1770

[223] 1/58.


An Anna Katharina Schönkopf

Frankf. d. 23. Jan. 1770.

Meine liebe Freundinn,

Wahrhafftig es war mein ganzer Ernst da ich meinen letzten Brief schriebe, keine Feder wieder anzusetzen, Ihnen zu schreiben; Aber, war sonst auch offt mein ganzer Ernst, etwas nicht zu thun, und Räthgen konnte mich es thun machen wie es ihr beliebte, und wenn die Frau Docktorinn eben die Gabe behält, nach ihrem Köpfgen die Leute zu gouverniren, so werd ich auch wohl an Mad. Canne schreiben müssen, und wenn ich es auch tausendmal mehr verschworen hätte, als ich es gethan habe. Wenn ich mich recht erinnere so war mein letzter Brief einigermassen in einer traurigen Gestalt, dieser geht schon wieder aus einem noch munterern Tone, weil Sie mir biss auf Ostern Aufschub gegeben haben. Ich wollte Sie wären kopulirt und Gott weiss was noch mehr. Aber im Grunde schiert mich's doch, das können Sie sich vorstellen.

Ich weiss nicht ob Sie die Bücher von mir bekommen haben. Es war nicht zeit sie einbinden zu lassen. Und das kleine französche lassen Sie sich rekommandirt seyn. Sie haben eine Uebersetzung davon, und ich weiss doch dass sie ein bissgen Französch lernen.

[223] Dass ich ruhig lebe, das ist alles was ich Ihnen von mir sagen kann, und frisch und gesund, und fleisig, denn ich habe kein Mädgen im Kopfe. Horn und ich sind noch immer gute Freude, aber wie es in der Welt geht, er hat seine Gedancken, und seine Gänge, und ich habe meine Gedancken und meine Gänge, und da vergeht eine Woche und wir sehen uns kaum einmal.

Aber alles wohl betrachtet, Franckfurt binn ich nun endlich satt, und zu Ende des Merzens geh ich von hier weg. Zu Ihnen darf ich nun noch nicht kommen das merck ich; denn wenn ich Ostern käme so wären Sie vielleicht noch nicht verheurahtet. Und Käthgen Schönkopf mag ich nicht mehr sehen; wenn ich sie nicht anders sehen soll, als so. Zu Ende Merzens geh ich also nach Strasburg, wenn Ihnen daran was gelegen ist, wie ich glaube. Wollen Sie mir auch nach Strasburg schreiben? Sie werden mir eben keinen Possen thun. Denn Käthgen Schönkopf – nun ich weiss ia am besten, dass ein Brief von Ihnen mir so lieb ist als sonst eine Hand.

Sie sind ewig das liebenswürdige Mädgen, und, werden auch die Liebenswürdige Frau seyn. Und ich, ich werde Goethe bleiben. Sie wissen was das heisst. Wenn ich meinen Nahmen nenne, nenne ich mich ganz, und Sie wissen, dass ich, so lang als ich Sie kenne, nur als ein Theil von Ihnen gelebt habe.

Ehe ich von hier weg gehe, sollen Sie das restirende[224] Buch bekommen; und einen Fächer und ein Halstuch bleibe ich Ihnen schuldig biss ich aus Franckreich zurückkomme.

In Strasburg werde ich bleiben, und da wird sich meine Adresse verändern wie die Ihrige, es wird auf beyde etwas vom Doctor kommen.

Von Strasburg Ziehe ich nach Paris, und hoffte mich da sehr wohl zu befinden, und vielleicht eine gute Zeit da zu bleiben. Und hernach – das weiss Gott, ob daraus was wird. Nun auf Ostern wird dann hoffentlich Ihre Verbindung vorsich gehen. Eh nun wenn es Ostern nicht ist so ist's Michäl, und wenn es ja Michael nicht geschähe, so häng ich mich gewiss nicht.

Wenn ich Ihnen den Fächer und das Halstuch selbst brächte, und noch sagen könnte Mdlle Schönkopf ober Käthgen Schönkopf wie sich's nun weissen würde. Eh nun da wär ich auch Docktor und zwar ein französcher Docktor. Und am Ende wäre doch Fr. Docktor C. und Fr. Docktor G. ein herzlich kleiner Unterschied.

Inzwischen leben Sie schöne wohl und grüssen Sie mir Vater Schönckopf und die liebe Mutter und Freund Petern.

Mit Breitkopfs binn ich fast aus aller Connexion, wie mit aller Welt. Ich habe zwar, erst kurz Briefe, aber es ist mir nicht um's Herz zu antworten.

Stenzel liebt noch den Riepel den Pegauer zum[225] Sterben, mir kömmt es einfältig vor, und ärgerlich, Sie können Sich dencken warum.

Die Trauben sind sauer sagte der Fuchs. Es könnte wohl noch gar am Ende eine Ehe geben, und das wär ein Specktackel, aber ich wüsste doch noch eine Ehe, die ein noch ein grösserer Specktackel wäre. Und doch ist sie nicht unmöglich, nur unwahrscheinlich.

Wir haben uns hier schön eingericht. Wir haben ein ganzes Haus, und wenn meine Schwester heurahtet, so muss sie fort, ich leide keinen Schwager, und wenn ich heurahte so theilen wir das Haus, ich und meine Eltern, und ich kriege 10 Zimmer alle schön und wohl meublirt im Franckfurter Gusto.

Nun Käthgen, es sieht doch aus als wenn Sie mich nicht mögten, freyen Sie mir eine von Ihren Freundinnen, die Ihren am ähnlichsten ist. denn was soll das herumfahren. In zwei Jahren binn ich wieder da. Und hernach. Ich habe ein Haus, ich habe Geld. Herz was begehrst du? Eine Frau!

Adieu liebe Freundinn. Heut war ich einmal lustig, und habe schlecht geschrieben. Adieu meine beste.


1/59.


An Christian Gottfried Hermann

Lieber Herr Assessor

Ich danke Ihnen für das Denkzettelgen. Ich sehe, daß Sie mich noch lieben und das freut mich sehr,[226] da ich Sie noch immer sehr liebe und offt an Sie denke. Daß ich nicht geschrieben habe, wird Ihnen verständlich seyn. Neues Leben, neue Bekanntschafften, und hernach können Sie sich vorstellen, wie viel einer zu thun hat, seine Wissenschaften in Ordnung zu bringen, der drey Jahre zu Leipzig die guten Studien zu studiren sich angelegen seyn ließ.

Gegen Ende März will ich meinen Flug weiter nehmen. Zuerst nach Strasburg, wo ich gerne mögte meine iuristischen Verdienste gekrönt haben. Von da marschire ich (salvis accidentibus) nach Paris. Und von da – das weiß Gott. – Und Sie behalten mich in bleibendem Andencken, bis ich einmal wiederkomme.

Wenn unter meinen Liedern Ihnen etwas gefallen hat, so freut michs. Daß ich mit der Zeit was bessers machen werde, hoff ich; mit uns Quasi modo genitis muß man Geduld haben.

Mahlerey und Musik und was Kunst heißt, ist noch immer meinem Herzen so nah als ehmals.

Was macht Oeser? Ich habe lange nichts von ihm gehört; sagen Sie ihm das freundschaftlichste Kompliment. Ich werde noch einmal an ihn schreiben, eh ich von hier gehe.

Hr. Reich hat mir die »Dialogen des Diogenes« auf der Post geschickt, und ich habe sie auf der Post gelesen, es war das liebste Geschenk, das er mir hätte machen können. Die Kupfer sind exzellent, und das Buch ist von Wielanden. Man muß seinen Namen[227] nennen, denn den Charakter, die Laune dieses Mannes zu schildern oder zu beurtheilen, ist nichts für uns.

Ueber große Leute sollte Niemand reden, als wer so groß ist wie sie, um sie übersehen zu können. Ein kleiner, wenn er zu nah steht, sieht einzelne Theile gut, aber nichts vom Ganzen, und wenn er das Ganze übersehen will, so muß er sich zu weit entfernen, und da reichen seine Augen nicht an die Theile. Verzeihen Sie mir diese Allegorie. Grüßen sie den Hrn. Obereinnehmer Richter, dem ich ehestens schreiben werde und lieben Sie mich. Ich bin wie im Gartenhaus, wie in der grünen Stube, wie immer

Frfurt, am 6. Febr. 1770.

Ihr Goethe.


1/60.


An Philipp Erasmus Reich

Franckf. am 20. Febr. 70.

Theuerster Herr Reich,

Es giebt gemischte Empfindungen, die Mendelssohn so richtig zeichnen, und Wieland so süsse mahlen kann, und von denen wir andre schweigen müssen. Davon war es eine die mich überfiel, als ich Ihren lieben Brief, mit dem angenehmsten Geschencke erhielt.

Nichts war mir neu. Denn dass Wieland so ein Autor ist, dass Sie so ein Verleger und so gütig gegen mich sind, das weiss ich seitdem ich Sie und[228] Wielanden kenne; allein in dem Grade! unter diesen Umständen! war mir alles neu. Meine Danckbaarkeit werden Sie leicht nach dem Werth Ihrer Freundschafft, nach der Fürtrefflichkeit des Buchs, und nach dem Vergnügen messen können, da das man in dieser Franckfurter Hungersnoth des guten Geschmacks, sehr lebhafft fühlen muss, wenn man ein neues Buch geschwind in die Hände kriegt. Und auch darum lasse ich meine Erkänntlichkeit gerne schweigen; denn wahrhafftig Sie müssten sehr müde werden Dancksagungen anzuhören, wenn Ihre besondere Gütigkeit, nicht gleich iedem den Sie verbinden, ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen auflegte.

Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen, und eine Ubung von wenigen Jahren, Thut in den bildenden Künsten, nur was mittelmässiges; auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen, und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen.

Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und daraus folgt, dass kein Jüngling Meister werden könne. Es ist ein Glück wenn man sich von dieser Wahrheit nicht erst durch eine traurige Erfahrung zu überzeugen braucht. Empfehlen Sie mich meinem lieben Oeser.

[229] Nach ihm und Schäckespearen, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen ächten Lehrer erkennen kann, andre hatten mir gezeigt dass ich fehlte, diese zeigten mir wie ichs besser machen sollte.

Meine Gedancken über den Diogenes werden Sie wohl nicht verlangen. Empfinden und schweigen ist alles was man bey dieser Gelegenheit thun kann; denn so gar loben soll man einen grosen Mann nicht, wenn man nicht so gros ist wie er. Aber geärgert habe ich mich schon auf Wielands Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland tat das Unglück offt nicht verstanden zu werden, vielleicht ist manchmal die Schuld sein, doch manchmal ist sie es nicht, und da muss man sich ärgern wenn Leute ihre Missverständnisse dem Publiko für Erklärungen verkaufen. Jüngst sagte ein Recensent: die Rede vom Mann im Monde sey eine feine Satyre auf die Philosophie der damaligen Zeiten, und ihre Tohrheit. Wem könnte so was einfallen? – doch ia! Er hat einen Gesellschaffter an dem Uebersetzer des Agathon. Tableau des moeurs de l'ancienne Grece! So ohngefähr wird der Tittel seyn. Ich glaube der Mensch hielte das Buch für eine Archaiologie.

Ich weiss nicht ob sich Wieland auch drüber ärgert, wenigstens hätte er's Ursach.

Wenn Sie diesem grosen Autor, Ihrem Freunde schreiben, oder ihn sprechen, so haben Sie die Gütigkeit, ihm einen Menschen bekannt zu machen, der[230] zwar nicht Mann's genung ist seine Verdienste zu schätzen, aber doch ein genung zärtliches Herz hat sie zu verehren; mit dessen aufrichtigster Empfindung er sich auch nennt,

Ihren ergebensten Diener.

Goethe.[231]


1/61.


An Johann Christian Limprecht

Strasburg am Charfreytag 1770

d. 13 April.

Lieber Limprecht

Ich zweifle nicht einen Augenblick, daß Er jetzo Geld brauchen wird; denn es ist mir heute sehr quer eingefallen, Ihm die Louisd'or zu schicken. Es ist doch mehr als nichts, denk ich, wenn's gleich nicht viel ist; nehm' Er's wenigstens als ein Zeichen an, daß das Vergangne nicht vergessen ist.

Ich bin wieder Studiosus und habe nun, Gott sey Dank, so viel Gesundheit, als ich brauche, und Munterkeit im Ueberfluß. Wie ich war, so bin ich noch, nur daß ich mit unserm Herre Gott etwas besser stehe, und mit seinem lieben Sohn Jesu Christo. Draus folgt denn, daß ich auch etwas klüger bin und erfahren habe, was das heißt: die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang. Freilich singen wir erst das Hosianna dem, der da kommt; schon gut! auch das ist Freude und Glück: der König muß erst einziehn, eh er den Thron besteigt.

[232] Uebrigens wünsche ich zu hören, das sich Ihre Umstände gebessert haben. Sie haben immer viel Last in der Welt gehabt, und noch zuletzt mit Ihren Augen und mir.

Nicht meine Kranckheit meyn' ich; das war ein Liebesdienst und Liebesdienste werden niemals sauer; aber wenn ich mich erinnere, was für ein unerträglicher Mensch ich den letzten ganzen Sommer war, so nimmt mich's Wunder, wie mich jemand hat ertragen können. Doch ich verdiente Mitleiden; ich hatte auch meine liebe Last.

Leben Sie wohl und nehmen Sie den Brief auf, wie ich ihn schreibe und schicke, das heißt: ohne Umstände und mit ganzem Herzen.

Grüßen Sie alle Freunde und seyn Sie der meinige.

Goethe.


Strasburg d. 19. April 1770.

Gestern empfieng ich Ihren lieben Brief vom 28. Merz und also einige Tage nach dem seltsamen Einfall, den ich Ihnen, wie er Charfreytagsnacht mir eingekommen und ausgeführt worden ist, hier überschicke.

Es ist mir lieb zu hören, daß Sie leben und predigen, und wenn Sie sich darauf legen, so müssen Sie sich auch ohne Augen durch die Welt bringen[233] können. Man sagt, Demokrit habe sich geblendet, um durch diesen gefährlichen Sinn nicht zerstreut zu werden, und wahrhaftig, wenn er's thun konnte, so that er nicht unrecht; ich gäbe manchmal was drum blind zu seyn. Und doch, wenn es ist wie es war, daß Sie Dämmerung sehen, wo andre Tag haben, so verliehren Sie nicht viel. Es ist ia doch alles Dämmerung in dieser Welt, ein Bißgen mehr oder weniger, dafür läßt sich Trost finden.

Ich bin anders, viel anders, dafür danke ich meinem Heilande; daß ich nicht bin, was ich seyn sollte dafür danke ich auch. Luther sagt: »Ich fürchte mich mehr für meinen guten Werken als für meinen Sünden«. Und wenn man jung ist, ist man nichts ganz.

Funfzehn Tage bin ich nun hier, und finde Strasburg nicht ein Haar besser noch schlimmer als alles was ich auf der Welt kenne, das heißt sehr mittelmäßig und das doch gewisse Seiten hat, die einen zum Guten und Bösen in Bewegung setzen und aus seiner gewöhnlichen Lage bringen können. – – – – – – –

Adieu. – – –

Goethe.[234]


1/62.


An Katharina Fabricius?

Saarbrück am 27. Jun.

Wenn das alles aufgeschrieben wäre, liebe Freundinn, was ich an Sie gedacht habe, da ich diesen schönen Weeg hierher machte, und alle Abwechselungen eines herrlichen Sommertags, in der süsesten Ruhe genoß; Sie würden mancherley zu lesen haben, und manchmal empfinden, und offt lachen. Heute regnet's, und in meiner Einsamkeit finde ich nichts reitzenders als an Sie zu dencken; an Sie; das heißt zugleich an alle die Sie lieben, die mich lieben und auch sogar an Räthgen, von der ich doch weiß daß sie sich nicht verläugnen wird, daß sie gegen meine Briefe seyn wird, was sie gegen mich war, und daß sie – Genug, wer sie auch nur als Silhouette gesehn hat, der kennt sie.

Gestern waren wir den ganzen Tag geritten, die Nacht kam herbey und wir kamen eben aufs Lothringische Gebürg, da die Saar im lieblichen Thale unten vorbey fließ. Wie ich so rechter Hand über die grüne Tiefe hinaussah und der Fluß in der Dämmerung so graulich und still floß, und lincker Hand die schweere Finsterniß des Buchenwaldes vom Berg über mich herabhing, wie um die dunckeln Felsen durchs Gebüsch die leuchtenden Vögelgen still und geheimnißvoll zogen; da wurds in meinem[235] Herzen so still wie in der Gegend und die ganze Beschweerlichkeit des Tags war vergessen wie ein Traum, man braucht Anstrengung um ihn im Gedächtniß aufzusuchen.

Welch Glück ist's ein leichtes, ein freyes Herz zu haben! Muth treibt uns an Beschweerlichkeit, an Gefahren; aber grose Freuden werden nur mit groser Mühe erworben. Und das ist vielleicht das meiste was ich gegen die Liebe habe; man sagt sie mache mutig. Nimmermehr Sobald unser Herz weich ist, ist es schwach. Wenn es so ganz wann an seine Brust schlägt, und die Kehle wie zugeschnürt ist, und man Trähnen aus den Augen zu drücken sucht, und in einer unbegreiflichen Wonne dasitzt wenn sie fließen. O da sind wir so schwach daß uns Blumenketten fesseln, nicht weil sie durch irgend eine Zauberkrafft starck sind, sondern weil wir zittern sie zu zerreißen.

Mutig wird wohl der Liebhaber der in Gefahr kömmt sein Mädgen zu verlieren, aber das ist nicht mehr Liebe, das ist Neid. Wen ich Liebe sage, so versteh ich die wiegende Empfindung, in der unser Herz schwimmt, immer auf Einen Fleck sich hin und her bewegt, wenn irgend ein Reiz es aus der gewöhnlichen Bahn der Gleichgültigkeit gerückt hat. Wir sind wie Kinder auf dem Schaukelpferde immer in Bewegung, immer in Arbeit und nimmer vom Fleck. Das ist das wahrste Bild eines Liebhabers.

[236] Wie traurig wird die Liebe, wenn man so schenirt ist, und doch können Verliebte nicht leben ohne sich zu scheniren.

Sagen Sie meinem Fränzgen daß ich noch immer ihr binn. Ich habe sie viel lieb, und ich ärgerte mich offt daß sie mich so wenig schenirte; man will gebunden seyn, wenn man liebt.

Ich kenne einen guten Freund, dessen Mädgen offt die Gefälligkeit hatte bey Tisch des Liebsten Füße zum Schemmel der ihrigen zu machen. Es geschah einen Abend daß er aufstehen wollte eh es ihr gelegen war, sie drückte ihren Fuß auf den seinigen, um ihn durch diese Schmeicheley fest zu halten; unglücklicher Weisse kam sie mit dem Absatz auf seine Zehen, er stand viel Schmerzen aus, und doch kannte er den Werth einer Gunstbezeugung zu sehr um seinen Fus zurückzuziehen.


1/63.


An Hetzler jun.

d. 14. Jul.

Trapp hielt mich für todt; und für was werden Sie mich halten? denn ich binn Ihnen eine Antwort länger schuldig als ihm. Sie kennen mich aber zu gut, theuerster Freund, als daß Sie zu meinem Stillschweigen eine unwahrscheinliche Ursache aufgraben sollten. Ich binn immer nachlässiger als ich beschäfftigt binn, und weil ich nichts zu thun hatte, oder[237] nichts thun wollte, ist Ihr Brief auch unbeantwortet geblieben. Nun bin ich endlich einmal mal dran, Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe, und daß ich mich freue, Sie noch immer als einen wachend Schüler der Musen zu sehen. Sie sind mir ein guter Mann, und haben mich lieb; aber Sie halten mich doch für zu weise und sich selbst zu gering, da Sie mir Fragen vorlegen, die ich Ihnen weder deutlich noch kurz, Ihre Erfahrung und eigne Empfindung aber, sehr leicht beantworten kann. Nur ein wenig Geduld; Und, wenn ich Ihnen rathen darf, so werden Sie mehr Vortheil finden, zu suchen wo Schönheit seyn möchte als ängstlich zu fragen was sie ist. Einmal für allemal bleibt sie unerklärlich; Sie erscheint uns wie im Traum, wenn wir die Werke der großen Dichten und Mahler, kurz, aller empfindenden Künstler betrachten; es ist ein schwimmendes glänzendes Schattenbild, dessen Umriß keine Definition hascht.

Mendelssohn und andre, deren Schüler unser Hr. Recktor ist, haben versucht die Schönheit wie einen Schmetterling zu fangen, und mit Stecknadeln, für den neugierigen Betrachter festzustecken; es ist ihnen gelungen; doch es ist nicht anders damit, als mit dem Schmetterlingsfang; das arme Thier zittert im Netze, streifft sich die schönsten Farben ab; und wenn man es ia unversehrt erwischt, so stickt es doch endlich steif und leblos da; der Leichnam ist nicht das ganze Thier, es gehört noch etwas dazu, noch ein Hauptstück,[238] und bei der Gelegenheit, wie bey ieder andern, ein sehr hauptsächliches Hauptstück: das Leben, der Geist der alles schön macht.

Genießen Sie Ihrer Jugend und freuen Sie sich Schmetterlinge um Blumen fliegen zu sehen, es gehe Ihnen das Herz, und das Aug dabey über; und lassen Sie mir die Freudenfeindliche Erfahrungssucht, die Sommervögel tödtet und Blumen anatomirt, alten oder kalten Leuten. Ich thue mir Gewalt an hier abzubrechen; Sie wissen daß ich in dieser Materie so unerschöpflich binn, als eine Wittwe in den Umständen von den letzten Stunden ihres seeligen Eheherren; und dann daß ich besonders gern mit Ihnen davon rede, weil wir einander verstehen.

Müllers Einleitung in die Classischen Schrifftsteller ist zu weitläufig, es giebt wohl noch viel andre doch wüßte ich keins für Sie. am besten ists, man liest erst den Schrifftsteller und hernach die Einleitung statt des Epilogs, wir lernen besser acht haben, und selbst urtheilen; doch wünschte ich, daß Sie über diese Materien den Hrn. Recktor fragten, er muß es immer besser wissen als ich. Literarische Kenntnisse erwerben sich durch Zeit und Fleis, und wegen beyder muß ein Jüngling einem Manne nachstehen. So ist's auch wegen dem Homer. Die Englische Ausgabe mit Clarkes Ubersetzung ist theuer, der Leipziger Nachdruck soll viele Druckfehler haben, das kann ich auch nicht beurtheilen. Leben Sie wohl.[239]


1/64.


An Augustin Trapp

am. 28ten Jul.

Nichts weiß ich! Das wissen Sie dächt ich, lang, und fragen mich doch immer zu und verwundern sich wenn ich nicht antworte. So gern ich mich mit meinen Freunden, und besonders mit Ihnen unterrede so sehr hält mich mein unstetes Leben davon ab; komme ich ia dann einmal an die zubeantwortenden Briefe, und finde Fragen und Untersuchungen, denen ich nicht gewachsen binn, so nimmt meine Faulheit gerne daher eine Ursache, und schiebt eine Antwort ins weite. Ich lebe etwas in den Tag hinein, und dancken Gott dafür, und manchmal auch seinem Sohne wenn ich darf, daß ich in solchen Umständen binn die mir es aufzulegen scheinen. Wie wollen Sie nun daß ich Ihnen rahten soll, in einer Angelegenheit rathen soll, die so weit über meine Erfahrung geht; und noch dazu da ich nicht weiß, wie noch welche Person.

Was bliebe mir also übrig? Abzuhandeln, ob es gut sey, sich zu verheurathen oder nicht. Lieber Freund, diese allgemeinen Betrachtungen machen weder den einen noch den andern gescheuter als er ist, und Ihren Special Fall, kenne ich viel zu wenig, um nur Einen richtigen Gedancken haben zu können. Uberhaupt ist dieses eine von denen Gelegenheiten, wo unsre Klugheit, Weißheit, Grübeley, oder Unglauben, wie Sie es[240] nennen wollen, am wenigsten ausrichtet. Wer nicht wie Elieser, mit völliger Resignation in seines Gottes überall einfliesende Weissheit, das Schicksaal einer ganzen zukünftigen Welt dem Träncken der Kameele überlassen kann, der ist freylich übel dran, dem ist nicht zu helfen. Denn wie wollte dem zu rahten seyn der sich von Gott nicht will rahten lassen.

Freylich wird es Ihnen gehen, lieber Freund wie uns iungen Herren allen. Wir wollen unsre Väter nicht für uns freyen lassen, und sind nicht leicht auf dem Felde zu beten, wenn unsre Braut im Anzuge ist. Unsre Neigungen? Was wir thun sollen in Absicht auf sie? Narren sind sie diese unreife Bewegungen unsers Herzens, und Sie wissen ia was geschieht wenn man sich von solchen Compagnons bey der Nase herumführen läßt.

Ich könnte nun manches schöne Blümgen, manchen guten moralischen Gedancken, auch wohl manchen politischen bey dieser Gelegenheit anbringen, wenn ich den Wehrt der Worte nicht so gut kennte. Reflexionen sind eine sehr leichte Waare, mit Gebet dagegen ist's ein sehr einträglicher Handel; eine einzige Aufwallung des Herzens im Nahmen des, den wir inzwischen einen Herren nennen, biß wir ihn unsern Herrn betitteln können, und wir sind mit unzähligen Wohltahten überschüttet.

Noch etwas. Wie steht's mit Ihrer Gesundheit? ich bitte Sie sorgen Sie doch für diesen Leib mit anhaltender[241] Treue. Die Seele muß nun einmal durch diese Augen sehen, und wenn sie trüb sind, so ist's in der ganzen Welt Regenwetter.

Vielleicht weiß ich das so gut, als iemand. Es war eine Zeit da mir die Welt so voll Dornen schien, als Ihnen ietzo. Der Himmels Artzt hat das Feuer des Lebens in meinem Körper wieder gestärckt, Und Muth und Freude sind wieder da.

Es wird mit Ihnen auch noch so werden, wenn es ihr bestes ist. Leben Sie wohl. Und wenn Sie Sich auch nicht ganz in mich finden können, so braucht Sie das nicht zu bekümmern; überzeugen Sie Sich nur von der Wahrheit vollkommen, daß ich Ihr treuer Freund bin.


1/65.


An Hetzler jun.

24. Aug.

Sie haben noch immer zu viel Liebe und Gütigkeit für mich, es tuht mir leid; wie lange wollte ich es Ihnen schon sagen? Ich finde gar keinen Vortheil in dem allzugünstigen Begriff, den Sie Sich von mir zusammengemacht haben. Es ist eine alte Wahrheit, eine gewisse Erfahrung die mich hier zu fürchten macht; heben Sie dieses Blat wohl auf, ich möchte vielleicht in Zukunft mich drauf zu berufen Ursache finden. Ich wünschte daß Sie mein Freund blieben; aber dazu müssen Sie mich erst für das halten was[242] ich würcklich binn, damit Sie in der Folge der Zeit nicht Ihre Gesinnung mit Ihrer Meynung verändern.

Ihre Neigung für mich hat mir Vorzüge geliehen die ich nicht habe. Man liebt seine Freunde wie sein Mädgen, und eines ieden Phillis ist einem ieden die schönste; so geitzig sind wir immer das beste haben zu wollen.

Wir sind getrennt. Entfernung ist ein gewaltig niederschlagend Pulver, und Ihr Herz kann nicht leer bleiben.

Sie gehen auf Akademien; das erste was Sie finden sind hundert Leute wie ich. Er war doch also nicht allein! dencken Sie, und gehen weiter, und finden hundert bessere als mich, Sie messen mich nach dem neuen Maasstab, finden allerley Fehler, und dann binn ich verlohren. Einen den man vollkommen gehalten hat, und an Einer Seite mangelhafft findet, beurtheilt man nicht leichte mit Billigkeit.

Unsre Eitelkeit ist dabey im Spiele, wir haben uns betrogen, und wollen es nicht Wort haben, und thun uns die Ehre an zu glauben daß wir betrogen worden sind, damit werfen wir alle Schuld, Verdruß, und eine Art von Haß, auf einen Unglücklichen, der doch gar keinen Theil daran hat, daß ihn unsre Ubereilung für etwas ansah, für das er nicht angesehen zu sein verlangte.

Uberhaupt um die Welt recht zu betrachten (wozu Sie doch auch Lust bezeugen) muß man sie weder[243] für zu schlimm, noch zu gut halten; Liebe und Haß sind gar nah verwandt, und beyde machen uns trüb sehen.

Es fehlt nicht viel, so fang ich an zu wäschen. Die Mittelstrase zu treffen wollen wir nicht verlangen so lang wir iung sind. Lassen Sie uns unser Tagewerck verrichten und den alten nicht in das Handwerck pfuschen.

Die Sachen anzusehen so gut wir können, sie in unser Gedächtniß schreiben, aufmerksam zu seyn und keinen Tag ohne etwas zu sammeln, vorbeygehen lassen. Dann, ienen Wissenschafften obliegen, die dem Geist eine gewisse Richte geben, Dinge zu vergleichen, iedes an seinen Platz zu stellen, iedes Wehrt zu bestimmen (eine ächte Philosophie meyn ich, und eine gründliche Mathesin) Das ists, was wir ietzo zu thun haben.

Dabey müssen wir nichts seyn, sondern alles werden wollen, und besonders nicht öffter stille stehen und ruhen, als die Nothdurfft eines müden Geistes und Körpers erfordert.

Ich weiß wohl daß es uns beyden nicht iederzeit aufgeräumt ist zu tuhn was wir sollen; aber wenn man ein wenig seinen Vortheil kennt und Kräffte hat, so erweckt eine edle Empfindung leicht den Muth wieder. Die Morgenträgheit ist balde weg, wenn man sich nur einmal überwunden hat den Fus aus dem Bette zu setzen pp[244]


1/66.


An Susanna Katharina von Klettenberg

Gnädge Fräulen. d. 26. Aug.

Ich binn heute mit der kritischen Gemeine hingegangen, mich an des Herren Leiden und Todt zu erinnern, und Sie können rathen, warum ich mich diesen Nachmittag unterhalten, und einen so saumseeligen Brief, endlich im Ernste treiben will. Es geht unsern besten Freunden mit uns, wie es Gott selbst zu gehen pflegt; zu ieder Liebe gehört eine Sammlung, und ich wollte ausgeworffene Schaupfennige ehe wieder gesammelt haben, als zerstreute Gedancken, und besonders hier, unter denen Umständen worinn ich mich ietzo befinde.

Und doch scheinen sie nicht wenig zu versprechen. Die viele Menschen die ich sehe die vielen Zufälle die mir queer über kommen geben mir Erfahrungen und Kenntnisse von denen ich mir nichts habe träumen lassen. Ubrigens ist mein Körper iust so gesund um eine mäßige, und nötige Arbeit zu tragen, und um mich bey Gelegenheit zu erinnern daß ich weder an Leib noch an Seele ein Riese binn.

Mein Umgang mit denen frommen Leuten hier ist nicht gar starck, ich hatte mich im Anfange sehr starck an sie gewendet; aber es ist als wenn es nicht seyn sollte. Sie sind so von Herzen langweilig wenn[245] sie anfangen, daß es meine Lebhafftigkeit nicht aushalten konnte. Lauter Leute von mäsigem Verstande, die mit der ersten Religionsempfindung, auch den ersten vernünftigen Gedanken dachten, und nun meynen das wäre alles, weil sie sonst von nichts wissen; dabey so hällisch und meinem Graffen so feind, und so kirchlich und püncktlich, daß – ich Ihnen eben nichts weiter zu sagen brauche.

Es kömmt noch was dazu. Die Vorliebe für unsre eignen Empfindungen und Meynungen, die Eitelkeit eines ieden Nase dahin drehen zu wollen wohin unsre gewachsen ist; Fehler denen solche Leute die eine gute Sache haben mit der größten Sicherheit nachhängen.

Wie offt habe ich ** die Sache seiner Grillen und die Sache Gottes vermischen hören wenn er seinen Vetter ausschalt. Ich hab den Mann gern wir sind gute Freunde; aber schon als Hausvater ist er zu streng, und Sie können sich dencken was herauskommt wenn er die seiner Pflichten der Religion von seinen iungen rohen Leuten beobachtet haben will.

Eine andre Bekandtschafft, grad das Widerspiel von dieser, hat mir bisher nicht wenig genutzt. Ich soll durch alle Klassen gehn, so scheints gnädge Fräulen.

Herr ** ein Ideal für Mosheimen oder Jerusalemen, ein Mann, der durch viel Erfahrung mit viel Verstand gegangen ist; der bey der Kälte des Bluts[246] womit er von ieher die Welt betrachtet tat, gefunden zu haben glaubt: daß wir auf diese Welt gesetzt sind besonders um ihr nützlich zu seyn, daß wir uns dazu fähig machen können, wozu denn auch die Religion etwas hilfft; und daß der Brauchbaarste der beste ist. Und alles was draus folgt.

Uebermorgen ist mein Geburtstag; schweerlich wird eine neue Epoque von ihm angehen; dem sey wie ihm wolle so betet mit mir, für mich, daß alles werde, wie's werden soll.

Die Jurisprudenz fangt an mir sehr zu gefallen. So ists doch mit allem wie mit dem Merseburger Biere, das erstemal schauert man, und hat mans eine Woche getruncken, so kann mans nicht mehr laßen. Und die Chymie ist noch immer meine heimlich Geliebte.

Es ist doch immer noch der alte Geck! der[247]


1/68.


An Hetzler sen.

am 28. Sept.

Anfangen zu bemercken, und bemerckt zu werden, ist ein kurioser Punckt unsers Lebens, geliebter Freund. Der erste moralische Blick in die Welt so wenig als der erste phisikalische bringt unserm Kopf oder unserm Herzen eine deutliche Empfindung; man sieht, eh man weiß, daß das gesehen ist, und nur sehr lange hernach lernt man erkennen was man sieht. Freuen Sie Sich Sie haben noch lange zu leben, biss Ihnen der Gedancke kommt es sey in der Welt nichts mehr zu sehen.

Die Zeit wird Ihnen lang. Das vermuthete ich. Wenn man nichts anders thut, als sie sich vertrieben, so muß sie einem nothwendig offt zur Last werden; Und Sie sind so ein böser Mann daß Sie sich gern eine Mühe spaaren, wenigstens weiß ich nicht, ob Sie[248] die schönen Gaben die Sie in Sichfühlen, bisher nicht haben brauchen wollen, oder ob Sie nicht Gelegenheit genung gefunden haben, wollen zu können.

Die Akademischen Jahre die ietzt auf Sie warten, sollten von rechtswegen Ihren ganzen Geist beschäfftigen. Es ist diejenige Zeit, deren guten oder schlimmen Gebrauch, man sein ganzes Leben nachempfindet. Nun, wir sehn einander wieder, und dann wollen wir vom Vergangenen reden, das ietzo noch Zukunft ist.

Sie werden in vielen Sachen Ihre Gesinnungen ändern, nur bitte ich, behalten Sie Ihre Liebe für mich beständig, und lassen Sie Entfernung nur Entfernung seyn, einen Nebel der sich zwischen Gegenstände zieht und ohne sie zu ändern, ihre Gestalt unkenntlich macht. pp[249]


1/67.


An Moritz Joseph Engelbach

d. 30. Sept. 70.

Jeder hat doch seine Reihe in der Welt, wie im Schönerraritätenkasten. Ist der Kayser, mit der Armee vorüber gezogen. Schau sie, Guck sie, da kommt sich die Pabst mit seine Klerisey. Nun hab ich meine Rolle in der Kapitelstube auch ausgespielt, hierbey kommen Ihre Manuscripte, die mir artige Dienste geleistet haben.[247] Wie Sie leben vermuth ich. Bei mir ist alles ut supra. Im B. Hausse fährt man fort angenehm zu seyn. Der A. und ich, wir werden uns ehstens copuliren lassen. Der ganze Tisch grüßt Sie. Alle Jungen in der Stadt verfertigen Drachen, und ich poßle par compagnie an meiner Disputation. Leben Sie glücklich. Erinnern Sie sich meiner, erinnern Sie auch meine Freunde daß ich noch binn, und euch alle lieb habe.[248]


1/69.


An Katharina Fabricius?

am 14. Octb.

Soll ich Ihnen wieder einmal sagen daß ich noch lebe, und wohl lebe, und so vergnügt als es ein Mittelzustand erlaubt, oder soll ich schweigen, und lieber gar nicht, als beschämt an Sie denken? Ich dächte nein. Vergebung erhalten, ist für mein Herz eben so süße als Danck verdienen, ia noch süßer denn die Empfindung ist uneigennütziger. Sie haben mich[249] nicht vergessen, das weiß ich; Ich habe Sie nicht vergessen, das wissen Sie, ohngeachtet eines Stillschweigens dessen Dauer ich nicht berechnen mag. Ich habe niemals so lebhafft erfahren was das sey, vergnügt ohne daß das Herz einigen Anteil hat, als ietzo, als hier in Strasburg. Eine ausgebreitete Bekanntschatt unter angenehmen Leuten, eine aufgeweckte muntre Gesellschafft, iagt mir einen Tag nach dem andern vorüber läßt mir wenig Zeit zu dencken, und gar keine Ruhe zum Empfinden, und wenn man nichts empfindet, denckt man gewiß nicht an seine Freunde. Genug mein ietziges Leben ist vollkommen wie eine Schlittenfahrt, prächtig und klinglend, aber eben so wenig fürs Herz, als es für Augen und Ohren viel ist.

Sie sollten wohl nicht rahten wie mir ietzo so unverhofft der Einfall kömmt, Ihnen zu schreiben, und weil die Ursache so gar artig ist, muß ich's Ihnen sagen.

Ich habe einige Tage auf dem Lande bey gar angenehmen Leuten zugebracht. Die Gesellschafft der liebenswürdigen Töchter vom Hause, die schöne Gegend, und der freundlichste Himmel, weckten in meinem Herzen iede schlaffende Empfindung, iede Erinnerung an alles was ich liebe; daß ich kaum angelangt binn, als ich schon hier sitze und an Sie schreibe.

Und daraus können Sie sehen, in wie fern man seiner Freunde vergessen kann wenn's einem wohl geht.

[250] Es ist nur das schwärmende, zu bedauernde Glück, das uns unsrer selbst vergessen macht, das auch das Andencken an Geliebte verdunckelt; aber wenn man sich ganz fühlt, und still ist und die reinen Freuden der Liebe und Freundschafft genießt, dann ist durch eine besondere Sympatie, iede unterbrochne Freundschafft, iede halbverschiedne Zärtlichkeit wieder auf einmal lebendig. Und Sie, meine liebe Freundinn, die ich unter vielen vorzüglich so nennen kann, nehmen Sie diesen Brief als ein neues Zeugniß daß ich Sie nie vergessen werde. Leben Sie glücklich pp.


1/70.


An Friederike Brion

Liebe neue Freundinn,

Str. am 15. Ocbr.

Ich zweifle nicht Sie so zu nennen; denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe; so fand mein Aug, im ersten Blick, die Hoffnung zu dieser Freundschafft in Ihrem, und für unsre Herzen wollt ich schwören; Sie zärtlich und gut wie ich Sie kenne, sollten Sie mir, da ich Sie so lieb habe, nicht wieder ein Bissgen günstig seyn?


Liebe liebe Freundinn,

Ob ich Ihnen was zu sagen habe, ist wohl keine Frage; ob ich aber iust weiß warum ich eben ietzo[251] schreiben will, und was ich schreiben mögte, das ist ein anders; soviel merck ich an einer gewißen innerlichen Unruhe, daß ich gerne bey Ihnen seyn mögte; und in dem Falle ist ein Stückgen Papier so ein wahrer Trost, so ein geflügeltes Pferd, für mich, hier, mitten in dem lärmenden Strasburg, als es Ihnen, in Ihrer Ruhe nur seyn kann, wenn Sie die Entfernung von Ihnen Freunden recht lebhafft fühlen.

Die Umstände unserer Rückreise können Sie Sich ohngefähr vorstellen, wenn Sie mir beym Abschiede ansehen konnten, wie leid er mir that; und wenn Sie beobachteten, wie sehr Weyland nach Hause eilte, so gern er auch unter andern Umständen bey Ihnen geblieben wäre. Seine Gedancken gingen vorwärts, meine zurück, und so ist natürlich daß der Diskurs weder weitläuffig noch interessant werden konnte.

Zu Ende der Wanzenau machten wir Spekulation den Weeg abzukürzen, und verirrten uns glücklich zwischen den Morästen, die Nacht brach herein, und es fehlte nichts, als daß der Regen, der einige Zeit nachher ziemlich freygebig erschien, sich um etwas übeitelt hätte; so würden wir alle Ursache gefunden haben, von der Liebe und TreuF unser Prinzessinnen vollkommen überzeugt zu seyn.

Unterdessen war mir die Rolle, die ich, aus Furcht sie zu verliehren, beständig in der Hand trug, ein rechter Talisman der mir die Beschweerlichkeiten der Reise alle hinwegzauberte. Und noch? O, ich mag[252] nichts sagen, entweder Sie können's rathen, oder Sie glaubens nicht.

Endlich langten wir an, und der erste Gedancke, den wir hatten, der auch schon auf dem Weeg unsre Freude gewesen war, endigte sich in ein Projeckt, Sie balde wiederzusehen.

Es ist ein gar zu herziges Ding um die Hoffnung, wiederzusehen. Und wir andern mit denen verwöhnten Herzgen, wenn uns ein Bissigen was leid thut, gleich sind wir mit der Arzeney da, und sagen: Liebes Herzgen, sey ruhig, du wirst nicht lange von Ihnen entfernt bleiben, von denen Leuten, die du liebst; sey ruhig liebes Herzgen! Und dann geben wir ihm inzwischen ein Schattenbild, daß es doch was hat, und dann ist es geschickt und still wie ein kleines Kind, dem die Mama eine Puppe statt des Apfels giebt, wovon es nicht essen sollte.

Genung, wir sind hier, und sehen Sie daß Sie Unrecht hatten! Sie wollten nicht glauben daß mir der Stadtlärm, auf Ihr süße Landfreuden mißfallen würde.

Gewiß Mamsell, Strasburg ist mir noch nie so leer vorgekommen als ietzo. Zwar hoff ich es soll besser werden, wenn die Zeit das Andencken unsrer niedlichen und Muthwilligen Lustbaarkeiten ein wenig ausgelöscht haben wird, wenn ich nicht mehr so lebhafft fühlen werde, wie gut, wie angenehm meine Freundinn ist. Doch sollte ich das vergessen können[253] oder wollen? Nein, ich will lieber das Wenig Herzwehe behalten, und offt an Sie schreiben.

Und nun noch vielen Dank, noch viele aufrichtige Empfelungen Ihren Teuern Eltern; Ihrer lieben Schwester, viel hundert – was ich Ihnen gerne wieder gäbe.


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abteilung, Bd. 1, S. 223-254.
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