[209] Nach Weise von Dschami und seiner Zeit vermischten folgende Dichter Poesie und Prosa immer mehr, so daß für alle Schreibarten nur ein Stil angewendet wurde. Geschichte, Poesie, Philosophie, Kanzlei- und Briefstil, alles wird auf gleiche Weise vorgetragen, und so geht es nun schon drei Jahrhunderte fort. Ein Muster des Allerneusten sind wir glücklicherweise imstande vorzulegen.
Als der persische Botschafter, Mirza Abul Hassan Khan, sich in Petersburg befand, ersuchte man ihn um einige Zeilen seiner Handschrift. Er war freundlich genug, ein Blatt zu schreiben, wovon wir die Übersetzung hier einschalten:
»Ich bin durch die ganze Welt gereist, bin lange mit vielen Personen umgegangen, jeder Winkel gewährte mir einigen Nutzen, jeder Halm eine Ähre, und doch habe ich keinen Ort gesehen, dieser Stadt vergleichbar noch ihren schönen Huris. Der Segen Gottes ruhe immer auf ihr! –
Wie wohl hat jener Kaufmann gesprochen, der unter die Räuber fiel, die ihre Pfeile auf ihn richteten! Ein König, der den Handel unterdrückt, verschließt die Türe des Heils vor dem Gesichte seines Heeres. Welcher Verständige möchte bei solchem Ruf der Ungerechtigkeit sein Land besuchen? Willst du einen guten Namen erwerben, so behandle mit Achtung Kaufleute und Gesandte. Die Großen behandeln Reisende wohl, um sich einen guten Ruf zu machen. Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter. Sei ein Freund[209] der Fremden und Reisenden, denn sie sind als Mittel eines guten Rufs zu betrachten; sei gastfrei, schätze die Vorüberziehenden, hüte dich, ungerecht gegen sie zu sein. Wer diesen Rat des Gesandten befolgt, wird gewiß Vorteil davon ziehen.
Man erzählt, daß Omar ebn abd el asis ein mächtiger König war und nachts in seinem Kämmerlein voll Demut und Unterwerfung, das Angesicht zum Throne des Schöpfers wendend, sprach: ›O Herr! Großes hast du anvertraut der Hand des schwachen Knechtes; um der Herrlichkeit der Reinen und Heiligen deines Reiches willen, verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit, bewahre mich vor der Bosheit der Menschen; ich fürchte, daß das Herz eines Unschuldigen durch mich könne betrübt worden sein und Fluch des Unterdrückten meinem Nacken folge. Ein König soll immer an die Herrschaft und das Dasein des höchsten Wesens gedenken, an die fortwährende Veränderlichkeit der irdischen Dinge, er soll bedenken, daß die Krone von einem würdigen Haupt auf ein unwürdiges übergeht, und sich nicht zum Stolze verleiten lassen. Denn ein König, der hochmütig wird, Freund und Nachbarn verachtet, kann nicht lange auf seinem Throne gedeihen; man soll sich niemals durch den Ruhm einiger Tage aufblähen lassen. Die Welt gleicht einem Feuer, das am Wege angezündet ist; wer so viel davon nimmt als nötig, um sich auf dem Wege zu leuchten, erduldet kein Übel, aber wer mehr nimmt, verbrennt sich.‹
Als man den Plato fragte, wie er in dieser Welt gelebt habe, antwortete er: ›Mit Schmerzen bin ich hereingekommen, mein Leben war ein anhaltendes Erstaunen, und ungern geh ich hinaus, und ich habe nichts gelernt, als daß ich nichts weiß.‹ Bleibe fern von dem, der etwas unternimmt und unwissend ist, von einem Frommen, der nicht unterrichtet ist; man könnte sie beide einem Esel vergleichen, der die Mühle dreht, ohne zu wissen, warum. Der Säbel ist gut anzusehen, aber seine Wirkungen sind unangenehm. Ein wohldenkender[210] Mann verbindet sich Fremden, aber der Bösartige entfremdet sich seinem Nächsten. Ein König sagte zu einem, der Behlul hieß: ›Gib mir einen Rat.‹ Dieser versetzte: ›Beneide keinen Geizigen, keinen ungerechten Richter, keinen Reichen, der sich nicht aufs Haushalten versteht, keinen Freigebigen, der sein Geld unnütz verschwendet, keinen Gelehrten, dem das Urteil fehlt.‹ Man erwirbt in der Welt entweder einen guten oder einen bösen Namen, da kann man nun zwischen beiden wählen, und da nun ein jeder sterben muß, gut oder bös, glücklich der, welcher den Ruhm eines Tugendhaften vorzog.
Diese Zeilen schrieb, dem Verlangen eines Freundes gemäß, im Jahr 1231 der Hegire, den Tag des Demazsul Sani, nach christlicher Zeitrechnung am... Mai 1816, Mirza Abul Hassan Khan, von Schiras, während seines Aufenthalts in der Hauptstadt St. Petersburg, als außerordentlicher Abgesandter Sr. Majestät von Persien Fetch Ali Schah Catschar. Er hofft, daß man mit Güte einem Unwissenden verzeihen wird, der es unternahm, einige Worte zu schreiben.«
Wie nun aus Vorstehendem klar ist, daß seit drei Jahrhunderten sich immer eine gewisse Prosa-Poesie erhalten hat und Geschäfts- und Briefstil öffentlich und in Privatverhandlungen immer derselbige bleibt, so erfahren wir, daß in der neusten Zeit am persischen Hofe sich noch immer Dichter befinden, welche die Chronik des Tages und also alles, was der Kaiser vornimmt und was sich ereignet, in Reime verfaßt und zierlich geschrieben, einem hiezu besonders bestellten Archivarius überliefern. Woraus denn erhellt, daß in dem unwandelbaren Orient seit Ahasverus' Zeiten, der sich solche Chroniken bei schlaflosen Nächten vorlesen ließ, sich keine weitere Veränderung zugetragen hat.
Wir bemerken hiebei, daß ein solches Vorlesen mit einer gewissen Deklamation geschehe, welche mit Emphase, einem Steigen und Fallen des Tons vorgetragen wird und mit der[211] Art, wie die französischen Trauerspiele deklamiert werden, sehr viel Ähnlichkeit haben soll. Es läßt sich dies um so eher denken, als die persischen Doppelverse einen ähnlichen Kontrast bilden wie die beiden Hälften des Alexandriners.
Und so mag denn auch diese Beharrlichkeit die Veranlassung sein, daß die Perser ihre Gedichte seit achthundert Jahren noch immer lieben, schätzen und verehren; wie wir denn selbst Zeuge gewesen, daß ein Orientale ein vorzüglich eingebundenes und erhaltenes Manuskript des Mesnewi mit ebensoviel Ehrfurcht, als wenn es der Koran wäre, betrachtete und behandelte.
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