1798

145.*


1798, 18. – 25. Februar.


Mit Carl Gustav von Brinkmann

... 4) habe ich selbst das Glück gehabt, bei einem vierzehntägigen Aufenthalt in Weimar 1798 den großen[190] Mann beinahe täglich zu sprechen. Mit der herablassendsten Güte unterhielt er sich öfters mit mir über seine, uns andern noch unbekannte Jugendgeschichte, von Eltern und Großmutter; dann wieder von seinem Antheil an meinem Vaterland, wohl mit dem Zusatz: »Ich bin überhaupt den Schweden immer gewogen gewesen.«[191]


1614.*


1798, zwischen 20. März und 6. April.


Mit Friedrich Schiller

Deine [Körner's] Kritik des Almanachs hat Goethe viel Vergnügen gemacht; er hat sich lange damit beschäftigt. In dem aber, was Du über den »Ibykus« und »Polykrates« sagst, und was ich auch für gar nicht unbegründet halte, ist er nicht Deiner Meinung und hat sich beider Gedichte nachdrücklich gegen Dich und gegen mich selbst angenommen. Er hält Deinen Begriff, aus dem Du Sie beurtheilst und tadelst, für zu eng und will diese Gedichte als eine neue, die Poesie erweiternde Gattung angesehen wissen. Die Darstellung von Ideen, so wie sie hier behandelt wird, hält er für kein Dehors der Poesie und will dergleichen Gedichte mit denjenigen, welche abstracte Gedanken symbolisiren, nicht verwechselt wissen, u.s.w. Dem sei wie ihm wolle: wenn auch die Gattung zulässig ist, so ist sie wenigstens nicht der höchsten poetischen Wirkung fähig, und es scheint, daß sie deswegen etwas außerhalb der Poesie zu Hülfe nehmen müsse, um jenes Fehlende zu ergänzen.[30]


146.*


1798, Juni.


Mit Emilie Gore

Emilie Gore erzählte mir [Charlotte Schiller], daß, als sie letzt zugleich mit Goethe bei Hof aß, er mit Ausdruck süßen Weins nach der Tafel vor sie trat und zu ihrer größten Verwunderung sagte: »ma chère, seule, unique amie!«[191]


147.*


1798, um Jahresmitte.


Gesprächseigenheit

»Klarheit« ist jetzt das Lieblingswort von Goethe.[191]


148.*


1798, Ende August oder Anfang September.


Mit Jean Paul Friedrich Richter


a.

Apropos! ich war auch bei Goethe, der mich mit ganz stärkerer Verbindlichkeit und Freundlichkeit aufnahm, als das erste Mal. Ich war dafür freier, kühner und weniger Gefühl, und darum in mich gegründeter. Er fragte mich nach der Art meiner Arbeiten, weil es völlig seinen Kreis überschritte, wie mir Fichte gefallen. Auf letzteres: »Er ist der größte neuere Scholastiker – zum Poeten wird man geboren, aber zum Philosophen kann man sich machen, wenn man irgend eine Idee zur transscendenten, fixen macht. – Die Neueren machen das Licht zum Gegenstand, den es doch nur zeigen soll.« – Er wird nach sechs Monaten den »Faust« vollenden; er sagt: Er könne sechs Monate seine Arbeit voraussagen, weil er sich zu einer solchen Stimmung durch gescheidte leibliche Diät vorbereite.


b.

Mit Goethe stritt ich für Deinen [Chr. Otto's] Satz der Weltfortschreitung – »Umschreitung müssen wir sagen« – sagt er. – A priori folgt's aus der Vorsehung, aber nicht in jedem a posteriori ist der Fortschritt zu zeigen, wenigstens nicht in den gallischen Fortschritten,[192] – Auch die gelesene Wahrheit muß man hinterher erst selber erfinden. Die Gehirnhöhlen sind voll Samen, für welchen das Gehirn erst die Blumenerde und die Treibscherben bildet.[193]


149.*


1798, September.


Über Jean Paul Friedrich Richter

Auch verschmähte er [Richter] die Genüsse des Lebens so wenig, daß ich [Ludwig V. Wolzogen] ihn öfters in ziemlich benebeltem Zustande nach Hause zu bringen die Freude hatte. Goethe verglich ihn in solchen Momenten mit einem Salamander, womit seine damalige hagere Gestalt vortrefflich bezeichnet war.[193]


150.*


1798, September (?).


Bei Proben zu »Wallensteins Lager«

Goethes Thätigkeit bei der Inscenirung war unermüdlich. Hofrath Meyer mußte alle möglichen Holzschnitte, welche Scenen aus dem Lagerleben des dreißigjährigen Krieges darstellten, herbeischaffen, um die Gruppen auf der Bühne darnach zu stellen; sogar eine alte Ofenplatte, worauf eine Lagerscene aus dem siebzehnten Jahrhundert sich befand, wurde einem Kneipenwirth[193] in Jena zu diesem Zweck entführt. Goethe leitete das Studium der Schauspieler und stattete an Schiller (nach Jena) genauen Bericht ab; bis zur letzten Probe veränderte Schiller noch dieses und jenes. Mir [Anton Genast] war der Dragoner zugetheilt worden. Eines Tages jedoch ließ mich Goethe zu sich rufen und theilte mir mit, daß Schiller gesonnen sei, noch einen Kapuziner in das Lagerleben hineinzubringen, der den Soldaten predigen sollte; da Schiller dabei um Rath frage, so habe er ihm einen Band des Abraham a Sancta Clara gesandt und mich zum Darsteller der drastischen Figur, welche der Kapuziner abgeben würde, vorgeschlagen. »Da Ihr,« sagte er »viel mit solchen Kuttenmännern in Berührung gekommen seid, so werdet Ihr gewiß den Ton treffen, der zu einem solchen Feldpfaffen gehört. Schickt Euren Dragoner in meinem Namen an Benda.«

– – –

Meinem Collegen Becker hatte Goethe den zweiten Holk'schen Jäger zugetheilt. Obgleich Becker von Anfang an mit dieser untergeordneten Rolle sehr unzufrieden war und weit lieber den Wachtmeister gespielt hätte, getraute er sich doch nicht, die Annahme desselben zu verweigern, so lange ich in Besitz einer ähnlichen war; kaum hörte er aber von dem mir übertragenen Kapuziner, so erklärte er mir auch schon, daß er den Jäger nicht spielen würde und beauftragte mich als fungirenden Wöchner, dies dem Herrn Geheimen Rath[194] zu melden. Mir ward nicht wohl bei der Commission, und ich kleidete sie wenigstens in die etwas gefälligere Form einer Bitte meines Collegen. Nichts destoweniger gerieth Goethe in den heftigsten Zorn, bestand darauf, daß Becker die Rolle spielen müsse und setzte hinzu: »Sagen Sie dem Herrn Becker: wenn er sich dennoch weigern sollte, so würde ich die Rolle selber spielen.« Becker weigerte sich aber nicht mehr.[195]


1615.*


1798, Ende September.


Mit Friedrich Schiller

Du [Körner] kannst, wenn die »Allgemeine Zeitung« von Posselt in Dresden zu haben ist, das Nähere über diese Wallensteinschen Repräsentationen in Weimar gedruckt lesen; denn Goethe hat sich den Spaß gemacht, diese Relationen selbst zu machen, daß er sie Böttiger aus den Zähnen reiße.[31]


151.*


1798, October.


Über Theaterzettel

Bei dieser Vorstellung [von »Wallensteins Lager«] war es, wo nach Goethes Befehl auf dem Komödienzettel zum ersten Mal die Herren, Madames und Demoiselles vor den Namen der Mitglieder wegfielen. Ich [Genast] fragte Goethe um den Grund dieser Anordnung; er meinte: der Name des Künstlers sei genügend, Herren und Madames gäb' es sehr viele in der Welt, aber Künstler sehr wenig.[195]


152.*


1798, October.


Mit August Wilhelm Schlegel

Wilhelm blieb in Weimar zurück, um Goethen zu sprechen, und der ist sehr wohl zu sprechen gewesen, in[195] der besten Laune über das »Athenäum« und ganz in der gehörigen über Ihren [Friedrich Schlegel's Aufsatz über] »Wilhelm Meister«; denn er hat nicht bloß den Ernst, er hat auch die belobte Ironie darin gefaßt, und ist doch sehr damit zufrieden und sieht der Fortsetzung freundlichst entgegen. Erst hat er gesagt, es wäre recht gut, recht charmant, und nach dieser bei ihm gebräuchlichen Art vom Wetter zu reden, hat er auch warm die Weise gebilligt, wie Sie es behandelt; daß Sie immer auf den Bau des Ganzen gegangen und sich nicht bei pathologischer Zergliederung der einzelnen Charaktere aufgehalten; dann hat er gezeigt, daß er es tüchtig gelesen, indem er viele Ausdrücke wiederholt und besonders eben die ironischen .... Er hat Wilhelm mit Grüßen für Sie beladen und läßt vielmals um Entschuldigung bitten wegen des Nichtschreibens, eine Sache, die wirklich aus der Geschäftigkeit des letzten Vierteljahrs... zu erklären ist. An Wilhelm hat er den ganzen Brief schon fertig dictirt und doch nicht abgeschickt. Auch von [F. Schlegel's Aufsatz im 2. Hefte des »Athenäums« über das Studium] der griechischen Poesie hat er gesprochen; bei manchen Stellen hätte er eine mündliche Unterredung und Erläuterung dazu gewünscht, um etwa ein längeres und breiteres Licht zu erhalten. Gelesen hat er auch redlich; das kann man ihm nicht anders nachrühmen. Die Fragmente [im 2. Hefte des »Athenäums«] haben ihn ungemein interessirt: Ihr hättet Euch in Kriegsstand gesetzt; aber er[196] hat keine einzige Einwendung dagegen gemacht, nur gemeint, es wäre eine allzu starke Ausgabe (die Verschwendung wäre doch zu groß, war der pivot seines allgemeinen Urtheils)1 und es hätte sollen getheilt werden. Wilhelm hat ihm geantwortet: in einem Strich ließe sich's freilich nicht lesen; da hat er so etwas gemurmelt, als: das hätte er denn doch nicht lassen können; es wäre denn doch so anziehend.


1 Die Parenthese ist Zusatz W. Schlegel's.[197]


153.*


1798, Herbst (?).


Mit Amalie von Imhoff

Fräulein V. Imhoff wurde von Goethe in sein vielbekanntes Gartenhaus am weimarischen Parke eingeladen, wo sie ihm an einem Nachmittag in Gegenwart von Frau von Stein ihr idyllisches Gedicht [»Die Schwestern von Lesbos«] vortrug. Nachdem Sie mit zaghaftem Gemüth den ersten Gesang gelesen hatte, spricht ihr Goethe sofort seinen Beifall aus und fügt die Worte hinzu: »Und wie richtig und wohlklingend sind auch schon die Hexameter gemacht!« Da bricht das junge Fräulein erschrocken und verwundert in die Worte aus: »Wie denn, Excellenz? Sind denn das Hexameter?« Da kann er sich des lauten, frohen[197] Lachens nicht enthalten und ruft aus: »Nun, da sieht man, wie es geht! Unsereiner quält sich, diese Verse herauszubringen und das Kind macht sie.«[198]


1459.*


1798, Herbst (?).


Mit Amalie von Imhoff

Nie haben Goethe oder Schiller... eine Zeile in einer meiner Arbeiten selbst gestrichen, sie aber ebensowenig anders als fertig gesehen, soweit ich sie ihnen mittheilte. Zwei Gesänge der ›Schwestern von Lesbos‹ waren eben... vollendet, als Goethe, von meiner neuen Arbeit unterrichtet, sie zu hören begehrte. Ich las sie auf sein Verlangen ihm vor und erzählte ihm den Plan des Ganzen.

Als Goethe so gütig war, mir einige Bemerkungen wegen des Hexameters zu machen, entdeckte er nicht ohne spaßhafte Verwunderung, daß ich noch gar nicht wisse, was ein Hexameter sei. Er sagte mir: »Ich verstehe: das Kind hat die Hexameter gemacht, wie der Rosenstock die Rosen trägt.«

Goethe selbst setzte sich hin, mir das Schema für diese Versform aufzuschreiben, die ich freilich von da an sehr ernstlich studirte, besonders an ›Luise‹ von Voß, die Goethe mir angerathen. Ich habe das von mir corrigirte Manuscript, für die zweite Auflage mit eingerechnet, eigenhändig siebenmal abgeschrieben. Goethe selbst war so gütig, die Correcturbogen mit mir nachzusehen, welche Stunden einen so reichen Schatz von Unterricht für mich enthielten und überhaupt etwas so[267] Erhebendes und Poetisches in allen Nebenumständen hatten, daß diese Momente allein ein gewöhnliches langes Leben aufwiegen.[268]


Quelle:
Goethes Gespräche. Herausgegeben von Woldemar Freiherr von Biedermann, Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 8, S. 267-269.
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