die Bai unmöglich zu machen und wir müssen dafür ein Opfer bringen. Ich beabsichtige, sieben unserer großen Schiffe noch heute zwischen den Forts versenken zu lassen und so die Bai zu sperren.«

»Das ist unmöglich, Durchlaucht!«

»Warum, Herr Vice-Admiral?«

»Weil ich Euer Durchlaucht als Admiral und Marineminister bitte,« sagte Nachimoff mit sichtlich unterdrückter Bewegung, »der russischen Marine nicht die Schmach anzuthun, daß man von ihr sagen könne, sie fürchte, mit irgend einer Flotte der Welt sich zu messen. Ich habe fünfundsechszig Segel hier versammelt, Durchlaucht, und meine Matrosen brennen vor Begier, mit jenen übermüthigen Franzosen und falschen Engländern zu kämpfen. Ich bitte Sie im Namen der Flotte des Schwarzen Meeres, wenn Ssewastopol belagert wird, die alliirten Geschwader angreifen und ihnen eine Schlacht liefern zu dürfen.«[379]

»Und was glaubst Du damit zu erzielen, Peter Nachimoff?« fragte der Fürst.

»Wir werden auf Leben und Tod kämpfen. Wir werden uns durchschlagen und das Asow'sche Meer erreichen. Wenn nicht, so wird die russische Flotte nicht die einzige sein, die in diesem Kampfe vernichtet wird. Frankreich und England werden zugleich den Verlust der ihren beklagen.«

Ein stürmischer Ruf aller See-Offiziere ging durch den Saal, sie Alle hoben die Hände auf zum Zeichen der Übereinstimmung.

»Du bist ein tapferer Mann, Freund,« sagte der Fürst ruhig, »Niemand, am wenigsten der Kaiser, zweifelt daran. Aber mit Deinem Opfer würde der Sache unsers Herrn wenig gedient sein. Du und die Deinen, Ihr müßt Ssewastopol für Rußland bewahren.«

»Ich bin für das Meer erzogen, auf ihm allein verstehe ich zu fechten.«

»So wirst Du es auf dem Lande lernen, Freund. Gehorsam ist das erste Opfer, was wir bringen müssen.« – Der Fürst nahm ein Verzeichniß vom Tisch. – »Hier ist das Verzeichniß der Schiffe5, die ich zum Versenken bestimmt habe. Die Capitaine haben sie sofort zu räumen und nur die Kanonen der oberen Decks und die Pulvervorräthe an's Land zu schaffen. General-Major Hartung wird die Stelle bezeichnen, an der die Versenkung am besten auszuführen ist.«

Eine tiefe Stille hatte sich über den Saal gelagert, die Marineoffiziere schauten finster und stumm vor sich hin; ihre Kameraden von der Landarmee sahen mit Theilnahme auf die entwaffneten Tapfern.

»Die Batterieen der Forts und die versenkten Schiffe werden genügen, uns gegen die Flotte der Feinde zu sichern,« fuhr der Fürst fort. »Für die Nordseite bürgt mir Kismer; die Südseite ist nicht gefährdet, darum wird es am Besten sein, die Schiffe sämtlich dahin zu bringen und die Mannschaft am Lande in Corps zu formiren, welche die Vertheidigung der Stadt übernehmen und die Nordforts unterstützen. Die Feinde haben unsere stärkste Position vor sich und sie werden daran scheitern. Wenn man uns von Süden angegriffen hätte, würde unsere Lage schlimmer sein.«

»Sehr schlimm!«

Die Worte schienen einem der Anwesenden unwillkürlich entfahren, denn Alle blickten sich verlegen an, als der Fürst sich im Kreise nach dem Sprecher umschaute.

»Wer von Ihnen machte die Bemerkung, meine Herren?«

Aus dem Kreise der Stabsoffiziere trat ein Ingenieur-Offizier[380] mit den Capitains-Epauletten. Wir sind ihm bereits vor Silistria begegnet.

»Verzeihen Euer Durchlaucht, die Bemerkung ist mir unwillkürlich entschlüpft.«

»Sie sind der Capitain Todleben

»Zu Befehl, Durchlaucht.«

»Ich will Ihre Einmischung entschuldigen. Doch, wie kommen Sie zu der Behauptung?«

»Ich habe heute Morgen die Befestigungen der Landseite besichtigt, Durchlaucht, und –«

»Nun, heraus!«

»Und jene Überzeugung gewonnen.«

Der Fürst hatte aus seiner Brusttasche ein Notizbuch gezogen und blätterte darin.

»So glauben Sie, daß, wenn die Festung auf der Südseite angegriffen würde, sie sich nicht halten könne?«

»Unzweifelhaft, Durchlaucht.«

Der Fürst blickte nach dem General-Lieutenant Pawloffski, dem Festungsbaumeister. – »Was meinst Du dazu, Excellenz?«

Der alte General war schon längst unruhig hin und her gerückt. – »Der Herr Capitain übertreibt,« sagte er. »Wir haben sehr starke Werke an der Südseite.«

»Aber sie sind ohne Deckung,« unterbrach der Genie-Offizier. »Es giebt verschiedene Punkte der Umgegend, welche den Hafen und die Zugänge beherrschen, wenn sie nicht mit vorgeschobenen Werken versehen werden.«

»Zum Glück kommen wir nicht in die Verlegenheit,« sagte der Fürst, »überdies wäre es zu spät, große Werke anzulegen.«

»Ich bitte um Entschuldigung, Durchlaucht,« sagte kühn der Capitain, »aber das ist es nicht. In fünf Tagen kann eine äußere Linie geschaffen sein.«

»Können Sie Mauern und Bastionen aus der Erde stampfen, Herr?«

»Das nicht, Durchlaucht, aber ich habe die Erde selbst. Der Wall und die Sappe müßten Ssewastopol vertheidigen, wenn es von Süden her angegriffen würde.«

Der Fürst schaute ihn fest und nachdenkend an und dann nochmals in das Notizbuch, in dem er gefunden zu haben schien, was er suchte. – »Fürst Gortschakoff hat Sie mir mit vorzüglicher Empfehlung gesendet, Capitain,« sagte er, »und Schilder hat auf dem Todtenbett von Ihnen gesprochen. Ich habe den Ingenieur vom Platz noch nicht ernannt und will Ihnen die Stelle anvertrauen, wenn Sie leisten, was Sie versprochen. Sie mögen Ihre Pläne General Pawloffski vorlegen. Doch muß ich mich jetzt zu dem Nöthigeren wenden. General Kwizinski ist mit meinem Plan der Einnahme einer Flanken-Position einverstanden, wie ich gesehen. Was denken Sie dazu, Kirjakoff, und Sie, Welitschko?«[381]

»Ich müßte kein Kavallerist sein, Durchlaucht, wenn ich Anderes vorziehen könnte.«

Auch der Kommandant der 17. Division stimmte zu.

»So treffen Sie Ihre Anstalten, meine Herren, denn wir brechen diese Nacht noch auf.« – Der Fürst erhob sich und trat im Vorbeigehen zu den beiden Vice-Admiralen. – »Ich bin ein Seemann, wie Du, Petrowitsch,« sagte er, »aber der Kaiser hat Ssewastopol mir anvertraut und die Flotte ist nur ein Theil von ihm. Wir dürfen den Engländern keinen Seesieg weder hier noch in Kronstadt gönnen.«

Der Vice-Admiral verbeugte sich kalt. – »Euer Durchlaucht werden mir gestatten, nach Petersburg zu berichten?«

»Wie Sie wollen, Herr Vice-Admiral, bis zur Entscheidung des Kaisers aber werden Sie meine Befehle befolgen.«

Keine Muskel zuckte in dem harten, ehernen Gesicht, als er sich von ihm wandte.


In dieser Nacht, der Nacht vom 24. zum 25. September, überschritten die Truppen die Tschernaja auf der Traktir-Brücke, schlugen den beschwerlichen Weg nach der Meierei Mekensi ein und gelangten am Morgen des 25. nach einem mühevollen Marsche auf die Straße nach Baktschiserai, wo der Fürst bei dem Dorfe Otarkioi eine solche Stellung einnahm, daß er die Verbindung mit Perekop unterhalten und die Verbündeten im Rücken bedrohen konnte, sobald diese gegen die Nordforts Etwas unternahmen.

Der Tag war trübe und stürmisch gewesen, erst am Abend klärte sich das Wetter auf. Es war 8 Uhr, als durch das Thor an der Mastbastion Fürst Iwan Oczakoff mit seinen sieben Kosacken die Stadt verließ und auf dem Wege, der nach Balaclawa führt, vorwärts trabte.

Während des Tages hatte sich in der Stadt die Nachricht von einem Gefecht verbreitet, das zwischen der Kavallerie der Alliirten und der Nachhut der Colonne des Fürsten Menschikoff vorgekommen sein sollte, doch fehlten nähere Nachrichten darüber. Gegen Abend glaubte man vereinzelten Geschützdonner in der Richtung nach Süden gehört zu haben, doch achtete man dessen nicht, da dort unmöglich ein Feind stehen konnte, auch war der Schall bei dem starken und ungünstigen Wind zu undeutlich.

Der Capitain war von dem Fürsten zurückgelassen worden, um über die Ausführung der befohlenen Maßregeln Rapport zu bringen und der Kommandant beorderte ihn am Abend, nach dem zwei Meilen entfernten Balaclawa zu reiten, um den Obersten Manto, den Kommandanten der kleinen halbverfallenen und nur von 110 Mann und 4 kleinen Mörsern vertheidigten Festungswerke zu erinnern, auf seiner Hut zu sein, da man im Laufe des Tages mehrere Schiffe der Alliirten hatte nach Süden sich dirigiren sehen.[382]

Die Nacht war eingetreten über dem Ritt des Capitains, der eine besondere Vorliebe für den alten Kosackenführer gefaßt hatte, und sich von ihm Abenteuer seiner Jugend erzählen ließ. Die Reiter begannen eben von dem hohen Plateau herabzusteigen, das sich etwa eine halbe Meile von der Küste nach Ssewastopol zu erhebt, und aus einem Hohlweg hervorkommend, hatten sie Ufer und Meer vor sich.

Alsbald faßte der greise Kosack den Zügel des Fürsten und sein Arm deutete auf die felsige Ebene hinunter, von der breite Schluchten sich in das Meer senkten. In einer derselben lag Balaclawa. Ein Kranz von Feuern schien sich rings umher zu ziehen.

»Um der Heiligen willen, Gospodin – keinen Schritt weiter – was bedeuten diese Feuer?«

Der junge Mann starrte erstaunt auf das seltsame Schauspiel, das sich etwa eine Viertelstunde entfernt vor ihm zeigte. Man konnte deutlich mit bloßen Augen bemerken, daß die Feuer von Menschenmassen umlagert waren. Balaclawa selbst, am Eingang der Schlucht liegend, schien in Licht zu schwimmen.

»Und dort!« – Der Kosack wies nach dem Meere – auf der Höhe über die Felsen der Ufer hinweg sah man zahlreiche Lichter in schwankender Bewegung.

»Vorwärts – wir müssen uns überzeugen, was dort vorgeht!«

Der Capitain gab seinem Roß die Sporen – aber eine kräftige Faust fiel ihm in die Zügel und vor ihm richtete sich wie aus der Erde gestiegen eine lange dunkle Gestalt empor.

»Zurück, Fürst Iwan Oczakoff!« sagte der Fremde mit dumpfer Stimme, »Dein Leben gehört dem Vaterland!«

»Mensch, wer bist Du, der Du mich kennst?« – Seine Hand griff nach der Pistole.

»Laß stecken, Kind – Du wenigstens hast kein Recht auf mich, wenn auch Michael der Tabuntschik aus der Steppe von Borislaw nicht sein Brot mit Dir getheilt hätte.«

»Der Roßhirt – so wahr ich lebe! Wie kommst Du hierher, Alter – was geht dort vor – was bedeuten die Feuer um Balaclawa?«

»Sie leuchten Gefahr, Knabe! die Engländer und Franzosen lagern dort unten, Balaclawa ist in ihren Händen, ich, ich habe sie dahin geführt durch die Gebirge, und zum zweiten Male ruht der Fluch jedes Russen auf dem Haupt des ewig Verdammten! – Eil' nach Ssewastopol, Fürst, denn der Feind steht vor seinen Mauern


(Schluß des dritten Theils.)

1

Wirthshaus.

2

Oberst-Lieutenant.

3

General der Infanterie, der in der Almaschlacht unter Mentschikoff focht, nicht zu verwechseln mit dem nachherigen Oberbefehlshaber, General der Artillerie, Fürst Gortschakoff II.

4

Etwa 1350 Schritt.

5

Es waren die Schiffe: »Heilige Dreieinigkeit« von 120, »Rostislaff« von 84, »Siseboli« von 40, »Zagosdich« von 84, »Uriel« von 80, »Silistria« von 80 und »Kulewtscha« von 40 Kanonen.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 3, Berlin 1856, S. 374-383.
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