Reisetagebuch

[8] Ebersstadt, d. 30 Oktr 1775.

Bittet daß eure Flucht nicht geschehe im Winter, noch am Sabbath: Lies mir mein Vater zur Abschiedswarnung auf die Zukunft noch aus dem Bette sagen! – Diesmal rief ich aus ist nun ohne mein Bitten Montag Morgends sechse, und was das übrige betrifft so fragt das liebe unsichtbaare Ding das mich leitet und schult, nicht ob und wann ich mag. Ich packte für Norden, und ziehe nach Süden; ich sagte zu, und komme nicht, ich sagte ab und komme! Frisch also, die Thorschließer klimpern vom Burgemeister weg, und eh es tagt und mein Nachbaar Schuflicker seine Werkstäte und Laden öffnet: fort. Adieu Mutter! – Am Kornmarkt machte der Spenglersiunge rasselnd seinen Laden zurechte, begrüste die Nachbaarsmagd in dem dämmrigen Regen. Es war so was ahndungsvolles auf den künftigen Tag in dem Grus. Ach dacht ich wer dochNein sagt ich es war auch eine Zeit – Wer Gedächtniß hat sollte niemand beneiden. – – Lili Adieu Lili zum zweitenmal! Das erstemal schied ich noch hoffnungsvoll unsere Schicksaale zu verbinden! Es hat sich entschieden – wir müssen[8] einzeln unsre Rollen ausspielen. Mir ist in dem Augenblick weder bange für dich noch für mich, so verworren es aus sieht! – Adieu – Und du! wie wie soll ich dich nennen, dich die ich wie eine Frühlingsblume am Herzen trage! Holde Blume sollst du heißen! – Wie nehm ich Abschied von dir? – Getrost! denn noch ist es Zeit! – Noch die höchste Zeit – Einige Tage später! – und schon – O Lebe wohl – Bin ich denn nur in der Welt mich in ewiger unschuldiger Schuld zu winden – – – – – Und Merck, wenn du wüßtest daß ich hier der alten Burg nahe sizze, und dich vorbeyfahre der so offt das Ziel meiner Wandrung war. Die geliebte Wüste, Riedesels Garten den Tannenwald, und das Exerzierhaus – Nein Bruder du sollst an meinen Verworrenheiten nicht theilnehmen, die durch Theilnehmung noch verworrner werden.

Hier läge denn der Grundstein meines Tagbuchs! und das weitere steht bey dem lieben Ding das den Plan zu meiner Reise gemacht hat.

Ominose Uberfüllung des Glases. Projeckte, Plane und Aussichten.

Weinheim Abends sieben. – Was nun aber eigentlich der politische, moralische, epische oder dramatische Zweck von diesem Allen? – – Der eigentliche Zweck der Sache meine Herren (hier belieben alle vom Minister der im Nahmen seines Herrn Regimenter auf gut Glück mitmarschiren läßt, biss zum Brief und Zeitungsträger[9] ihre Nahmen einzuzeichnen. (NB. von dem Rangstreit der Brief und Zeitungsträger, nächstens) ist, daß sie gar keinen Zweck hat – So viel ist's gewiß, treffliches Wetter ists Stern und Halbmond leuchten, und der Nachmittag war trefflich. Die Riesengebeine unsrer Erzväter aufm gebürg, Weinreben zu ihren Füßen hügelab gereiht, die Nußallee, und das Thal den Rhein hin. Voll keimender frischer Wintersaat, das Laub noch ziemlich Voll und da einen heitern Blick untergehender Sonne drein! – – Wir fuhren um eine Ecke! – Ein mahlerischer Blick! – wollt ich rufen. Da faßt ich mich zusammen und sprach! sieh ein Eckgen wo die Natur in gedrungner Einfalt uns mit Lieb und Fülle sich um den Hals wirft. Ich hätte noch viel zu sagen möcht ich mir den Kopf noch wärmer machen – Der Wirth entschuldigte sich wie ich eintratt daß mir die Herbst Butten und Zuber im Weeg stünden; wir haben sagt er eben dies Jahr Gott sey Dank reichlich eingebracht. Ich hies ihn gar nicht sich stören, denn es sey sehr selten daß einen der Seegen Gottes innkommodire – Zwar hatt ich's schon mehr gesehn – Heut Abend Bin ich kommunikativ, mir ist als redet ich mit Leuten da ich das schreibe – Will ich doch allen Launen den Lauf lassen.[10]


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, III. Abteilung, Bd. 1, S. 8-11.
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