Fünfter Auftritt.

[448] Meerufer. Auf einer Seite hohe Fessen, auf der andern Wald. Das Ufer selbst schroff und von Klippen.

Final.


MIRANDA tritt auf.

Schmachtend flöh ich aus der Zelle;

Welche nie erlebte Schwühle!

Bänglich seufzt die träge Welle;

Tiefes Schweigen herrscht im Hain.

Hoch auf Felsen wohnet Kühle;

In das weite Meer zu blicken,

Wird den matten Geist erquicken,

Und die Brust von Angst befreyn.


Steigt den Felsen hinan, und verliert im Gehen ihren Schleier.


CALIBAN tritt auf.

Rücket schneller, träge Stunden! –

Wo verweilst du, Nacht der Wonne? –

Dehnet schadenfroh die Sonne,

Mir zur Marter, ihren Lauf? –

Still! – ein Mittel ist gefunden;

Schlaf soll meine Sehnsucht kühlen. –[448]

Zu den süßesten Gefühlen

Wecke dann, o Nacht, mich auf!


Legt sich unter die Bäume und schläft ein.


PROSPERO tritt auf.

Welche Stille! Welche Schwühle!

Welche bangen Vorgefühle!

Ausgerüstet zum Verderben,

Lauert dort ein Wolkenheer.

Wie die Fluthen schon sich kräuseln!

Dumpfer schon die Wipfel säuseln!

Schwärzer sich die Klippen färben!

Und Miranda schweift umher!


Ach! wenn sie zu lange weilte!

Wenn der Sturmwind sie ereilte! –

Wo erruft sie meine Stimme?

Wie entdeck' ich ihre Spur?


Seh ich recht? – mir däucht, sie klimme

Hoch auf jenes Felsen Rücken,

Und verliere voll Entzücken

Sich im Anschaun der Natur.


Steigt den Felsen hinan, und verliert sie aus den Augen. Der Sturm nähert sich.
[449]

ARIEL erscheint auf einer Wolle.

Vor des nahen Sturmes Grimme

Kehr' ich, arm an Hülfe, wieder.

Eines Sylfen schwacher Stimme

Ist das Meer nicht unterthan.

Geist der Welten, schau hernieder

Auf der bleichen Schiffer Streben!

Rette der Bedrängten Leben,

Und vertraue sie mir an!

Das Theater verfinstert sich. Unter Blitz und Donner beginnt der Sturm. Das Meer fängt an zu wogen.


CALIBAN erwacht und fährt erschrocken in die Höhe.

Recitativ.


Wo bin ich? – Was erblick ich?

Arie.


Tod und Aufruhr gatten

Sich im Graun der Nacht! –

Ha! der Mutter Schatten

Ist im Sturm erwacht! –

Mit des Orkus Heeren,

Fährt sie stolz daher;

Ihren Zepter ehren

Himmel, Erd und Meer![450]

Caliban ist Meister;

Sein Triumph hebt an!

Auf, ihr Rachegeister!

Zeiget ihm die Bahn!


Ab.


Sturm, Blitz und Donner nehmen zu. Man hört von Weitem ein Chor von Schiffern.


CHOR DER SCHIFFER in der Ferne.

Wehe! Wehe!

Weh uns Armen! –

Gott der Hilfe, hab' Erbarmen! –

Brich des Sturmes Wuth! –

Bändige die Fluth! –


Näher, indem man das nothleidende Schiff erblickt; einzelne Stimmen.


Standhaft! – Ringet! – Kämpfet! – Strebet!

Schöpfet neuen Muth!

Der auf Wolken schwebet,

Euer Vater lebet!

Laßt nicht ab zu flehn! –


Alle Stimmen.


Hab', o Vater! Hab' Erbarmen!

Laß uns nicht vergehn!

Eile beyzustehn!
[451]

Der Sturm wächst, das Schiff verschwindet.


Keine Rettung! Kein Erbarmen! –

Ach, wir scheitern – sinken, – vergehn –


Der Sturm nimmt ab; einzelne Stimmen der Ertrinkenden.


Weh uns Armen! –

Wehe! – Wehe!

Ende des ersten Akts.
[452]

Quelle:
Johann Friedrich Reichardt: Die Geisterinsel, in: Friedrich Wilhelm Gotter: Literarischer Nachlass, Gotha 1802, S. 419–564, S. 448-453.
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