1773

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1773, um 11. October.


Mit Gottlob Friedrich Ernst von Schönborn

Gleich des Abends nach meiner Ankunft habe ich auch H. Goethe, den Verfasser des »Götz« gesprochen, und das ging so zu. Es saß ein Mann in der Stube des Gasthofs, wo ich logirte, in der Ecke, der eine Pfeif Tabak rauchte. Der Wirth frug ihn, ob er mit bei Tische zu Abend essen wollte. Er antwortete: Nein, ich will es mir auf meiner Stube ausbitten; H. Doctor Goethe wird bei mir diesen Abend sein. Ich frug ihn, ob er den Doctor Goethe meine, der neulich ein Drama herausgegeben? er antwortete: Ja. Ich sagte ihm, daß ich einen Brief an ihn habe von H. Boie ..... Dieser Mann ist ein junger Professor Juris in Gießen, welches drei Meilen von hier ist; sein Name ist Höpfner. Kurz darauf kam Goethe selbst und wir wurden gleich bekannt und gleich Freunde. Es ist ein magerer junger Mann ohngefähr von meiner Größe. Er sieht blaß aus, hat eine große, etwas gebogene Nase, ein länglichtes Gesichte und mittelmäßige schwarze Augen und schwarzes Haar. Wir sind alle Tage beisammen. Seine Miene ist ernsthaft und traurig, wo doch komische, lachende und satirische Laune mit durchschimmert. Er ist sehr beredt und strömt von Einfällen, die sehr witzig sind. Inderthat besitzt er, soweit ich ihn kenne, eine ausnehmend anschauende, sich in die Gegenstände durch[3] und durch hineinfühlende Dichterkraft, sodaß alles local und individuell in seinem Geiste wird. Alles verwandelt sich gleich bei ihm ins Dramatische. Er freute sich ungemein, da ich ihm sagte, daß Sie [v. Gerstenberg] sehr mit seinem Stück [Götz von Berlichingen] zufrieden gewesen. Ihr und Klopstock's Urtheil habe er längst gern vernehmen mögen, und es solle ihn anfeuern, es noch besser zu machen; denn er wisse sehr wohl, wie weit er unter seinem Ideal geblieben. Von Ihrem »Ugolino« sagte er, daß er mit Götterkraft gemacht sei. Ich sagte ihm, daß ich wünschte, zwei solche Männer wie er und Sie möchten sich schriftlich unterreden. Er wünscht es auch, und da er erfuhr, daß ich von hier [Frankfurt] aus an Sie schrieb, sagte er mir, er wolle einpaar Zeilen mit beilegen, und da sind sie. Er scheint mit ausnehmender Leichtigkeit zu arbeiten; jetzo arbeitet er an einem Drama, »Prometheus« genannt, wovon er mir zwei Acte vorgelesen hat, worin ganz vortreffliche, aus der tiefen Natur gehobene Stellen sind; (ich urtheile, wie es mir beim ersten Vorlesen vorkam). Er zeichnet und malet gut. Seine Stube ist voller schönen Abdrücke der besten Antiken. Das »Von deutscher Baukunst« ist von ihm. Er sagte mir, daß er Ihnen noch mal etwas von seinen poetischen Sachen im Manuscript zuschicken wolle. Er will nach Italien gehn, um sich recht in den Werken der Kunst umzusehn. Er ist ein fürchterlicher Feind von Wieland et Consorten. Er las mir einpaar Farcen, die er auf ihn und Jacobi[4] gemacht, wo beide ihre volle Ladung von Lächerlichem bekommen. Das will er aber nicht drucken lassen. Allein weh Wielanden, wenn er sich mausig gegen ihn macht.[5]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 3-6.
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