Endlicher Abschluß!

[310] Inwiefern es uns gelungen ist, den urältesten, abgeschiedenen Orient an den neusten, lebendigsten anzuknüpfen, werden Kenner und Freunde mit Wohlwollen beurteilen. Uns kam jedoch abermals einiges zur Hand, das, der Geschichte des Tags angehörig, zu frohem und belebtem Schlusse des Ganzen erfreulich dienen möchte.

Als vor etwa vier Jahren der nach Petersburg bestimmte persische Gesandte die Aufträge seines Kaisers erhielt, versäumte die erlauchte Gemahlin des Monarchen keineswegs diese Gelegenheit, sie sendete vielmehr von ihrer Seite bedeutende Geschenke Ihro der Kaiserinmutter aller Reußen Majestät, begleitet von einem Briefe, dessen Übersetzung wir mitzuteilen das Glück haben.


[310] Schreiben der Gemahlin des Kaisers von Persien an Ihro Majestät die Kaiserinmutter aller Reußen


Solange die Elemente dauern, aus welchen die Welt besteht, möge die erlauchte Frau des Palasts der Größe, das Schatzkästchen der Perle des Reiches, die Konstellation der Gestirne der Herrschaft, die, welche die glänzende Sonne des großen Reiches getragen, den Zirkel des Mittelpunkts der Oberherrschaft, den Palmbaum der Frucht der obersten Gewalt, möge sie immer glücklich sein und bewahrt vor allen Unfällen.

Nach dargebrachten diesen meinen aufrichtigsten Wünschen hab ich die Ehre anzumelden, daß, nachdem in unsern glücklichen Zeiten durch Wirkung der großen Barmherzigkeit des allgewaltigen Wesens die Gärten der zwei hohen Mächte aufs neue frische Rosenblüten hervortreiben und alles, was sich zwischen die beiden herrlichen Höfe eingeschlichen, durch aufrichtigste Einigkeit und Freundschaft beseitigt ist, auch in Anerkennung dieser großen Wohltat nunmehr alle, welche mit einem oder dem andern Hofe verbunden sind, nicht aufhören werden, freundschaftliche Verhältnisse und Briefwechsel zu unterhalten.

Nun also in diesem Momente, da Seine Exzellenz Mirza Abul Hassan Khan, Gesandter an dem großen russischen Hofe, nach dessen Hauptstadt abreist, hab ich nötig gefunden, die Türe der Freundschaft durch den Schlüssel dieses aufrichtigen Briefes zu eröffnen. Und weil es ein alter Gebrauch ist, gemäß den Grundsätzen der Freundschaft und Herzlichkeit, daß Freunde sich Geschenke darbringen, so bitte ich, die dargebotenen artigsten Schmuckwaren unseres Landes gefällig aufzunehmen. Ich hoffe, daß Sie dagegen durch einige Tropfen freundlicher Briefe den Garten eines Herzens erquicken werden, das Sie höchlich liebt. Wie ich denn bitte, mich mit Aufträgen zu erfreuen, die ich angelegentlichst zu erfüllen mich erbiete.

Gott erhalte Ihre Tage rein, glücklich und ruhmvoll.


[311] Geschenke


Eine Perlenschnur, an Gewicht 498 Karat.

Fünf indische Schals.

Ein Pappenkästchen, Ispahanische Arbeit.

Eine kleine Schachtel, Federn darein zu legen.

Behältnis mit Gerätschaften zu notwendigem Gebrauch.

Fünf Stück Brokate.

Wie ferner der in Petersburg verweilende Gesandte über die Verhältnisse beider Nationen sich klug, bescheidentlich ausdrückt, konnten wir unsern Landsleuten im Gefolg der Geschichte persischer Literatur und Poesie schon oben darlegen.

Neuerdings aber finden wir diesen gleichsam gebornen Gesandten auf seiner Durchreise für England in Wien von Gnadengaben seines Kaisers erreicht, denen der Herrscher selbst durch dichterischen Ausdruck Bedeutung und Glanz vollkommen verleihen will. Auch diese Gedichte fügen wir hinzu als endlichen Schlußstein unseres zwar mit mancherlei Materialien, aber doch, Gott gebe! dauerhaft aufgeführten Domgewölbes.
[312]

Endlicher Abschluß

Auf die Fahne


Fetch Ali Schah, der Türk, ist Dschemschid gleich, Weltlicht und Irans Herr, der Erden Sonne. Sein Schirm wirft auf die Weltflur weiten Schatten, Sein Gurt haucht Muskus in Saturns Gehirn. Iran ist Löwenschlucht, sein Fürst die Sonne; Drum prangen Leu und Sonn in Daras Banner. Das Haupt des Boten Abul Hassan Khan Erhebt zum Himmelsdom das seidne Banner. Aus Liebe ward nach London er gesandt Und brachte Glück und Heil dem Christenherrn.[313]

Endlicher Abschluß

Auf das Ordensband mit dem Bilde

der Sonne und des Königes


Es segne Gott dies Band des edlen Glanzes; Die Sonne zieht den Schleier vor ihm weg. Sein Schmuck kam von des zweiten Mani Pinsel, Das Bild Fetch Ali Schahs mit Sonnenkrone. Ein Bote groß des Herrn mit Himmelshof Ist Abul Hassan Khan, gelehrt und weise, Von Haupt zu Fuß gesenkt in Herrschersperlen; Den Dienstweg schritt vom Haupt zum Ende er. Da man sein Haupt zur Sonne wollt erheben,[314] Gab man ihm mit die Himmelssonn als Diener. So frohe Botschaft ist von großem Sinn Für den Gesandten edel und belobt; Sein Bund ist Bund des Weltgebieters Dara, Sein Wort ist Wort des Herrn mit Himmelsglanz.

Die orientalischen Höfe beobachten unter dem Schein einer kindlichen Naivetät ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Beweis davon.

Die neueste russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirza Abul Hassan Khan zwar bei Hofe, aber nicht in ausgezeichneter Gunst; er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann mit stattlichem Gefolge nach England gesendet; um ihn aber recht zu verherrlichen, bedient man sich eines eignen Mittels. Man stattet ihn bei seiner Abreise nicht mit allen Vorzügen aus, die man ihm zudenkt, sondern läßt ihn mit Kreditiven, und was sonst nötig ist, seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auffallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleichnis der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn zum Stellvertreter der höchsten Macht, in und mit ihm ist die Majestät gegenwärtig. Dabei aber läßt man's nicht bewenden, Gedichte werden hinzugefügt, die nach orientalischer Weise in glänzenden Metaphern und Hyperbeln Fahne, Sonne und Ebenbild erst verherrlichen.

Zum bessern Verständnisse des Einzelnen fügen wir wenige Bemerkungen hinzu. Der Kaiser nennt sich einen Türken, als aus dem Stamme Katschar entsprungen, welcher zur türkischen Zunge gehört. Es werden nämlich alle Hauptstämme Persiens, welche das Kriegsheer stellen, nach Sprache[315] und Abstammung geteilt in die Stämme der türkischen, kurdischen, lurischen und arabischen Zunge.

Er vergleicht sich mit Dschemschid, wie die Perser ihre mächtigen Fürsten mit ihren alten Königen, in Beziehung auf gewisse Eigenschaften, zusammenstellen: Feridun an Würde, ein Dschemschid an Glanz, Alexander an Macht, ein Darius an Schutz. Schirm ist der Kaiser selbst, Schatten Gottes auf Erden, nur bedarf er freilich am heißen Sommertage eines Schirms; dieser aber beschattet ihn nicht allein, sondern die ganze Welt. Der Moschusgeruch, der feinste, dauerndste, teilbarste, steigt von des Kaisers Gürtel bis in Saturns Gehirn. Saturn ist für sie noch immer der oberste der Planeten, sein Kreis schließt die untere Welt ab, hier ist das Haupt, das Gehirn des Ganzen, wo Gehirn ist, sind Sinne, der Saturn ist also noch empfänglich für Moschusgeruch, der von dem Gürtel des Kaisers aufsteigt. Dara ist der Name Darius und bedeutet Herrscher; sie lassen auf keine Weise von der Erinnerung ihrer Voreltern los. Daß Iran Löwenschlucht genannt wird, finden wir deshalb bedeutend, weil der Teil von Persien, wo jetzt der Hof sich gewöhnlich aufhält, meist gebirgig ist und sich gar wohl das Reich als eine Schlucht denken läßt, von Kriegern, Löwen bevölkert. Das seidene Banner erhöhet nun ausdrücklich den Gesandten so hoch als möglich, und ein freundliches, liebevolles Verhältnis zu England wird zuletzt ausgesprochen.

Bei dem zweiten Gedicht können wir die allgemeine Anmerkung vorausschicken, daß Wortbezüge der persischen Dichtkunst ein inneres anmutiges Leben verleihen; sie kommen oft vor und erfreuen uns durch sinnigen Anklang.

Das Band gilt auch für jede Art von Bezirkung, die einen Eingang hat und deswegen wohl auch eines Pförtners bedarf, wie das Original sich ausdrückt und sagt: »dessen Vorhang (oder Tor) die Sonne aufhebt (öffnet)«, denn das Tor vieler orientalischen Gemächer bildet ein Vorhang; der Halter und Aufheber des Vorhanges ist daher der Pförtner. Unter Mani ist Manes gemeint, Sektenhaupt der Manichäer; er soll ein[316] geschickter Maler gewesen sein und seine seltsamen Irrlehren hauptsächlich durch Gemälde verbreitet haben. Er steht hier, wie wir Apelles und Raffael sagen würden. Bei dem Wort Herrscherperlen fühlt sich die Einbildungskraft seltsam angeregt. Perlen gelten auch für Tropfen, und so wird ein Perlenmeer denkbar, in welches die gnädige Majestät den Günstling untertaucht. Zieht sie ihn wieder hervor, so bleiben die Tropfen an ihm hängen, und er ist köstlich geschmückt von Haupt zu Fuß. Nun aber hat der Dienstweg auch Haupt und Fuß, Anfang und Ende, Beginn und Ziel; weil nun also diesen der Diener treu durchschritten, wird er gelobt und belohnt. Die folgenden Zeilen deuten abermals auf die Absicht, den Gesandten überschwenglich zu erhöhen und ihm an dem Hofe, wo er hingesandt worden, das höchste Vertrauen zu sichern, eben als wenn der Kaiser selbst gegenwärtig wäre. Daraus wir denn schließen, daß die Absendung nach England von der größten Bedeutung sei.

Man hat von der persischen Dichtkunst mit Wahrheit gesagt, sie sei in ewiger Diastole und Systole begriffen; vorstehende Gedichte bewahrheiten diese Ansicht. Immer geht es darin ins Grenzenlose und gleich wieder ins Bestimmte zurück. Der Herrscher ist Weltlicht und zugleich seines Reiches Herr, der Schirm, der ihn vor der Sonne schützt, breitet seine Schatten über die Weltflur aus, die Wohlgerüche seines Leibgurts sind dem Saturn noch ruchbar, und so weiter fort strebt alles hinaus und herein, aus den fabelhaftesten Zeiten zum augenblicklichen Hoftag. Hieraus lernen wir abermals, daß ihre Tropen, Metaphern, Hyperbeln niemals einzeln, sondern im Sinn und Zusammenhange des Ganzen aufzunehmen sind.

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 310-317.
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