Blumen- und Zeichenwechsel

[235] Um nicht zu viel Gutes von der sogenannten Blumensprache zu denken oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren lassen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauß als Geheimschrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bei einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchstaben bilden, sondern alles Sichtbare, Transportable wird mit gleichem Rechte angewendet.

Doch wie das geschehe, um eine Mitteilung, einen Gefühl – und Gedankenwechsel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigenschaften orientalischer Poesie vor Augen haben: den weit umgreifenden Blick über alle Weltgegenstände, die Leichtigkeit zu reimen, sodann aber eine gewisse Lust und Richtung der Nation, Rätsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit ausbildet, Rätsel aufzulösen, welches denjenigen deutlich sein[235] wird, deren Talent sich dahin neigt, Scharaden, Logogryphen und dergleichen zu behandeln.

Hiebei ist nun zu bemerken: wenn ein Liebendes dem Geliebten irgendeinen Gegenstand zusendet, so muß der Empfangende sich das Wort aussprechen und suchen, was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte. Daß hiebei eine leidenschaftliche Divination obwalten müsse, fällt sogleich in die Augen. Ein Beispiel kann die Sache deutlich machen, und so sei folgender kleine Roman in einer solchen Korrespondenz durchgeführt.

Die Wächter sind gebändiget

Durch süße Liebestaten;

Doch wie wir uns verständiget,

Das wollen wir verraten;

Denn, Liebchen, was uns Glück gebracht,

Das muß auch andern nutzen,

So wollen wir der Liebesnacht

Die düstern Lampen putzen.

Und wer sodann mit uns erreicht,

Das Ohr recht abzufeimen,

Und liebt wie wir, dem wird es leicht,

Den rechten Sinn zu reimen.

Ich schickte dir, du schicktest mir,

Es war sogleich verstanden.


Amarante Ich sah und brannte. Raute Wer schaute? Haar vom Tiger Ein kühner Krieger. Haar der Gazelle und An welcher Stelle? Büschel von Haaren ist Du sollst's erfahren. Kreide Meide. Stroh demIch brenne lichterloh. Trauben Will's erlauben.[236] Korallen Kannst mir gefallen. Mandelkern Sehr gern. Rüben Willst mich betrüben. Karotten unter Willst meiner spotten. Zwiebeln Was willst du grübeln? Trauben, die weißen hie-Was soll das heißen? Trauben, die blauen fällt Soll ich vertrauen? Quecken Du willst mich necken. Nelken deutlich Soll ich verwelken? Narzissen kleine Du mußt es wissen. Veilchen Wart ein Weilchen. Kirschen Willst mich zerknirschen. Feder vom Raben Ich muß dich haben. Vom Papageien Mußt mich befreien. Maronen

Wo wollen wir wohnen? Blei Glück Ich bin dabei. Rosenfarb muß Die Freude starb. Seide Ich leide. Bohnen Liebesnacht Will dich schonen. Majoran Lampen Geht mich nichts an. Blau sodann Nimm's nicht genau. Traube Ich glaube. Beeren Will's verwehren. Feigen Kannst du schweigen? Gold wird Ich bin dir hold. Leder rechten Gebrauch die Feder. Papier So bin ich dir. Maßlieben Schreib nach Belieben. Nachtviolen Ich laß es holen. Ein Faden Bist eingeladen. Ein Zweig Mach keinen Streich. Strauß Ich bin zu Haus. Winden Gazelle Wirst mich finden. Myrten Büschel Will dich bewirten. Jasmin sollst's Nimm mich hin. Melissen Stroh*** auf einem Kissen.[237] Zypressen Will's vergessen. Bohnenblüte mir Du falsch Gemüte. Kalk gern. Bist ein Schalk. Kohlen Mag der *** dich holen. Und hätte mit Boteinah so

Nicht Dschemil sich verstanden,

Wie wäre denn so frisch und froh

Ihr Name noch vorhanden?


Vorstehende seltsame Mitteilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander gewogenen Personen auszuüben sein. Sobald der Geist eine solche Richtung nimmt, tut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur eine.

Zwei liebende Paare machen eine Lustfahrt von einigen Meilen, bringen einen frohen Tag miteinander zu; auf der Rückkehr unterhalten sie sich, Scharaden aufzugeben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich erraten, sondern zuletzt sogar das Wort, das der andere denkt und eben zum Worträtsel umbilden will, durch die unmittelbarste Divination erkannt und ausgesprochen.

Indem man dergleichen zu unsern Zeiten erzählt und beteuert, darf man nicht fürchten, lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zutage gebracht hat.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 235-238.
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