III. [294] Dai Bosche1!

Wir haben bereits angeführt, daß mit dem Wechsel des Oberkommando's der französischen Armee auch eine andere Stellung der Truppen eingetreten war und die Franzosen ihre Hauptstärke jetzt wider die linke Flanke der Festung, gegen die Schiffervorstadt und die dieselbe vertheidigenden ältern und neuern Werke richteten. Hier stand das Corps Bosquet mit den Divisionen Canrobert, Camou, Mayran, Dülac und Brünet, noch immer die Verschanzungen auf dem Sapunberg, als den Haupthalt seiner Stellung, bewahrend. Auf dem rechten Flügel, an die Tschernaja lehnend, befand sich jetzt die sardinische Division Durando mit einem englischen Husaren- und Ulanen-Regiment. Den Zwischenraum nahmen drei türkische Divisionen Omer-Pascha's ein.

Am Abhang des Sapunberges, wo derselbe sich gegen den Dokowoga und Kilengrund senkt, stand das Lager des ersten und dritten Zuaven-Regiments. Mitten zwischen den Zelten und Baracken, mit den seltsamsten Ausstaffirungen, erhob sich auf einem freien Vorsprung eine große und mit besonderer Sorgfalt erbaute Cantine, die offenbar mehrere geräumige Abtheilungen hatte, und um welche schon während des ganzen Vormittags ein überaus reger Verkehr geherrscht hatte. Es war die Marketenderbude des ersten Bataillons des dritten Zuaven-Regiments, die Cantine Nini Bourdon's, durch die Unterstützung des Vicomte auf das Stattlichste hergerichtet und der Hauptsammelplatz der ganzen umlagernden Truppen.

Ein buntes Bild und Leben entfaltete sich vor und in dem halb aus Linnen und Segeltuch, halb aus festem Holzwerk gebildeten Bauwerk. Das Genie der in allen Sätteln gerechten und in allen Künsten erfahrenen, berühmten und berüchtigten Soldaten Algerien's hatte sich offenbar auf's Höchste abgemüht, hier etwas ganz Außerordentliches zu leisten. Über dem breiten, mit einer seht zurückgeschlagenen Leinwandgardine decorirten Eingang der[294] Cantine wehte die Fahne des Regiments, denn Oberst Maurelhan-Polkes hatte in einer angebauten Baracke sein Quartier genommen. Trophäen von russischen Waffen, von den Schlachtfeldern erbeutet, alte Feßbinden der Zuaven und ein großer ausgestopfter Adler, den ein geschickter Schütze aus den Lüften geholt, schmückten außerdem das Portal, dessen gloriose Schönheit bei alledem in Gefahr war, in Schatten gestellt zu werden durch einen höchst seltsamen Nebenbau. Es war dies ein etwa funfzehn Schritt breites und einige Fuß über dem Erdboden erhöhtes Gerüst, vorn einen viereckigen, von Laubwerk, bemalten Brettern und alten Tapeten und Teppichen gebildeten Rahmen zeigend, der durch eine Art Vorhang geschlossen war. An einer hohen mit verschiedenen Flaggen gezierten Stange schwebte darüber her ein großes Plakat mit der Inschrift: »Théâtre national des Zouaves de Sa Majesté l'empereur Napoléon III. et du Général Bosquet.« Ein geschriebener Zettel, am Vorhang angeheftet, verkündete, daß mit Höchster Genehmigung seiner Excellenz des Generalissimus die Zuaven des ersten und dritten Regiments die Ehre haben würden, nach dem Diner aufzuführen das berühmte und beliebte Vaudeville: »Le retour de Crimée« mit nachfolgenden kosackischen und spanischen Nationaltänzen. Alles gegen beliebiges Entree zum Besten der Verwundeten in den constantinopolitanischen Lazarethen.

Ein Halbkreis von roh gezimmerten Tischen und Bänken umgab den Eingang der Cantine und das weislich daneben gebaute Theater, so das Auditorium der höheren Ränge bildend, während für die untern Grade des sehr gemischten Publikums eine Reihe den Erdgräben vor dem Theater gezogen waren, in denen die Zuschauer nach Lust und Belieben in hundert verschiedenen Stellungen auf den Querdämmen saßen und lagerten, gleich im Parquet eines Theatersaal. In der Zeit, wo die dramatischen Talente der Zuaven noch nicht beschäftigt waren, dienten Tische und Bänke, wie gegenwärtig, zum gewöhnlichen Versammlungsort und nicht selten waren selbst kommandirende Generäle die Gäste der hübschen Nini.

Eine bunte Menge füllte jetzt jeden Platz innerhalb und außerhalb der Baracken, vorherrschend freilich die Zuaven mit dem kecken, selbstbewußten Aplomb, der unvergleichlichen Negligence ihrer Haltung, den Feß auf einem Ohr, die Hände in den Taschen, theils umherschlendernd, theils in Gruppen trinkend, spielend, fluchend, prahlend, lockend oder auf hunderterlei Weise beschäftigt. Dazwischen alle Uniformen der französischen Armee und Flotte, die algierischen Scharfschützen, die Mariniers, die kecken kleinen, prahlerischen Voltigeurs, die Husaren und Dragoner von d'Allonville's Division, welche zwischen dem Sapunberg und Balaclawa lagerte, einzelne schwere Kürassiere, Matrosen, Schiffsoffiziere und Artilleristen; daneben neugierig und demüthig, von den Franzosen verlacht und bewirthet, einige Türken oder in ihre Burnusse und Kopftücher trotz der Hitze gehüllte Araber – bekannte Erscheinungen für diese[295] tapfern, in der Sonne Afrika's gebräunten Truppen. Ein schwer betrunkener englischer Matrose, der auf dem irgend wo zu einem Spazierritt während seines Ruhetags ohne Willen des Eigenthümers entlehnten Maulthier hin und her schwankte, wie eine Fregatte im Sturm, und sorgsam von zwei Soldaten im Sattel gehalten wurde, während ein Dritter den Zügel führte und in dem Jargon, das sich zwischen beiden Armeen gebildet, dem Bruder Theerjack von den Freuden erzählte, die ihn bei der Theatervorstellung erwarteten, gegen die jede Aufführung in Drurylane oder Coventgarden Schund sei; um den Stamm eines verkrüppelten Feigenbaumes versammelt eine Gruppe von Offizieren, die dort angeheftete englische Ankündigung eines großen Wett- und Jagdrennens studirend; eine große Zahl von Gesindel, wie sie jedes Lager mit sich bringt, Handelsleute, Tataren, Hausirer aller Art: – das Alles lagerte und bewegte sich in bunten Gruppen umher.

Durch den offenen Eingang zur großen gleichfalls mit Tischen besetzten vordern Abtheilung der Cantine sah man die Demoiselle de Comptoir in ihrem kleinen mit vieler Zierlichkeit arrangirten Bureau; aber die schlanke, junonische Gestalt, das Cendré des Haares, das mattgefärbte schöne Gesicht mit dem Auge voll Genußsucht und Eitelkeit gehörte nicht der Herrin der Cantine selbst, der zierlichen, gewandten Nini an, sondern Celesten, der ehemaligen Lorette, der Bojarenfrau, der Maitresse des Russen Wassilkowitsch! Das Schicksal hatte eigenthümlich mit den beiden Freundinnen gespielt, seit wir ihnen an jenem verhängnißvollen Märzabend in der rue de St. Josef begegnet sind.

Nini selbst war in den zwei Jahren eine Andere geworden. Ihre noch immer zierliche Gestalt schien doch kräftiger und bedeutender, das kindlich frohe Wesen hatte sich mit einer festern Haltung gepaart, das Leben mit seinen Sorgen hatte offenbar ihre Erziehung geleitet und ohne der Naivetät ihres Characters zu schaden, doch eine größere Sicherheit im Handeln und Auftreten herbeigeführt. Beweglich gleich einem hüpfenden Vögelchen war sie bald hier, bald dort, die zahlreichen Gäste bedienen helfend, oder mit All' und Jedem plaudernd und ein Scherzwort oder eine flüchtige Erzählung wechselnd – bald wieder in der Küche der Restauration, wo eine ältere Marketenderin, deren sich mehrere des Regiments dem jungen Mädchen willig angeschlossen und untergeordnet hatten, die Aufsicht führte. Zwei Zuaven verwertheten hier die Früchte ihrer culinarischen Jugenderziehung, der sie entlaufen, zum Besten des Allgemeinen, indem sie von den Erträgen des merkwürdigen, freilich äußerst nahe an Spitzbüberei gränzenden Fouragirtalents und den eigenen Vorräthen der Cantine eine Speisekarte à la Béfour zurichteten. Die kokette Marketendertracht in den Farben des Regiments, blau, roth und grün, stand dem Mädchen allerliebst, wie sie so zierlich zwischen den Tischen umher eilte und dabei doch Zeit behielt, ihre liebevolle Aufmerksamkeit zwei[296] Personen besonders zu widmen, zwischen denen sich ihr Herz zu theilen schien.

Die Eine war ein kräftiger, kühn ausschauender Corporal von etwa fünfundzwanzig Jahren, das männlich freie und hübsche Gesicht von langem, dunklem Bart umschattet, auf der Brust die Medaille, der mit mehreren Kameraden an einem Tisch außerhalb der Cantine saß und häufig, wenn er sich unbemerkt glaubte, einen finstern, halb spöttischen Blick nach dem improvisirten Comptoir und seiner schönen Inhaberin warf, die von einem Schwarm jüngerer und älterer Offiziere umgeben war, mit denen sie sich nachlässig unterhielt. Es war François Bourdon, der Bruder der kleinen Marketenderin.

Die zweite Person, welche die besondere Fürsorge Nini's genoß, war der bleiche, geistesschwache Bursche, dessen merkwürdige Ähnlichkeit mit dem jungen russischen Fürsten schon so vielen Personen aufgefallen war. Still und theilnahmlos schlich er zwischen den Gästen umher, von denen die meisten mit ihm bekannt schienen, und verrichtete eben so Alles, was ihm geheißen ward. Sein leerer Blick belebte sich nicht einmal, wenn Nini ihm einige freundliche Worte sagte, oder ihm aufmunternd die hohle Wange klopfte, eine Liebkosung, die mehr als Einer mit neidischem Auge sah und für die mancher Tapfere willig zum Sturm auf eine russische Redoute marschirt wäre.

Nur ein Mal, als Nini am Comptoir Celesten's stehen blieb, mit dieser einige Worte wechselte und der todte Blick des Burschen von François auf die Gruppe der beiden Frauen schweifte, überzog ein flüchtiger Blitz von Gedanken das hagere junge Gesicht; er rieb die Stirn mit der Hand und starrte wie emsig eine Erinnerung suchend in's Leere. Wenige Augenblicke darauf schien jedoch die erregte Gedankenfolge wieder unterbrochen und er verrichtete theilnahmlos nach wie vor die Geschäfte der Bedienung, wobei er manchmal auf einige Zeit in einen der hintern Räume der Cantine verschwand.

Die Gruppe an dem Tisch, an dem François saß, bestand aus dem Sergeant-Major, der mit dem jungen Kameraden an der Alma und bei Inkerman die Wagnisse ausgeführt, den Ärmel seiner Jacke mit Galons bedeckt und Mamsell Minette, die erste Kletterin des Bataillons, neben sich, – aus einigen andern Soldaten der Compagnie, zwei Voltigeurs vom 20. Regiment und einem algierischen Scharfschützen. Die Unterhaltung war äußerst lebhaft und drehte sich theils um die Tagesereignisse des Feldes, theils um die innern Angelegenheiten von Küche und Theater.

»Paßt auf, Kinder,« sagte der Sergeant-Major, »es giebt morgen einen Tanz, wenn auch die Generäle noch geheim thun und die Köpfe zusammenstecken. Man hat nicht umsonst seit drei Tagen Kugeln gefahren und die armen Kerle, die Türken, wie Maulthiere in den Magazinen arbeiten lassen. Da, Bursche,«[297] fuhr er fort, indem er einem langsam vorüberschreitenden Araber das Glas hinreichte, »trink' einmal, es ist ächter Wermuth, von Deinen eigenen Bergen gepflückt, die doch Nichts weiter hervorbringen, als das bittere Kraut und das Gewürm, die Kabylen.«

Der Angeredete war ein junger, schöner Araber, offenbar einer der Führer, und wer ihm näher in's stolze, finstre Auge geschaut, hätte in ihm unmöglich Abdallah ben Zarugah, den Emir der tapfern Reiter der Hedja's, verkannt. Er hüllte sich, mit verächtlicher Geberde den Trank zurückweisend, in seine weiten, weißen Gewänder und schritt weiter, dem Eingang der Cantine zu.

»Peste! Verschmäht der Schuft von einem Koranfresser, mit einem Feldwebel der dritten Zuaven zu trinken? Ich will ihn –« er griff nach seiner Katze, um das Thierchen verächtlich auf den Mahomedauer zu schleudern, doch François hielt ihm den Arm fest.

»Ruhe, Papa Fabrice! es ist der Aga, der den Griechen-Offizier im vorigen Monat verwundet und gefangen, und der alle Tage kommt, um nach ihm zu schauen. Laß ihn gehen – Du weißt, daß der Kommandant jede Beleidigung ahnden würde.«

»Maudit soit le butoir! ich will wegen eines Spitzbuben von Beduinen nicht im Loch stecken, wenn vielleicht ein Gefecht vor der Thür steht. Komm' her, Minette, sei ruhig, mein Thierchen, und beiße Dich nicht mit dem gelben Burschen da, die Messieurs Beafsteaks werden Dir Revange geben und heute seine Kameraden hetzen.«

Minette, die Katze, war nämlich mit dem berühmten Hund des 20. Linien-Regiments, der stets vor der Tête hermarschirte und den die Voltigeurs auf das Apportiren der Kugeln, ja selbst von Bombenzündern abgerichtet hatten, in argen Streit gerathen, und rasch, mit der leichtsinnigen Theilnahme des französischen Charakters für alle Intermezzo's, bildete sich ein Kreis um die beiden Gegner. Ein Fußtritt des Voltigeurs jedoch, welcher den Hund mitgebracht, stellte den Frieden wieder her. – »Sandioux2!« wetterte der Gascogner, »will sich das Vieh mit einander zanken, während die Russen dazu vom lieben Herrgott ganz expreß erschaffen sind! – Nichts da – hierher, Groscanon – Kusch!« und er steckte ihn zwischen seine Beine, während der Zuave die Katze vor sich hinlegte und mit ihr spielte.

»Wem mag es gelten?« fragte der Scharfschütze, kokett seine gelbe Weste ordnend und den Dampf aus der Cigarre in blauen Ringeln von sich blasend.

»Sacristi! wem anders, als dieser verfluchten Lünette! Sie liegt unserm Dicken im Kopf und wurmt ihn schon lange. Es wird Blut kosten. Wann soll der Spektakel losgehen?«

»Die Kanoniere sprechen von diesem Nachmittag.«

»Ah, Mordioux! deshalb giebt man uns die Theater-Vorstellung[298] zum Kaffee nach Tisch. Ich hörte davon, daß die Schanze des kleinen Fossoyeur3 in Stand gesetzt worden und die schwarzen Batterieen. Es ist nobel von dem Kleinen, daß er keinen Anstand nimmt, unter dem Dicken zu dienen.«

»Parbleu! kann er sich etwas Besseres wünschen? Einen General, wie unsern Afrikaner, bekommt er nicht alle Tage wieder.«

»Bei all' dem ist's hübsch. Es hat Jeder seine Art und jedenfalls war die seine immer noch besser, als die Trägheit des ›Wettermännchens‹4, das Nichts thut, als den ganzen Tag Schach spielen und Zeitungen lesen. Er soll nicht ein einziges Mal die Lazarethe besucht haben, und das that selbst der verstorbene Marschall in Varna.«

»Wißt Ihr, daß der Ober-General heute hinüber geritten ist zu den Engländern?«

»Bah! er wird sehen wollen, wie weit sie mit den Laufgräben am Redan sind.«

Der Voltigeur schüttelte schlau mit dem Kopf. – »Das kümmert den General wenig, er wünscht die ganze Sippschaft zum Teufel. Aber Vitrolles, sein alter Ordonnanz-Zephyr, hat mir gesagt, daß der Barometer auf Sturm steht. Der Bursche kennt seine Mienen.«

»Dann Gnade Gott den Engländern, er bratet sie bei lebendigem Leibe, wie die Araber-Familien in der Höhle von Djebel Debbag.«

»Brrr!« machte der zweite Voltigeur; »die Geschichte ist zu abscheulich, als daß sie wahr sein könnte.«

Der alte Zuaven-Sergeant sah ihn grimmig an. – »Halt's Maul, Rekrut, nicht raisonnirt, was verstehst Du davon! Ich sage Dir, ich, Sergeant-Major Fabrice Tonton, es ist so wahr, wie ich dieses Glas hier trinke. Ich war dabei, und ein abscheulicher Gestank war's, als die siebenhundert Männer, Weiber und Kinder so in dem Rauch erstickten von dem Holz, das man vor der Höhle aufgehäuft.«

»Wie, Du halfst bei der schändlichen That?« fragte unwillig der junge Bourdon.

»Wir Zuaven nicht, François,« sagte ernst der Sergeant, »wir sind zwar wilde Teufel und fragen leider wenig genug nach Gott und den Heiligen, aber gegen Weiber und Kinder und unbewaffnete Männer möchten wir doch nicht die Hand erheben. Es war bei der Gelegenheit, als er dem Kommandanten Vergier, der damals Unter-Lieutenant war, befahl, seine Soldaten Holz herbeitragen[299] zu lassen, und dieser statt der Antwort seinen Säbel abgab und sich zum Arrest meldete. Der General war außer sich und schimpfte wie eine Dame der Halle von Feiglingen und Memmen mit Weiberherzen, die nicht verdienten, Krieger zu heißen, da – –«

»Nun, Fabrice – weiter?«

»Da sah ich mit diesen meinen Augen den Lieutenant auf ihn zuspringen, ihn an den Schultern fassen und schütteln, wie man einen Schulbuben schüttelt, indem er ihm zuschrie, er möge erst Höflichkeit lernen, wenn er französischen Offizieren befehlen wolle.«

»Der Unglückliche! – und der General?«

»Bah! er machte sich los und sagte: ›Ist das ein Vieh, – aber ich brauche viele solche Kerle!‹ – zum Lieutenant aber sprach er: ›Monsieur, ich nehme Sie in meinen Stab; wir wollen sehen, ob Sie Andere auch so schütteln werden.‹ – Der Lieutenant kommandirt seit zwei Jahren sein Bataillon bei den zweiten Zuaven und die Teufel, die Zephyrs, erhielten den Befehl, die Höhle auszuräuchern, und befolgten ihn. Wir aber standen dabei, das Gewehr im Arm und – – – zum Henker mit der garstigen Erinnerung!«

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und pfiff den Zuaven-Marsch vor sich hin.

»Madame Celeste,« warf einer der Kameraden hin, »scheint heute verteufelt unruhig, ihre Augen rollen wie zwei feurige Kohlen und sie scheint zu suchen, was sie nicht findet. – He, Jean,« rief er dem in die Nähe kommenden Schwachsinnigen zu, »bring' mir ein frisches Glas, mein Bursche – Absinth, ächtes Schweizer Gewächs.«

Der junge Mensch nahm gehorsam das Glas, indem er ihn mit den leeren irren Blicken anstarrte. – »Eilf Uhr – der Zug –«

»Weiß schon, mein Bursche, kenne das Lied. Mach' fort und bring' mir den Absinth und frag' in der Küche nach, ob sie den Truthahn nun bald gebraten haben, den ich heute Morgen eingeliefert.«

Corporal Bourdon war trotz aller Mühe, die er sich gab, ruhig zu sein, das Blut auf die Stirn gestiegen und er sah finster nach der leichtsinnigen Jugendgeliebten hin. In dem Augenblick wurde der Vorhang der nahe gelegenen Bühne etwas bei Seite geschoben und ein merkwürdig ausstaffirter Bursche schaute heraus und suchend umher.

Es war ein bärtiger Zuave mit schielendem Blick, den Kopf in eine abscheuliche zerknitterte Weiberhaube gesteckt und um Kinn und Ohren ein Tuch gebunden, um den rothen Bart darunter zu verstecken, den er sich nicht hatte entschließen können, der Kunst zum Opfer zu bringen. Den untern Theil des Körpers hatte er[300] in einen langen Weiberrock gehüllt, dessen aufgenommene Falten er einstweilen um den linken Arm geschlagen trug.

»Pst! – François – François Bourdon!«

Der junge Corporal trat hinzu. – »Was giebt's, Bernaudin?«

»Sind sie da?«

»Wer?«

»Maudit! Wen kann ich anders meinen, die Garden?«

»Nein – kein Einziger!«

»Das ist schön – que le diable les importe! sie mögen bleiben, wo sie sind; schade nur, daß sie unsere schöne Vorstellung nicht sehen können. Die hochnäsigen Narren hätten sich geärgert zum Schwarzwerden – ich bin göttlich als Fürstin Mulaschpulaschkin! wir haben so eben meine große Scene probirt.«

Ein schallendes Gelächter der Nächstsitzenden unterbrach die bärtige Actrice, deren Erscheinung man eben erst bemerkt. Der Kopf verschwand eilig hinter dem Vorhang und nur Mund und Nase waren noch zu sehen. – »Was habt Ihr zu lachen, Ihr Narren? habt Ihr noch keine russische Dame im Negligée gesehen? Fichtre! Erobert Sebastopol, dann könnt Ihr sie im allerdurchsichtigsten haben aus erster Hand, wie unsere Kameraden die Bulls in Kertsch. Ihr thätet gescheidter, wenn Einer lieber den Saufaus Lebrigaud suchte, der sich noch immer umhertreibt, indeß sein Popencostüm längst bereit liegt. Ich wette drei Flaschen Wein gegen einen gestohlenen Schinken, das Publikum wird abgespeist und seine Plätze eingenommen haben und der Halunke ist noch immer nicht zur Stelle.«

»Dort unten zieht er mit einem betrunkenen englischen Matrosen umher!«

»Ich will ihn holen,« sagte Bourdon und stand auf.

»Ah – joli garçon! Du verdientest einen Kuß, schöner Corporal, wenn die Fürstin Mulaschpulaschkin nicht schon engagirt wäre. Laß Dir ihn jetzt von anderer Seite geben, mein Junge, das Feld ist rein.«

Während Bourdon unter dem Gelächter der Kameraden sich bereits entfernte, fragte der Sergeant-Major: »Was meinte der Kerl mit den Garden? Morbleu, es ist wahr, ich habe heute noch keinen Einzigen von den goldbetreßten Narren in der Cantine gesehen, die sie sonst förmlich belagerten.«

Die Umsitzenden schwiegen, indem sie sich anschauten, und ihre bedeutsam gewechselten Blicke verriethen, daß ihnen die Ursach' nicht unbekannt war.

»Parbleu! werd' ich Antwort bekommen? Weiß Jemand, warum die Garde sich heute nicht blicken läßt?«

»Ei, Papa Fabrice,« sagte eine helle und heitere Stimme neben ihm, »sollten Sie wirklich die große Neuigkeit des Tages nicht wissen, die, wie man mir sagt, schon drei Duelle gekostet hat?«

Der Sergeant-Major hatte sich rasch und galant zu der[301] hübschen Sprecherin umgewandt, indem er ein süßsaures Gesicht zu der ihm gewordenen Benennung schnitt. »Es ist wahr, Mademoiselle Nini,« sagte er, »daß ich recht gut Ihr Vater sein könnte, aber Sacristi! die verteufelte Gewohnheit der Burschen da, mich Papa Fabrice zu nennen, klingt aus Ihrem hübschen Munde für einen Anbeter noch in den besten Jahren eben nicht angenehm! – Doch – was ist denn geschehen und wissen Sie wirklich die Ursach'? – haben die Garden ihr Lager abgebrochen oder was ist passirt?«

»Ei, ei, Papa Fabrice,« lachte die Marketenderin schelmisch, »Sie müssen heute Morgen lange geschlafen haben!«

»Ich gestehe es zu meiner Beschämung, Mademoiselle. Wir sind nicht am Dienst – und Ihr Bruder spendirte gestern Abend noch spät einen Korb voll Brussawein, der so leicht durch die Kehle rollt! Aber der Henker soll die Narren hier holen, daß sie mir nicht längst – –«

»Ruhe im Glied, Papa Fabrice, sonst erfahren Sie Nichts! Sie wissen ja, daß die Herren von der Garde keinen Dienst in den Trancheen zu thun brauchen?«

»Parbleu! was werd' ich nicht? Die Faullenzer haben d'rum Zeit genug, zu schniegeln und zu bügeln, von Morgens bis Abends sich hier umher zu treiben und den wenigen Damen, deren Anwesenheit allein uns hier den Dienst versüßt, die Köpfe zu verdrehen.«

»Wenn Sie auf mich zielen, Papa Fabrice,« sagte Nini lachend, »so geht der Schuß vorbei. Mit meiner Freundin Celeste – das will ich nicht verschwören! Seit der schöne Husaren-Aide-de-Camp getödtet oder gefangen ist, geht es ihr schlecht und sie braucht Zerstreuung. Es ist aber doch ein boshafter Streich, den man gegen die Herren von der Garde verübt hat.«

»Ich bitte, sprechen Sie, Mademoiselle.«

Die hübsche Marketenderin hatte ein Stück Kreide aus der Tasche geholt. – »Da, sehen Sie, Papa, das haben boshafte Hände in vergangener Nacht an die Zelte der Garden geschrieben. Man las es heute Morgen und es ist ein wahrer Aufruhr entstanden.«

Der Sergeant-Major war den kecken Krähenfüßen des Mädchens gefolgt und las:


»LA GARDE de MEURe ici, ET NE SE REND PAS aux tranchées!«


Ein allgemeines Hohngelächter begleitete den Vortrag der Worte, selbst der Sergeant-Major konnte, den bis über den Hals herabfallenden Schnurrbart streichend, ein wohlgefälliges Lächeln nicht unterdrücken, denn das Privilegium der Garden war allgemein verhaßt und hatte schon zu vielen Zänkereien Veranlassung gegeben.

»Peste! ich glaube wohl, daß ihnen da der Ärger zu Kopf[302] gestiegen, denn der Spaß ist vortrefflich. Aber ich begreife immer noch nicht, warum sie deshalb von der Cantine fortbleiben. Gegen Verdruß ist ein tüchtiger Schluck ein Radikalmittel!«

Nini schien mit der Antwort zu zögern. – »Ich habe gehört,« sagte sie endlich, »daß sie die Zuaven beschuldigen.«

»Ah so, mein Engel – sie könnten Recht haben, denn ich versteh' mich auf die Bursche. Nun weiß ich auch, warum Madame Celeste so ärgerlich ausschaut. Sie ist besorgt, daß der reiche Graf von Pontève's Grenadieren, der ihr den Hof macht, seit Sie sie beim Comptoir angestellt, ihr aus dem Garn geht. Parbleu! da kommt Einer, dem ich den Streich auf den Kopf zusagen möchte, wenn nicht gar Ihr Bruder selbst mit dabei gewesen ist – das ist ohnehin so ein halber Gelehrter!«

Die Prozession mit dem Maulthier und dem betrunkenen Engländer war herangekommen; der Soldat, der das Thier führte, Lebrigaud, der gesuchte Acteur.

Der Mann war der wahre Typus eines Zuaven, ein ausdrucksvollerer, von wilder Energie strotzender Kopf kaum denkbar. Wie alle Zuaven, trug er den Schädel rasirt, aber auf dem obern Theil der Stirn, wo der Fez aufsitzt, zeigte sich ein Gürtel von tättowirten Figuren. Auf dem Mittelfinger der rechten Hand hatte er eine Frauenfigur mit griechischen Formen, auf jenem der linken den Kopf einer Römerin eingegraben. Herzen mit Namen und Kränzen waren auf den anderen Fingern ausgestochen, seine musculösen Arme wahre Bilderrollen, gleich der berühmten Gallerie Leporello's. Die ganze Armee kennt ihn und weiß, daß er schon zwei Mal zum Tode verurtheilt und zu langjähriger Kerkerstrafe und Kugelschleppen begnadigt wurde. Er ist 1840 bei der afrikanischen Armee unter den Zephyren eingetreten und schon zwei Jahre darauf verging er sich gegen seine Vorgesetzten der Art, daß das Kriegsgericht das Todesurtheil fällte. Aber Marschall Bugeaud brauchte einen Mann, dem er eine gefährliche Sendung durch das Land der Kabylen auftragen wollte, und Lebrigaud erbietet sich dazu. Er führt seinen Auftrag unter tausend Gefahren aus und der Marschall erläßt ihm die Strafe. Im Jahre 1850 wurde er zum zweiten Mal begnadigt, nachdem er seinem Corporal im Zank um ein Mädchen ein Ohr abgehauen und aus Eifersucht gegen den Bevorzugten die Geschichte selbst angegeben hatte. Für die Almaschlacht hat er von Canrobert die Tapferkeitsmedaille erhalten – er gehört vor Sebastopol zu den enfants perdu und man erzählt hundert waghalsige Streiche von ihm.

Das ist der Bursche, den Bourdon herbeiführt. Die Physiognomie des Zuaven hat durch einen frischen, ziemlich schlecht zusammengeflickten Säbelhieb nicht besonders gewonnen, der ihm die linke Wange gespalten, aber Lebrigaud kümmert sich wenig darum.

Ein Geschrei und Gelächter empfängt ihn, um den sich bald ein bunter Kreis sammelt, und selbst die Schauspieler strecken ihre[303] Köpfe hinter dem Vorhang hervor, um an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

»Wo bleibst Du, Lebrigaud? es ist Zeit, in Dein Costüm zu kriechen. Wenn wir dinirt haben, beginnt die Vorstellung!«

»Tummle Dich, Lebrigaud. Willst Du mit uns Truthahn speisen, mein Junge?«

»Zum Henker! wie sieht der Bursche aus? – Du kommst in Arrest, wenn der Capitain Dich sieht.«

»Pah! Ihr Narren – ich holte mir's bei den Russen; kann man nicht seinen kleinen Krieg auf eigene Hand haben, ohne gerade Napoleon III. zu sein?« Er nickte bedeutsam der Fürstin Mulaschpulaschkin zu.

»Hast Du Händel gehabt?« flüsterte der Zuave.

»Verteufelte – ich glaube, man hat mich erkannt! Einer der Grenadiere liegt auf dem Rücken. Es wird Sturm geben.«

Der Sergeant-Major war hinzugetreten. – »Wo hast Du die Schmarre da über Deine Fratze bekommen, Lebrigaud?«

»O, Papa Fabrice, es ist eine alte von damals, als ich Euch bei Inkerman aus den russischen Bajonneten holte, das dumme Ding ist blos wieder aufgebrochen.«

Die schlaue Antwort entzog ihn einem scharfen Examen, denn der im Dienst sehr strenge Feldwebel drehte sich bei der Erinnerung um und ging brummend wieder nach seinem Platz.

»Goddam your eyes! I have thirst!« schrie der betrunkene Matrose.

»Wen hast Du da?« – »Was sagt er?« fragte es bunt durcheinander.

»Oh, je le trouvai – c'est mon ami. Car ce John Boule, voyez-vous, ça ne sait pas s'arranger comme nous autres; ça ne sont que des enfants. Puis ça nous zaime! cré nom de chien comme ça nous zaime!« und mit der Gutherzigkeit des echten Bruder Lüderlich hob er mit Hilfe der Nächststehenden den betrunkenen Matrosen, den er wahrscheinlich in seinem Leben am Wege zum ersten Mal gesehen, von dem Maulthier und eine lebhafte Debatte begann, wie man den Gast am besten amüsiren könnte.

»I have thirst, Johny Crapaud!«

Die mündliche Unterhaltung zwischen den Alliirten dieses Schlages war gewöhnlich für sie selbst und jeden Andern ganz und gar unbegreiflich; sie bestand aus excentrischen aber fruchtlosen Ausfällen des Einen in die englische und des Anderen in die französische Sprache, wobei der Freund das, was der andere Freund nach seiner Muthmaßung gesagt haben dürfte, verbindlich in die eigene Muttersprache übersetzte und der erste Sprecher die Richtigkeit der Übersetzung mit dem herzlichsten »Oui, oui« oder »Yes, yes« approbirt.[304]

»Er will das Theater sehen,« schrie Bernaudin hinter dem Vorhang vor. »Gieb ihm einen Platz im Parquet, Lebrigaud!«

»Er will uns zum Pferderennen abholen!« riefen Andere.

»Er will Würfel spielen, diese John Bouls haben immer Gold!«

»Narren!« sagte lachend der Corporal. »Der Bursche ist ein Schwamm, er hat Durst!«

»Ah c'est ça camarade! Du hast Recht, ich erinnerte mich nicht gleich, daß Du das Kauderwälsch verstehst. Achtung vor Corporal Bourdon, Inngens, er ist ein Gelehrter und der einzige Mensch, außer Mademoiselle, seiner Schwester, vor dem ich Respect habe.« Lebrigaud, der von kleiner Figur war, die aber ganz Muskel und Behendigkeit schien, blickte bei den Worten mit einer Art zärtlicher Bewunderung auf den viel jüngeren Mann, der ihn in der That ein Mal windelweich gewalkt hatte, als er seiner Schwester mit Gewalt einen Kuß geraubt. – »Mort de ma vie! ich habe nicht die geringste Eifersucht auf Dich, obgleich Du's bereits zum Corporal gebracht hast, während ich, Narcisse Lebrigaud, seit fünfzehn Jahren den Gemeinen spiele!«

»Mademoiselle Nini! Eine Flasche Wein!«

»Nein – Cognac! Diese Engländer trinken Nichts als Rum!«

»Teufel! Und sie sind doch eine so zärtliche Nation.«

»Zärtlich? wie so?«

»Ei, sie behandeln ihre Weiber wie die Kätzchen. Sagen Sie nicht zu jeder: Mies!?«

Ein brüllendes Gelächter belohnte den schlechten Witz.

»Dafür behandeln ihre Damen sie en Canaille! Sie sagen Mylord, und Mylord ...«

»Ist ein Hundename!« – Neues Gelächter, während dessen der Brite, der, ohne Ahnung von der Beleidigung seiner Nation, mit grämlichem Blick umherstarrte, in einer der Gruben vor Anker gebracht wurde, die vor der Bühne das Parquet bildeten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Aus den hintern Räumen der Cantine kamen langsam im Gespräch drei Männer, denen ein kaum über dem Knabenalter stehender Jüngling, in ein russisches Capôt gehüllt, den linken Arm in einer Binde, die Stirn gleichfalls umwunden, folgte.

Die drei Männer waren der Lieutenant-Colonel Méricourt, der deutsche Arzt, jetzt Medecin-Major der dritten Zuaven – und Sir Edward Maubridge.

»Es thut mir leid, Monsieur de Lasaroff, daß ich Sie in das Gefangenen-Depôt abliefern muß,« sagte der Vicomte, »aber da Ihre Wunden so gut wie geheilt sind, muß ich meiner Pflicht Genüge leisten, wenn Sie Ihr Ehrenwort verweigern.«

»Mein Herr,« sagte der Jüngling schüchtern, »ich glaube nicht, daß Sie mich deshalb tadeln werden.«[305]

»Nicht im Geringsten, – das ist Ihre Sache! Aber da der Doctor heute sich dafür ausgesprochen hat, daß Ihr Schicksalsgenosse, der griechische Offizier, mit erster Gelegenheit nach Constantinopel zur bessern Pflege gebracht werden soll, muß ich den Posten einziehen, der Sie Beide bewacht, und Sie in's Hauptquartier einliefern, damit man über sie verfügt.«

Der Jüngling verbeugte sich schweigend und setzte sich in trübem Nachdenken an einen der Tische in der Nähe des Verschlages nieder.

Die drei Männer blieben unsern des Comptoirs, an dem jetzt Celeste beschäftigt war, nach Nini's Dictat eine Anzahl Speisekarten auszufertigen, in ernstem Gespräch stehen. Die Strapazen des Winters und des Feldlagers zeigten sich in den gebräunten festen Gesichtern des Colonels und des Arztes, während die Gestalt des Baronets noch hagerer und gebeugter erschien, als da wir ihm zuletzt begegnet, in den Schreckensscenen von Schloß Aja. Er war in die Farbe der Trauer gekleidet, der Flor um seinen Hut galt dem gemordeten Bruder, die eingefallenen Wangen zeigten die hektische Röthe, dieses gefährliche Kennzeichen innerlich verborgener schleichender Krankheit. Dennoch lag in seinem Auge, in seiner Haltung eine gewisse Kraft und Entschlossenheit, ein Daransetzen des ganzen Denkens und Lebens an einen bestimmten Zweck.

»So sind Sie also der Ansicht, daß Herr Caraiskakis die Überfahrt aushalten kann?« fragte er zu dem Arzt gewendet.

»Ja, Sir. Lassen Sie mich den unglücklichen Zustand meines Freundes noch ein Mal recapituliren, und Ihnen meine Rathschläge geben, denn leicht dürfte dazu in den nächsten Tagen nicht Zeit sein.«

»Ich bitte Sie darum.«

»Als Sie nach unserer merkwürdigen Rettung aus dem Felsenschloß der Palta, die zwei mir theure und gute Menschen, gegen welche ich mir leider schweren Undank vorzuwerfen habe, in's Verderben stürzte, – zu mir kamen, Sir Edward, gebeugt von dem schrecklichen Tode Ihres wackern Bruders; – als Sie offen und männlich das begangene Unrecht bekannten und meine Vergebung verlangten, daß Sie mich einem schmachvollen Tode überliefern gewellt –: da reichte ich Ihnen aufrichtig die Hand und versprach Ihnen meinen geringen Beistand; – denn wir trugen eine gemeinsame Erinnerung an Wesen im Herzen, die Tod und Schicksal von uns gerissen.«

»Aber Ihre Erinnerungen, Sir,« unterbrach ihn finster der Baronet, »waren rein, – an den meinen klebt die Schuld, und das Grab giebt seine Todten nicht wieder!«

»Diona ruhe in Frieden! Ihr seliger Geist möge den bittern Haß zwischen Ihnen und ihrem Bruder sühnen helfen. – Ich begriff, daß Ihr Leben und Denken – zuerst vielleicht aus Eigensinn und Laune, später von der Stimme des Gewissens gefestigt[306] – einzig an der Erlangung Ihre Kindes hing das Gregor Caraiskakis Ihnen verweigert, ja, von dem Sie nicht mehr als seine Existenz wissen, nicht einmal das Geschlecht. Ich begriff dies Gefühl; denn ich empfand, daß ich selbst mein Leben opfern könnte für ein Kind, welches das meine wäre. Ich versprach Ihnen, wie gesagt, meinen Beistand, da Sie nicht von den Mauern Sebastopols weichen wollten, hinter denen Sie Ihren Gegner und vielleicht auch das Pfand seiner Rache glaubten.«

»Der Erfolg hat es bewiesen!«

»Sie haben Recht – Gott selbst hat durch eine seiner wunderbaren Fügungen die Lösung des Räthsels in Ihre Hand gelegt und es dennoch auf's Neue verwickelt. Der Handjar des jungen Arabers, der jetzt da drinnen bei seinem Opfer sitzt und dessen Beziehungen zu Gregor Caraiskakis mir selbst fremd sind, hatte den Kopf meines unglücklichen Freundes gespalten bei dem nächtlichen Angriff der griechischen Freischaar und der Russen auf die britischen und türkischen Batterieen am Mamelon. Es war nicht Zufall, sondern des Allmächtigen Fügung, die Sie am Morgen auf die Kampfstätte führte und den Schwerverwundeten erkennen und aus den Händen der unwissenden Türken retten ließ.«

»Sie, Doctor, waren der erste Gedanke, der mir einfiel; ich wußte, daß Sie sein Freund waren.«

»Ich danke Ihnen für das Vertrauen gegen mich. Sein Fanatismus, der ihn zum Verrath selbst an der Freundschaft führte, hat uns getrennt, aber ich wäre ein schlechter Mann, hätte sein Unglück nicht jede Erinnerung an seine Verschuldung getilgt und nur das Andenken an unsere frühere Gemeinschaft zurückgelassen. Ich danke es dem Herrn Vicomte hier von Grund des Herzens und unserer braven kleinen Bourdon, daß sie mich in den Stand setzten, den Verwundeten nicht seinem Schicksal in einem entfernten Lazareth überlassen zu müssen, sondern ihn hier unter meiner persönlichen Aufsicht und unter steter Pflege behandeln zu können.«

»Aber seine Krankheit – wir sind noch immer so weit vom Ziel, wie je.«

»Es ist wahr, die Folgen der Verwundung sind eigenthümlich gewesen. Der dicke griechische Feß scheint zwar den Säbelhieb des Arabers aufgehalten und seine tödtende Kraft gebrochen zu haben und die Wunde selbst ist vollkommen geheilt. Dagegen ist hier die in der Chirurgie hin und wieder, doch selten vorkommende Erscheinung einer peripherischen Paralyse, einer Asphyxie aller äußern Nerventhätigkeit, eingetreten. Der Kranke vermag weder zu sprechen, noch sich zu bewegen. Es läßt sich dies nur durch die Verletzung oder Betäubung gewisser Nervencomplexe erklären, wie beim Schlagfluß. Wir wissen und sehen Alle, daß das volle Bewußtsein und Gefühl ihm längst zurückgekehrt ist, der Ausdruck seines Auges zeigt dies, ebenso ist sein Gehör scharf und unverletzt, der Verstand, das Denken ist bei ihm in voller Thätigkeit[307] – und ich bin überzeugt, daß die aufopfernde Sorgfalt, die Sie ihm gezeigt, selbst eine Umstimmung seiner Gefühle gegen Sie bereits hervorgebracht hat. Nur daß er gegenwärtig außer Stand ist, sie auszudrücken.«

»Wenn ich mich recht erinnere, findet sich ein ähnlicher Fall in dem bekannten Roman ›Monte Christo‹ von Dumas,« sagte der Vicomte, der bisher schweigend der Erörterung zugehört hatte.

»Ganz richtig, nur mit dem Unterschied, daß dort ein Schlagfluß zum Grunde gelegt wird und wir hier nicht ein Gebilde der Phantasie, sondern wirklich einen jener merkwürdigen Fälle aus dem Nervenleben vor uns haben, wie sie eben nur die Chirurgie zeigt.«

»Aber Sie sprachen selbst die Hoffnung auf eine rasche volle Umwandlung, auf eine völlige Genesung aus.«

»Und ich hege sie noch. Es giebt, meiner Ansicht nach, zwei Wege, die dazu führen. Der erste ist ungestörte Ruhe, eine Absonderung von den aufreizenden Ereignissen des Tages, welche die Nerventhätigkeit wieder stärken und zu den alten Funktionen zurückführen wird; der zweite ist eine analeptische mächtige Aufregung der Seele, einer verborgenen Leidenschaft, die mit einem Schlage die ganze Lebenskraft wieder herzustellen vermag. Das Letzte ist ein Mittel, was keine Kunst, nur der Zufall herbeizuführen im Stande ist – wir können uns daher nur an das Erste halten, und deshalb habe ich Ihnen gerathen, Ihren – Schwager jetzt, wo seine spezifische Heilung vollendet, mit erster Gelegenheit von hier fort und nach einem ruhigern Aufenthalt zu schaffen.«

»Ich habe bereits meinem Agenten in Constantinopel Auftrag gegeben, uns alle Bequemlichkeiten zu sichern, und werde das nächste Dampfschiff benutzen.«

»Dann bürge ich für die Heilung; – nur an dem Wann? scheitert die Bestimmung der Wissenschaft. Gott helfe dazu und lege Frieden und Versöhnung in Ihrer Beider Herzen!«

Der Vicomte war bei der letzten Wendung des Gesprächs an das Comptoir getreten, wo er Nini und Celeste freundlich begrüßte. »Wir hoffen auf eine gute Mahlzeit, meine Kleine, der Doctor und dieser Herr speisen mit mir.«

Nini salutirte militairisch. »Aufzuwarten, mein Kommandant. Sie wissen, das Beste, was die Cantine vermag, steht zu Ihrem Befehl. Wo wünschen Sie, daß Ihr Tisch gedeckt werde?«

»Ei, mein Schelm, bei den andern Offizieren – wo sich Platz findet, wir haben hier keine Aristokratie. Sie haben Ihre schönen Hände mit der Dinte geschwärzt, Madame.«

Celeste rieb kokett die zierlichen Finger. »Mein Unstern ist an dieser fatalen Situation Schuld, Herr Vicomte, und dennoch mußte ich das Anerbieten der kleinen Nini, die ich in Paris zufällig kennen gelernt, noch mit Dank annehmen, da Ihre Lagergesetze so unartig gegen Damen sind. Haben Sie noch keine Gewißheit über Herrn von Sazé?«[308]

»Noch immer keine!«

»Fatal! – aber es ist abscheulich, daß er mich solcher Verlegenheit aussetzen konnte. Ich wollte, ich wäre in Paris, statt in diesem abscheulichen Wirrwarr!« Sie warf dem Vicomte durch die schmachtend halbgeschlossenen Augenlider einen verführerischen Blick zu, doch die Verlockung prallte an dem gestählten Herzen und dem Unwillen über die selbstsüchtige Gleichgültigkeit gegen das Schicksal seines Freundes ab. »Sie verstehen sich zu entschädigen, Madame! – Sorgen Sie für den armen Knaben, den Russen, Nini,« sagte er kurz abbrechend zu der jungen Wirthin der Cantine, »Ihre Pflegebefohlenen sollen Ihnen nicht lange mehr lästig fallen.«

»Wie, mein Kommandant, sind Sie unzufrieden mit mir?«

»Gewiß nicht, hübsche Nini – aber der griechische Offizier soll nach Constantinopel gebracht und der junge Russe muß endlich an's Gefangenen-Depot als gesund abgeliefert werden.«

»O, mein Herr – es ist ein halbes Kind – die armen Leute haben es dort gewiß schlimm, es muß so schrecklich sein in einem Gefängniß!« Thränen standen in ihrem bittenden und mitleidigen Auge, das bei den Worten auf der Gestalt ihres blödsinnigen Vetters ruhte.

»Die Pflicht gebietet, mein Kind, und ich setze mich ernster Verantwortung aus,« sagte freundlich aber bestimmt der Vicomte, »wenn ich noch länger gegen Ihren hübschen Protegée solche Nachsicht übe. Sie wissen, daß, als er von Tonton und Ihrem Bruder zum Gefangenen gemacht wurde, er nach der Vorschrift angemeldet ist, nur Ihre Bitte und das Wohlwollen, das ich für den Knaben selbst fühle, bewogen mich, ihn aus Veranlassung seiner leichten Wunden als krank und in Privatpflege anzugeben. Aber der gestrige Tagesbefehl verordnet auf's Strengste die Ablieferung aller Gefangenen in's Haupt-Depot und der Kranken in die Lazarethe, und Doctor Welland hat nicht länger zögern können, ihn als gesund zu melden.«

»Fi donc! der abscheuliche Doctor!«

Der Offizier lächelte. »Ich kann jetzt in Wahrheit Nichts weiter thun, da der Bursche selbst die Abgabe seines Ehrenworts verweigert. Bringen Sie Ihre Bitte bei Oberst Polkes an – vielleicht übernimmt er die Verantwortung.«

»Brrr! Nein, mein Kommandant,« lachte, sich schütternd, das Mädchen – »lieber einer Batterie entgegen! Monsieur le Colonel ist ein wilder Bär und ich weiß sehr wohl, daß nur Ihrem Schutz das arme Kind die Erlaubniß zu danken hatte.«

»Also – Mademoiselle – die Dienstgeschäfte zwischen uns sind erledigt – und nun zu Tische!«

»Sie sollen sogleich bedient werden, mein Kommandant, denn Sie sind eine Perle aller Stabsoffiziere.« Ein koketter galanter Knix, und die hübsche Marketenderin sprang davon. – – – –

Die Mittagsstunde war heran gekommen und die Soldaten[309] lagerten vor ihren Zelten um die Feldkessel, oder waren noch mit der Zubereitung der Menagen beschäftigt. In den Küchengräben loderten lustig ganze Reihen kleiner Feuer, vor den Cantinen und Marketenderbaracken dinirten die Gruppen der Offiziere mit den seltsamsten Tafelarrangements, auf Faßböden, rohen Tischen oder dem Rasen. Überall Heiterkeit, Gelächter, bunte Unterhaltung – keine Spur des grausigen Kampfes, wenn nicht von Zeit zu Zeit ein dumpfer, ferner Kanonenschlag herüber gedröhnt wäre und eine leichte weiße Rauchwolke sich aus der Ebene in die lichte, von der Hitze vibrirende Lust emporgekräuselt hätte, die Lage der Trancheebatterieen anzeigend. Regelmäßig antwortete darauf ein gleicher Knall, ein gleicher Rauchwirbel aus den lang hingestreckten braunen Erdwerken der Festung. Seit einer Viertelstunde jedoch war auch dieses eherne Frag- und Antwortspiel verstummt, denn es war nachgerade auf beiden Seiten Gewohnheit geworden, außer an Tagen scharfen Bombardements, um die Mittagszeit von 12 bis 3 Uhr das Feuer gänzlich einzustellen.

Die Aussicht vom Abhang des Sapun war prachtvoll und das Panorama der Bucht von Sebastopol im Hintergrund von den Bergwänden der Nordforts geschlossen, lag in voller Ausbreitung vor den Augen. Die Höhe des Sapun war ungefähr 5- bis 6000 Schritt von dem User der Rhede in gerader Linie entfernt, der Blick beherrschte dieselbe bis zu den Forts Alexander und Constantin und tauchte dann weit hinein in die Lichtreflexe des anscheinend unbeweglichen Meeresspiegels, von dem sich in einzelnen dunklen Punkten die vor dem Eingang stationirten Schiffe der alliirten Flotte oder ein nach Eupatoria ziehender Dampfer abhoben. Die Luft war so klar und durchsichtig, daß man auf der Rhede selbst mehrere der Takelage und des Spierenwerks beraubte, noch vorhandene russische Dreimaster genau überschauen, die Boote über die Süd- und Schifferbucht kreuzen, ja in den Straßen der Stadt die Soldatenzüge sich bewegen sehen konnte. Während links der Laboratornaja-Grund längs des grünen Hügels zur Südbucht zog, durchfurchten rechts der Dokawaja-, Kilen- und Steinbruchgrund die gelbe Fläche, auf der die Trancheen und Batterieen sich wie dunkle Zeichnungen hervorhoben, bis östlich über die Tschernaja hinweg, seitwärts der Ruinen von Inkerman, das von den hellen reflectirenden Farben geblendete Auge einen angenehmen Ruhepunkt an den Weinbergen der Meierei Bugharinaja fand.

Quer über die Südbucht sah man eine Anzahl russischer Linienschiffe in zwei Reihen ankern und ihre furchtbaren Breitseiten dem Einschnitt des Kirchhofs zwischen dem Redan (Bastion III.) und dem Malakoff (Kormlowski-Bastion) über die weißen Häuserreihen der Vorstadt zukehren. Das Ganze bot allerdings ein interessantes militairisches Bild, doch nur das Auge eines Eingeweihten oder eines Genieoffiziers hätte zu erkennen vermocht, daß einer jener wüthenden Kämpfe in wenig Stunden bevorstand, deren Donner[310] Himmel und Erbe erschütterten, die mit Blut und Leichen den Felsenboden der Krimm düngten. Einzelne Truppenkolonnen, die sich im Schutz der Bergrücken und Schluchten zu sammeln begannen, ein stärkerer Zug der Munitionskarren und Lastthiere nach den Batterieen, bildeten allein diese Anzeichen für den Kundigen.

Unter einer Korkeiche, deren mageres Schattendach noch durch ausgespannte Leinentücher verstärkt war, saß, um einen niedern schmalen Tisch von Fichtenbrettern, eine Anzahl französischer Offiziere, meist zu dem hier lagernden dritten Zuaven-Regiment gehörig, dazwischen die Uniformen verschiedener anderer Corps, Artilleristen der auf dem Sapunhügel erbauten Mörserbatterie, und zufällige Gäste, darunter zwei Offiziere der sardinischen Bersaglieri.

Die Unterhaltung flog bald heiter, bald ernst über hundert verschiedene Gegenstände und kreuzte sich in Scherzen und Mittheilungen, bis dazwischen wieder die Erzählung Eines oder des Andern eine allgemeinere Aufmerksamkeit für kurze Zeit fesselte. Der seltenste Gegenstand, der berührt wurde, war auffallender Weise das bevorstehende Bombardement.

»Sie trafen gestern in Kamiesch ein?«

»Die Veloce warf vorgestern Abend Anker. Wir brachten die Nachrichten, die das Bülletin gestern veröffentlicht hat.«

»Man hört schöne Geschichten von Kertsch, Herr Kamerad von der See? Wenn nur die Hälfte wahr ist, muß es verteufelt locker dort zugegangen sein.«

Der Marineoffizier sah sich vorsichtig um. »Sind Engländer am Tisch?«

»Daß ich nicht wüßte! Nein – wir sind zufällig noch unter uns!«

»Dann, meine Herren, muß ich Ihnen sagen, daß unsere werthen Verbündeten, die Engländer und Türken, sich auf das Abscheulichste benommen und Dinge in einer unvertheidigten Stadt begangen haben, die uns der Schmähung von ganz Europa aus setzen werden.«

»Mordioux! um das zu sagen, – warum braucht man da die Anwesenheit der Beafsteaks zu fürchten!« rief ein Offizier.

»Wenn Sie die Güte haben wollen, mir Ihre Zeit zu bestimmen, Capitain Parquez,« sagte der Marine-Lieutenant höflich, »so hoffe ich Sie zu überzeugen, daß es der Mannschaft der Veloce in keiner Weise an Muth fehlt.«

»Unsinn! Estas en vestra camisa? Davon kann keine Rede sein! Capitain Parquez hat nicht daran gedacht, an dem Ruf der Männer von der Veloce zu zweifeln. Außerdem – Sie sind mein Gast.«

Der gascognische Capitain murmelte einige Worte. »Kommandant de Narbonne Lara hat vollkommen meine Meinung ausgedrückt.«

Der See-Offizier verbeugte sich freundlich. – »Auch that[311] ich die Frage nur, weil ich nicht Unbetheiligte verletzen wollte. Die Art und Weise aber, wie unter den Augen des Generals Brown und Vice-Admirals Lyons von den englischen Soldaten und Matrosen verfahren wurde, war empörend.«

»Man hörte doch von einem Befehl des britischen General Brown,« bemerkte ein Offizier der Chasseurs d'Afrique, »daß jeder Mann, der nach Dunkelwerden in der Stadt betroffen würde, gepeitscht werden solle?«

Allgemeines Gelächter. – »Der Befehl existirt,« bestätigte der Lieutenant der Veloce, »aber er galt nur in Jenikale und paßt übrigens für englische Soldaten und Matrosen. Unter uns – eine große Vertheidigung der Küste und des Zugangs zum Asow'schen Meer fand nicht statt, die wenigen Batterieen wurden von der Flotte bald zum Schweigen gebracht und Kertsch ohne Widerstand übergeben.«

»Die Russen sollen über Hals und Kopf sich auf allen Punkten zurückgezogen haben?«

»Das ist ihr System. Die Geschütze wurden unbrauchbar gemacht, die Magazine geleert oder gesprengt. Die ganze Küste glich in der Nacht, nachdem wir bei Ambalaki gelandet, einer Reihe lodernder Vulkane. Dennoch fand die verbündete Armee noch kolossale Vorräthe nicht allein in den Schiffsarsenalen, sondern namentlich an Getreide in den Magazinen.«

»Ei, so hoff' ich, werden uns die Commissaire bald ein besseres Brot liefern, als das hier auf meinem Messer.«

»Täuschen Sie sich nicht, Lieutenant Brande,« lachte der Schiffsoffizier. »Bei meinem Abgang hatte die Flotte bereits 248 Schiffe mit Getreide vernichtet und in Kertsch allein wurden über 2 Millionen Kilogramms verbrannt.«

»Oder doch blos Vorräthe der Regierung?«

»Ich glaube nicht, – man hat keinen Unterschied zwischen dem Privateigenthum der Kaufleute und den Vorräthen der Regierung gemacht. Selbst das große Magazin des österreichischen Consuls, das geschickt unter der Form einer Villa versteckt war, wurde angezündet. General d'Autemarre schlug zwar vor, die Getreidemassen nach Constantinopel und unseren Lägern zu schaffen, oder wenigstens allen französischen und englischen Kauffahrern in Kamiesch und Balaclawa zu gestatten, hier umsonst Ladung zu nehmen, aber unsere Verbündeten eilten, ihren Hauptzweck zu erfüllen: den Russen möglichst viel materiellen Schaden zuzufügen.«

»Sie wollten uns die Zerstörung von Kertsch erzählen, Kamerad,« sagte der Kommandant des zweiten Bataillons, du Moulin.

»Wir rückten am Freitag, den 25., ein, marschirten aber sofort nach Jenikale weiter, indem nur eine kleine Abtheilung Franzosen, dagegen ein Regiment Engländer und der größte Theil der Türken unter Reschid Pascha zurückblieb. Außerdem war eine Zahl britischer Matrosen und Marinen gelandet und hatte den Auftrag,[312] die Regierungsfabriken und eine Privatfabrik zur Verfertigung von Miniékugeln und Patronen zu zerstören. Viele der wohlhabenderen Bewohner und die Beamten hatten mit der russischen – wie ich hörte, wenig über 2000 Mann starken – Besatzung die Stadt verlassen. Die Zurückgebliebenen aber kamen den Truppen an den Thoren nach ihrem Landesbrauch mit Brot und Salz entgegen, und es wurde ihnen Schutz des Lebens und Eigenthums zugesagt. – Wie gesagt, unsere Truppen rückten noch an dem Vormittag weiter, kaum aber hatten sie die Stadt verlassen, so begannen die abscheulichsten Scenen der Plünderung. Die Thüren der verschlossenen Häuser wurden erbrochen – was nicht fortgeschleppt werden konnte, muthwillig zertrümmert. Mord und Notzucht wütheten in allen Straßen, die Horden der Zigeuner und der Tataren machten bald mit den Soldaten und Matrosen gemeinschaftliche Sache und führten sie von Haus zu Haus der russischen Kaufleute und Handwerker, ihnen dort neue Opfer der Habsucht oder der Wollust zeigend. Die Bevölkerung unterlag, völlig wehrlos, der viehischen Brutalität und es wurden Thaten verübt, deren sich Karaiben schämen könnten!«

»Und geschah Nichts, dem zu steuern?«

»Capitain Fontain schickte täglich Patrouillen aus, so lange wir auf der Rhede ankerten – aber was halfen die Wenigen, die nicht einmal das Recht hatten, gegen die Engländer einzuschreiten! Ich selbst schoß einen türkischen Marodeur nieder, der betrunken die Straße daher taumelte, auf seinen blutigen Säbel einen Säugling gespießt5. In fast allen Häusern waren Fenster und Thüren zertrümmert, die Möbel zerschlagen, die Betten und Matratzen aufgeschlitzt aus bloßer Zerstörungslust. Die Plünderung dauerte noch fort, als wir am 3. zurückstellen. Wäre sie nicht von so abscheulichen Scenen begleitet gewesen, man hätte lachen müssen über die Unvernunft dieser Raubsucht. Ich sah Matrosen sich müde schleppen an einem alten Lehnstuhl, an schweren Federbetten oder an einem hölzernen Heiligenbild mit einer Glorie von Blech um den Kopf. Einzelne machten freilich vorzügliche Beute. Ihrer Majestät 79. Regiment zum Beispiel stahl eine große Quantität Silberzeug aus einem der Häuser.«

»Ich hörte, daß das berühmte Museum von Kertsch mit den Alterthümern klassischer Vorzeit zerstört worden?« fragte Capitain Stahl.

»Bis auf die letzte Scherbe! – Wilde hätten nicht ärger hausen können! Man begriff nicht, wie die Wuth weniger Menschen in so kurzer Zeit eine solche Verheerung anrichten konnte. Ich fand den Fußboden des Museums fußhoch mit zerbrochenem Glas, Bruchstücken von Statuen, Vasen, Urnen, dem kostbaren Staub großer Erinnerungen, den sie einschlossen, und halbverkohlten[313] Stücken Holz und Knochen bedeckt. Kein Stückchen von Etwas, das sich zerbrechen oder verbrennen ließ, war vom Hammer oder Feuer verschont geblieben. Die Schränke und Regale waren von den Mauern gerissen, das Glas in Atome zerschmettert, die Statuen in Stücke zerklopft; es war kaum möglich zu errathen, was sie früher gewesen waren. Eben so barbarisch hatte man an dem Grabmal des Mithidrates gehaust.«

»Und Sie konnten Nichts dagegen thun?«

»Als ich hinkam – war bereits das Werk vollendet. Wenige Schildwachen vor alle diese Gebäude gestellt, hätten sie vor der jämmerlichen Zerstörung gerettet. Wie naiv unter solchen Scenen blutigen Schreckens es auch klingen mag – ich mußte wenigstens meiner Entrüstung Worte geben und schrieb sie mit Bleistift auf den weißen Thürflügel des Eingangs6

»Das ist das Loos des Krieges,« murrte Capitain Mongin. »Wozu uns um das alte Gerümpel ärgern, wir haben wichtigere Dinge in der Nähe. Sie haben also gleichfalls noch keine Ordre beim Zweiten, Blanchet?«

»Parbleu – nein! – ich glaube, man wird die Garden beschäftigen und uns in den Laufgräben lassen.«

Der alte Capitain lächelte hämisch: »Unsere Jungen sollen ihnen einen empfindlichen Streich gespielt haben,« flüsterte er – »es ist gut, daß Polkes seit heute Morgen fort ist.«

Sein Nachbar nickte lächelnd. »Geht heute Jemand zu den Briten? Wann beginnt das Rennen?«

»Méricourt wollte hinüber. Ich wette, die Narren jagen den Hund mitten zwischen die Batterieen hinein. Man sollte ihnen die Spielereien verbieten.«

»Lassen Sie ihnen immerhin das Vergnügen, Kommandant,« bemerkte lachend der Chasseur-Offizier. »Ihre Prahlerei, besser zu reiten als wir, hat ihnen höchstens bei Balaclawa Vortheil gebracht, als die russischen Ulanen sie jagten.«

»Haben Sie Mistreß Duberly reiten sehen?« fragte ein Lieutenant.

»Ei, die Méricourt gestern besuchte und zu heute einlud? Der Teufel soll mich holen, eine hübsche Frau, aber doch nicht so interessant und noch lange keine so kühne Reiterin, wie die schöne Sardinierin. Wie heißt sie doch, Herr Kamerad?«

»Sie meinen die Gräfin Pisani,« sagte höflich der Bersaglieri. »Es ist eine Ungarin und ich sah nie eine schönere und festere Hand ein Pferd regieren.«[314]

»Dabei sieht sie sehr blaß und leidend aus. Es ist Thorheit, eine Dame den Strapazen dieses Feldzugs auszusetzen.«

»Der General, ihr Gemahl, soll sehr eifersüchtiger Natur sein,« berichtete der Sarde. »Er soll sie im vorigen Jahre während des Donau-Feldzuges geheirathet haben und ein famoses Vermögen mit ihr.«

»Jedenfalls ist Ihr Oberst besser daran, wenn sie unfreiwillig gefolgt ist,« sagte lachend Lieutenant Rouet, »als unser armer Delorny vom Genie, der nach Dépuis Tod hierher kam. Sie haben doch von der pikanten Geschichte mit seiner Heirath gehört?«

»Nein! – Was ist's? – Erzählen Sie.«

»Ei, der Charivari und mehrere andere Journale theilten schon vor einem halben Jahre den Prozeß mit.«

»Pah – wer findet in den Laufgräben den Charivari oder die Gazette des Tribüneaur? – Die Engländer sind in dieser Beziehung besser bedient.«

»Ja – in dieser einzigen. Kannte Jemand von Ihnen Madame d'Alembert?«

»Bedenken Sie, Rouet, daß wir aus Afrika kommen!«

»Nun – man ist auf Urlaub in Paris. Überdies war Herr von Alembert ehemals ein wackerer Offizier und Madame die Tochter des Generals Valpré aus der Kaiserzeit. D'Alembert war gelähmt und brachte seine letzten Lebenslage im Spital zu Val de Grace zu, Madame aber wohnte bei der Gattin eines unserer Generale und lernte dort Delorny kennen. Die Dame war 40 Jahr, als ihr Gatte im März des vorigen Jahres starb und verliebte sich in den jungen Capitain, der sich die Sache anfangs gefallen ließ, ohne jedoch von Heirath zu sprechen.«

»Caramba! Da hatte er Recht!«

»Aber Madame d'Alembert sah die Sache nicht von dieser Seite an. Sie nahm im vorigen Sommer Opium – zwei Mal sogar – und wollte sterben! Der Arzt erklärte wenigstens, sie werde die Nacht nicht überleben, und Delorny fühlte ein menschliches Rühren in seinem Gewissen und ließ sich mit ihr – wie man sagt – in extremis trauen.«

»Und dann wurde die Dame plötzlich gesund? Cap de Bious – ich wittere den Braten.«

»Richtig – nur nicht ganz so rasch. Delorny soll sich dann haben bewegen lassen, die Trauung in der Kirche St. Thomas zu wiederholen, doch heimlich, ohne Zeugen und Ausweis der Kirchenbücher. Madame behauptet zwar, die Ehe sei vollzogen trotz ihrer vierzig Jahre – Delorny weigerte sich jedoch, ohngeachtet der gerichtlichen Klage, irgend einen Schritt zur Legitimation zu thun, hielt sich von ihr entfernt und verschwand endlich ganz. Erst vor einem Monat erfuhr die zärtliche Gattin, baß er sich zur Orient-Armee hatte versetzen lassen und machte sich auf, ihm zu folgen. Vorgestern traf sie, in Begleitung des Feld-Almosenier Tenelli und[315] der Obersten Brancion, von Constantinopel hier ein und überraschte gestern den ungetreuen Flüchtling, der sich Nichts weniger träumen ließ, als diesen Besuch.«

»Ich kann mir die Scene denken!«

»Vielleicht doch nicht, wie sie in Wirklichkeit war. Delorny wurde grob, so daß Brancion ihn fordern wollte, die zärtliche Frau aber brachte sich mit einem Dolch, den sie im Kleide verborgen trug, zwei Stiche in der Nähe des Herzens bei.«

»Hol' der Teufel die Tollheit der Weiber!«

»Namentlich der alten, Capitain! Man hat ihr zwar glücklich die Waffe entrissen, ehe sie sich wirklich tödten konnte, was für Delorny wohl das Beste gewesen wäre, aber die Geschichte hat das ganze Hauptquartier in Alarm gebracht und General Pelissier wüthet noch ärger gegen allen Frauenbesuch, als bisher, und hat geschworen, daß, mit Ausnahme der Marketenderinnen, der Profoß Alles aus dem Lager spediren soll, was einen Unterrock trägt.«

»Der General scheint demnach kein so galanter Verehrer des schönen Geschlechts, wie sein Vater,« sagte lachend der deutsche Medecin-Major, der eben mit Méricourt und dem Engländer zum Tisch getreten war und Platz nahm.

»Ah, sieh' da, Doctor! Setzen Sie sich hierher. Was wissen Sie denn von dem Vater des Generals? – ich denke, die Familie ist ziemlich unbekannt.«

»Der Zufall machte mich mit Umständen vertraut,« erzählte der Arzt, »die vielleicht dem General selbst ganz fremd sind und er ahnt wahrscheinlich gar nicht einmal die Existenz einer Schwester.«

»In Frankreich?«

»Nein – in meiner Heimath; Einige von Ihnen wissen wohl, daß ich aus Berlin bin.«

»Und dort lebt eine Schwester des Generals?«

»Nicht in Berlin selbst – aber doch in der Nähe. Es ist eine sehr achtbare Dame, die Gattin einen angesehenen Kaufmanns, Namens Mertens in Mittenwalde, einem kleinen Städtchen unsern der Preußischen Hauptstadt. Ihre Mutter war eine Mademoiselle Dütertre in Berlin und hatte ein Verhältnis mit dem Capitain François Pelissier vom 18. Voltigeur-Regiment, der als Adjutant Dudinot's 1808 in Berlin sich aufhielt. Die Familie besitzt noch ein Portrait dieses Capitain Pelissier, des Vaters der Madame Mertens, in der Uniform seines Regiments, und einen Brief an seine Geliebte, in dem er seine Freude über die Geburt der Tochter ausspricht. Später hat jedoch weder Mutter noch Kind je wieder von ihm gehört.«

»So würde dies eine ältere Schwester des Marschalls sein, denn so viel ich weiß, ist er erst 44 Jahr.«

»Er gehört zur jüngern Schule der Afrikaner,« bemerkte der Vicomte. »Pelissier, Bosquet, Changarnier, Lamoriciere, Mac-Mahon – sie sind Alle aus Bügeaud's Erziehung hervorgegangen. Er[316] wurde frühzeitig nach Algier gesandt, weil er in Paris ein ziemlich wildes Leben führte und Schulden machte.«

»Bah – wer thäte das nicht! Man liebt, man trinkt, man spielt! Wozu wäre das Leben da?«

»Wissen Sie denn, daß Letour, der berüchtigtste Grec von Paris, sich in Kamiesch eingefunden hat?«

»Der Doctor?«

»Ja, ich sah ihn gestern – die Lagerpolizei wird ihm hoffentlich bei Zeiten den Weg weisen.«

»Warum nennt man ihn den Doctor?« fragte Welland, – »ist er ein Arzt?«

»Das nicht – er gab der Fakultät bloß eine kleine Lection. Sie müssen die Geschichte in Paris vernommen haben.«

»Ich bin nicht so glücklich.«

»Nun, so hören Sie. Letour ist, wie gesagt, einer der gewandtesten Grecs und äußerst schlau der Polizei gegenüber. Er wußte, daß Herr Düport, eine der medicinischen Celebritäten von Paris, sehr reich und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Spieler war, aber es gelang ihm weder den Doctor in ein Spielhaus zu locken, noch sich in den Salons Zutritt zu verschaffen, die jener besuchte. Er miethete deshalb ein comfortables Logis, legte sich zu Bett und ließ den Doctor Düport rufen. Dieser kommt, fühlt den Puls, verordnet einen Trank und verspricht Abends wiederzukommen. Dies erwartete man. In der Thal, als er eintrat, fand er im Zimmer des Kranken einen Tisch, an welchem mehrere Herren, wie sie sagten, um ihren Freund zu zerstreuen, spielten. Der Tisch war mit Gold bedeckt. – ›Es geht mir viel besser, Doctor,‹ sagte der vorgebliche Kranke und fügte nach einigen Worten über seinen Zustand bei: ›Sie haben eine glückliche Physiognomie, möchten Sie wohl die Güte haben, einige Parthieen für mich zu machen?‹ – ›Gern,‹ erwiderte der Arzt. Der Grec gab ihm 10 Louisd'ors und der Doctor fing an zu spielen. Er war sehr glücklich, gewann 100 Louisd'ors, zählte sie dem Kranken hin und meinte, daß er öfter Lust gehabt, halbpart mit ihm zu machen. ›Aufgeschoben ist nicht aufgehoben,‹ meinte der Grieche. ›Wenn Sie morgen einige Augenblicke Zeit haben, so kommen Sie. Ich werde diese Herren einladen und wir machen eine Partie.‹ Doctor Düport stellte sich pünktlich ein und associirte sich mit seinem Kranken, der sich ziemlich wohl befand. Zuerst ließ man ihn einige Louis gewinnen, aber bald drehte sich die Chance und in drei Besuchen verlor der Doctor nicht weniger als 25000 Franken. Zu spät sah er ein, daß er betrogen sei; denn als er das vierte Mal wieder kam, um Revanche zu nehmen, war das Nest ausgeflogen.«

»Was kommt dort für Cavalkade?« fragte ein Offizier, der zufällig aufgestanden.[317]

»Wo? – dort? – ich glaube, es ist Feverrier – der Bursche muß es eilig haben.«

»Nein – ich meinte da nach der andern Seite – die Staubwolke?«

Der Brigade-Adjutant war herangesprengt. »Meine Herren, der Oberst läßt Sie wissen, daß der General en Chef sogleich mit dem ganzen Stab hier sein wird. Die Leute sollen aber in ihrer Beschäftigung bleiben – wie ich sehe also bei der Mahlzeit. Sie wissen, der General liebt es nicht, zu geniren und ist heute ohnehin nicht besonderer Laune.«

»Wie so – was giebt es – erzählen Sie, Feverrier!« Die Offiziere umdrängten ihn.

»Ei, unter uns – es hat einen verteufelten Sturm gegeben. Der Ober-General war bei Lord Raglan in Kamara und, wie mir General Wimpfen vertraut, ist es zu einer Scene gekommen, wegen der Befestigungen, welche die Engländer bei Kertsch und Pawlowskaja verstärken wollen.«

»Doch wohl, um sich dort festzusetzen? Ein neues Corfu oder Gibraltar am Azow'schen Meer.«

»So scheint es! Doch reichen Sie mir einen Becher Wein – meine Kehle ist so trocken wie die Sahara. – General Pelissier,« fuhr er fort, nachdem er getrunken, »hat dem Lord erklärt, er werde d'Autemarre den Auftrag senden, sich mit Gewalt jeder Fortifikation an der Küste zu widersetzen, die einen andern Zweck habe, als die Expedition zu sichern. – Wahrhaftig – da sind sie schon, der Teufel traue dem Dicken!«

Der greis der Offiziere zog sich zurück, während die Anhöhe herauf der zahlreiche Stab des französischen Ober-Feldherrn, begleitet von mehreren Divisions- und Brigade-Generalen, Ismaël-Pascha und dem General La Marmora, kam.

Zwei Araber, in weißen wehenden Gewändern, ritten dem General Pelissier voran, der auf einem kräftigen Grauschimmel saß. Er war ein starker, fast fetter Mann, was ihm das anhaltende Reiten sehr erschwerte, mit fast weißem, kurz abgeschnittenem Haar. Die Gestalt nicht groß, das Gesicht von einem gutmüthigen Ausdruck, von dem ganz verschieden, den man nach seinen Antecedentien in Afrika erwarten sollte. Nur um die Nasenwurzel verkündeten einige Falten den harten, festen und eigensinnigen Charakter. Der General trug eine mit Orden geschmückte Uniform, und darüber trotz der Hitze, einen weißen Mantel, ähnlich denen der arabischen Häuptlinge.

Die Umgebung des Generals zeigte zahlreich Namen, die sich bereits in der neuesten Geschichte des französischen Waffenruhms in Afrika, Spanien, Griechenland und Italien mit Ruhm bedeckt hatten, obschon sie, gleich Pelissier, meist erst im Alter zwischen 40 und 50 Jahren standen, oder die durch ihren Heldentod vor den Wällen des Malakoff bei den spätern Stürmen des 18. Juni[318] und 8. September sich einen Platz in den Büchern der Geschichte erkauft haben, wie Mayran, Brünet, Rivet, der Generalstabschef des I. Armee-Corps, Saint Pol, Breton und Marolles. Der Ober-General unterhielt sich lebhaft mit dem General La Marmora, dessen Bruder, General Alessandro La Marmora, bereits an der Cholera erkrankt war, und seinem Liebling Rivet, der in der Nacht zum 14. April und 2. November die Logements vor der Redoute Schwarz genommen hatte.

»Guten Tag, meine Herren,« sagte Pelissier. »Wir müssen Sie hier kurze Zeit stören, weil man von Ihrer Höhe eine Aussicht hat, die ich brauche. – Das Glas. Selim!«

Der arabische Leibdiener überreichte dem Feldherrn das Feldperspectiv.

»Kommen Sie her, Bosquet,« fuhr der Kommandirende fort, »wir werden uns hier leichter verständigen. Wenn Sie Vergé mit seiner Brigade die linke Parallele bis zu den Steinbrüchen, auf der Flanke der Engländer, besetzen lassen, kann Wimpfen im Dokowaja-Grund sich aufstellen, von Brünet unterstützt. Ich hoffe jedoch, es wird der Reserven nicht bedürfen. Am besten ist's, Sie lassen den Mamelon gleich von drei Seiten her angreifen, so theilt sich das Feuer. Wenn Oberst Shirley mit den Briten seine Schuldigkeit thut, wird er den Kirchhof zu dieser Zeit besetzt haben und die Kanonen des Malakoff zur Genüge beschäftigen.«

General Bosquet verbeugte sich schweigend, – er und Pelissier waren keine besonderen Freunde und häufige Rivalen.

»Ich glaube, Camou wird hier ein leichteres Spiel haben, als Mayran und Dülac vor den Redouten,« fuhr der General fort. »Dennoch wird die Wegnahme des Mamelon für uns von größter Bedeutung sein. Der Teufel soll das Nest holen, dessen Bau man gar nicht so weit hätte gedeihen lassen sollen!«

»Ich danke Euer Excellenz für die Ehre, die Sie uns mit dem Befehl erzeigt haben,« sagte General Camou.

»Eigentlich wären freilich die Garden an der Reihe gewesen,« meinte der Feldherr, »und Pontèves wird mir's gewaltig übelnehmen. Indeß er ist der Jüngste von uns und hat Zeit. Wer kommt dort?«

Er deutete nach der Bergseite, die nach Südosten führte und auf deren Abhang eine Reitergruppe von den entfernten Lagerplätzen der Garde herkam. »Parbleu – ich glaube, das ist Mellinet, der mich zu quälen kommt. Vorwärts, meine Herren, zur Victoria-Redoute!«

Ehe jedoch der Stab sich in Bewegung setzen konnte, sprengte der Commandeur der Garde-Division, General Mellinet, mit seinen beiden Divisionairs, den Generalen Ulrich und Pontèves, und mehreren Offizieren der Garde-Regimenter, herbei und schnitt dem Ober-Kommandanten gleichsam den Weg ab.

Als General Pelissier sah, daß er nicht mehr entkommen konnte,[319] blieb er, verschiedene Verwünschungen murmelnd, auf der Stelle halten. Es war bekannt, daß er mit den obern, seinem Kommando untergebenen Offizieren häufig nicht besonders höflich umsprang und weit eher den Soldaten und unteren Graden etwas nachsah; namentlich erfreuten sich die Garden nicht gerade besonderen Vorzugs.

Um diese Thatsachen schien sich General Mellinet jedoch wenig zu kümmern, als er gerade auf den Ober-General zuritt und kalt salutirte.

»Es freut mich, daß Sie kommen, Mellinet,« sagte dieser, offenbar irgend einem Anliegen vorbeugend, »ich vermißte überhaupt heute die Herren von der Garde bei dem Besuch im britischen Hauptquartier; Sie können mich nach der Victoria-Redoute begleiten.«

»Verzeihen Eure Excellenz,« sagte der Angeredete kalt und fest, »ich muß um einige Augenblicke Gehör bitten und bin dazu hierher gekommen, da ich hörte, daß der Stab diesen Weg genommen.«

»Nun, sprechen Sie unterwegs, ich habe Eile – Sie werden wissen, daß das Feuer in drei Stunden beginnen muß.«

»Ich habe nicht die Ehre, Eurer Excellenz Anordnungen schon zu kennen,« beharrte der General, der wohl merkte, daß der Ober-Kommandant ihm zu entkommen suchte, »aber ich muß bemerken, daß die Sache sich am besten hier an Ort und Stelle entscheiden lassen wird.«

»Meinetwegen denn! bitte, was wünschen Sie?«

»Ich komme im Namen der Garden Beschwerde zu führen, über Beleidigungen und Verhöhnungen, die man sich fortwährend gegen sie erlaubt.«

»Ach. Larifari, die alte Leier von den ewigen Zänkereien,« schrie der Ober-Kommandant. »Lassen Sie mich endlich damit ungeschoren, wenn Sie keine bestimmten Beschwerden anführen können. An allen Streitigkeiten hat ein Theil so viel Schuld als der andere.«

General Mellinet schien in Voraus entschlossen, Ruhe und Gelassenheit zu behalten, obschon die Behandlung ziemlich impertinent war und sein Gesicht sich zu röthen begann; er begnügte sich daher, dem Ober-Befehlenden ein Papier mit den Worten zu überreichen: »Ich bitte Eure Excellenz, dies zu lesen.«

Pelissier entfaltete das Blatt – es war eines der Plakate, welche man an die Zelte der Garden während der Nacht angeheftet hatte und dessen Inhalt wir bereits erwähnt haben.

Der künftige Marschall las das Pamphlet und brach dann in ein schallendes Gelächter aus. – »Mort de ma vie! Gestehen Sie, Mellinet, der Witz ist nicht übel. Ich bitte, Rivet, lesen Sie das Dings da!«

Er reichte mit baucherschütterndem Lachen das Blatt dem[320] Generalstabs-Chef, aus dessen Hand es die weitere Runde machte, während die Offiziere der Garde bleich und roth vor Zorn wurden.

»Gottes Blut,« sagte endlich der General Pontèves, dessen Gesicht dunkelroth zu glühen begann, »wir sind nicht hier, um Ihr Gelächter zu hören, meine Herren, sondern um Genugthuung für dir Beleidigung zu fordern.«

»Ah, sieh da, Pontèves,« rief der Ober-General, »sei verständig und lache über den Scherz. Das ist das Beste, was die Herren thun können, denn – die Angelegenheit der Trancheers ist doch nun ein Mal Wahrheit.«

»Excellenz,« sagte General Mellinet mit scharfem und erhobenem Tone, »wie dem auch sei, wir kommen nach gepflogener Berathung mit unsern Offizier-Corps, um zwei Dinge zu verlangen. Das Erste ist, daß Sie den Garden gestatten, auf ihr Vorrecht Verzicht zu leisten und in dem Trancheendienst abzuwechseln, wie jeder andere Theil der Armee; – das Zweite ist eine strenge Untersuchung wegen des angethanen Schimpfes, der bereits Blut gekostet hat und noch mehr kosten wird, wenn Euer Excellenz uns Ihr Einschreiten verweigern.«

Der Ober-General sah den Redner von der Seite an, doch mochte er sich der Sache vor dem sardinischen Ober-Kommandanten schämen, denn er sagte ärgerlich: »Was ist's damit? reden Sie deutlich und klar, Herr General!«

»Es haben in Folge dieses Schimpfes heute Morgen bereits drei Duelle stattgefunden und ein Sergeant der Grenadiere ist dabei erstochen worden,« sprach der Ankläger. »Die Soldaten der ganzen Division sind wüthend, außer sich, – und ich kann Euer Excellenz nicht für ausgedehnte Excesse einstehen, wenn die Thäter nicht sofort bestraft werden.«

Die Falte zwischen des Ober-Generals Brauen hatte sich vertieft, in den Krähenfüßen um die Augenwinkel lag Hohn mit aufsteigendem Zorn gemischt, als er fragte: »Das sind Alles allgemeine Anschuldigungen, General Mellinet, aber wer ist der Thäter?«

»Es sind Zuaven vom dritten Regiment,« sagte Pontèves barsch. –

Der Oberst des dritten Zuaven-Regiments, de Bonnet-Maurelhan-Polkes, drängte im Augenblick sein Pferd aus den hintern Reihen. – »Erlauben Sie, Herr General, das ist – –«

»Still!« sagte der Ober-Befehlshaber mit gebietender Stimme und Handbewegung. »Überlassen Sie das mir, Oberst. Wo sind die Beweise für Ihre Behauptungen, Herr General?«

»Die Schildwachen haben Zuaven in der Nähe unserer Zelte bald nach Mitternacht umherschleichen gesehen, ein Corporal der Grenadiere behauptet, zwei von ihnen erkannt zu haben. Den Einen bezeichnet der Name dieser Brieftafel, die man an einer Stelle fand, an welcher jene Nichtswürdigkeit angeheftet war, der[321] Andere hat sich durch das Duell verrathen, indem er heute den Corporal des ersten Grenadier-Regiments, der ihn beschuldigte, tödtlich verwundete.«

General Pelissier hatte das Notizbuch geöffnet, seine Stirn war finster wie eine Gewitterwolke, weniger aus Ärger über den Unfug, als aus Groll über die directen Beweise. – »François Bourdon« las er, – »wie heißt der andere Bursche, den man gesehen haben will?«

»Lebrigaud!«

»Lebrigaud? – der Name ist mir nicht unbekannt – ein toller Taugenichts, wenn ich mich recht erinnere. In welcher Compagnie stehen dir Beiden?« – Sein Blick heftete sich auf den Kreis von Offizieren und Soldaten, der sich in einiger Entfernung um die Generale gebildet hatte und in gespanntem Schweigen der Entwickelung harrte. Der Kommandant des ersten Bataillons, Vicomte de Méricourt, trat salutirend aus der Reihe.

»Euer Excellenz zu Befehl, die beiden Leute stehen beim ersten Bataillon, das ich zu kommandiren die Ehre habe, aber ich glaube, für Corporal Bourdon bürgen zu können, der einer der bravsten und ordentlichsten Soldaten ist.«

»Ich habe Sie um Ihr Zeugniß noch nicht gefragt, Herr,« sagte grämlich der General. »Lassen Sie die beiden Männer hierher kommen.«

Der Befehl lief schnell durch die Menge, die sich näher herandrängte, und einige Augenblicke darauf trat der Corporal Bourdon in den Kreis und blieb in dienstlicher Haltung vor den Generälen stehen. Ihm folgte Lebrigaud, in den Talar und die Mütze eines polnischen Juden gekleidet, die als das Costüm eines russischen Popen gelten sollten, an der Hand nicht ohne einiges Sträuben die noch scandalöser ausgeputzte Figur seines Collegen Bernaudin hinter sich herzerrend.

Ein unterdrücktes Lachen lief durch die ganze Cavalkade des Stabes bei der Erscheinung dieses seltsamen Kleeblatts, während die Offiziere der Garden ihre Lippen wund bissen.

»Was soll die Mummerei heißen, – wer sind die Kerls?« fragte der Ober-Kommandant, bemüht, eine strenge Miene anzunehmen.

»Excellenz halten zu Gnaden,« nahm der verkleidete Pope mit einer tiefen Verbeugung das Wort, »ich bin für heute Nachmittag der ehrwürdige Vater Basilius Papodorowitsch und das da ist Ihre Durchlaucht die Fürstin Mulaschpulaschkin, die Besitzerin verschiedener Goldbergwerke im Uralischen Gebirge oder am Kasperschen See, die sterblich in einen Offizier von Euer Excellenz getreuen Zuaven verliebt ist und mit des Himmels Hilfe und meinem Beistand seine eheliche Gallin werden soll.«

Das Gesicht des Generals wurde jetzt im Ernst finster. »Nimm[322] Dich in Acht, Bursche, und bedenke, vor wem Du stehst! Wie heißt Du?«

»Lebrigaud, Excellenz, und das ist mein Kamerad Bernaudin,« sagte der Lüderjahn unbesorgt, »wir haben heute, mit Erlaubniß des Obersten, eine kleine Theatervorstellung, zu der wir Euer Excellenz und die Herren Generäle gern einladen möchten, wenn es der Respect erlaubte; – Euer Excellenz wollen das Costüm entschuldigen, – wir durften es nicht wagen, Sie warten zu lassen.«

»Es ist gut! – Dein Name kommt mir bekannt vor?«

»Möglich, General. Wir haben Beide einen großen Theil unserer Zeit in Afrika zugebracht.«

»Du warst unter den Zephyren beim Angriff auf die Verschanzung der Veni-Passan?«

»Ja, General – es sind fünfzehn Jahr her und ich bin seitdem nicht schöner geworden. Ich half Sie damals über die Schanze werfen – Sie waren da noch nicht so dick und schwer wie heute7 – ich erinnere mich genau.«

»Richtig, Du warst einer von den Dreien, aber ich habe ein eben so gutes Gedächtnis und erinnere mich auch, daß Du der Erste bei mir warst. Ich kenne jetzt auch Dein Gesicht, trotz des Bartes.«

»O,« sagte der Zuave höflich, indem er den falschen Bart entfernte, »da kann ich dienen, General!«

Jedermann sah jetzt, wie die Untersuchung enden würde, denn Pelissier nahm bei jeder Gelegenheit seine alten Zephyre in Schutz, obschon sie die berüchtigsten Taugenichtse der afrikanischen Armee waren. Trotzdem konnte sich der General Pontèves nicht enthalten, noch einen Versuch zu machen, indem er auf die breite Schmarre des Zuaven wies: »Da steht der Beweis auf seinem Gesicht, daß er Derjenige ist, welcher sich heute Morgen geschlagen hat.«

»Fichtre! ich denke, ich habe es noch nicht geleugnet! – Es kam wegen einer Beleidigung, die nur die Garden angethan haben.«

»Dir, Kerl?«

»Ja, General, sie haben mir eine Brieftafel, die mir mein Freund und Corporal Bourdon hier zu meinem Namenstag als Andenken geschenkt hatte, gestohlen! Der Henker weiß zu welchem Zweck!«

Unaufhaltsam, trotz der Gegenwart des Ober-Befehlshabers, war das Gelächter, das nach dieser frechen Anschuldigung hervorbrach. Der Spitzbube hatte offenbar die vorhergegangene Anklage und Verhandlung hinter der Bühne versteckt angehört und parirte auf diese Art den Beweis, da er seinem jüngern und ehrlicheren Kameraden nicht recht trauen mochte.[323]

»Und Euer Excellenz gestatten diesem Schuft eine solche Infamie?« schrie wüthend General Mellinet.

»Ich begreife nicht,« fuhr der Zuave mit derselben stoischen Ruhe fort, »wie man sich darüber ärgern kann. Wir müssen uns doch auch gefallen lassen, daß die Herren von der Garde uns nicht anders, als Hühnerdiebe nennen, während sie die ganze Zeit doch ihre Eier in unsere Nester zu legen bemüht sind.« Er wies mit der Hand nach dem Eingang der Cantine, wo man einen Adjutanten des General Pontèves, heimlich vom Pferde gestiegen, die Gelegenheit benutzen sah, sich so eifrig mit Mademoiselle Celeste zu unterhalten, daß das Pärchen nicht einmal die Aufmerksamkeit bemerkte, die der Zuave schlau darauf gewandt.

»Sie werden dem Grafen Bretanne drei Tage Arrest dafür geben, Herr General,« sagte der Ober-Kommandant – kein besonderer Freund des schönen Geschlechts – barsch, »daß er seiner Liebeleien wegen die Achtung vor seinen Vorgesetzten aus den Augen setzt. – Was die Beleidigung anbetrifft, so stehen Anschuldigungen aus beiden Seiten. Hast Du dies geschrieben, Bursche? – Sprich die Wahrheit!« – Er zeigte dem Zuaven das Plakat.

Der Halunke spielte wie die Katze mit der Maus mit seinen Gegnern. Er besah das Blatt hinten und vorn, zeigte es kopfschüttelnd seinem Gefährten und sagte dann, die Augen listig zusammenkneisend: »Aber General, die ganze Compagnie weiß, daß ich kein Gelernter bin und nicht einmal meinen Namen schreiben kann, sonst müßte ich ja längst mindestens Oberst sein, abgesehen von den paar kleinen Verurtheilungen. Außerdem kann hier Bernaudin, mein Kamerad, der die Fürstin Mulaschpulaschkin darstellt, bezeugen, daß ich die ganze Nacht nicht von seiner Seite gekommen bin!«

»So wahr alle neunhundertundneunundneunzig Heiligen meiner Seele gnädig sein mögen, ich will mein Leben lang Nichts als saure arabische Milch fressen,« schwor die Fürstin geläufig, »wenn das nicht Alles die reine Wahrheit ist, Euer Excellenz, Herr General-Ober-Kommandant! Ich will verdammt – –«

Eine Handbewegung und ein einziger Blick des Generals unterbrach und scheuchte ihn einige Schritte zurück. – »Kannst Du einen ähnlichen glaubwürdigen Zeugen für Dein Alibi stellen, Corporal?« fragte er, zu Bourdon gewendet.

Der junge Mann war blutroth und scheute sich offenbar, eine Lüge vorzubringen, obschon er Zuave war. Lebrigaud sprang ihm jedoch eilig zu Hilfe und sagte: »Der Sergeant-Major Fabrice war bei ihm.«

»Fabrice Tonton? – Das ist ein Braver – ich kenne ihn. Laßt ihn vortreten.«

Papa Fabrice wurde sehr gegen seinen Willen in den Kreis gedrängt und schien sich ziemlich unbehaglich und verlegen zu fühlen.

»Nun, mein Alter,« sprach freundlich der General, »die Sache[324] hier muß ein Ende nehmen. Sprich also frisch heraus, ob Dir bekannt, wo dieser Mann hier die Nacht zugebracht!«

Der Sergeant-Major drehte sich noch immer verlegen den langen Schnurrbart oder rückte den Feß von einer Seite auf die andere und kraute sich hinter dem Ohr.

»Nun wirds?«

»Peste! – Es ist freilich nicht ganz recht, General,« murmelte der Angeredete endlich, »daß so ein alter Esel, wie ich, sich verführen läßt – aber die Wahrheit muß heraus! – Wir haben zusammen getrunken, mein General – es war so, wie ein Namenstag, ich weiß nur nicht genau welcher! – aber wir saßen die Nacht beisammen, das ist wahr, nur ...«

»Das ist genug,« sagte der Ober-Kommandant. »Tretet zurück, Bursche. Sie sehen, General Mellinet, daß sich Nichts hat ermitteln lassen. Was Ihr Verlangen betrifft, so bewillige ich dasselbe und die zweite Garde-Brigade soll bei der heutigen Ablösung bereits den Dienst in den Trancheen beziehen. Treffen Sie die nöthige Änderung in den Bestimmungen, Rivet.«

»Aber das Duell – der erstochene Sergeant?«

»General Wimpffen möge ein Kriegsgericht anordnen – Sie hörten ja, daß der Bursche behauptet, der beleidigte Theil zu sein.«

Der Kommandant der Garden wandte sich zu dem Kommandeur des Regiments. »Da mir hier jede Genugthuung verweigert wird,« sagte er, bleich vor unterdrücktem Ärger, »so habe ich Sie, Oberst Maurelhan, nur noch darauf aufmerksam zu machen, daß, läßt sich Einer von Ihren Schuften noch ein Mal im Bereich des Lagers der Garden blicken, die Wachen Ordre haben werden, ihn wie einen Hund niederzuschießen!«

»Wenn Sie hierher gekommen sind, General,« schrie der alte Polkes heftig, »um mich zu beleidigen, so ...«

»Halt da, meine Herren,« unterbrach die strenge Stimme des Ober-Befehlshabers, »keinen Streit! Meine Entscheidung ist gefällt und Sie mögen bedenken, General Mellinet, daß ich wegen eines Witzwortes doch unmöglich brave Soldaten erschießen lassen kann. Begleiten Sie uns weiter, Mellinet, wenn es Ihnen genehm.«

»Euer Excellenz werden mir erlauben, nach meinem Quartier zurückzukehren,« sagte der Garde-Divisionair, kurz und kalt salutirend, und wandte, ohne Antwort abzuwarten, sein Pferd.

»Oberst Maurelhan-Polkes,« fuhr der Ober-General fort, das Regiment scheint mir allerdings etwas außer Zucht und ich muß Sie bitten eine größere Strenge eintreten zu lassen. Um den Übermuth etwas zu dämpfen und zu bestrafen, soll das Regiment morgen die Spitze nehmen beim Sturm auf den Mamelon. Lassen Sie daher die Brigade Vergé die Stellung im Dokowaja-Grund einnehmen und die erste Brigade den Angriff machen, Camou!

Ein donnerndes »Vive l'Empereur!« »Vive le général [325] Pelissier!« erschütterte bei dieser Strafbestimmung rings umher die Luft. Die Zuaven geberdeten sich wie wahnsinnig; sie umringten, vorstürzend, den General, sie umarmten und küßten die Füße seines Pferdes, sie schwenkten die grünen Shawls ihrer Kopfbedeckung durch die Lust und trieben tausend tolle Possen.

»Das ist unbillig, General Pelissier,« sagte ernst Pontèves, der von der Garde-Suite allein noch zurückgeblieben war. »Diese Genugthuung hätte zum Mindesten den Garden gebührt und ich hatte Ihr Versprechen für meine Brigade bei der ersten Gelegenheit und mahne Sie jetzt daran.«

Der Ober-General klopfte ihn freundlich auf die Schulter. »Sei vernünftig, Pontèves, wenn es Ernst gilt auf den Malachof, sollst Du mit Deinen Grenadieren nicht fehlen, auf mein Wort. Der Mamelon ist ein Vorposten und den zu nehmen das Gesindel da gerade gut, das tolle Blut wird dabei genug decimirt werden, und nach dem Gefecht die Freundschaft wieder hergestellt sein. Ich kenne das und schicke deshalb Deine Brigade in die Trancheen, damit heute Ruhe bleibt. – Ist es gefällig, meine Herren, wir haben viel Zeit verloren! – Adieu, Kinder, und beeilt Eure Vorstellung, damit Euch die meine nicht stört!«

Er galoppirte unter dem Zuruf der Menge in weit besserer Laune davon, als er hergekommen; gefolgt von der ganzen Suite.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der Ober-General und sein Stab waren noch nicht in der Schlucht verschwunden, als das ausgelassenste Leben und Treiben in dem Lager dieser Männer begann, die Narren und Kinder in ihrem Müssiggang, Löwen und Helden im Gefecht sind! Die Nachricht von dem bevorstehenden Kampf lief wie ein Blitz durch die Zeltreihen der ganzen Brigade und schien, trotz der brennenden Mittagshitze, Alles zu elektrisiren. Selbst die Offiziere waren von dem allgemeinen Taumel angesteckt. Überall waren Kreise und Gruppen in lebhafter Demonstration, vor dem Theater sammelten sich dichte Massen, nahmen die Plätze bunt durch einander um den eingeschlafenen britischen Matrosen ein und schrieen nach dem Beginn des Schauspiels und nach Musik, die Lieblingslieder und den Sturmmarsch zu spielen. In der That wurde auch die Ruhe erst einigermaßen hergestellt, als die Musiker, in einem Erdloch vor der Bühne postirt, den Zuavenmarsch begannen, der Vorhang in die Höhe ging und die sämtlichen dramatischen Künstler in den absurdesten Aufzügen in einer Reihe gruppirt erschienen, während Lebrigaud an ihrer Spitze mit einer entsetzlichen Stimme den Text des Liedes brüllte, in dessen Chor bald die ganze Versammlung einfiel, daß die Melodie weithin durch die von der Sonnengluth zitternde Lust erklang.

Während dieser Scenen, die so wechselnd und belebt das allgemeine Interesse in Anspruch nahmen, hatten – gleichsam hinter[326] den Coulissen – andere Auftritte gespielt, die nicht minder wichtig und fesselnd waren für die einzelnen Personen unserer Erzählung.

Michael Lasaroff, der gefangene Unterfähnrich, war bei dem Erscheinen der Cavalcade des Ober-Kommandanten neugierig, wie es die Jugend ist, an ein offenes Fenster der Cantine getreten, die Feldherren zu sehen, während Nini, mit der Anklage gegen ihren Bruder noch unbekannt, neben ihm stand und ihm die Namen der Generäle nannte. Plötzlich fuhr der Jüngling zurück – sein Blick war auf eine ihm wohlbekannte Gestalt getroffen, einen alten Mann in Civilkleidung, die aber den früheren Krieger nicht zu verbergen vermocht hätte, auch wenn das Kreuz der Ehrenlegion auf der Brust und zwei tiefe Narben im Gesicht, von denen die eine sich am Schädel verlief, darüber in Zweifel gelassen hätten.

Der Greis ritt in der Suite des Generals en Chef. Sein Auge musterte traurig und ernst die bunten Kriegergruppen. Eine kurze Wendung weiter – und es hätte gefunden, was es so sehnsüchtig suchte.

Der junge Unterfähnrich war lebhaft bewegt – Blässe und fliegende Röthe wechselten auf seinem von dem Wundlager noch angegriffenen Gesicht. Dann schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben und zog sich hastig, wie vor einer Entdeckung fliehend und zur Verwunderung seiner Beschützerin Nini, in die ihm angewiesene Abtheilung der Cantine zurück.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Die kurze Unterredung, welche der zum Arrest befohlene Grenadier-Offizier mit Madame Celeste geflogen, hatte doch genügt, dem Schicksal der Eitlen und Leichtsinnigen eine neue Wendung zu geben. Die Anwesenheit von Frauen im Lager ohne bestimmten militairischen Einrichtungen entsprechenden Beruf war zwar von beiden Ober-Feldherren untersagt, das Verbot wurde aber vielfach und unter allerlei Vorwänden umgangen.

In dieser Weise war auch Madame Bibesco von ihrem Entführer, dem Capitain de Sazé, während des Winters im Lager von Kamiesch untergebracht worden und hatte dort die Leiden und die Noth der Armee weniger empfunden. Erst als ihr Beschützer und zeitweiliger Geliebter gefallen oder wenigstens verschwunden war und sie dadurch in allerlei Verlegenheiten gerieth, hatte sie den Vicomte de Méricourt, als den ihr bekannten Freund desselben, aufgesucht und dabei Nini Bourdon in ihrer neuen Lage wiedergetroffen. So peinlich und unangenehm in vieler Beziehung ihr auch die Begegnung mit der früheren Freundin und deren Gefährten sein mochte, hatte die Klugheit ihr doch geboten, das gutherzige Anerbieten derselben und eine Stelle als Demoiselle de Comptoir in der Cantine anzunehmen, die sie seit einer Woche bekleidete und die ihr reichlich Zerstreuung und Gelegenheit gab, mit den besuchenden Offizieren zu kokettiren und ihre Netze auszuwerfen. Die fortwährenden Intriguen, in denen sie sich bewegte,[327] waren es auch, die ihre Aufmerksamkeit von der Ähnlichkeit des armen Blödsinnigen mit dem früheren Geliebten Nini's in Paris abwandten und sie nicht näher und schärfer nachforschen ließen, als daß sie ein seltenes Spiel des Zufalls darin sah. Irgend eine Geschichte, die ihr die ehemalige Grisette von dem armen Verwandten erzählt, genügte ihr daher wenigstens scheinbar, da sie sorgfältig und aus ihr wohlbekannten Gründen vermied, auf die Scene jenes Abends in der Rue St. Joseph zurückzukommen und sich auch wohl gehütet hatte, Nini von ihrem späteren Zusammentreffen mit dem Fürsten Iwan Oczakoff zu erzählen. Dennoch blieb ihr das Verhältniß zu Nini Bourdon und deren Umgebungen höchst unbehaglich und sie ergriff daher die erste sichere Gelegenheit, sich ihm zu entziehen, indem sie die Anerbietungen des reichen Garde-Offiziers annahm. – – –

Während ihres Gesprächs mit dem Grafen Bretanne und den draußen vorgehenden lebhaften Scenen war daher auch der Eintritt eines englischen Offiziers wenig beachtet worden, der unfern des Eingangs Platz nahm und Kaffee bestellte.

Der Fremde trug die Interims-Uniform eines englischen Linien-Regiments, mit allen Nebenerfordernissen der feinsten Toilette. Ein röthlicher Schnurr- und Backenbart rahmte sein offenbar noch sehr jugendliches Gesicht ein, eine blaue Brille bedeckte die Augen.

Dennoch schien dies Gesicht einen eigenthümlichen Eindruck hervorzubringen, denn Nini, bei der der britische Offizier im Vorübergehen Kaffee bestellt, betrachtete ihn mit halb erstaunter Miene und ging zwei Mal an ihm vorüber, ihn neugierig anschauend, ehe die Wendung des Verhörs vor General Pelissier all' ihre Aufmerksamkeit und ihre Besorgniß fesselte.

Der schwachsinnige Jean brachte, da alle Bedienung sich außerhalb der Cantine befand, das Getränk und setzte es in seinem träumerischen Wesen achtlos vor dem fremden Offizier nieder.

Nicht so spurlos ging die einfache Begegnung bei diesem vorüber. Der Anblick des armen blödsinnigen Burschen durchzuckte ihn gleich einem elektrischen Schlage; er machte unwillkürlich eine Bewegung, aufzuspringen, die Arme erhoben sich – doch eben so schnell schien er seiner Bewegung Meister zu werden und jedes Zeichen der Aufregung zu unterdrücken, außer, daß seine Blicke von diesem Moment an unverändert allen Bewegungen des Schwachsinnigen folgten, der das empfangene Geld zum Comptoir trug und den Rest dem Offizier zurückbrachte.

Dieser berührte hastig dabei die Hand des armen Burschen – es schien, als ob er sie drückte. Wer in diesem Augenblick ihn näher beobachtet hätte, würde bemerkt haben, daß zwei große schwere Tropfen unter den blauen Gläsern der Brille langsam hervor und über seine Wangen flossen.

General Pelissier hatte bereits den Platz verlassen und verschiedene Gruppen der Offiziere und Soldaten hatten, während[328] der Lärm und Jubel draußen tobte, sich um das Comptoir Celesten's oder in der Cantine selbst versammelt, jener und der jungen Marketenderin die komischen Scenen des Verhörs schildernd, von dem bevorstehenden Kampf plaudernd oder sich gemächlich zum Einnehmen ihres Kaffee's anschickend. Die britische Uniform war eine zu gewöhnliche Erscheinung, als daß sie irgend hätte Aufmerksamkeit erregen können, als höchstens einige flüchtige Blicke, da der fremde Offizier sich abgesondert hielt und den Kopf in die Hand gestützt dadurch einen Theil seines Gesichts verbarg.

Zwei Männer nur hatten ihm eine schärfere Beachtung gewidmet, ohne daß er dies bemerkte. Es war der Corporal Bourdon, der seinen sehr grämlichen und ärgerlichen Sergeant-Major in eine Ecke gezogen, um sich dort gegen die Vorwürfe zu vertheidigen, die der Alte für seinen Aufruf zum Zeugniß ihm machte.

»Den Teufel über Euch, Halunken,« schmälte der Feldwebel. »Konntet Ihr Euch nicht herauslügen aus der Geschichte, ohne einen alten Kerl, wie mich, und seine kleinen Sünden vor den General zu bringen? – Wenn er mich nun degradirt hätte, Ihr Schufte, blos weil ich mich verleiten ließ, mir in Gesellschaft solcher Laffen einen kleinen Haarbeutel zu trinken? He – was hätte man dann in der ganzen Armee von Sergeant-Major Fabrice gesprochen? Welche Schmach wäre damit auf die sämtlichen Zuaven gefallen! Fichtre!«

»Il n'est pas si diable qu'il est noir, Papa Fabrice!« beruhigte ihn der Corporal. »Ihr habt Nichts von einem Haarbeutel gestanden und nur die Wahrheit gesagt, daß Ihr mit uns ein Wenig gebechert. Wie sollte das Eurem Ruf schaden? Oder wolltet Ihr vielleicht lieber, daß wir in eine arge Klemme kamen, wo es blos galt, ein Paar Worte Wahrheit zu sprechen? Parbleu – laßt das meine Schwester nicht hören!«

»Na, na,« brummte der Alte, »es hätte mir freilich leid gethan, aber ...«

»Ich schwöre Euch überdies, Papa Fabrice,« fuhr der Corporal fort, »Ihr war't auch im Geringsten nicht betrunken. Ich weiß ganz gewiß, daß Ihr uns Alle zu unserm Lager gebracht habt und der Letzte war't, der einschlief.«

»So – na, wenn das ist! – ich habe auch so eine dunkle Erinnerung! – Aber der Ärger vor dem General hat mir die Kehle ganz trocken gemacht – ich muß mich wahrhaftig umsehen – –«

»Bleibt ruhig hier sitzen, Papa Fabrice, und seht Euch unterdeß den Engländer an, von dem uns Nini gesprochen und der Jean so ähnlich sehen soll, indeß ich uns eine Flasche hole.«

Er kehrte bald darauf zurück und schenkte ein. Von dem Platz, den sie gewählt, konnten sie unbemerkt den britischen Offizier beobachten.

»Peste!« murmelte der Sergeant-Major, »es ist wunderbar,[329] wie ähnlich er dem blödsinnigen Jungen schaut. – Erinnerst Du Dich noch des Russen, der bei Inkerman mit seiner Pistolenkugel mir die Wange schlitzte? – Es ist, als ob der Teufel das verhenkerte Gesicht in alle Nationen der Welt hinein gehext hätte!«

»Morbleu – Du hast Recht, Papa Fabrice, mich daran zu erinnern! Ob der Bursche am Ende gar ein falscher Engländer ist? – Ich will mich doch gleich überzeugen!«

Er erhob sich, nachdem sie die Flasche geleert, und schlenderte bei dem Tisch des Briten vorüber, wo er wie zufällig stehen blieb.

»Wollen Sie nicht unser Theater mit Ihrer Gegenwart beehren, mein Offizier?« fragte er auf Englisch. »Es wird ein prächtiges Stück aufgeführt und ich werde für einen guten Platz sorgen.«

Der Fremde fuhr bei der unerwarteten Anrede zusammen, antwortete aber sogleich: »Später, mein Tapferer. Im Augenblick bedarf ich einer kleinen Erholung, denn es ist eine ziemliche Strecke von Kadikoi bis hierher.«

»Ach, Sie kommen gewiß, das Bombardement mit anzuschauen. Man wird es prächtig von hier sehen, das französische und britische Feuer in einem Überblick.«

»Und wann soll es beginnen, mein Freund?« fragte der Engländer, aufmerksam geworden, mit einiger Unruhe.

»Ah – General Pelissier ist von noblem Charakter. Er wird uns nicht in unserm Vergnügen stören. Unsere Landsleute am weißen Berg müssen ja auch zuvor ihr Steeple-chase abhalten, wie sie ihre Hundejagd nennen. Ich denke so gegen fünf Uhr, Sir. Aber das wird gar Nichts sein gegen unsern Sturm morgen. Sie wissen doch, daß das dritte Zuaven-Regiment die enfants perdu bilden wird?«

»In der That – ich wußte es nicht!«

»O dann müssen Sie morgen wieder hierher kommen oder hier bleiben und den Spaß ansehen, wenn der Dienst Sie nicht bindet. Auf Wiedersehen, mein Offizier – ich höre meine Kameraden mich rufen, aber ich komme es Ihnen zu sagen, wenn der zweite Act beginnt!«

Er entfernte sich nach dem Ausgang der Cantine, wo Fabrice mit der Marketenderin Nini sich unterhielt, während daneben das Publikum eben einem Couplet der Fürstin Mulaschpulaschkin donnernden Beifall klatschte. »Wir haben uns getäuscht, Papa Fabrice – der Herr ist ein veritabler Engländer, der aus reinem Zufall dem armen Jean so ähnlich sieht.«

Eben traten der Vicomte, der Arzt und der Baronet zu der Gruppe. –

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Der schwachsinnige Bursche, der Geräth von den Tischen der Cantine fortgeräumt, schlich wieder zurück nach dem hintern, für[330] die beiden Kranken und Gefangenen bestimmten Raum, wo er den größten Theil seiner Zeit zubrachte.

Er war kaum durch die Thür verschwunden, so erhob sich der britische Offizier, nachdem er einen raschen Blick in der Cantine umher geworfen und sich unbemerkt gesehen hatte und folgte dem Blödsinnigen.

Er legte die Hand auf den Drücker der Thür und horchte einen Augenblick – im nächsten schloß sie sich hinter ihm.

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In dem halb von Segeltuch, halb von Holzwerk gebildeten Seitenbau der Cantine lag auf einem Feldbett, den Kopf in eine Binde gehüllt und von einem hohen Kissen gestützt, regungslos die abgezehrte Gestalt von Gregor Caraiskakis.

An seinem Bett saß stumm, die dunklen Augen fast bewegungslos auf sein Gesicht geheftet, Abdallah ben Zarujah, der Emir aus der Hedjas, und am andern Ende der stumpfsinnige Schützling Nini's.

Auf der andern Seite des Gemachs stand Michael Lasaroff, seinem kranken Leidensgefährten von dem Besuch des Generals Pelissier und was er von dem Bombardement und dem bevorstehenden Angriff auf die Festungswerke erlauscht, erzählend.

Weder die Anwesenheit Jean's, der sich mit sichtlicher Vorliebe an den jungen Unterfähnrich angeschlossen und aufmerksam den russischen Liedern lauschte, die dieser manchmal zum Zeitvertreib sang – noch die des Arabers schien den Erzähler zu stören. An Beide war man gewöhnt, denn der Emir erschien, wie bereits in dem Gespräch der Zuaven erwähnt worden, fast täglich in der Cantine, um nach seinem Gefangenen zu sehen, dessen Genesung er sehnsüchtig zu erwarten schien, obschon die stolze Würde seines Volkes ihm Ruhe und Geduld gab. So pflegte er, wenn der Dienst ihn nicht abhielt, eine bis zwei Stunden neben dem Kranken zuzubringen, die Augen auf sein Gesicht geheftet.

Auch dieser selbst schien sich an den Besuch gewöhnt zu haben, dessen Ursache gleichwohl Jedermann ein Räthsel war. Doctor Welland hatte an diesem Nachmittag dem Krieger der Wüste mitgetheilt, daß der kranke Grieche nach Constantinopel, behufs seiner bessern Heilung, geschafft werden solle und der Araber saß seitdem in ernstem Nachsinnen über die gewöhnliche Zeit seines Besuchs hinaus.

Zwei Augenpaare waren aufmerksam auf die erzählenden Lippen des jungen Russen geheftet, gleich als wollten sie jedes Wort verschlingen. Wir wissen, daß die einzige Lebensthätigkeit in dem fast völliger Apathie unterlegenen Körper des griechischen Capitains in den Augen lag, durch die sich das volle Seelenbewußtsein aussprach. Diese Augen drückten jetzt deutlich die Theilnahme des vielgeprüften Mannes, des treuen Bundesgenossen der Russen, an der Gefahr aus, welche die Festung bedrohte, und den Schmerz, hilflos hier liegen zu müssen.[331]

Im seltsamen Gegensatz schien die innere geistige Thätigkeit des zweiten Aufhorchenden Null, während er körperlich im vollen Besitz aller Lebensthätigkeiten war. Nur der Klang der russischen Worte, in denen der Fähnrich erzählte, schien seine Aufmerksamkeit zu erregen und sein Ohr wohlthätig zu berühren.

»Und wir müssen hier gefangen sein,« schloß Michael Lasaroff seine Rede, »wir können ihnen keine Nachricht geben von der drohenden Gefahr. Die Lünette ist das Vorwerk unsers Bollwerks, – das erkennen und wissen diese Fremden gut genug und daß, wenn der Malakoff fällt, Ssewastopol verloren ist! O, möchte immer an seinen Wällen ihr Stolz und ihr Übermuth sich brechen!«

Eine klare feste Stimme gab die Antwort auf den Wunsch des tapfern Knaben:

»Dai Bosche!«

Erstaunt schaute der Fähnrich nach dem Eingang. Dort stand der britische Offizier, die Hand zum Himmel erhoben. Die Linke hatte die Mütze und die entstellende blaue Brille entfernt – seine Augen waren fest und innig auf den Irren geheftet, während er nochmals die Worte wiederholte:

»Dai Bosche!«

War es der Klang dieser Stimme – waren es die zwei Worte selbst, mit denen der Russe häufig auf ein Gebet oder einen Segensspruch antwortet – sie wirkten wie ein elektrischer Strom auf die Seele des Irren, wie eine plötzliche Erinnerung aus der Kindheit und Jugend, wie ein Strahl von Licht auf die Nerven seines Denkvermögens. Er war emporgesprungen, seine Hände an die Schläfe gepreßt, seine großen braunen Augen hafteten weit geöffnet auf der fremden Erscheinung, die mit magischer Gewalt ihn anzuziehen schien. Dann Schritt vor Schritt, sie unverrückt anstarrend, schwankte er auf sie zu.

Eben so fest hielt der britische Offizier seine Augen auf ihn geheftet, aus denen Trauer und Zärtlichkeit sprach. Langsam senkte sich sein Arm, und seine Hand streckte sich nach dem armen Schützling Nini's aus – seine Lippen öffneten sich wie zu einem Wort, einem Ruf, den wogende kämpfende Gefühle in seiner Brust noch erstickten.

Aber noch ehe er die Lippen überschritten, hatte sich die Scene verändert.

Mit Staunen hatten die stummen Zuschauer das seltsame Naturspiel betrachtet, das die beiden einander so fremden Wesen boten. Wie sie so dicht auf einander zugetreten, war die Ähnlichkeit zwischen ihnen deutlich, ja wahrhaft erschreckend. Das blasse krankhafte Antlitz des Irren trug unverkennbar die Züge des schönen kräftigen Gesichts des fremden jungen Offiziers – Augen, Nase und Mund boten dieselben Formen. Die merkwürdige Ähnlichkeit, dies Spiegelbild schien eben so auffallend auf den Irren zu wirken und den Eindruck der Stimme und der Worte des Fremden[332] fortzusetzen. Es kämpfte und rang offenbar in seinem Geist, gleich als wolle er eine schwere Last von sich schütteln. Seine Hände wühlten krampfhaft in dem lockigen Haar – in dem Spiegel der Augen schien Verstand und Erinnerung zu dämmern.

Der Gang der Ereignisse verhinderte die Katastrophe. Der Auftritt hatte noch andere Zeugen gehabt, auf welche der Anblick des nicht mehr durch die Brille entstellten Gesichts des Offiziers seine Wirkung geübt.

Die Hand Michael Lasaroff's zeigte nach der Thür; seine Miene schien verwirrt nach der Bedeutung der seltsamen Scene zu fragen.

Eine andere faßte zugleich des Briten Arm. »Keine Bewegung, Fürst – um des Himmels Willen schauen Sie nicht zurück, oder Sie sind verloren,« flüsterte eine Stimme an seinem Ohr. »Geschwind die Brille vor die Augen.«

Neben dem englischen Offizier stand der Vicomte de Méricourt, gefolgt von dem Arzt und dem Baronet, und durch die geöffnete Thür schauten der Sergeant-Major und das Geschwisterpaar Bourdon.

»Willkommen, Lieutenant Talbot!« fuhr der Vicomte mit Geistesgegenwart laut fort, »es freut mich, Sie hier zu treffen – die Ähnlichkeit des armen Burschen da mit Ihnen hat gewiß auch Ihr Interesse erregt!« Er war zwischen den Offizier und die Thür getreten, sein Auge traf zugleich bittend und verständigend den Arzt, und dieser trat zu Nini und ihrem Bruder, ihnen erzählend, daß der Fremde ein ihnen längst bekannter Offizier sei. Fabrice und der Corporal zogen sich sogleich respectvoll zurück.

Der Lieutenant-Colonel athmete tief auf, als er die nächste Gefahr so glücklich beseitigt sah. »Welche thörichte Verwegenheit führte Sie hierher, Fürst?! General Pelissier läßt ohne Ansehen Jeden als Spion erschießen, der in Ihrer Lage betroffen wird. Sprechen Sie – was kann ich – was können wir Alle thun, Sie zu retten; denn wir Alle danken Ihrer edlen Schwester Leben und Freiheit.«

Fürst Iwan Oczakoff, denn Dieser war allerdings der verkleidete Russe, nahm, ohne ein Wort zu entgegnen, ein versiegeltes Briefpacket aus der Brusttasche und reichte es dem Vicomte.

»Für mich?«

Der Fürst nickte bejahend.

Méricourt riß die Emballage auf, ein Dokument, mit dem Siegel des Gouverneurs von Sebastopol bescheinigt und ein an ihn adressirter Brief waren darin. »Von de Sazé? – demnach ist er gefangen in Sebastopol?«

Das Auge des Fürsten wies traurig nach dem Brief, den der Vicomte rasch überflog. »Der Unglückliche – so hat er geendet?«

Der Fürst entfaltete eines der Papiere, es war der amtlich beglaubigte Todtenschein.[333]

»O mein Gott – in seiner Blüthe, als ihm das Glück lächelte!« Der Colonel preßte traurig die Hand an seine Stirn. »Sein Vermächtniß, sein Wille soll mir heilig und all' meine Thätigkeit dem Recht seiner Gattin geweiht sein. Aber er starb in Ihrem Hause, Fürst, gepflegt in seiner letzten Stunde von Ihrer hochherzigen Schwester, die ich mit Entsetzen jetzt in den tausend Gefahren jener Stadt sehe! Das muß uns ein neuer Sporn sein, Sie zu retten – welcher Grund Sie auch immer zu diesem verwegenen Schritt bewogen hat. Kommen Sie her, Doctor – Sir Edward, ich beschwöre Sie, helfen Sie uns ein Mittel ersinnen, diesen Unbesonnenen einem schmählichen Tode zu entziehen und glücklich über die Linien hinaus zu bringen.«

»Von welcher Seite gelangten Sie in das Lager, Fürst?« fragte der Arzt.

Iwan Oczakoff deutete ruhig nach Osten. Es war offenbar, daß er nicht Rede stehen wollte.

»Es ist unmöglich, ihn dort wieder hinauszuschaffen,« erklärte der Colonel. »Die Wachen sind, seit der Sturm beschlossen, verstärkt, Niemand darf unter irgend einem Vorwand die Linien verlassen, ich selbst kenne das Paßwort noch nicht.«

»So müssen wir versuchen, ihn auf der Seite der Engländer entfliehen zu lassen – die Aufsicht ist dort fahrlässig.«

»Denken Sie an das Rennen,« mischte der Baronet zum ersten Mal sich ein. »Die Gelegenheit ist unbedingt günstig – die Tollköpfe setzen oft bis in die russischen Linien hinein und wenn der junge Mann Muth, Geistesgegenwart und ein gutes Pferd hat – ist seine Rettung leicht. Ich selbst will ihn so weit als möglich begleiten. Meine Nähe wird ihn vor jedem Verdacht sicher stellen.«

»Der Gedanke ist vortrefflich,« sagte überlegend der Arzt, »und muß auf's Schnellste ausgeführt werden, denn« – er sah nach der Uhr – »es fehlt nur noch eine halbe Stunde zur Rennzeit. Aber wo nehmen wir ein Pferd her?«

»Das meine steht gesattelt,« fiel hastig der Vicomte ein, »erinnern Sie sich, daß ich Sir Edward begleiten wollte!«

Der besonnene Arzt schüttelte den Kopf. – »Das geht nicht,« sagte er, »Ihr Pferd trägt das französische Sattelzeug und ist überdies ein schwerer Normann, der hinter den flüchtigen Rennpferden der englischen Offiziere zurück bleiben würde. Wir müssen ein Pferd haben, was ihm die Chancen des Entkommens sichert. Außerdem bestehe ich darauf, Vicomte, daß Sie als Offizier ganz aus dem Spiel der Hilfeleistung bleiben.«

Eine leichte Hand berührte leise seinen Arm, – es war Abdallah, der Araber, der, obgleich er nur einzelne Worte französisch verstand, doch mit der scharfen Beobachtung seines Volkes der Unterredung gefolgt war.[334]

»Mein Freund, der die Heilkräfte der Kräuter und Metalle so gut kennt,« fragte er sanft in türkischer Sprache, »braucht ein Roß?«

»So ist es, Emir – ein Pferd, schnell wie das Deine!«

»So nimm Eidunih, meine geliebte Stute, den Schatz der Zarugah – ich gebe sie Dir unter einer Bedingung.«

»Welche? – sprich!«

»Laß mich diesen Mann begleiten, wenn sie ihn, wie ich hörte, nach Stambul bringen wollen.«

»Was hast Du mit ihm, edler Emir – er ist Dein Gefangener, aber bedenke, er ist ein Unglücklicher, den Gott getroffen.«

»Der Mann hat Abdallah ben Zarugah nie ein Leid zugefügt – er kennt ihn nicht! Aber Abdallah muß das Erwachen seiner Lippen belauschen, um ihn zu fragen, wo Der ist, dessen Züge er trägt und dessen Bruder er sein muß. Ich habe gesonnen und gesonnen, bis der Prophet Licht in meine Seele gesandt und mir zugeflüstert hat, daß der Moskow, den ich fing an den Ufern der Katscha und den die blutige Rose von Skadar von mir forderte, der griechische Verräther ist, den sie liebte.«

»Ich weiß nicht, von wem Du sprichst, Emir.«

»Er weiß es,« sagte der Araber, auf den Capitano deutend, »denn Jener trug das Antlitz seiner Familie. Er soll mir Kunde geben, wohin Fatinitza, die Rächerin, verschwunden ist, ob sie meiner Hilfe bedarf oder ob sie treulos geworden am Glauben ihrer Väter um eines Feigen willen.«

»Ich wiederhole Dir, ich verstehe Dich nicht – doch ich nehme Dein Anerbieten an, und Du sollst diesen Kranken begleiten, wenn Du das Heer verlassen darfst und mir schwörst, diesem Manne kein Leides zu thun.«

Der junge Emir legte die Hand auf sein Haupt. – »Ich gelobe es Dir, weiser Hekim-Baschi. – Abdallah ist ein freier Mann und kann gehen und kommen, wann und wie er es für gut findet. – Wohin soll ich die Stute Dir führen?«

»Bringe sie hinter das Lager dort rechts und harre unserer – an den beiden Cypressen. Sei rasch, Emir Abdallah, ich bitte Dich, und wenn es angeht, entstelle das Äußere Deiner Stute, damit man sie nicht erkennt.«

Der Araber nahm seine Gewänder zusammen, warf noch einen Blick auf seinen Gefangenen und verließ das Gemach. Doctor Welland theilte eilig den Freunden das Anerbieten mit, und sie Beide kannten genugsam die edlen Eigenschaften des Pferdes, um zu wissen, daß es die Flucht des Russen sichern würde.

»Sie, Vicomte, müssen hier bleiben,« fuhr der Arzt fort, »und die scharfen Augen Derer abwenden, denen bereits die unheilvolle Ähnlichkeit aufgefallen ist. Der Baronet und ich werden unsern jungen Freund oder Feind begleiten und Gott und seiner Geistesgegenwart muß das Weitere überlassen bleiben.«

»Einen Augenblick noch,« sagte der Colonel. »Ich kann es[335] mit Ehre und Gewissen vereinbaren, Fürst, Sie von einem schmählichen und unedlen Tode zu retten, aber ich darf nicht ganz meine Pflicht als Soldat und Franzose vergessen. Was auch der Grund war, der Sie hierher geführt – dieser Brief oder ein unbesonnener Diensteifer – Sie müssen mir Ihr Ehrenwort geben, Nichts von den militairischen Vorbereitungen zu verrathen, welche die Festung bedrohen und von denen Sie vielleicht Kenntniß genommen. Sie werden als Soldat und Edelmann meine Forderung würdigen.«

Iwan Oczakoff legte betheuernd die Hand auf die Brust – es war seltsam, daß er selbst in diesem Augenblick zu sprechen vermied. Aber sein Auge traf zugleich mit bedeutungsvollem Ausdruck auf das des jungen Unterfähnrich.

»So bin ich zufrieden, Gott schütze Sie und sagen Sie der Fürstin, Ihrer Schwester, daß es eine kleine Zahlung auf unsere große Schuld an sie sei.«

Fürst Iwan lächelte, indem er zwei Finger in die Höhe hob, als wolle er andeuten, daß der Franzose ihn zwei Mal gerettet. Dann, indem Jener das Gemach verließ und am Eingang der Cantine mit der Marketenderin, ihrem Bruder und Celesten ein Gespräch begann, machte er sich bereit, dem Arzt und dem Baronet zu folgen.

Dies schien ihm, trotz der Gefahr, in der er schwebte, nicht leicht zu werden, denn er war auffallend bewegt, während seine Augen mit ängstlichem, zärtlichem Ausdruck auf dem Irren ruhten.

Der Arme hatte sich bei dem Dazwischentreten scheu in einen Winkel zurückgezogen, das Gesicht mit den Händen bedeckt und schien gleichfalls lebhaft erregt und von einem Ringen in seinem Innern gequält.

Der Arzt betrachtete erstaunt und nachdenklich diese kurze Scene.

»Eilen wir!« sagte der Baronet, an dessen Melancholie dies Zwischenspiel bedeutungslos vorübergegangen war.

Iwan Oczakoff faßte sich mit einer raschen Anstrengung, indem sein Auge dabei dem fragenden Blicke des Arztes begegnete. Er trat mit raschem, elastischem Schritt auf den Irren zu, schlug mit dem Daumen der rechten Hand ein Kreuz über ihn und küßte ihn nach russischer Sitte auf die Stirn. Dann wandte er sich schnell ab und verließ mit seinen beiden Begleitern das Gefangenen- und Krankengemach.

In der Cantine geleitete sie der Arzt durch einen hintern Ausgang in's Freie, während das brüllende Gelächter des Publikums über die tollen Späße der Fürstin Mulaschpulaschkin dicht neben ihnen erscholl. Indeß Sir Edward sein Pferd von einer nahen Baracke holte, geleitete der Arzt seinen jungen Schützling rasch weiter.

Er gedachte des ähnlichen Auftritts in Widdin und wie seltsam das Schicksal spielte, daß es ihn hier zum zweiten Mal als[336] Retter des Feindes auftreten ließ. Er konnte sich nicht enthalten, den Fürsten zu fragen, ob er den Stabs-Capitain Meyendorf kenne und dieser sich in Sebastopol befinde.

Fürst Iwan nickte bejahend.

»Dann,« sagte der Arzt, »bitte ich Sie, ihm den Namen eines Freundes, den meinen – Doctor Welland – zu nennen und ihm zu sagen, daß Graf Pisani mit seiner edlen Gemahlin sich in der sardinischen Armee auf den Höhen der Tschernaja befindet.«

Sie waren nur wenige Schritte noch von der Cypressengruppe entfernt, in deren Schatten Emir Abdallah bereits die Stute Eidunih – das Roß des Windes – bereit hielt, als der Russe stehen blieb und plötzlich sein Schweigen brach.

»Doctor Welland,« sagte er feierlich und aufgeregt, »ich weiß von Einer, deren Leben und Denken Ihnen gehört, daß Sie das Herz eines Ehrenmannes haben. Wollen Sie dem Dienst, den Sie mir in diesem Augenblick erweisen, noch einen wichtigeren, heiligeren hinzufügen, der mich Ihnen ewig verpflichten wird?«

»Sprechen Sie, Fürst!«

»Geloben Sie mir zuerst auf Ihre Ehre, was ich Ihnen vertraue, in Ihrer Brust zu bewahren, bis meine Lippe oder der Tod es löst?«

»Auf meine Ehre!«

»So beschwöre ich Sie, all Ihre Kunst, Ihr menschenfreundliches Herz dem armen Irren zuzuwenden, den ich in jenem Gezelt verlassen mußte, ich binde ihn auf Ihre Seele, denn – –« der junge Fürst trat dicht an ihn heran und flüsterte einige Worte, bei deren Anhören der Arzt erschrocken und staunend zurücktrat. Im nächsten Augenblick schon war Iwan Oczakoff bei dem Araber und im Sattel. Zugleich galoppirte Sir Edward herbei. Einen flüchtigen Gruß noch – ein Schweigen mahnendes Drücken des Fingers auf die Lippen, dann flogen beide Reiter dahin nach dem Labordonaja-Grund und der englischen Stellung.

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Die britischen Offiziere hatten zu ihrer Unterhaltung eine eigenthümliche Art des Wettrennens erfunden – die Jagd auf die wilden Hunde, die sich in der Nähe der Lager und der Schlachtfelder mit ihren fliegenden Genossen, den Geiern, sehr zahlreich aufhielten. Die Thiere bildeten die Mitte zwischen Wolf und Schakal und zeigten sich gewöhnlich ziemlich furchtlos und schlau, indem sie – gleich als wüßten sie, wo sie Schutz vor ihren Verfolgern finden könnten, – wenn es irgend anging, den Weg nach den russischen Festungswerken nahmen. Die Hetze wurde sowohl dadurch, als durch das wechselnde unbekannte Terrain ein sehr gefährliches Spiel, bei dem Unglücksfälle nicht selten waren.

Die schon mehrere Tage vorher in Folge einer Wette für diesen Nachmittag angekündigte Jagd hatte eine bedeutende Anzahl[337] von Offizieren und Gentlemen aus dem Administrations-Personal auf dem Plateau des weißen Berges, diesseits der Trancheen und Batterieen, zwischen den Zugängen des Labordonaja- und Sarakandina-Grundes versammelt. Man hatte sich genöthigt gesehen, trotz der Hitze, die Jagd auf eine frühere Nachmittagsstunde anzusetzen, da das angekündigte Bombardement sie später unmöglich machte und der Wortlaut der Wette das Niederhetzen einer bestimmten Anzahl von Hunden in bestimmten Tagen, deren Datum am Abend ablief, erforderte.

Der Kreis der militairischen Sportsmen und Jäger war jetzt ziemlich gut beritten, denn viele Offiziere hatten im Laufe des Frühjahrs von England sich treffliche Pferde nachkommen lassen, zum Theil auch unter den türkischen gute Einkäufe gemacht. Es befanden sich jedoch nur wenige französische Kavallerie-Offiziere in der Gesellschaft, da im Ganzen bei diesen Wettrennen die Franzosen sich als weit schlechtere Reiter bewiesen hatten und ihren Verbündeten nicht gern diesen Triumph über sich einräumten. Als der Baronet und sein Schützling auf dem Platz des Rendezvous ankamen, fanden sie die ganze Reitergruppe bereits in Bewegung und langsam dahin reitend, um den Gegenstand der Verfolgung aufzusuchen. Dies war ein sehr günstiger Umstand, der jede Aufmerksamkeit von ihnen ablenkte und sie schlossen sich unbemerkt der Cavalkade an.

Die Jäger trugen am rechten Handgelenk herabhängend eine schwere Hetzpeitsche von Riemen aus Büffelleder, in deren drei Spitzen Büchsenkugeln eingeflochten waren, und es galt, mit dem Schlag der Peitsche das Thier, so bald es erreicht worden, zu Boden zu strecken.

Unter den vordersten Reitern des Zuges konnte man eine Dame bemerken, die – fest im Sattel – mit großer Sicherheit ihr schönes braunes Pferd leitete und mit ihren Nachbarn sprach. »Das einfältige Bombardement,« bemerkte sie eben, »wird uns am Ende ganz die Jagd verderben. Die Munitionskarren, die unaufhörlich in Bewegung sind, und die Herren vom Genie haben alle Thiere verscheucht, und ich wette, wir bekommen kein einziges zu sehen.«

»Dann würde der Preis unentschieden bleiben,« sagte galant der Infanterie-Capitain an ihrer Seite, »und Mistreß Duberly, trotz ihrer schönen Aussichten, ihn verlieren.«

»Dasselbe geschieht, wenn ein Anderer, als wir Drei, heute das Wild niederschlägt,« entgegnete die Amazone. »Wie viel trafen Sie doch in diesen acht Tagen, Capitain Cavendish

»Drei Stück, Mylady!«

»Und ich und Herr O'Malley hier, ohne daß er den Hals gebrochen, eben so viele, während die Anderen nur zwei zählen. Was haben Sie da in der Hand, Sir?«

»O – Nichts, Mylady, nur eine Dose von indischer Elfenbeinschnitzerei.[338] Ich hatte sie in meine linke Gilettasche gesteckt und bemerkte, daß sie mich dort genirt. Sie ist mit getrocknetem Ingwer gefüllt – darf ich Ihnen anbieten?«

»Nein, Sir – ich danke. Aber bitte, zeigen Sie mir die Dose selbst, die Arbeit scheint ausgezeichnet.«

Capitain Cavendish überreichte sie ihr. – »Ich kaufte sie im Augenblick, als ich an Bord gehen wollte, um nach Europa zurückzukehren, von einer indischen Händlerin, die mich mit seltener Aufdringlichkeit plagte. Ich hatte die Dose ganz vergessen, da ich mein Gepäck nicht wieder nachgesehen, seit ich an der Wunde von Inkerman in's Lazareth zu Balaclawa kam. Ich fand sie heute zufällig beim Kramen und nahm sie zu mir.«

»Die durchbrochene Elfenbeinarbeit ist ausgezeichnet, ich habe sie selten so schön gesehen,« meinte die Dame, die Dose zurückreichend.

»Waren Sie mit dem Fähnrich O'Mailley verwandt, Sir?« fragte der Offizier den Dragoner, »der bei unserm Regiment stand und bei Inkermann fiel?«

»Er war ein Vetter von der Linie der O'Mailley von Timberary, Capitain. Warum?«

»Es kam mir in den Sinn, weil in den letzten Stunden, die ich mit ihm verlebte, zufällig auch die Rede von meinen Erinnerungen aus Indien war.«

»Ich will nicht hoffen, daß Sie mir ein ähnliches Schicksal daraus vindiciren,« lachte der Dragoner-Lieutenant. »Hollah ho! – da haben sie Etwas entdeckt – vorwärts, Mylady, sonst kommen wir zu spät!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte, von der Dame und dem Capitain begleitet, dem Orte zu, wo mehrere Reiter plötzlich angehalten.

»Wahrhaftig – da ist der Bursche,« rief der Capitain – »sehen Sie dorthin, Mylady, an dem Oleandergebüsch am Abhang.«

Dort kauerte allerdings ein großer gelbbrauner Hund, den spitzen Kopf weit vorgestreckt, die Ohren zurückgelegt, gleich als wisse er recht gut die Annäherung der Feinde und wolle doch voll Selbstvertrauen nicht eher von dem Pferdeknochen weichen, den er zwischen den Vorderpfoten hielt, als bis es die höchste Noth erfordere. Die Reiter kamen rasch näher, während der Hund sie anbellte, und breiteten sich nach rechts und links aus, um ihm den Weg abzuschneiden. Plötzlich schien das Thier seine Sicherheit zu verlieren, es sprang empor, zog den Schwanz ein und fing an, davon zu laufen, während die ganze Gesellschaft ein wildes Tally-ho ertönen ließ und im Galopp über das felsige Terrain die gefährliche Jagd begann.

Der Hund nahm seinen Weg nach dem Labordonaja-Grund und überschritt die Woronzoffstraße, sich dann links wendend, nachdem[339] die Jäger sich vergeblich bemüht hatten, ihm in dieser Richtung zuvorzukommen.

»Jetzt ist es Zeit,« flüsterte der Baronet dem jungen Russen zu. »Vorwärts, und Gott schütze Sie!«

Iwan Oczakoff kniff, wie ihn der Araber bedeutet, in das linke Ohr der Stute und sofort stürzte das edle Pferd in gestrecktem Lauf voran.

Die Jagd ging über einen gefährlichen, von Felsspalten und Steinmassen vielfach durchbrochenen Boden. Cavendish, die Lady und der junge Irländer waren allen Andern voran; aber in wenig Augenblicken schon sahen sie den unbekannten Offizier ihnen zur Seite, und gleich darauf ihnen voran schießen.

»Goddam! der Bursche ist vorzüglich beritten – echt arabisches Blut. Nun, Mylady, lassen Sie Bob seine Künste zeigen!«

Die Dame trieb ihren Vollblutrenner mit Peitsche und Sporen an, der Capitain war dicht hinter ihr – O'Mailley mehrere Längen zurück mit seinem Halbblütigen. Aber alle Anstrengungen waren vergeblich; denn der unbekannte Rival war bereits weit voraus und dem Thiere dicht auf den Fersen, das, von den Soldaten einer nahe gelegenen Feldschanze gescheucht, jetzt geradezu seine Richtung zwischen den englischen Trancheelinien hindurch den Grund entlang nach dem Ende der Südbucht und der Batterie Stal nahm.

Plötzlich erschütterte eine dröhnende Salve die Luft, weiße Rauchwirbel kräuselten empor, Schuß auf Schuß aus schwerem Geschütz donnerte die Reihen der Batterieen entlang bis zur Canrobert-Schanze auf dem äußersten rechten Flügel, und aus den Festungswerken der Bastionen der linken Stadtseite flammte und krachte die Erwiderung; – das Bombardement hatte mit voller Wuth begonnen.

Capitain Cavendish parirte sein Pferd. »Zurück, Mylady, um des Himmels willen, oder wir kommen in die Schußlinien. Zurück!«

Die Dame hielt unerschrocken den schnaubenden Renner an. »Sehen Sie dorthin – den Mann vor uns – der Unbesonnene! – Sie winken ihm aus den Batterieen – er achtet nicht darauf.«

»Das Pferd muß mit ihm durchgegangen sein – er scheint nicht Herr mehr desselben – Schade um den kecken Burschen – er ist rettungslos verloren, wenn er nicht etwa ein Überläufer ist. Aber fort von hier, Mylady, die Stelle ist für Sie zu gefährlich!« Eine Vollkugel aus dem Redan ricochettirte unsern von ihnen, Beide wandten die Pferde und sprengten davon.

Fürst Iwan war im Pulverdampf der Batterieen an der Biegung der Woronzoff-Straße verschwunden.

Allmälig sammelte sich die Reiterschaar auf der Höhe des weißen Hügels von der so gefährlich unterbrochenen Jagd und besprach den Ausgang, von dem günstigen Standpunkt außerhalb[340] der Schußlinien der Kanonade zuschauend. Der Allen unbekannte Reiter und sein Schicksal bildete natürlich einen Hauptgegenstand des Gesprächs und der Vermuthungen.

»Er muß von Balaclawa herauf gekommen sein,« behauptete Lieutenant O'Mailley; »vielleicht Einer der neuen Burschen, die von Constantinopel gekommen. Aber schade ist es um das Pferd – der Blitz ist langsam gegen solch Blut. Ich möchte mein Patent dagegen wetten, so neu es auch ist, daß es ein reiner Araber war von der Mohanna-Race.«

»Wenn ich recht gesehen,« sagte Mistreß Duberly, »kamen Sie ja mit dem Herrn zugleich, Sir Edward?«

»Ich traf ihn auf dem Wege zum Abritt, kannte ihn jedoch nicht.«

»Jedenfalls war unser Rennen ein todtes,« meinte lächelnd der Infanterie-Capitain, »vielleicht in doppelter Beziehung. Aber der tolle Ritt hat mich doch etwas angegriffen – ich fühle noch zuweilen die Nachwehen des Lazareths. – He, Mickey – nimm mein Pferd und halte reinen Mund gegen Capitain Stuart, sonst brummt er drei Tage lang mit mir.«

»O Jemine, Capitain,« sagte der Irländer, der diesmal den Reitknecht spielte, »warum hören Sie auch nicht auf guten Rath und bleiben hübsch im Lager, wenn das Regiment ein Mal Ruhe hat. Das kommt Alles davon, daß Sie Pferde halten, Capitain, was beim 95. doch nur der Oberst thut. Wollen Sie eine Stärkung, Akushla – 's ist echter Whiskey in der Flasche?«

Capitain Cavendish hatte sich neben der Reitergruppe, die sich durch zahlreiche unberittene Zuschauer vermehrt hatte, auf ein Felsstück gesetzt. – »Ich danke, Mickey, ich bin noch zu erhitzt. Ich will zuerst von diesem Ingwer genießen, den ich noch nicht probirt.«

Er holte die Dose aus der Tasche, öffnete sie und nahm einige Stücke heraus, die er in den Mund steckte, während der Soldat mit den Pferden lüstern neben ihm stehen blieb.

Plötzlich sprang der unglückliche Offizier empor, schlug die Arme wild um sich und stürzte mit einem entsetzlichen Schrei zu Boden. Alles sammelte sich sogleich um ihn her, zuerst in der Meinung, er sei von einer Kugel getroffen; die Zuckungen des Unglücklichen, der Schaum, der ihm vor die Lippen trat und das rollende blutunterlaufende Auge zeigten jedoch bald, daß es sich hier um einen innern Krankheitsfall handle, und ein Arzt, der sich unter den Zuschauern befand und sogleich zu Hilfe eilte, erklärte die Symptome für die einer schrecklichen und tödtlichen Vergiftung.

Der ehrliche Mickey, zum Tode erschrocken, vermochte Anfangs kaum Rede zu stehen, und erst nach vielem Hin- und Herfragen kam er zu der Auskunft, daß der furchtbare Anfall sogleich nach dem Genuß des Inhalts der Dose erfolgt war, die der Capitain noch in der krampfhaft geballten Hand hielt. Der Doctor entfernte sie[341] mit Gewalt, öffnete sie und schüttete den Inhalt heraus, den er sorgfältig prüfte, ohne jedoch ein Anzeichen des Giftes zu entdecken. Mißtreß Duberly wiederholte eben, was ihr der Capitain von dem Kaufe der Dose erzählt, als sie bemerkte, daß auf dem Boden derselben ein Pergament- oder Papyrusstreifen zurückgeblieben war. Man zog ihn heraus, er enthielt in englischer und indischer Sprache nur den hindostanischen Gruß:

»Gehe, wohin Deine Wünsche Dich rufen und mögen Deine Wege leicht und angenehm sein!«

Ein Offizier hatte die Worte halblaut verlesen, aber der Kranke sie, trotz des Kanonendonners, mittelst der Schärfung der Sinne verstanden. – »Nikalanta!« stöhnte er, »es war seine Tochter – ihr Gift brennt wie Feuer an meinem Herzen – Hilfe! zu Hilfe!«

Sie lag nicht in Menschenkräften, in menschlichem Wissen! Der Arzt mochte dies erkennen, denn er erhob sich mit einer Geberde des Bedauerns und sagte zu einem Stabsoffizier in der Nähe: »Diese Früchte sind wahrscheinlich mit einem indischen Narcoticon zufällig oder absichtlich getränkt, dessen Analyse uns unbekannt und gegen das kein Mittel existirt. Vielleicht Upas von dem berüchtigten Baum. Die Fälle solcher Vergiftungen sollen in Indien nicht selten vorkommen, wenn sie auch weniger acute Wirkung zu zeigen pflegen.«

»Der Teufel hole das Land!« murmelte der Offizier, »Cholera, Brillenschlangen, Tschaugh's und Tiger wären Unannehmlichkeiten genug, als daß man noch Giftmischerei dazu brauchte! England wird es nicht eher mit Sicherheit genießen können, als bis die eingeborene fanatische Brut ganz und gar vertilgt ist!«

»Sir, das sind 150 Millionen Menschen!«

»Und wären es 1500 Millionen, wenn sie sich nicht dem Segen unserer Cultur fügen wollen. Wie war es mit Irland noch vor 50 Jahren? Irland ist jetzt ruhig, seit man den Repeal über's Meer deportirt hat!«

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Als am Abend Mickey dem Capitain Stuart den Tod des Führers der zweiten Compagnie meldete, bemerkte der Offizier: »Es thut mir leid! Cavendish war ein besserer Kamerad, als wir Anfangs dachten und erst seit acht Wochen aus dem Lazareth. Schade, daß er noch immer vergessen hatte, uns die hübsche Geschichte mit den Tigern zu Ende zu erzählen!«

Man war sehr gleichgiltig geworden gegen die Leben im Lager vor Sebastopol! –

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Nicht der Frieden der Nacht, der prächtigen, funkelnden, üppigen Juninacht, ruht über Meer und Land, über Stadt und Berg. Der Donner der Mörser weckt die Echo's, an dem lichten Sternenhimmel ziehen die Bomben ihre lichteren, feurigen Bogen; aus[342] den dunklen Erdschanzen und von den Wällen der bedrängten Stadt blitzt und flammt es von Minute zu Minute und der Hagel von Eisen, die Würfel des Todes rasseln über das Feld und furchen in der vergänglichen Nacht die Ruhestätten der langen, ewigen – die Gräber!

Durch das Verderben besäete Feld schleicht still und spähend ein Knabe; – der sausende Tod, der auf den Granaten daher fegt, auf den feurigen Bomben durch die Luft saust, kümmert ihn nicht! Seine einzige Sorge ist, vor den lauernden Posten, vor dem Schutz der belebten Schanzen, Batterieen und Laufgräben weit auszubiegen in die Fläche, wo die Vernichtung auf jedem Schritte droht. –

Ein blaues Licht zischt in die Höhe – dort liegt die Bastion, die dunklen Wälle des Redan erheben sich kaum 200 Schritt von ihm! –

Die gebückte, schleichende Gestalt ist einen Augenblick sichtbar geworden und in den Contre-Approchen bemerkt.

»Stai – Wer da?«

»Gutfreund! Gott schütze Rußland!«

Michael Lasaroff ist bei den Seinen! – – –

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Mit dem Anbruch des Tages hat die Kanonade wieder begonnen, die eiserne Ablösung des eisernen Bombardements der Nacht. –

In der Cantine saß, 24 Stunden später als unsere vorige Scene begann, an einem Tisch mit dem ältesten Capitain seines Bataillons der Vicomte, während einige Papiere vor ihnen lagen und die Marketenderin mit ihrer Freundin, der Corporal Bourdon mit Lebrigaud und der irre Jean dabei standen.

»Wir wollen zunächst die Sache mit Madame Bibesco zu Ende bringen,« sagte der Kommandant. »Sie haben gehört, Madame, daß mein verstorbener Freund mich beauftragt hat, Ihnen seine sämtliche im Lager zurückgebliebene Baarschaft auszuhändigen, die der Oberst seines Regiments in Verwahrung genommen hatte. Hier ist das Verzeichniß – die Summe besteht in 70,500 Francs, davon 50,000 in Wechseln auf das Haus Jacq. Alléon u. Comp. in Constantinopel auf Sicht zu zahlen, und 20,500 Francs in Napoleond'ors. Hier sind die Papiere und das Geld. Wollen Sie die Güte haben, mir über die Summe in Gegenwart dieser Herren zu quittiren?«

»Darf ich fragen, ob der Marquis in Beziehung auf mich nicht irgend eine weitere Bestimmung getroffen?« fragte die Abenteurerin, indem sie zur Bewahrung des Scheins das Taschentuch an die Augen führte.

»Nein, Madame.« Die Worte des Briefes lauten blos: »Er hoffe, die Summe würde hinreichen, um Sie seinen Namen vergessen zu machen.«[343]

»Abscheulich! – Ich kann also ohne Bedingung über dies Geld verfügen?«

»Ja, Madame.«

Die Augen der ehemaligen Lorette funkelten – alle Vergnügungen und Freuden von Paris tauchten in lockenden Farben vor ihrem Geist auf. Doch schien zugleich ein Gedanke, ein Zweifel sie zu bedrücken und unschlüssig zu machen. Sie schob mehrmals einige der Geldrollen hin und her und ihr Auge flog verstohlen zu Nini hinüber. Unwillkürlich schrak sie zusammen, als ihr Blick dabei den ihr zunächst stehenden irren Burschen traf. Noch nie war ihr die Ähnlichkeit desselben mit dem Fürsten Oczakoff so aufgefallen, und ihr Innerstes erbebte, als der Arme ihr mit einem bisher an ihm nicht gekannten Lächeln des dämmernden Verständnisses zunickte und flüsterte: »ich weiß es wohl, Zehntausend!«

Eine dunkle Röthe überzog die Stirn der jungen Frau, sie nahm hastig fünf der Rollen zusammen und schob sie auf Nini zu. »Das ist Dein Antheil an meinem Reichthum,« sagte sie fast ängstlich. »Nimm – es ist das Deine!«

Die Marketenderin schaute sie erstaunt an. – »Was – ich sollte Dir Dein unverhofftes Glück schmälern? Was fällt Dir ein, Celeste – die kleinen Dienste, die ich Dir geleistet, sind reichlich durch Deine Gefälligkeit aufgewogen und ich werde doch von einer Freundin nicht Bezahlung annehmen!«

»Ich bitte Dich, sei nicht thöricht, Kind,« bat die Bojarin, »dieses Geld ist das Deine, Du hast volles Recht darauf, glaube mir, und ich bitte Dich um meinetwillen, um jenes armen – Kranken willen, es anzunehmen. Ich würde keine ruhige Stunde mehr haben, wenn Du es ausschlägst.«

Der Eifer, die Dringlichkeit, mit der sie bat, waren auffallend, und die kleine, leicht bewegte Grisette machte bereits Miene, die Großmuth ihrer Freundin zu preisen und anzunehmen, als ihr Bruder rauh dazwischen trat.

»Verzeihen Sie, Madame,« sagte er streng und fest, »aber Nini bedarf Ihres Goldes nicht. Wenn sie einen Bruder behalten will, wird sie keinen Sous jenes Geldes berühren, für das einst das Herz und die Liebe eines ehrlichen Mannes verrathen wurde.«

Die Lorette wandte sich beleidigt von dem Jugendgeliebten und raffte das Gold wieder zusammen. – »Wie es Ihnen beliebt, Herr Bourdon. Ich hielt es für meine Pflicht, Ihrer Schwester die Summe anzubieten,« – sie warf einen hastigen Blick auf den Schwachsinnigen, schien jedoch durch das Resultat beruhigt; – »wenn sie die Annahme weigert, ist es nicht meine Schuld. Was meine Liebe und meine Person betrifft, so halte ich sie noch heute für zu gut, um sie an den ersten besten Arbeiter oder Soldaten wegzuwerfen.«

François wollte heftig antworten, ward aber von der Schwester zurückgehalten, während Celeste, im Besitz ihres Schatzes, eine[344] hochmüthige und trotzige Verbeugung der Gesellschaft machte und in der hintern Abtheilung der Cantine verschwand.

Man hatte es kaum bemerkt, daß während der kleinen Scene ein Fremder eingetreten und in der Nähe Platz genommen hatte, derselbe benarbte Alte, dessen Anwesenheit in Pelissier's Generalstabe am Tage vorher den russischen Fähnrich erschreckt hatte.

»Jetzt zu Ihnen, denn Sie haben mich in eine sehr unangenehme Lage versetzt, Mademoiselle,« fuhr der Lieutenant-Colonel zu der Marketenderin fort. »Nach Allem, was bis jetzt ermittelt, sind Sie und dieser Schuft hier« – er wies auf Lebrigand – »es gewesen, die dem jungen Russen zur Flucht geholfen. Was veranlaßte Sie, meine Nachsicht auf diese Weise zu mißbrauchen?«

»Bedenken Sie, mein Kommandant,« schluchzte Nini, »er war so jung und Sie wollten ihn jetzt in ein Gefängniß schicken.«

»Es war meine Pflicht, die ich zu lange versäumt. Corporal Bourdon, ich frage Sie auf Ihr Ehrenwort als französischer Soldat, wußten Sie um den Anschlag Ihrer Schwester?«

»Nein, mein Kommandant!«

»Das freut mich, ich hätte Ihnen ungern die Gelegenheit entzogen, sich heute am Mamelon Beförderung zu holen. Nehmen Sie dem Burschen da den Säbel ab und führen Sie ihn zum Profoß. Capitain Mongin wird ihm Arrest geben.«

Der Capitain nickte. »Wir kennen uns, mein Vögelchen, und ich will Dir die großmüthigen Galanterieen vertreiben!«

Der lüderliche Zuave hatte bis jetzt mit großer Gleichgültigkeit die gegen ihn erhobene Anklage angehört, als er aber nun vernahm, daß er in Arrest geschickt werden sollte, während ein Kampf bevorstand, gerieth er außer sich, warf seinen Feß auf den Boden und trampelte wie ein Narr darauf umher. – »Que le diable les importe! Zum Henker mit allen Weibsleuten, sie sind zu meinem Unglück auf der Welt und machen mit einem Augenzwinkern einen Narren aus mir! Capitain Mongin – mein Kommandant – Sie werden doch um einer solchen Lumperei willen mich nicht um den Sturm bringen? Fichtre! Ich will meine eigene Zunge verschlucken, wenn ich den Schimpf überlebe.«

»Das hättest Du eher bedenken sollen, bevor Du Dich von einem Mädchen verleiten ließest, gegen Deine Pflicht zu handeln!«

»Maudit, mein Kommandant! – Aber wozu wären die Frauenzimmer sonst auf der Welt. Es passirt vernünftigeren Leuten als ich bin! Hier Mademoiselle bethörte mich, indem sie mir freiwillig einen Kuß versprach. Mordio! – so dacht' ich – was kommt es auf einen Russen mehr oder weniger an, Du holst dafür heute zehn Andere von ihren Schanzen, und so führt' ich ihn im Dunkel bis an die letzte Tranchee, nachdem ihm Jean hier seinen eigenen Rock gegeben. Unmöglich, mein Kommandant, konnte ich mich doch von einem verrückten Burschen in der Galanterie übertreffen lassen?«[345]

Der arme Schützling Nini's nickte ihm vergnügt lächelnd zu. Er schien offenbar seinen Antheil an der Sache zu verstehen und sich darüber zu freuen. – »Er ist fort,« sagte er, »der Andere auch, ich weiß, sie gaben ihm das Pferd! Jean's Seele ging mit ihnen – aber er wird sie wiederholen – dai Bosche!«

Niemand achtete viel auf die Worte des Irren, doch fiel die Erinnerung an die in seiner Gegenwart verabredete Flucht des jungen russischen Fürsten schwer auf des Vicomte Seele und er befand sich in großer Verlegenheit, da er sich sagen mußte, er habe ja Ähnliches gethan.

Der rasche Eintritt des Medecin-Major unterbrach jedoch die peinliche Situation. Doctor Welland war offenbar sehr aufgeregt, seine Miene unruhig und nachdenkend. Hinter ihm folgte Jussuf, der Mohr, der beim Erblicken des Vicomte sogleich auf diesen zusprang und mit dem höchsten Ausdruck von Freude seine Füße umfaßte und küßte.

»Jussuf? – um des Himmels willen, wo kommst Du her?«

»Inshallah – es ist Jubel in meinen Augen, Herr, daß ich Dich wiedersehe. Was kann ich sagen? – ich war verwundet und gefangen bei den Moskows – ein Engel hat den armen Mohren gerettet und ihm die Freiheit gegeben, daß er zu seinem Aga zurückkehren möge.«

»Ich habe mich einige Augenblicke von meinem Posten entfernt,« sagte der Arzt, »um Ihnen die seltsame Nachricht zu bringen. Vor einer Stunde brachte eine Ordonnanz des kommandirenden Offiziers der Vorposten an der Tschernaja den Mohren zu mir, den wir für todt im Schloß Aju zurückgelassen und der seitdem bei den Russen gefangen war. Er behauptete, sich selbst ranzionirt zu haben und hat sich bei den Wachen auf mich und Sie berufen. Ich bestätigte seine Aussage und übernahm seine weitere Meldung. – Er bringt das Pferd des Arabers zurück und den Dank des Fürsten, der glücklich Sebastopol erreicht hat,« fügte er flüsternd hinzu. – Das Ehrenwort, das er dem Fliehenden gegeben, ließ ihn verschweigen, wie der Mohr zugleich der Überbringer eines geheimen Schreibens an ihn gewesen, das seine Blicke jetzt nachdenkend und forschend auf dem irren Schützling der Marketenderin weilen machte.

Der Vicomte war hocherfreut durch die Rückkehr des On-Baschi's seiner frühern Bozuks, den er bei seiner Rückkehr zu dem 3. Zuaven-Regiment zu seinem Diener gemacht. Er reichte ihm die Hand und überwies ihn an den Bruder Nini's, um ihn zu equipiren und alles Nöthige ihm zu verschaffen. Dann wandte er sich wieder zu dem Arzt. »Sie finden mich und Capitain Mongin bei einer unangenehmen Untersuchung. Das thörichte Mitleid von Mademoiselle dort hat Ihren wiederhergestellten Patienten, der heute der allgemeinen Ordre gemäß an das Gefangenen-Depôt in Kamiesch zurückgeliefert werden sollte, entkommen lassen.[346] Seine Genesung war bereits durch Oberst Polkes gemeldet und wir werden nun Beide wahrscheinlich vielerlei Verdrießlichkeiten für unsere Nachsicht und Überschreitung der allgemeinen Regel haben. Zum Glück hat die Flucht auf ihren Freund keinen Einfluß, der von den Türken zum Gefangenen gemacht worden.«

»Die Sache ist kaum so bedeutend, als Sie dieselbe ansehen, Kommandant. Das Gelingen oder Mißlingen des bevorstehenden Sturmes wird ganz andere Dienstsünden bedecken, und es ist wohl unnöthig, daß Sie irgend Jemand deshalb zur Strafe ziehen. Wenn Ihre Zuaven den Mamelon nehmen, wird kein Oberst oder General der ganzen Armee nach einem entkommenen russischen Knaben fragen, wie der kleine Lasaroff war!«

»Lasaroff? – Michael Lasaroff?« rief der Fremde, der aufmerksam dem Gespräch zugehört. »Verzeihen Sie, mein Herr, Sie nennen einen Namen, der mich angeht. Der russische Gefangene, der diese Nacht entflohen – ist es der Fähnrich Michael Lasaroff?«

»Derselbe, mein Herr!«

Der alte Mann schlug die Hände vor das Gesicht. »Alles umsonst – Alles verloren! – auch hier zu spät! – So geschehe denn der Wille Des da Oben; – was sind menschliche Berechnung, sterbliche Mühen gegen Seine Bestimmung!« – Traurig und gebrochen taumelte die hohe Greisengestalt auf den Sessel zurück, – zwei schwere Thränen quollen aus den grauen Wimpern und flossen langsam über die gefurchten Wangen, – die eherne Kraft, die so lange ihn aufrecht gehalten im Kampf für seine Pläne, seine Meinungen und seine Zwecke, – sie war vernichtet vor der Überzeugung, daß in der Bestimmung über Völker wie über Menschen der Wille des Ewigen keinen Eingriff sterblicher Hände duldet. – Verwundert, aber mit achtungsvollem Schweigen schauten die fremden Krieger auf den alten Mann, bis dieser sich ermannte und seine feste ernste Haltung wieder gewann. »Verzeihen Sie einem Manne die Schwäche,« sagte er mit Würde, »der selten in einem langen und bewegten Leben ihr unterlegen. Ich bin der Graf Lubomirski, einst Capitain unter Napoleon dem Ersten, – und der Knabe, der diese Nacht nach Sebastopol zurück entflohen, ist mein Enkel, der einzige Sprosse meines Blutes. Ihr Kaiser – es ist gleichgiltig, wie ich die Gefangennahme erfuhr – gab ihn in meine Hände, hier ist der Befehl, ihn Angesichts desselben mir auszuliefern. Doch vergeblich forsche ich seit zwei Wochen im Hauptquartier, in allen Gefangenen-Depôts, ich fand den Namen zwar in den Listen angeführt – seine Person jedoch war verschwunden.«

»Vielleicht eine Fahrlässigkeit der Schreiber,« sagte der Vicomte. »Der junge Mann wurde als verwundet gemeldet und nicht abgeliefert, da seine Jugend uns dauerte und der Aufenthalt in den Lazarethen durch den Typhus Gefahr bringt.«

»Ich begreife es und danke Ihnen dafür. Erst heute Morgen[347] vernahm ich in Folge des erlassenen Generalbefehls aus dem Hauptquartier zufällig, daß bei Ihrem Corps sich noch einige Gefangene und Verwundete befänden und eilte hierher. Es war zu spät!« – Er schwieg einige Augenblicke, dann überreichte er dem Vicomte die kurze offene Ordre von der Hand des Kaisers. »Nehmen Sie, Herr Kamerad,« sagte er traurig, »sie ist jetzt nutzlos für mich und wird Sie jeder Verantwortlichkeit für Ihre Güte überheben. Wenn Sie einem alten Krieger, einem Gefährten des Ruhmes der französischen Adler eine weitere Freundlichkeit erweisen wollen, so strafen Sie nicht die Flucht des Knaben an Denen, die mit ihrer Hilfe ihm eine Liebe zu erweisen dachten. Ich nehme das Leben meines Enkels mit diesem Papier als empfangen aus Ihrer Hand und lege es in die Gottes!« –

Die Trommeln wirbelten, – die Hörner der Zuaven riefen draußen das Regiment zum Sammeln, – die Brigade- und Divisions-Adjutanten flogen mit dem Befehl zum Abmarsch an den Lagerreihen entlang! – einen kurzen theilnehmenden Händedruck nur tauschte der Vicomte mit dem einsamen Greis und dem zu seiner Ambülance eilenden Freunde, während sein Befehl dem jammernden Lebrigand den Säbel wiedergab; dann eilte er an die Spitze der Seinen, wo Oberst Polkes bereits ungeduldig harrte.

Unter dem Jubel der Zuaven bildeten sich die Reihen zum Abmarsch.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Sieben Uhr Abends! – Auf der Höhe, auf der am Tage vorher der unglückliche Zufall das Jagdrennen so traurig beendet, standen zahlreiche Gesellschaften von Offizieren, die Fernröhre und Gläser an den Augen, alle Blicke nach dem Mamelon – der Lünette Kamschatka – gerichtet, deren Wälle ein ununterbrochenes Feuer spieen, während vom Malakoff her und aus den zwei Reihen russischer Linienschiffe, die quer über die Südbucht sich gelegt, der eiserne Hagel durch Flammen und Pulverdampf daher fegte.

Aus dem Dokowaja- und Kilengrund herauf, aus den Trancheen in der Front entwickelten sich jetzt die französischen Kolonnen, lösten ihre Reihen und kletterten den steilen Aufgang zum Mamelon empor.

Man sieht die einzelnen Krieger wie Punkte und Schatten höher und höher klimmen, – jetzt die ersten an der Böschung, – Pulverdampf umhüllt sie, Feuerströme fahren dazwischen, doch nur Einzelne reißt das tödtende Eisen aus den zerstreuten Reihen, – plötzlich zeichnen sich zwei dunkle Schattengestalten auf den Kamm der Brustwehr gegen den Abendhimmel ab, – eine Fahne weht als Sammelpunkt, ein dunkler Menschenknoten ballt sich darum her – und hinein in den Mamelon dringen in hellen Haufen die kühnen dritten Zuaven.

Da wirbeln die Trommeln durch den Pulverdampf, die russischen Reserven rücken in das Werk, das die französischen und englischen[348] Batterieen zu bestreichen aufgehört, die Bajonette klirren an einander, das kleine Gewehrfeuer knattert und die Franzosen werden über die Brustwehr zurückgeworfen.

Aber am Abhang sammeln sich die Haufen, kaum haben ein oder zwei Kanonen aus den Schießscharten auf's Neue ihre Blitze gegen sie gespieen, so stürmen sie die Böschung wieder hinan, – ihnen voran die hochgewachsene Gestalt eines Offiziers, winkend mit Säbel und Hand. Wieder tauchen die dunklen Schatten auf gegen die Abenddämmerung auf der Höhe der Brustwehr, – in dichten Massen wogt und drängt der Kampf in's Innere, – dann speit die Kehle des Werks dunkle Massen Flüchtender aus, die unter dem Feuer des Malakoff Schutz suchen, – von der Höhe der Lünette flattert die Tricolore – und ein tausendstimmiges »Vive l'Empereur!« überdonnert das Gekrache der Geschütze.

Der Mamelon – die Vormauer des Malakoff ist genommen.

1

Das gebe Gott!

2

Gottes Blut!

3

Fossoyeur, Todtengräber, ein Beiname, den die Soldaten dem General Canrobert gaben wegen eines Bülletins, in dem er die Approchen »Gräber für die Besatzung von Sebastopol« genannt.

4

Anémoscope. Lord Raglan war wegen seiner eifrigen Witterungsbeobachtungen unter diesem Spottnamen bekannt.

5

Eigener Bericht der Times!!

6

Sie lauteten: »En entrant dans cette temple, où reposent les souvenirs d'un millénaire passé, j'ai reconnu les trâces d'une invasion des Vandales! Helas! Anglais ou Français, faites la guerre à la postérité, mais ne le faites pas à l'histoire. Si vous avez la prétention d'être nations civilisées, ne faites pas la guerre des barbares!«

7

P. hatte als Bataillons-Kommandant der Zephyre Befehl, eine Schanze wegzunehmen, aber die Araber vertheidigten sie tapfer. Da befahl er: »Jetez moi à travers; mes hommes me suivront alors!« Gesagt, gethan; drei Mann warfen ihn hinüber, er erhielt vier Wunden, aber seine Soldaten folgten ihm.

Quelle:
Herrmann Goedsche (unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe): Sebastopol. 4 Bände, Band 4, Berlin 1856, S. 294-349.
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