[209] Die geselligen Persönlichkeiten in Karlsbad hatten diesen Sommer für mich ein ganz ander Wesen; die Herzogin von Kurland, immer selbst anmutig, mit anmutiger Umgebung, Frau von der Recke, begleitet von Tiedge, und was sich daran anschloß, bildeten höchst erfreulich eine herkömmliche Mitte der dortigen Zustände. Man hatte sich so oft gesehen, an derselben Stelle, in denselben Verbindungen, man hatte sich in seiner Art und Weise immer als dieselbigen gefunden; es war, als hätte man viele Jahre miteinander gelebt, man vertraute einander, ohne sich eigentlich zu kennen.
Für mich machte die Familie Ziegesar einen andern, mehr entschiedenen, notwendigern Kreis. Ich kannte Eltern und Nachkommen bis in alle Verzweigungen, für den Vater hatte ich immer Hochachtung, ich darf wohl sagen Verehrung empfunden. Die unverwüstbar behagliche Tätigkeit der Mutter ließ in ihrer Umgebung niemand unbefriedigt; Kinder, bei meinem ersten Eintritt in Drakendorf noch nicht geboren, kamen mir stattlich und liebenswürdig herangewachsen hier entgegen; Bekannte und Verwandte schlossen sich an, einiger und zusammenstimmender wäre kein Zirkel zu finden. Frau von Seckendorf, geborne von Uechtritz, und Pauline Gotter waren nicht geringe Zierden dieses Verhältnisses. Alles suchte zu gefallen, und jedes gefiel sich mit dem andern, weil die Gesellschaft[209] sich paarweise bildete und Scheelsucht und Mißhelligkeit zugleich ausschloß. Diese ungesuchten Verhältnisse brachten eine Lebensweise hervor, die bei bedeutendern Interessen eine Novelle nicht übel gekleidet hätte.
Bei einem in der Fremde mietweise geführten Haushalt erscheinen solche Zustände ganz natürlich, und bei gesellschaftlichen Wanderungen sind sie ganz unvermeidlich. Das Leben zwischen Karlsbad und Franzenbrunnen, im ganzen nach gemessener Vorschrift, im einzelnen immer zufällig veranlaßt, von der Klugheit der Älteren zuerst angeordnet, von Leidenschaftlichkeit der Jüngern am Ende doch geformt, machte auch die aus solchem Konflikt hervorgehenden Unbilden immer noch ergötzlich sowie in der Erinnerung höchst angenehm, weil doch zuletzt alles ausgeglichen und überwunden war.
Von jeher und noch mehr seit einigen Jahren überzeugt, daß die Zeitungen eigentlich nur da sind, um die Menge hinzuhalten und über den Augenblick zu verblenden, es sei nun, daß den Redakteur eine äußere Gewalt hindere, das Wahre zu sagen, oder daß ein innerer Parteisinn ihm ebendasselbe verbiete, las ich keine mehr: denn von den Hauptereignissen benachrichtigten mich neuigkeitslustige Freunde, und sonst hatte ich im Laufe dieser Zeit nichts zu suchen. Die »Allgemeine Zeitung« jedoch, durch Freundlichkeit des Herrn Cotta regelmäßig zugesendet, häufte sich bei mir an, und so fand ich durch die Ordnungsliebe eines Kanzleigenossen die Jahre 1806 und 1807 reinlich gebunden, eben als ich nach Karlsbad abreisen wollte. Ob ich nun gleich, der Erfahrung gemäß, wenig Bücher bei solchen Gelegenheiten mit mir nahm, indem man die mitgenommenen und vorhandenen nicht benutzt, wohl aber solche liest, die uns zufällig von Freunden mitgeteilt werden, so fand ich bequem und erfreulich, diese politische Bibliothek mit mir zu führen, und sie gab nicht allein mir unerwarteten Unterricht und Unterhaltung, sondern auch Freunde, welche diese Bände bei mir gewahr wurden, ersuchten mich abwechselnd darum, so daß ich sie am Ende gar nicht wieder zur Hand bringen konnte; und vielleicht zeigte dieses Blatt eben darin[210] sein besonderes Verdienst, daß es mit kluger Retardation zwar hie und da zurückhielt, aber doch mit Gewissenhaftigkeit nach und nach mitzuteilen nicht versäumte, was dem sinnigen Beobachter Aufschluß geben sollte.
Indessen war die Lage des Augenblicks noch immer bänglich genug, so daß die verschiedenen Völkerschaften, welche an einem solchen Heilort zusammentreffen, gegeneinander eine gewisse Apprehension empfanden und deshalb sich auch alles politischen Gesprächs enthielten. Um so mehr aber mußte die Lektüre solcher Schriften als ein Surrogat desselben lebhaftes Bedürfnis werden.
Des regierenden Herzogs August von Gotha darf ich nicht vergessen, der sich als problematisch darzustellen und unter einer gewissen weichlichen Form angenehm und widerwärtig zu sein beliebte. Ich habe mich nicht über ihn zu beklagen, aber es war immer ängstlich, eine Einladung zu seiner Tafel anzunehmen, weil man nicht voraussehen konnte, welchen der Ehrengäste er schonungslos zu behandeln zufällig geneigt sein möchte.
Sodann will ich noch des Fürstbischofs von Breslau und eines geheimnisvollen Schweden, in der Badeliste von Reuterholm genannt, erwähnen. Ersterer war leidend, aber freundlich und zutunlich bei einer wahrhaft persönlichen Würde. Mit letzterem war die Unterhaltung immer bedeutend, aber weil man sein Geheimnis schonte und doch es zufällig zu berühren immer fürchten mußte, so kam man wenig mit ihm zusammen, da wir ihn nicht suchten und er uns vermied.
Kreishauptmann von Schiller zeigte sich wie immer, eher den Kurgästen ausweichend als sich ihnen anschließend, ein an seiner Stelle sehr notwendiges Betragen, da er bei vorkommenden polizeilichen Fällen alle nur, insofern sie recht oder unrecht hatten, betrachten konnte und kein anderes Verhältnis, welches persönlich so leicht günstig oder ungünstig stimmt, hier obwalten durfte.
Mit Bergrat von Herder setzte ich die herkömmlichen Gespräche fort, als wären wir nur eben vor kurzem geschieden,[211] so auch mit Wilhelm von Schütz, welcher, wie sich bald bemerken ließ, auf seinem Wege gleichfalls treulich fortschreiten mochte.
Auch Bergrat Werner trat nach seiner Gewohnheit erst spät herzu. Seine Gegenwart belehrte jederzeit, man mochte ihn und seine Denkweise betrachten oder die Gegenstände, mit denen er sich abgab, durch ihn kennenlernen.
Ein längerer Aufenthalt in Franzenbrunnen läßt mich den problematischen Kammerberg bei Eger öfters besuchen. Ich sammle dessen Produkte, betrachte ihn genau, beschreibe und zeichne ihn. Ich finde mich veranlaßt, von der Reußischen Meinung, die ihn als pseudovulkanisch anspricht, abzugehen und ihn für vulkanisch zu erklären. In diesem Sinne schreib ich einen Aufsatz, welcher für sich selber sprechen mag; vollkommen möchte die Aufgabe dadurch wohl nicht gelöst und eine Rückkehr zu der Reußischen Auslegung gar wohl rätlich sein.
In Karlsbad war erfreulich zu sehen, daß die Joseph Müllerischen Sammlungen Gunst gewannen, ob gleich die immerfort bewegten Kriegsläufte alle eigentlich wissenschaftlichen Bemühungen mit Ungunst verfolgten. Doch war Müller gutes Mutes, trug häufige Steine zusammen, und an die neue Ordnung gewöhnt, wußte er sie so zierlich zurechtzuschlagen, daß bei Sammlungen größeren oder kleineren Formats alle Stücke von gleichem Maße sauber und instruktiv vor uns lagen. Denn weil aus den unter dem Hammer zersprungenen Steinen immer der passende oder bedeutende sich auswählen ließ und das Weggeworfene nicht von Werte war, so konnte er immer den Liebhaber aufs beste und treulichste versorgen. Aber zu bewegen war er nicht, seinen rohen Vorrat zu ordnen; die Sorge, sein Monopol zu verlieren, und Gewohnheit der Unordnung machten ihn allem guten Rat unzugänglich. Bei jeder frischen Sammlung fing er an, aus dem chaotischen Vorrat auszuklauben und nach der neuen Einrichtung auf Brettern, die durch schwache Brettchen in Vierecke geteilt waren und dadurch die Größe des Exemplars angaben, in der Nummerfolge die Steine zu verteilen und so die Casen des Brettes nach und nach auszufüllen.[212] Ich besuchte ihn täglich auf dem Wege nach dem Neubrunnen zu einer immer erfreulichen, belehrenden Unterhaltung; denn ein solcher Naturkreis möge noch so beschränkt sein, es wird immer darin etwas Neues oder aus dem Alten etwas hervorstehend erscheinen.
Nach solchen vielleicht allzu trocken und materiell erscheinenden Gegenständen sollten mich erneuerte Verhältnisse mit wackern Künstlern auf eine eigne Weise anregen und beleben.
Die Gegenwart Kaazens, des vorzüglichen Dresdener Landschaftsmalers, brachte mir viel Freude und Belehrung, besonders da er meisterhaft meine dilettantischen Skizzen sogleich in ein wohl erscheinendes Bild zu verwandeln wußte. Indem er dabei eine Aquarell- und Deckfarben leicht verbindende Manier gebrauchte, rief er auch mich aus meinem phantastischen Kritzeln zu einer reineren Behandlung. Und zum Belege, wie uns die Nähe des Meisters gleich einem Elemente hebt und trägt, bewahre ich noch aus jener Zeit einige Blätter, die, gleich Lichtpunkten, andeuten, daß man unter solchen Umständen etwas vermag, was vor- und nachher als unmöglich erschienen wäre.
Sodann hatte ich die angenehme Überraschung, von einem vieljährigen Freunde und Angeeigneten nach altem Herkommen mich leidenschaftlich angegangen zu sehen. Es war der gute, talentvolle Bury, der im Gefolg der Frau Erbprinzeß von Hessen-Kassel in und um Dresden zu Kunst- und Naturgenuß sich eine Zeitlang aufgehalten hatte und nun, beurlaubt, auf einige Tage hierherkam.
Ich schrieb ein Gedicht zu Ehren und Freuden die ser würdigen, auch mir gewogenen Dame, welches, in der Mitte eines großen Blattes kalligraphiert, mit dem bilderreichsten Rahmen eingefaßt werden sollte, die Gegenden darstellend, durch welche sie gereist, die Gegenstände, denen sie die meiste Aufmerksamkeit zugewendet, die ihr den meisten Genuß gewährt hatten. Eine ausführliche Skizze ward erfunden und gezeichnet und alles dergestalt mit Eifer vorbereitet, daß an glücklicher Ausführung nicht zu zweifeln war. Das Gedicht selbst[213] findet sich unter den meinigen, jedoch nur mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, abgedruckt. Bei dieser Gelegenheit zeichnete Bury abermals mein Porträt in kleinem Format und Umriß, welches meine Familie als erfreuliches Denkmal jener Zeit in der Folge zu schätzen wußte. So bereicherte sich denn von seiten der bildenden Kunst dieser Sommeraufenthalt, welcher einen ganz andern Charakter als der vorige, doch aber auch einen werten und folgereichen angenommen hatte.
Nach meiner Rückkunft ward ich zu noch höherer Kunstbetrachtung aufgefordert. Die unschätzbaren Mionnetischen Pasten nach griechischen Münzen waren angekommen. Man sah in einen Abgrund der Vergangenheit und erstaunte über die herrlichsten Gebilde. Man bemühte sich, in diesem Reichtum zu einer wahren Schätzung zu gelangen, und fühlte voraus, daß man für viele Jahre Unterricht und Auferbauung daher zu erwarten habe. Geschnittene Steine von Bedeutung vermehrten meine Ringsammlung. Albrecht Dürers Federzeichnungen in Steindruck kamen wiederholt und vermehrt zu uns.
Runge, dessen zarte, fromme, liebenswürdige Bemühungen bei uns guten Eingang gefunden hatten, sendete mir die Originalzeichnungen seiner gedanken- und blumenreichen »Tageszeiten«, welche, obgleich so treu und sorgfältig in Kupfer ausgeführt, doch an natürlichem, unmittelbarem Ausdruck große Vorzüge bewiesen. Auch andere, meist halbvollendete Umrißzeichnungen von nicht geringerem Werte waren beigelegt. Alles wurde dankbar zurückgesandt, ob man gleich manches, wäre es ohne Indiskretion zu tun gewesen, gern bei unsern Sammlungen zum Andenken eines vorzüglichen Talents behalten hätte.
Auch wurden uns im Spätjahr eine Anzahl landschaftlicher Zeichnungen von Friedrich die angenehmste Betrachtung und Unterhaltung. Sein schönes Talent war bei uns gekannt und geschätzt, die Gedanken seiner Arbeiten zart, ja fromm, aber in einem strengern Kunstsinne nicht durchgängig zu billigen. Wie dem auch sei, manche schöne Zeugnisse seines Verdienstes sind bei uns einheimisch geworden. Am Schlusse des Jahrs besuchte[214] uns der überall willkommene Kügelgen, er malte mein Porträt, und seine Persönlichkeit mußte notwendig auf den gebildet-geselli gen Kreis die zarteste Einwirkung ausüben.
Ein Ständchen, das mir die Sänger vor meiner Abreise nach Karlsbad brachten, versicherte mich damals ihrer Neigung und beharrlichen Fleißes auch während meiner Abwesenheit, und demgemäß fand ich auch bei meiner Wiederkehr alles in demselben Gange. Die musikalischen Privatübungen wurden fortgesetzt, und das gesellige Leben gewann dadurch einen höchst erfreulichen Anklang.
Gegen Ende des Jahrs ergaben sich beim Theater mancherlei Mißhelligkeiten, welche, zwar ohne den Gang der Vorstellungen zu unterbrechen, doch den Dezember verkümmerten. Nach mancherlei Diskussionen vereinigte man sich über eine neue Einrichtung, in Hoffnung, auch diese werde eine Zeitlang dauern können.
Des persönlich Erfreulichen begegnete mir in diesem Jahre manches: Unsern jungen Herrschaften ward Prinzeß Marie geboren, allen zur Freude und besonders auch mir, der ich einen neuen Zweig des fürstlichen Baumes, dem ich mein ganzes Leben gewidmet hatte, hervorsprossen sah.
Mein Sohn August zog rüstig und wohlgemut auf die Akademie Heidelberg, mein Segen, meine Sorgen und Hoffnungen folgten ihm dahin. An wichtige, vormals jenaische Freunde, Voß und Thibaut, von Jugend auf empfohlen, konnte er wie im elterlichen Hause betrachtet werden.
Bei der Durchreise durch Frankfurt begrüßte er seine gute Großmutter, noch eben zur rechten Zeit, da sie später, im September, uns leider entrissen ward. Auch gegen Ende des Jahrs ereignete sich der Tod eines jüngern Mannes, den wir jedoch mit Bedauern segneten. Fernow starb nach viel beschwerlichem Leiden; die Erweiterung der Halsarterie quälte ihn lange, bedrängte Tage und Nächte, bis er endlich eines Morgens, aufrecht sitzend, plötzlich, wie es bei solchen Übeln zu geschehen pflegt, entseelt gefunden ward.
Sein Verlust war groß für uns, denn die Quelle der italienischen[215] Literatur, die sich seit Jagemanns Abscheiden kaum wieder hervorgetan hatte, versiegte zum zweiten Male; denn alles fremde Literarische muß gebracht, ja aufgedrungen werden, es muß wohlfeil, mit weniger Bemühung zu haben sein, wenn wir darnach greifen sollen, um es bequem zu genießen. So sehen wir im östlichen Deutschland das Italienische, im westlichen das Französische, im nördlichen das Englische wegen einer nachbarlichen oder sonstiger Einwirkung vorwalten.
Der im September erst in der Nähe versammelte, dann bis zu uns heranrückende Kongreß zu Erfurt ist von so großer Bedeutung, auch der Einfluß dieser Epoche auf meine Zustände so wichtig, daß eine besondere Darstellung dieser wenigen Tage wohl unternommen werden sollte.
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