[278] Aus einem uralten römischen Geschlechte, das seinen Stammbaum bis auf die edlen Familien der Republik zurückführen durfte, ward Pietro della Valle geboren im Jahre 1586, zu einer Zeit, da die sämtlichen Reiche Europens sich einer hohen geistigen Bildung erfreuten. In Italien lebte Tasso noch, obgleich in traurigem Zustande; doch wirkten seine Gedichte auf alle vorzügliche Geister. Die Verskunst hatte sich so weit verbreitet, daß schon Improvisatoren hervortraten und kein junger Mann von freiern Gesinnungen des Talents entbehren durfte, sich reimweis auszudrücken. Sprachstudium, Grammatik, Red- und Stilkunst wurden gründlich behandelt, und so wuchs in allen diesen Vorzügen unser Jüngling sorgfältig gebildet heran.
Waffenübungen zu Fuß und zu Roß, die edle Fecht- und Reitkunst dienten ihm zu täglicher Entwickelung körperlicher Kräfte und der damit innig verbundenen Charakterstärke.[278] Das wüste Treiben früherer Kreuzzüge hatte sich nun zur Kriegskunst und zu ritterlichem Wesen herangebildet, auch die Galanterie in sich aufgenommen. Wir sehen den Jüngling, wie er mehreren Schönen, besonders in Gedichten, den Hof macht, zuletzt aber höchst unglücklich wird, als ihn die eine, die er sich anzueignen, mit der er sich ernstlich zu verbinden gedenkt, hintansetzt und einem Unwürdigen sich hingibt. Sein Schmerz ist grenzenlos, und um sich Luft zu machen, beschließt er, im Pilgerkleide nach dem Heiligen Lande zu wallen.
Im Jahre 1614 gelangt er nach Konstantinopel, wo sein adeliges, einnehmendes Wesen die beste Aufnahme gewinnt. Nach Art seiner früheren Studien wirft er sich gleich auf die orientalischen Sprachen, verschafft sich zuerst eine Übersicht der türkischen Literatur, Landesart und Sitten und begibt sich sodann, nicht ohne Bedauern seiner neu erworbenen Freunde, nach Ägypten. Seinen dortigen Aufenthalt nutzt er ebenfalls, um die altertümliche Welt und ihre Spuren in der neueren auf das ernstlichste zu suchen und zu verfolgen; von Kairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab der heiligen Katharina zu verehren, und kehrt, wie von einer Lustreise, zur Hauptstadt Ägyptens zurück; gelangt, von da zum zweiten Male abreisend, in sechzehn Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre Maß der Entfernung beider Städte sich unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort, das heilige Grab verehrend, erbittet er sich vom Erlöser, wie früher schon von der heiligen Katharina, Befreiung von seiner Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, daß er ein Tor gewesen, die bisher Angebetete für die einzige zu halten, die eine solche Huldigung verdiene; seine Abneigung gegen das übrige weibliche Geschlecht ist verschwunden, er sieht sich nach einer Gemahlin um und schreibt seinen Freunden, zu denen er bald zurückzukehren hofft, ihm eine würdige auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte betreten und bebetet, wozu ihm die Empfehlung seiner Freunde von Konstantinopel,[279] am meisten aber ein ihm zur Begleitung mitgegebener Capighi die besten Dienste tun, reist er mit dem vollständigsten Begriff dieser Zustände weiter, erreicht Damaskus, sodann Aleppo, woselbst er sich in syrische Kleidung hüllt und seinen Bart wachsen läßt. Hier nun begegnet ihm ein bedeutendes, schicksalbestimmendes Abenteuer. Ein Reisender gesellt sich zu ihm, der von der Schönheit und Liebenswürdigkeit einer jungen georgischen Christin, die sich mit den Ihrigen zu Bagdad aufhält, nicht genug zu erzählen weiß, und Valle verliebt sich, nach echt orientalischer Weise, in ein Wortbild, dem er begierig entgegenreist. Ihre Gegenwart vermehrt Neigung und Verlangen, er weiß die Mutter zu gewinnen, der Vater wird beredet, doch geben beide seiner ungestümen Leidenschaft nur ungerne nach; ihre geliebte, anmutige Tochter von sich zu lassen scheint ein allzu großes Opfer. Endlich wird sie seine Gattin, und er gewinnt dadurch für Leben und Reise den größten Schatz. Denn ob er gleich mit adeligem Wissen und Kenntnis mancher Art ausgestattet die Wallfahrt angetreten und in Beobachtung dessen, was sich unmittelbar auf den Menschen bezieht, so aufmerksam als glücklich und im Betragen gegen jedermann in allen Fällen musterhaft gewesen, so fehlt es ihm doch an Kenntnis der Natur, deren Wissenschaft sich damals nur noch in dem engen Kreise ernster und bedächtiger Forscher bewegte. Daher kann er die Aufträge seiner Freunde, die von Pflanzen und Hölzern, von Gewürzen und Arzneien Nachricht verlangen, nur unvollkommen befriedigen; die schöne Maani aber, als ein liebenswürdiger Hausarzt, weiß von Wurzeln, Kräutern und Blumen, wie sie wachsen, von Harzen, Balsamen, Ölen, Samen und Hölzern, wie sie der Handel bringt, genugsam Rechenschaft zu geben und ihres Gatten Beobachtung der Landesart gemäß zu bereichern.
Wichtiger aber ist diese Verbindung für Lebens- und Reisetätigkeit. Maani, zwar vollkommen weiblich, zeigt sich von resolutem, allen Ereignissen gewachsenem Charakter; sie fürchtet keine Gefahr, ja sucht sie eher auf und beträgt[280] sich überall edel und ruhig; sie besteigt auf Mannsweise das Pferd, weiß es zu bezähmen und anzutreiben, und so bleibt sie eine muntere, aufregende Gefährtin. Ebenso wichtig ist es, daß sie unterwegs mit den sämtlichen Frauen in Berührung kommt und ihr Gatte daher von den Männern gut aufgenommen, bewirtet und unterhalten wird, indem sie sich auf Frauenweise mit den Gattinnen zu betun und zu beschäftigen weiß.
Nun genießt aber erst das junge Paar eines bei den bisherigen Wanderungen im türkischen Reiche unbekannten Glücks. Sie betreten Persien im dreißigsten Jahre der Regierung Abbas' des Zweiten, der sich, wie Peter und Friedrich, den Namen des Großen verdiente. Nach einer gefahrvollen, bänglichen Jugend wird er sogleich beim Antritt seiner Regierung aufs deutlichste gewahr, wie er, um sein Reich zu beschützen, die Grenzen erweitern müsse und was für Mittel es gebe, auch innerliche Herrschaft zu sichern; zugleich geht Sinnen und Trachten dahin, das entvölkerte Reich durch Fremdlinge wiederherzustellen und den Verkehr der Seinigen durch öffentliche Wege- und Gastanstalten zu beleben und zu erleichtern. Die größten Einkünfte und Begünstigungen verwendet er zu grenzenlosen Bauten. Ispahan, zur Hauptstadt gewürdigt, mit Palästen und Gärten, Karawansereien und Häusern für königliche Gäste übersäet; eine Vorstadt für die Armenier erbaut, die sich dankbar zu beweisen ununterbrochen Gelegenheit finden, indem sie, für eigene und für königliche Rechnung handelnd, Profit und Tribut dem Fürsten zu gleicher Zeit abzutragen klug genug sind. Eine Vorstadt für Georgier, eine andere für Nachfahren der Feueranbeter erweitern abermals die Stadt, die zuletzt so grenzenlos als einer unserer neuen Reichsmittelpunkte sich erstreckt. Römisch-katholische Geistliche, besonders Karmeliten, sind wohl aufgenommen und beschützt; weniger die griechische Religion, die, unter dem Schutz der Türken stehend, dem allgemeinen Feinde Europens und Asiens anzugehören scheint.[281]
Über ein Jahr hatte sich della Valle in Ispahan aufgehalten und seine Zeit ununterbrochen tätig benutzt, um von allen Zuständen und Verhältnissen genau Nachricht einzuziehen. Wie lebendig sind daher seine Darstellungen! wie genau seine Nachrichten! Endlich, nachdem er alles ausgekostet, fehlt ihm noch der Gipfel des ganzen Zustandes, die persönliche Bekanntschaft des von ihm so hoch bewunderten Kaisers, der Begriff, wie es bei Hof, im Gefecht, bei der Armee zugehe.
In dem Lande Mazenderan, der südlichen Küste des Kaspischen Meers, in einer freilich sumpfigen, ungesunden Gegend, legte sich der tätige, unruhige Fürst abermals eine große Stadt an, Ferhabad benannt, und bevölkerte sie mit beorderten Bürgern; sogleich in der Nähe erbaut er sich manchen Bergsitz auf den Höhen des amphitheatralischen Kessels, nicht allzuweit von seinen Gegnern, den Russen und Türken, in einer durch Bergrücken geschützten Lage. Dort residiert er gewöhnlich, und della Valle sucht ihn auf. Mit Maani kommt er an, wird wohl empfangen, nach einem orientalisch klugen, vorsichtigen Zaudern dem Könige vorgestellt, gewinnt dessen Gunst und wird zur Tafel und Trinkgelagen zugelassen, wo er vorzüglich von europäischer Verfassung, Sitte, Religion dem schon wohlunterrichteten, wissensbegierigen Fürsten Rechenschaft zu geben hat.
Im Orient überhaupt, besonders aber in Persien, findet sich eine gewisse Naivetät und Unschuld des Betragens durch alle Stände bis zur Nähe des Throns. Zwar zeigt sich auf der obern Stufe eine entschiedene Förmlichkeit, bei Audienzen, Tafeln und sonst; bald aber entsteht in des Kaisers Umgebung eine Art von Karnevalsfreiheit, die sich höchst scherzhaft ausnimmt. Erlustigt sich der Kaiser in Gärten und Kiosken, so darf niemand in Stiefeln auf die Teppiche treten, worauf der Hof sich befindet. Ein tartarischer Fürst kömmt an, man zieht ihm den Stiefel aus; aber er, nicht geübt, auf einem Beine zu stehen, fängt an zu wanken; der Kaiser selbst tritt nun hinzu und hält ihn, bis die Operation vorüber ist. Gegen Abend steht der Kaiser in einem Hofzirkel,[282] in welchem goldene, weingefüllte Schalen herumkreisen; mehrere von mäßigem Gewicht, einige aber durch einen verstärkten Boden so schwer, daß der ununterrichtete Gast den Wein verschüttet, wo nicht gar den Becher zu höchster Belustigung des Herrn und der Eingeweihten fallen läßt. Und so trinkt man im Kreise herum, bis einer, unfähig, länger sich auf den Füßen zu halten, weggeführt wird oder zur rechten Zeit hinwegschleicht. Beim Abschied wird dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, einer verliert sich nach dem andern, bis zuletzt der Herrscher allein bleibt, einer melancholischen Musik noch eine Zeitlang zuhört und sich endlich auch zur Ruhe begibt. Noch seltsamere Geschichten werden aus dem Harem erzählt, wo die Frauen ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm balgen, ihn auf den Teppich zu bringen suchen, wobei er sich unter großem Gelächter nur mit Schimpfreden zu helfen und zu rächen sucht.
Indem wir nun dergleichen lustige Dinge von den innern Unterhaltungen des kaiserlichen Harems vernehmen, so dürfen wir nicht denken, daß der Fürst und sein Staatsdivan müßig oder nachlässig geblieben. Nicht der tätig-unruhige Geist Abbas' des Großen allein war es, der ihn antrieb, eine zweite Hauptstadt am Kaspischen Meer zu erbauen; Ferhabad lag zwar höchst günstig zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von einer Bergkette geschützt, nahe genug an der Grenze, daß der Kaiser jede Bewegung der Russen und Türken, seiner Erbfeinde, zeitig vernehmen und Gegenanstalten treffen konnte. Von den Russen war gegenwärtig nichts zu fürchten, das innere Reich, durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüttet, genügte sich selbst nicht; die Türken hingegen hatte der Kaiser schon vor zwölf Jahren in der glücklichsten Feldschlacht dergestalt überwunden, daß er in der Folge von dorther nichts mehr zu befahren hatte, vielmehr noch große Landstrecken ihnen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch konnte zwischen solchen Nachbarn sich nimmer befestigen, einzelne Neckereien, öffentliche Demonstrationen weckten beide Parteien zu fortwährender Aufmerksamkeit.[283]
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu ernsteren Kriegesrüstungen genötigt. Völlig im urältesten Stil ruft er sein ganzes Heeresvolk in die Flächen von Aderbijan zusammen, es drängt sich in allen seinen Abteilungen, zu Roß und Fuß, mit den mannigfaltigsten Waffen herbei; zugleich ein unendlicher Troß. Denn jeder nimmt wie bei einer Auswanderung Weiber, Kinder und Gepäcke mit. Auch della Valle führt seine schöne Maani und ihre Frauen zu Pferd und Sänfte dem Heer und Hofe nach, weshalb ihn der Kaiser belobt, weil er sich hiedurch als einen angesehnen Mann beweist.
Einer solchen ganzen Nation, die sich massenhaft in Bewegung setzt, darf es nun auch an gar nichts fehlen, was sie zu Hause allenfalls bedürfen könnte; weshalb denn Kaufund Handelsleute aller Art mitziehen, überall einen flüchtigen Basar aufschlagen, eines guten Absatzes gewärtig. Man vergleicht daher das Lager des Kaisers jederzeit einer Stadt, worin denn auch so gute Polizei und Ordnung gehandhabt wird, daß niemand bei grausamer Strafe weder furagieren noch requirieren, viel weniger aber plündern darf, sondern von Großen und Kleinen alles bar bezahlt werden muß; weshalb denn nicht allein alle auf dem Wege liegenden Städte sich mit Vorräten reichlich versehen, sondern auch aus benachbarten und entfernteren Provinzen Lebensmittel und Bedürfnisse unversiegbar zufließen.
Was aber lassen sich für strategische, was für taktische Operationen von einer solchen organisierten Unordnung erwarten? besonders wenn man erfährt, daß alle Volks-, Stamm- und Waffenabteilungen sich im Gefecht vermischen und ohne bestimmten Vorder-, Neben- und Hintermann, wie es der Zufall gibt, durcheinander kämpfen; daher denn ein glücklich errungener Sieg so leicht umschlagen und eine einzige verlorne Schlacht auf viele Jahre hinaus das Schicksal eines Reiches bestimmen kann.
Diesmal aber kommt es zu keinem solchen furchtbaren Faust- und Waffengemenge. Zwar dringt man mit undenkbarer Beschwernis durchs Gebirge; aber man zaudert, weicht[284] zurück, macht sogar Anstalten, die eigenen Städte zu zerstören, damit der Feind in verwüsteten Landstrecken umkomme. Panischer Alarm, leere Siegesbotschaften schwanken durcheinander; freventlich abgelehnte, stolz verweigerte Friedensbedingungen, verstellte Kampflust, hinterlistiges Zögern verspäten erst und begünstigen zuletzt den Frieden. Da zieht nun ein jeder, auf des Kaisers Befehl und Strafgebot, ohne weitere Not und Gefahr, als was er von Weg und Gedränge gelitten, ungesäumt wieder nach Hause.
Auch della Valle finden wir zu Kasbin in der Nähe des Hofes wieder, unzufrieden, daß der Feldzug gegen die Türken ein so baldiges Ende genommen. Denn wir haben ihn nicht bloß als einen neugierigen Reisenden, als einen vom Zufall hin und wider getriebenen Abenteurer zu betrachten; er hegt vielmehr seine Zwecke, die er unausgesetzt verfolgt. Persien war damals eigentlich ein Land für Fremde; Abbas' vieljährige Liberalität zog manchen muntern Geist herbei; noch war es nicht die Zeit förmlicher Gesandtschaften; kühne, gewandte Reisende machen sich geltend. Schon hatte Sherley, ein Engländer, früher sich selbst beauftragt und spielte den Vermittler zwischen Osten und Westen; so auch della Valle, unabhängig, wohlhabend, vornehm, gebildet, empfohlen, findet Eingang bei Hofe und sucht gegen die Türken zu reizen. Ihn treibt ebendasselbe christliche Mitgefühl, das die ersten Kreuzfahrer aufregte; er hatte die Mißhandlungen frommer Pilger am heiligen Grabe gesehen, zum Teil mit erduldet, und allen westlichen Nationen war daran gelegen, daß Konstantinopel von Osten her beunruhigt werde: aber Abbas vertraut nicht den Christen, die, auf eignen Vorteil bedacht, ihm zur rechten Zeit niemals von ihrer Seite beigestanden. Nun hat er sich mit den Türken verglichen; della Valle läßt aber nicht nach und sucht eine Verbindung Persiens mit den Kosaken am Schwarzen Meer anzuknüpfen. Nun kehrt er nach Ispahan zurück, mit Absicht, sich anzusiedeln und die römisch-katholische Religion zu fördern. Erst die Verwandten seiner Frau, dann noch mehr Christen aus Georgien zieht[285] er an sich, eine georgianische Waise nimmt er an Kindes Statt an, hält sich mit den Karmeliten und führt nichts weniger im Sinne, als vom Kaiser eine Landstrecke zu Gründung eines neuen Roms zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden strömen herbei. Der Herrscher zu Pferd, auf dem größten Platze, in Gegenwart seiner Soldaten, der angesehnsten Dienerschaft, bedeutender Fremden, deren vornehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge sich einfinden, erteilt er launige Audienzen; Geschenke werden gebracht, großer Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald darum jüdisch gemarktet, und so schwankt die Majestät immer zwischen dem Höchsten und Tiefsten. Sodann, bald geheimnisvoll verschlossen im Harem, bald vor aller Augen handelnd, sich in alles Öffentliche einmischend, zeigt sich der Kaiser in unermüdlicher, eigenwilliger Tätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen besondern Freisinn in Religionssachen. Nur keinen Mahometaner darf man zum Christentum bekehren; an Bekehrungen zum Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst keine Freude mehr. Übrigens mag man glauben und vornehmen, was man will. So feiern zum Beispiel die Armenier gerade das Fest der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächtigen Vorstadt, durch welche der Fluß Senderud läuft, feierlichst begehen. Dieser Funktion will der Kaiser nicht allein mit großem Gefolge beiwohnen, auch hier kann er das Befehlen, das Anordnen nicht lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaffen, was sie eigentlich vorhaben, dann sprengt er auf und ab, reitet hin und her und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe, mit Genauigkeit, wie er seine Krieger behandelt hätte. Nach geendigter Feier sammelt er die Geistlichen und andere bedeutende Männer um sich her, bespricht sich mit ihnen über mancherlei Religionsmeinungen und Gebräuche. Doch diese Freiheit der Gesinnung gegen andere Glaubensgenossen ist nicht bloß dem Kaiser persönlich, sie findet bei den Schiiten überhaupt statt.[286]
Diese, dem Ali anhängend, der erst vom Kalifate verdrängt und, als er endlich dazu gelangte, bald ermordet wurde, können in manchem Sinne als die unterdrückte mahometanische Religionspartei angesehen werden; ihr Haß wendet sich daher hauptsächlich gegen die Sunniten, welche die zwischen Mahomet und Ali eingeschobenen Kalifen mitzählen und verehren. Die Türken sind diesem Glauben zugetan, und eine sowohl politische als religiöse Spaltung trennt die beiden Völker; indem nun die Schiiten ihre eigenen verschieden denkenden Glaubensgenossen aufs äußerste hassen, sind sie gleichgültig gegen andere Bekenner und gewähren ihnen weit eher als ihren eigentlichen Gegnern eine geneigte Aufnahme.
Aber auch, schlimm genug! diese Liberalität leidet unter den Einflüssen kaiserlicher Willkür! Ein Reich zu bevölkern oder zu entvölkern ist dem despotischen Willen gleich gemäß. Abbas, verkleidet auf dem Lande herumschleichend, vernimmt die Mißreden einiger armenischen Frauen und fühlt sich dergestalt beleidigt, daß er die grausamsten Strafen über die sämtlichen männlichen Einwohner des Dorfes verhängt. Schrecken und Bekümmernis verbreiten sich an den Ufern des Senderuds, und die Vorstadt Chalfa, erst durch die Teilnahme des Kaisers an ihrem Feste beglückt, versinkt in die tiefste Trauer.
Und so teilen wir immer die Gefühle großer, durch den Despotismus wechselsweise erhöhter und erniedrigter Völker. Nun bewundern wir, auf welchen hohen Grad von Sicherheit und Wohlstand Abbas als Selbst- und Alleinherrscher das Reich erhoben und zugleich diesem Zustand eine solche Dauer verliehen, daß seiner Nachfahren Schwäche, Torheit, folgeloses Betragen erst nach neunzig Jahren das Reich völlig zugrunde richten konnten; dann aber müssen wir freilich die Kehrseite dieses imposanten Bildes hervorwenden.
Da eine jede Alleinherrschaft allen Einfluß ablehnet und die Persönlichkeit des Regenten in größter Sicherheit zu bewahren hat, so folgt hieraus, daß der Despot immerfort Verrat[287] argwöhnen, überall Gefahr ahnen, auch Gewalt von allen Seiten befürchten müsse, weil er ja selbst nur durch Gewalt seinen erhabenen Posten behauptet. Eifersüchtig ist er daher auf jeden, der außer ihm Ansehn und Vertrauen erweckt, glänzende Fertigkeiten zeigt, Schätze sammelt und an Tätigkeit mit ihm zu wetteifern scheint. Nun muß aber in jedem Sinn der Nachfolger am meisten Verdacht erregen. Schon zeugt es von einem großen Geist des königlichen Vaters, wenn er seinen Sohn ohne Neid betrachtet, dem die Natur in kurzem alle bisherigen Besitztümer und Erwerbnisse ohne die Zustimmung des mächtig Wollenden unwiderruflich übertragen wird. Anderseits wird vom Sohne verlangt, daß er, edelmütig, gebildet und geschmackvoll, seine Hoffnungen mäßige, seinen Wunsch verberge und dem väterlichen Schicksal auch nicht dem Scheine nach vorgreife. Und doch! wo ist die menschliche Natur so rein und groß, so gelassen abwartend, so unter notwendigen Bedingungen mit Freude tätig, daß in einer solchen Lage sich der Vater nicht über den Sohn, der Sohn nicht über den Vater beklage? Und wären sie beide engelrein, so werden sich Ohrenbläser zwischen sie stellen, die Unvorsichtigkeit wird zum Verbrechen, der Schein zum Beweis. Wie viele Beispiele liefert uns die Geschichte! wovon wir nur des jammervollen Familienlabyrinths gedenken, in welchem wir den König Herodes befangen sehen. Nicht allein die Seinigen halten ihn immer in schwebender Gefahr, auch ein durch Weissagung merkwürdiges Kind erregt seine Sorgen und veranlaßt eine allgemein verbreitete Grausamkeit unmittelbar vor seinem Tode.
Also erging es auch Abbas dem Großen; Söhne und Enkel machte man verdächtig, und sie gaben Verdacht; einer ward unschuldig ermordet, der andere halbschuldig geblendet. Dieser sprach: »Mich hast du nicht des Lichts beraubt, aber das Reich.«
Zu diesen unglücklichen Gebrechen der Despotie fügt sich unvermeidlich ein anderes, wobei noch zufälliger und unvorgesehener sich Gewalttaten und Verbrechen entwickeln. Ein[288] jeder Mensch wird von seinen Gewohnheiten regiert, nur wird er, durch äußere Bedingungen eingeschränkt, sich mäßig verhalten, und Mäßigung wird ihm zur Gewohnheit. Gerade das Entgegengesetzte findet sich bei dem Despoten; ein uneingeschränkter Wille steigert sich selbst und muß, von außen nicht gewarnt, nach dem völlig Grenzenlosen streben. Wir finden hiedurch das Rätsel gelöst, wie aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich nach und nach ein Tyrann entwickelt, der Welt zum Fluch und zum Untergang der Seinen; die auch deshalb öfters dieser Qual eine gewaltsame Heilung zu verschaffen genötigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes dem Menschen eingeborne, alle Tugenden befördernde Streben ins Unbedingte seiner Wirkung nach schrecklicher, wenn physische Reize sich dazu gesellen. Hieraus entsteht die höchste Steigerung, welche glücklicherweise zuletzt in völlige Betäubung sich auflöst. Wir meinen den übermäßigen Gebrauch des Weins, welcher die geringe Grenze einer besonnenen Gerechtigkeit und Billigkeit, die selbst der Tyrann als Mensch nicht ganz verneinen kann, augenblicklich durchbricht und ein grenzenloses Unheil anrichtet. Wende man das Gesagte auf Abbas den Großen an, der durch seine funfzigjährige Regierung sich zum einzigen unbedingt Wollenden seines ausgebreiteten, bevölkerten Reichs erhoben hatte; denke man sich ihn freimütiger Natur, gesellig und guter Laune, dann aber durch Verdacht, Verdruß und, was am schlimmsten ist, durch übel verstandene Gerechtigkeitsliebe irregeführt, durch heftiges Trinken aufgeregt und, daß wir das Letzte sagen, durch ein schnödes, unheilbares körperliches Übel gepeinigt und zur Verzweiflung gebracht: so wird man gestehen, daß diejenigen Verzeihung, wo nicht Lob verdienen, welche einer so schrecklichen Erscheinung auf Erden ein Ende machten. Selig preisen wir daher gebildete Völker, deren Monarch sich selbst durch ein edles sittliches Bewußtsein regiert; glücklich die gemäßigten, bedingten Regierungen, die ein Herrscher selbst[289] zu lieben und zu fördern Ursache hat, weil sie ihn mancher Verantwortung überheben, ihm gar manche Reue ersparen.
Aber nicht allein der Fürst, sondern ein jeder, der durch Vertrauen, Gunst oder Anmaßung Teil an der höchsten Macht gewinnt, kommt in Gefahr, den Kreis zu überschreiten, welchen Gesetz und Sitte, Menschengefühl, Gewissen, Religion und Herkommen zu Glück und Beruhigung um das Menschengeschlecht gezogen haben. Und so mögen Minister und Günstlinge, Volksvertreter und Volk auf ihrer Hut sein, daß nicht auch sie, in den Strudel unbedingten Wollens hingerissen, sich und andere unwiederbringlich ins Verderben hinabziehen.
Kehren wir nun zu unserm Reisenden zurück, so finden wir ihn in einer unbequemen Lage. Bei aller seiner Vorliebe für den Orient muß della Valle doch endlich fühlen, daß er in einem Lande wohnt, wo an keine Folge zu denken ist und wo mit dem reinsten Willen und größter Tätigkeit kein neues Rom zu erbauen wäre. Die Verwandten seiner Frau lassen sich nicht einmal durch Familienbande halten; nachdem sie eine Zeitlang zu Ispahan in dem vertraulichsten Kreise gelebt, finden sie es doch geratener, zurück an den Euphrat zu ziehen und ihre gewohnte Lebensweise dort fortzusetzen. Die übrigen Georgier zeigen wenig Eifer, ja die Karmeliten, denen das große Vorhaben vorzüglich am Herzen liegen mußte, können von Rom her weder Anteil noch Beistand erfahren.
Della Valles Eifer ermüdet, und er entschließt sich, nach Europa zurückzukehren, leider gerade zur ungünstigsten Zeit. Durch die Wüste zu ziehen scheint ihm unleidlich, er beschließt, über Indien zu gehen; aber jetzt eben entspinnen sich Kriegshändel zwischen Portugiesen, Spaniern und Engländern wegen Ormus, dem bedeutendsten Handelsplatz, und Abbas findet seinem Vorteil gemäß, teil daran zu nehmen. Der Kaiser beschließt, die unbequemen portugiesischen Nachbarn zu bekämpfen, zu entfernen und die hülfreichen Engländer zuletzt, vielleicht durch List und Verzögerung, um ihre Absichten zu bringen und alle Vorteile sich zuzueignen.[290]
In solchen bedenklichen Zeitläuften überrascht nun unsern Reisenden das wunderbare Gefühl eigner Art, das den Menschen mit sich selbst in den größten Zwiespalt setzt, das Gefühl der weiten Entfernung vom Vaterlande, im Augenblick, wo wir, unbehaglich in der Fremde, nach Hause zurückzuwandern, ja schon dort angelangt zu sein wünschten. Fast unmöglich ist es, in solchem Fall sich der Ungeduld zu erwehren; auch unser Freund wird davon ergriffen, sein lebhafter Charakter, sein edles, tüchtiges Selbstvertrauen täuschen ihn über die Schwierigkeiten, die im Wege stehen. Seiner zu Wagnissen aufgelegten Kühnheit ist es bisher gelungen, alle Hindernisse zu besiegen, alle Plane durchzusetzen, er schmeichelt sich fernerhin mit gleichem Glück und entschließt sich, da eine Rückkehr ihm durch die Wüste unerträglich scheint, zu dem Weg über Indien, in Gesellschaft seiner schönen Maani und ihrer Pflegetochter Mariuccia.
Manches unangenehme Ereignis tritt ein als Vorbedeutung künftiger Gefahr; doch zieht er über Persepolis und Schiras, wie immer aufmerkend, Gegenstände, Sitten und Landesart genau bezeichnend und aufzeichnend. So gelangt er an den Persischen Meerbusen, dort aber findet er, wie vorauszusehen gewesen, die sämtlichen Häfen geschlossen, alle Schiffe nach Kriegsgebrauch in Beschlag genommen. Dort am Ufer, in einer höchst ungesunden Gegend, trifft er Engländer gelagert, deren Karawane, gleichfalls aufgehalten, einen günstigen Augenblick erpassen möchte. Freundlich aufgenommen, schließt er sich an sie an, errichtet seine Gezelte nächst den ihrigen und eine Palmhütte zu besserer Bequemlichkeit. Hier scheint ihm ein freundlicher Stern zu leuchten! Seine Ehe war bisher kinderlos, und zu größter Freude beider Gatten erklärt sich Maani guter Hoffnung; aber ihn ergreift eine Krankheit, schlechte Kost und böse Luft zeigen den schlimmsten Einfluß auf ihn und leider auch auf Maani, sie kommt zu früh nieder, und das Fieber verläßt sie nicht. Ihr standhafter Charakter, auch ohne ärztliche Hülfe, erhält sie noch eine Zeitlang, sodann aber fühlt sie ihr Ende herannahen,[291] ergibt sich in frommer Gelassenheit, verlangt aus der Palmenhütte unter die Zelte gebracht zu sein, woselbst sie, indem Mariuccia die geweihte Kerze hält und della Valle die herkömmlichen Gebete verrichtet, in seinen Armen verscheidet. Sie hatte das dreiundzwanzigste Jahr erreicht.
Einem solchen ungeheuren Verluste zu schmeicheln, beschließt er fest und unwiderruflich, den Leichnam in sein Erbbegräbnis mit nach Rom zu nehmen. An Harzen, Balsamen und kostbaren Spezereien fehlt es ihm, glücklicherweise findet er eine Ladung des besten Kampfers, welcher, kunstreich durch erfahrne Personen angewendet, den Körper erhalten soll.
Hiedurch aber übernimmt er die größte Beschwerde, indem er so fortan den Aberglauben der Kameltreiber, die habsüchtigen Vorurteile der Beamten, die Aufmerksamkeit der Zollbedienten auf der ganzen künftigen Reise zu beschwichtigen oder zu bestechen hat.
Nun begleiten wir ihn nach Lar, der Hauptstadt des Laristan, wo er bessere Luft, gute Aufnahme findet und die Eroberung von Ormus durch die Perser abwartet. Aber auch ihre Triumphe dienen ihm zu keiner Fördernis. Er sieht sich wieder nach Schiras zurückgedrängt, bis er denn doch endlich mit einem englischen Schiffe nach Indien geht. Hier finden wir sein Betragen dem bisherigen gleich; sein standhafter Mut, seine Kenntnisse, seine adligen Eigenschaften verdienen ihm überall leichten Eintritt und ehrenvolles Verweilen; endlich aber wird er doch nach dem Persischen Meerbusen zurück und zur Heimfahrt durch die Wüste genötigt.
Hier erduldet er alle gefürchteten Unbilden. Von Stammhäuptern dezimiert, taxiert von Zollbeamten, beraubt von Arabern und selbst in der Christenheit überall vexiert und verspätet, bringt er doch endlich Kuriositäten und Kostbarkeiten genug, das Seltsamste und Kostbarste aber, den Körper seiner geliebten Maani, nach Rom. Dort, auf Ara Coeli, begeht er ein herrliches Leichenfest, und als er in die Grube hinabsteigt, ihr die letzte Ehre zu erweisen, finden wir zwei[292] Jungfräulein neben ihm, Silvia, eine während seiner Abwesenheit anmutig herangewachsene Tochter, und Tinatin di Ziba, die wir bisher unter dem Namen Mariuccia gekannt, beide ungefähr funfzehnjährig. Letztere, die seit dem Tode seiner Gemahlin eine treue Reisegefährtin und einziger Trost gewesen, nunmehr zu heiraten, entschließt er sich gegen den Willen seiner Verwandten, ja des Papstes, die ihm vornehmere und reichere Verbindungen zudenken. Nun betätigt er, noch mehrere Jahre glanzreich, einen heftig-kühnen und mutigen Charakter, nicht ohne Händel, Verdruß und Gefahr, und hinterläßt bei seinem Tode, der im sechsundsechzigsten Jahre erfolgt, eine zahlreiche Nachkommenschaft.
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