Robert Waring Darwin

[671] On the Ocular Spectra of Light and Colours. Abgedruckt in den Philosophischen Transaktionen, Volum. 76. pag. 313, datiert vom November 1785. Nochmals abgedruckt in Erasmus Darwins Zoonomie.

Dieser Aufsatz von den Augengespenstern ist ohne Zweifel der ausführlichste unter allen, die erschienen sind, ob ihm gleich die oben angezeigte Schrift des Pater Scherffer an die Seite gestellt werden dürfte. Nach der Inhaltsanzeige folgt eine kurze Einleitung, welche eine Einteilung dieser Gespenster und einige Literarnotizen enthält. Die Überschriften und Summarien seiner Kapitel sind folgende:
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1. Tätigkeit der Netzhaut beim Sehen.

2. Von Gespenstern aus Mangel von Empfindlichkeit.

Die Retina wird nicht so leicht durch geringere Reizung in Tätigkeit gesetzt, wenn sie kurz vorher eine stärkere erlitten.

3. Von Gespenstern aus Übermaß von Empfindlichkeit.

Die Retina wird leichter zur Tätigkeit erregt durch einen größern Reiz, wenn sie kurz vorher einen geringern erfahren.

4. Von direkten Augengespenstern.

Eine Reizung über das natürliche Maß erregt die Retina zu einer krampfhaften Tätigkeit, welche in wenig Sekunden aufhört.

5. Ein Reiz, stärker als der letzterwähnte, erregt die Retina zu krampfhafter Tätigkeit, welche wechselsweise sich verliert und wiederkehrt.

6. Von umgekehrten Augengespenstern.

Die Netzhaut, nachdem sie zur Tätigkeit durch einen Reiz aufgeregt worden, welcher abermals etwas größer ist als der letzterwähnte, fällt in eine entgegengesetzte krampfhafte Tätigkeit.

7. Die Netzhaut, nachdem sie zur Tätigkeit durch einen Reiz erregt worden, welcher abermals größer ist als der letzterwähnte, fällt in verschiedene aufeinander folgende krampfhafte Tätigkeiten.

8. Die Netzhaut, nachdem sie zur Tätigkeit durch einen Reiz erregt worden, der einigermaßen größer ist als der letzterwähnte, fällt in eine fixe krampfhafte Tätigkeit, welche mehrere Tage anhält.

9. Ein Reiz, größer als der vorhergehende, bringt eine temporäre Paralyse in dem Gesichtsorgan hervor.

10. Vermischte Bemerkungen. Hier bringt der Verfasser solche Beobachtungen an, welche aus einem ganz natürlichen Grunde zu den vorhergehenden nicht passen.

a) Von direkten und umgekehrten Gespenstern, die zu gleicher Zeit existieren. Von wechselseitigen direkten Gespenstern. Von einer Verbindung direkter und umgekehrter[672] Gespenster. Von einem gespensterhaften Hofe. Regeln, die Farben der Gespenster vorauszusagen.

b) Veränderlichkeit und Lebhaftigkeit der Gespenster, durch fremdes Licht bewirkt.

c) Veränderlichkeit der Gespenster in Absicht auf Zahl, Gestalt und Nachlassen.

d) Veränderlichkeit der Gespenster in Absicht auf Glanz. Die Sichtbarkeit der Zirkulation des Blutes im Auge.

e) Veränderlichkeit der Gespenster in Absicht auf Deutlichkeit und Größe, mit einer neuen Art, die Gegenstände zu vergrößern.

f) Schluß.


Jedem, der diese Summarien und Rubriken mit einiger Aufmerksamkeit betrachtet, wird in die Augen fallen, was an dem Vortrag des Verfassers zu tadeln sei. Waring Darwin, wie sein Bluts- oder Namensvetter, Erasmus Darwin, begehen, bei allem Verdienst einer heitern und sorgfältigen Beobachtung, den Fehler, daß sie als Ärzte alle Erscheinungen mehr pathologisch als physiologisch nehmen. Waring erkennt in seinem ersten Artikel, daß wohl alles Sehen von der Tätigkeit der Netzhaut abhängen möchte, und nimmt nun nicht etwa den naturgemäßen Weg, die Gesetze, wornach ein solches gesundes Organ wirkt und gegenwirkt, auszumitteln und zu bezeichnen, sondern er führt sie unter der künstlichen ärztlichen Form auf, wie sie sich gegen schwächere und stärkere Reize verhalten; welches in diesem Falle von geringer Bedeutung, ja in der Erfahrung, wie man aus seinen Rubriken wohl sehen kann, gar nicht zu bestimmen ist.

Wir haben den Gehalt dieser Abhandlung, sowie der übrigen uns bekannt gewordenen, gesondert und an der Natur selbst, zum Nachteil unsrer eigenen Augen, wiederholt geprüft und in unsrer Abteilung von physiologischen, nicht weniger in dem Anhang von pathologischen Farben die allgemeinen Umrisse zu ziehen gesucht, in welchen sich alles[673] einschließt, die beste Ordnung auszufinden getrachtet, nach welcher sich die Phänomene darstellen und einsehen lassen.

Anstatt also den Darwinischen Aufsatz Artikel vor Artikel durchzugehen, anstatt Beifall und Mißfallen im einzelnen zu bezeigen, ersuchen wir unsere Leser, die es besonders interessieren könnte, diese Abhandlung mit unserer erstgemeldeten Abteilung des Entwurfs zusammenzuhalten und sich durch eigene Ansicht von dem dort Geleisteten zu überzeugen.

Wir haben bei Rezension des Darwinischen Aufsatzes den Ausdruck Augengespenst mit Fleiß gewählt und beibehalten, teils weil man dasjenige, was erscheint, ohne Körperlichkeit zu haben, dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nach ein Gespenst nennt, teils weil dieses Wort, durch Bezeichnung der prismatischen Erscheinung, das Bürgerrecht in der Farbenlehre sich hergebracht und erworben. Das Wort Augentäuschungen, welches der sonst so verdienstvolle Übersetzer der Darwinischen Zoonomie dafür gebraucht hat, wünschten wir ein für allemal verbannt. Das Auge täuscht sich nicht; es handelt gesetzlich und macht dadurch dasjenige zur Realität, was man zwar dem Worte, aber nicht dem Wesen nach ein Gespenst zu nennen berechtigt ist.

Wir fügen die obengemeldeten literarischen Notizen hinzu, die wir teils dem Verfasser, teils dem Übersetzer schuldig sind.

Doctor Jurin in Smiths Optik, zu Ende. Aepinus in den Petersburger neuen Commentarien Vol. X. Béguelin in den Berliner Memoiren Vol. II. 1771. D'Arcy, Geschichte der Akademie der Wissenschaften 1765. De la Hire, Buffon, Memoiren der franz. Akademie 1743. Christ. Ernst Wünsch, Visus phaenomena quaedam. Lips. 1776. 4. Joh. Eichel, Experimenta circa sensum videndi, in Collectaneis societatis medicae Havniensis. Vol. I. 1774. 8.[674]

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 671-675.
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