Fünfter Gesang

[485] Nun vernehmet die List und wie der Fuchs sich gewendet,

Seine Frevel wieder zu decken und andern zu schaden.

Bodenlose Lügen ersann er, beschimpfte den Vater

Jenseit der Grube, beschwerte den Dachs mit großer Verleumdung,

Seinen redlichsten Freund, der ihm beständig gedienet.

So erlaubt' er sich alles, damit er seiner Erzählung

Glauben schaffte, damit er an seinen Verklägern sich rächte.


»Mein Herr Vater«, sagt' er darauf, »war so glücklich gewesen,

König Emmrichs, des Mächtigen, Schatz auf verborgenen Wegen

Einst zu entdecken; doch bracht ihm der Fund gar wenigen Nutzen.

Denn er überhub sich des großen Vermögens und schätzte

Seinesgleichen von nun an nicht mehr, und seine Gesellen

Achtet' er viel zu gering: er suchte sich höhere Freunde.

Hinze, den Kater, sendet' er ab in die wilden Ardennen,

Braun, den Bären, zu suchen, dem sollt er Treue versprechen,

Sollt ihn laden, nach Flandern zu kommen und König zu werden.


Als nun Braun das Schreiben gelesen, erfreut' es ihn herzlich;

Unverdrossen und kühn begab er sich eilig nach Flandern:

Denn er hatte schon lange so was in Gedanken getragen.

Meinen Vater fand er daselbst, der sah ihn mit Freuden,

Sendete gleich nach Isegrim aus und nach Grimbart, dem Weisen;

Und die vier verhandelten dann die Sache zusammen;

Doch der fünfte dabei war Hinze, der Kater. Ein Dörfchen

Liegt allda, wird Ifte genannt, und grade da war es,

Zwischen Ifte und Gent, wo sie zusammen gehandelt.

Eine lange, düstere Nacht verbarg die Versammlung:[485]

Nicht mit Gott! es hatte der Teufel, es hatte mein Vater

Sie in seiner Gewalt mit seinem leidigen Golde.

Sie beschlossen des Königes Tod, beschwuren zusammen

Festen, ewigen Bund, und also schwuren die fünfe

Sämtlich auf Isegrims Haupt: sie wollten Braunen, den Bären,

Sich zum Könige wählen und auf dem Stuhle zu Aachen

Mit der goldnen Krone das Reich ihm festlich versichern.

Wollte nun auch von des Königes Freunden und seinen Verwandten


Jemand dagegen sich setzen, den sollte mein Vater bereden

Oder bestechen, und ginge das nicht, sogleich ihn verjagen.

Das bekam ich zu wissen: denn Grimbart hatte sich einmal

Morgens lustig getrunken und war gesprächig geworden;

Seinem Weibe verschwätzte der Tor die Heimlichkeit alle,

Legte Schweigen ihr auf; da, glaubt' er, wäre geholfen.

Sie begegnete drauf bald meinem Weibe, die mußt ihr

Der drei Könige Namen zum feierlichen Gelübde

Nennen, Ehr und Treue verpfänden, um Liebes und Leides

Niemand ein Wörtchen zu sagen, und so entdeckt' sie ihr alles.

Ebensowenig hat auch mein Weib das Versprechen gehalten:

Denn sobald sie mich fand, erzählte sie, was sie vernommen,

Gab mir ein Merkmal dazu, woran ich die Wahrheit der Rede

Leicht erkennte; doch war mir dadurch nur schlimmer geschehen

Ich erinnerte mich der Frösche, deren Gequake

Bis zu den Ohren des Herrn im Himmel endlich gelangte.

Einen König wollten sie haben und wollten im Zwange

Leben, nachdem sie der Freiheit in allen Landen genossen.

Da erhörte sie Gott und sandte den Storch, der beständig

Sie verfolget und haßt und keinen Frieden gewähret.

Ohne Gnade behandelt er sie; nun klagen die Toren,

Aber leider zu spät: denn nun bezwingt sie der König.«


Reineke redete laut zur ganzen Versammlung, es hörten

Alle Tiere sein Wort, und so verfolgt' er die Rede:

»Seht, für alle fürchtet ich das. So wär es geworden.

Herr, ich sorgte für Euch und hoffte beßre Belohnung.[486]

Braunens Ränke sind mir bekannt, sein tückisches Wesen,

Manche Missetat auch von ihm; ich besorgte das Schlimmste.

Würd er Herr, so wären wir alle zusammen verdorben.

Unser König ist edel geboren und mächtig und gnädig,

Dacht ich im stillen bei mir; es wär ein trauriger Wechsel,

Einen Bären und tölpischen Taugenicht so zu erhöhen.

Etliche Wochen sann ich darüber und sucht es zu hindern.


Auch vor allem begriff ich es wohl: behielte mein Vater

Seinen Schatz in der Hand, so brächt er viele zusammen,

Sicher gewänn er das Spiel, und wir verlören den König.

Meine Sorge ging nun dahin, den Ort zu entdecken,

Wo der Schatz sich befände, damit ich ihn heimlich entführte.

Zog mein Vater ins Feld, der alte, listige, lief er

Nach dem Walde bei Tag oder Nacht, in Frost oder Hitze,

Näss' oder Trockne, so war ich dahinter und spürte den Gang aus.


Einmal lag ich versteckt in der Erde mit Sorgen und Sinnen,

Wie ich entdeckte den Schatz, von dem mir so vieles bekannt war.

Da erblickt ich den Vater aus einer Ritze sich schleichen,

Zwischen den Steinen kam er hervor und stieg aus der Tiefe.

Still und verborgen hielt ich mich da; er glaubte sich einsam,

Schaute sich überall um, und als er niemand bemerkte

Nah oder fern, begann er sein Spiel, ihr sollt es vernehmen.

Wieder mit Sande verstopft' er das Loch und wußte geschicklich

Mit dem übrigen Boden es gleich zu machen. Das konnte,

Wer nicht zusah, unmöglich erkennen. Und eh er von dannen

Wanderte, wußt er den Platz, wo seine Füße gestanden,

Über und über geschickt mit seinem Schwanze zu streichen

Und verwühlte die Spur mit seinem Munde. Das lernt ich

Jenes Tages zuerst von meinem listigen Vater,

Der in Ränken und Schwänken und allen Streichen gewandt war.

Und so eilt' er hinweg nach seinem Gewerbe. Da sann ich,

Ob sich der herrliche Schatz wohl in der Nähe befände?

Eilig trat ich herbei und schritt zum Werke; die Ritze

Hatt ich in weniger Zeit mit meinen Pfoten eröffnet,[487]

Kroch begierig hinein. Da fand ich köstliche Sachen,

Feinen Silbers genug und roten Goldes! Wahrhaftig,

Auch der Älteste hier hat nie so vieles gesehen.

Und ich machte mich dran mit meinem Weibe: wir trugen,

Schleppten bei Tag und bei Nacht; uns fehlten Karren und Wagen,

Viele Mühe kostet' es uns und manche Beschwernis.

Treulich hielt Frau Ermelyn aus; so hatten wir endlich

Die Kleinode hinweg zu einer Stätte getragen,

Die uns gelegener schien. Indessen hielt sich mein Vater

Täglich mit jenen zusammen, die unsern König verrieten.

Was sie beschlossen, das werdet ihr hören und werdet erschrecken.


Braun und Isegrim sandten sofort in manche Provinzen

Offne Briefe, die Söldner zu locken: sie sollten zu Haufen

Eilig kommen, es wolle sie Braun mit Diensten versehen,

Milde woll er sogar voraus die Söldner bezahlen.

Da durchstrich mein Vater die Länder und zeigte die Briefe,

Seines Schatzes gewiß, der, glaubt' er, läge geborgen.

Aber es war nun geschehn, er hätte mit allen Gesellen,

Sucht' er auch noch so genau, nicht einen Pfennig gefunden.


Keine Bemühung ließ er sich reun; so war er behende

Zwischen der Elb und dem Rheine durch alle Länder gelaufen,

Manchen Söldner hatt er gefunden und manchen gewonnen.

Kräftigen Nachdruck sollte das Geld den Worten verleihen.


Endlich kam der Sommer ins Land; zu seinen Gesellen

Kehrte mein Vater zurück. Da hatt er von Sorgen und Nöten

Und von Angst zu erzählen, besonders, wie er beinahe

Vor den hohen Burgen in Sachsen sein Leben verloren,

Wo ihn Jäger mit Pferden und Hunden alltäglich verfolgten,

Daß er knapp und mit Not mit heilem Pelze davonkam.


Freudig zeigt' er darauf den vier Verrätern die Liste,

Welche Gesellen er alle mit Gold und Versprechen gewonnen.

Braunen erfreute die Botschaft; es lasen die fünfe zusammen,[488]

Und es hieß: Zwölfhundert von Isegrims kühnen Verwandten

Werden kommen mit offenen Mäulern und spitzigen Zähnen,

Ferner, die Kater und Bären sind alle für Braunen gewonnen,

Jeder Vielfraß und Dachs aus Sachsen und Thüringen stellt sich.

Doch man solle sich ihnen zu der Bedingung verbinden:

Einen Monat des Soldes voraus zu zahlen; sie wollten

Alle dagegen mit Macht beim ersten Gebote sich stellen.

Gott sei ewig gedankt, daß ich die Plane gehindert!


Denn nachdem er nun alles besorgt, so eilte mein Vater

Über Feld und wollte den Schatz auch wieder beschauen.

Da ging erst die Bekümmernis an; da grub er und suchte.

Doch je länger er scharrte, je weniger fand er. Vergebens

War die Mühe, die er sich gab, und seine Verzweiflung:

Denn der Schatz war fort, er konnt ihn nirgend entdecken.

Und vor Ärger und Scham – wie schrecklich quält die Erinnrung

Mich bei Tag und bei Nacht! – erhängte mein Vater sich selber.


Alles das hab ich getan, die böse Tat zu verhindern.

Übel gerät es mir nun; jedoch es soll mich nicht reuen.

Isegrim aber und Braun, die gefräßigen, sitzen am nächsten

Bei dem König zu Rat. Und Reineke! wie dir dagegen,

Armer Mann, jetzt gedankt wird, daß du den leiblichen Vater

Hingegeben, den König zu retten! Wo sind sie zu finden,

Die sich selber verderben, nur Euch das Leben zu fristen?«


König und Königin hatten indes, den Schatz zu gewinnen,

Große Begierde gefühlt; sie traten seitwärts und riefen

Reineken, ihn besonders zu sprechen, und fragten behende:

»Saget an, wo habt Ihr den Schatz? Wir möchten es wissen.«

Reineke ließ sich dagegen vernehmen: »Was könnt es mir helfen,

Zeigt ich die herrlichen Güter dem Könige, der mich verurteilt?

Glaubet er meinen Feinden doch mehr, den Dieben und Mördern,

Die Euch mit Lügen beschweren, mein Leben mir abzugewinnen.«[489]

»Nein«, versetzte die Königin, »nein! so soll es nicht werden!

Leben läßt Euch mein Herr, und das Vergangne vergißt er.

Er bezwingt sich und zürnet nicht mehr. Doch möget Ihr künftig

Klüger handeln und treu und gewärtig dem Könige bleiben.«


Reineke sagte: »Gnädige Frau, vermöget den König,

Mir zu geloben vor Euch, daß er mich wieder begnadigt,

Daß er mir alle Verbrechen und Schulden und alle den Unmut,

Den ich ihm leider erregt, auf keine Weise gedenket,

So besitzet gewiß in unsern Zeiten kein König

Solchen Reichtum, als er durch meine Treue gewinnet;

Groß ist der Schatz; ich zeige den Ort, Ihr werdet erstaunen.«


»Glaubet ihm nicht«, versetzte der König, »doch wenn er von Stehlen,

Lügen und Rauben erzählet, das möget Ihr allenfalls glauben;

Denn ein größerer Lügner ist wahrlich niemals gewesen.«


Und die Königin sprach: »Fürwahr, sein bisheriges Leben

Hat ihm wenig Vertrauen erworben; doch jetzo bedenket,

Seinen Oheim, den Dachs, und seinen eigenen Vater

Hat er diesmal bezüchtigt und ihre Frevel verkündigt.

Wollt er, so konnt er sie schonen und konnte von anderen Tieren

Solche Geschichten erzählen; er wird so törig nicht lügen.«


»Meinet Ihr so«, versetzte der König, »und denkt Ihr, es wäre

Wirklich zum besten geraten, daß nicht ein größeres Übel

Draus entstünde, so will ich es tun und diese Verbrechen

Reinekens über mich nehmen und seine verwundete Sache.

Einmal trau ich, zum letztenmal noch! das mag er bedenken:

Denn ich schwör es ihm zu bei meiner Krone! wofern er

Künftig frevelt und lügt, es soll ihn ewig gereuen;

Alles, wär es ihm nur verwandt im zehenten Grade,

Wer sie auch wären, sie sollen's entgelten, und keiner entgeht mir,

Sollen in Unglück und Schmach und schwere Prozesse geraten!«[490]

Als nun Reineke sah, wie schnell sich des Königs Gedanken

Wendeten, faßt' er ein Herz und sagte: »Sollt ich so töricht

Handeln, gnädiger Herr, und Euch Geschichten erzählen,

Deren Wahrheit sich nicht in wenig Tagen bewiese?«


Und der König glaubte den Worten, und alles vergab er,

Erst des Vaters Verrat, dann Reinekens eigne Verbrechen.

Über die Maßen freute sich der; zur glücklichen Stunde

War er der Feinde Gewalt und seinem Verhängnis entronnen.


»Edler König, gnädiger Herr!« begann er zu sprechen.

»Möge Gott Euch alles vergelten und Eurer Gemahlin,

Was Ihr an mir Unwürdigem tut; ich will es gedenken,

Und ich werde mich immer gar höchlich dankbar erzeigen.

Denn es lebet gewiß in allen Landen und Reichen

Niemand unter der Sonne, dem ich die herrlichen Schätze

Lieber gönnte denn eben Euch beiden. Was habt Ihr nicht alles

Mir für Gnade bewiesen! Dagegen geb ich Euch willig

König Emmerichs Schatz, so wie ihn dieser besessen.

Wo er liegt, beschreib ich Euch nun, ich sage die Wahrheit.


Höret! Im Osten von Flandern ist eine Wüste, darinnen

Liegt ein einzelner Busch, heißt Hüsterlo, merket den Namen!

Dann ist ein Brunn, der Krekelborn heißt, Ihr werdet verstehen,

Beide nicht weit auseinander. Es kommt in selbige Gegend

Weder Weib noch Mann im ganzen Jahre. Da wohnet

Nur die Eul und der Schuhu, und dort begrub ich die Schätze.

Krekelborn heißt die Stätte, das merket und nützet das Zeichen.

Gehet selber dahin mit Eurer Gemahlin; es wäre

Niemand sicher genug, um ihn als Boten zu senden,

Und der Schade wäre zu groß; ich darf es nicht raten.

Selber müßt Ihr dahin. Bei Krekelborn geht Ihr vorüber,

Seht zwei junge Birken hernach, und merket! die eine

Steht nicht weit von dem Brunnen; so geht nun, gnädiger König,

Grad auf die Birken los, denn drunter liegen die Schätze.

Kratzt und scharret nur zu; erst findet Ihr Moos an den Wurzeln,[491]

Dann entdeckt Ihr sogleich die allerreichsten Geschmeide,

Golden, künstlich und schön, auch findet Ihr Emmerichs Krone;

Wäre des Bären Wille geschehn, der sollte sie tragen.

Manchen Zierat seht Ihr daran und Edelgesteine,

Goldnes Kunstwerk; man macht es nicht mehr, wer wollt es bezahlen?

Sehet Ihr alle das Gut, o gnädiger König, beisammen,

Ja, ich bin es gewiß, Ihr denket meiner in Ehren.

Reineke, redlicher Fuchs! so denkt Ihr, der du so klüglich

Unter das Moos die Schätze gegraben, o mög es dir immer,

Wo du auch sein magst, glücklich ergehn!« So sagte der Heuchler.


Und der König versetzte darauf: »Ihr müßt mich begleiten;

Denn wie will ich allein die Stelle treffen? Ich habe

Wohl von Aachen gehört, wie auch von Lübeck und Köllen

Und von Paris; doch Hüsterlo hört ich im Leben nicht einmal

Nennen, ebensowenig als Krekelborn; sollt ich nicht fürchten,

Daß du uns wieder belügst und solche Namen erdichtest?«


Reineke hörte nicht gern des Königs bedächtige Rede,

Sprach: »So weis ich Euch doch nicht fern von hinnen, als hättet

Ihr am Jordan zu suchen. Wie schien ich Euch jetzo verdächtig?

Nächst, ich bleibe dabei, ist alles in Flandern zu finden.

Laßt uns einige fragen; es mag es ein andrer versichern.

Krekelborn! Hüsterlo! sagt ich, und also heißen die Namen.«

Lampen rief er darauf, und Lampe zauderte bebend.

Reineke rief: »So kommt nur getrost, der König begehrt Euch,

Will, Ihr sollt bei Eid und bei Pflicht, die Ihr neulich geleistet,

Wahrhaft reden; so zeiget denn an, wofern Ihr es wisset,

Sagt, wo Hüsterlo liegt und Krekelborn? Lasset uns hören.«


Lampe sprach: »Das kann ich wohl sagen. Es liegt in der Wüste

Krekelborn nahe bei Hüsterlo. Hüsterlo nennen die Leute

Jenen Busch, wo Simonet lange, der Krumme, sich aufhielt,

Falsche Münze zu schlagen mit seinen verwegnen Gesellen.

Vieles hab ich daselbst von Frost und Hunger gelitten,

Wenn ich vor Rynen, dem Hund, in großen Nöten geflüchtet.«[492]

Reineke sagte darauf: »Ihr könnt Euch unter die andern

Wieder stellen; Ihr habet den König genugsam berichtet.«

Und der König sagte zu Reineke: »Seid mir zufrieden,

Daß ich hastig gewesen und Eure Worte bezweifelt;

Aber sehet nun zu, mich an die Stelle zu bringen.«


Reineke sprach: »Wie schätzt ich mich glücklich, geziemt' es mir heute,

Mit dem König zu gehn und ihm nach Flandern zu folgen;

Aber es müßt Euch zur Sünde gereichen. Sosehr ich mich schäme,

Muß es heraus, wie gern ich es auch noch länger verschwiege.

Isegrim ließ vor einiger Zeit zum Mönche sich weihen,

Zwar nicht etwa, dem Herren zu dienen, er diente dem Magen;

Zehrte das Kloster fast auf, man reicht' ihm für sechse zu essen,

Alles war ihm zu wenig; er klagte mir Hunger und Kummer;

Endlich erbarmet' es mich, als ich ihn mager und krank sah,

Half ihm treulich davon, er ist mein naher Verwandter.

Und nun hab ich darum den Bann des Papstes verschuldet,

Möchte nun ohne Verzug, mit Eurem Wissen und Willen,

Meine Seele beraten und morgen mit Aufgang der Sonne,

Gnad und Ablaß zu suchen, nach Rom mich als Pilger begeben

Und von dannen über das Meer; so werden die Sünden

Alle von mir genommen, und kehr ich wieder nach Hause,

Darf ich mit Ehren neben Euch gehn. Doch tät ich es heute,

Würde jeglicher sagen: Wie treibt es jetzo der König

Wieder mit Reineken, den er vor kurzem zum Tode verurteilt!

Und der über das alles im Bann des Papstes verstrickt ist!

Gnädiger Herr, Ihr seht es wohl ein, wir lassen es lieber.«


»Wahr«, versetzte der König drauf, »das konnt ich nicht wissen.

Bist du im Banne, so wär mir's ein Vorwurf, dich mit mir zu führen,

Lampe kann mich oder ein andrer zum Borne begleiten.

Aber, Reineke, daß du vom Banne dich suchst zu befreien,

Find ich nützlich und gut. Ich gebe dir gnädigen Urlaub,

Morgen beizeiten zu gehn; ich will die Wallfahrt nicht hindern.

Denn mir scheint, Ihr wollt Euch bekehren vom Bösen zum Guten.

Gott gesegne den Vorsatz und laß Euch die Reise vollbringen!«
[493]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Band 3, Berlin 1960 ff, S. 485-494.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Reineke Fuchs
Goethes Werke: Band II. West-östlicher Divan. Aus fremden Sprachen. Epische Dichtungen. Hermann und Dorothea. Achilleïs. Reineke Fuchs
Reineke Fuchs
Reineke Fuchs
Reineke Fuchs : in zwölf Gesängen.
Reineke Fuchs. In zwölf Gesängen

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon