Vierter Auftritt.

[534] Prospero. Ariel.

Duo.


PROSPERO erwachend.

Welch ein wonnevolles Chor

Wecket mein entzücktes Ohr?

ARIEL von Ferne stehend.

Deiner Hüter frommes Chor

Wecket dein verschloßnes Ohr.

PROSPERO sich aufrichtend.

Welches Meteores Schimmer

Dämmert durch der Wolken Flor?

ARIEL.

Ihrer Lichtgestalten Schimmer

Dämmert durch der Wolken Flor.

PROSPERO.

Schatten sind es, die mich höhnen;

Träume säuseln um mein Ohr.


Stützt den Kopf auf seinen Arm.
[534]

ARIEL näher tretend.

Oefne den vertrauten Tönen

Deines Sylfen, Herz und Ohr!

Flieh den Schlummer! blick empor!

PROSPERO.

Nein, erwachen will ich nimmer;

Süßer Wohllaut, holder Schimmer

Schwebet mir im Traume vor.

ARIEL.

Sieg wird den erwachten krönen,

Frohe Botschaft ihm ertönen.

Flieh den Schlummer! blick empor!

PROSPERO.

Laß mich schlafen:

ARIEL faßt ihn bey der Hand.

Nein! erwache!

PROSPERO aufstehend.

Kömmst du zum Triumph der Rache,

Falscher Freund, mich aufzuschrecken?

ARIEL.

Zum Triumph der guten Sache

Will dein Ariel dich wecken.

[535] PROSPERO.

Sprichst du meinem Falle Hohn?

ARIEL.

Deiner Feindinn sprech' ich Hohn.

PROSPERO.

Von der bängsten aller Sorgen

Ist mein Busen noch zerrissen.

Meine Tochter –?

ARIEL.

Ist geborgen.

PROSPERO.

Laß mich alles, alles wissen!

Meine Tochter –

ARIEL.

Ist geborgen.

PROSPERO.

Und die Feindinn?

ARIEL.

Ist geflohn.

[536] PROSPERO.

Meine Tochter ist geborgen!

Meine Feindinn ist geflohn!

ARIEL.

Deine Tochter ist geborgen,

Deine Feindinn ist geflohn.

PROSPERO.

Wem hab' ich mein Glück zu danken?

ARIEL.

Opfre Dank auf Maja's Hügel!

PROSPERO.

Hab ich ihr mein Glück zu danken?

Sprengte sie des Grabes Hügel?

Gieng sie mir zum Schutz hervor?

ARIEL.

Setze deinem Vorwitz Schranken! –

Opfre Dank auf Maja's Hügel! –

Unter siebenfachem Siegel

Ruht des Schattenreiches Thor.

PROSPERO.

Meinem Vorwitz setz ich Schranken.

Auf der Andacht regem Flügel,[537]

Schwinge sich von Mofa's Hügel

Meines Herzens Dank empor!


Beyde ab.


Quelle:
Johann Friedrich Reichardt: Die Geisterinsel, in: Friedrich Wilhelm Gotter: Literarischer Nachlass, Gotha 1802, S. 419–564, S. 534-538.
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