Hand und Herz.

[228] Kehre zur Märe nun, mein Kiel!

Du bringst doch nimmer sein Lob zum Ziel.

Und wie du ihm so vieles danktest,

Als du gelähmt in Zweifeln schwanktest

Und dir zurief sein mächtig Werben:

Es lebt das Lied und wird nicht sterben,

Und Singen und Forschen geht Hand in Hand

Mit Ringen und Kämpfen fürs Vaterland, –

So laß dir von im die Brücke schlagen,

Die dich soll zu der Märe tragen.

Noch sind uns Blätter, rasch geschrieben,

Von seiner edlen Hand geblieben,

Nur wenige, ach, und unvollendet:

Sie seien in dein Lied verwendet;

Das halbe Wort laß im Gedicht

Lebendig werden. Wohlan, er spricht:[228]

»Glückloses Frauenleben gleicht

Des Jordans Lauf, der leise schleicht

An Ufern hin, die öde stehn,

Und ist doch Heiliges drauf geschehn.

Da glimmt ein leises Lebenswort

Im Herzen unter der Asche fort:

Ich habe geliebt! Das arme leise

Wort ist des Herzens Trank und Speise.

Das Männerherz, des Glücks beraubt,

Hat ausgelebt und ausgeglaubt:

Es ist ein stummes Leichenfeld,

Vom späten Monde trüb erhellt,

Wo Schemen sich mitternächtlich treffen,

Das Leben mit Schein des Lebens äffen.«


So Tristan. Seit er Isolden ließ,

War er, gestürzt vom Paradies,

Auf nackter Erde bloßgestellt,

Sich selbst verloren und der Welt;

In seines Busens todter Wildniß

Isoldens und Isoldens Bildniß,

Ein Urbild, göttlich, reich in Harm,

Ein Abbild, sterblich, reizend arm.

Und Tristan log sich selber vor:

»Ich bin gestürzt vom goldnen Thor,

Hab einen Himmelstraum geträumt:

Nun, da der Becher ausgeschäumt,

Muß ich ein irdisch Loos erlesen;

Und will nun dieses gute Wesen

Ihr Glück mit innigem Vertraun

Auf ein zerstücktes Herze baun,

Wohlan, so soll sie glücklich sein.

Die Fetzen, die ich nenne mein,

Die will ich gern zur Steuer geben,

Um aufzurichten ihr sehnend Leben.

Also wird ein unheilig Gut

Zum Gottespfennig, und die Gluth,

Die meine Königin bedroht

Mit ewiger Noth, mit bittrem Tod,

Die meinen Ohm in Schande stürzt,

Mich an den Treuen und Ehren kürzt,

Die soll nun einen stillen Herd

Als Feuer wärmen, das nicht verzehrt.«


Das war der größte Lug und Trug,

Den Tristan je zu Markte trug!

Mit Lieb und Treu, mit dem höchsten Gott,

Treibt so der Teufel seinen Spott.

Und ob's meinen Brüdern nicht behagt,

So bleibt es dennoch wahr gesagt:

Mannesherz ist ein ärmlich Ding!

Ihm ist keine Labung zu gering,

Den Durst zu stillen, der ewig flammt,

Die Sehnsucht, die vom Himmel stammt.

Der Mann, der alles verloren hat,

Ißt sich mit Lust am Staube satt:

Wenn ihm Gott, Lieb und Freiheit fehlen,

Kann er noch Steckenpferde quälen.

Die enge Brust voll Eigensucht,

Hascht er nach jeder kleinen Frucht,

Die winkend ihm ins Auge sticht,

Ein armes Stündchen Lust verspricht;

Und hat er dran gekühlt den Sinn,

Wirft er das Spielzeug wieder hin.

Seine Unruh mag er in dem nicht'gen,

Dem lauten Treiben leicht beschwicht'gen,

Und nimmer thut er doch sein Ich,

Auch in der Liebe nicht, von sich,

Das freilich, so hat es Gott bestellt,

Die Wurzel ist, die da sprengt die Welt.

Kaum, wie sich auch die Loose schwärzen,

Stirbt Einer am gebrochnen Herzen.

Ein Weib, das liebet, ist nicht mehr

Ein Ding von Staube, grob und schwer:

Sie starb der Erde blöden Banden

Und ist in Himmelsluft erstanden.

Wie ist ihr Herz so still und rein:

Ihr Du nimmt all ihr Wesen ein,

Für das sie starb, ihr andres Ich,

Und in ihm wohnt Gott sichtbarlich.

Ihr Lieben, das nichts Eignes kennt,

Ist Sterben, Opfer, Sacrament,

Ein Gottesdienst, das ist ihr Lieben!

Drum kann ihr Glück nie ganz zerstieben:

Wenn ihre Sterne all erblassen,

So ist sie nicht getäuscht, verlassen,

Mit dürft'gem Ich arm, bloßgestellt:

Im Herzen ihre wahre Welt

Bleibt, wie sich auch das Auge feuchte,

Ein Tempel mit der ewigen Leuchte,

Drin für und für mit sanftem Wehn

Die Gottheit waltet ungesehn,

Wo ihr im Schein verloren Gut[229]

Im Wesen unverloren ruht,

Unsterbliche Gluth vom Himmelsfunken,

Den sie aus Staub und Nichts getrunken!

Ja oder, bricht zu tief die Pein,

Zu nächtlich über sie herein,

Da quillt statt Thränen Blut, da schwellen

Zurück zum Herzen seine Wellen,

Der Liebe zart Gefäß zerspringt,

Eh es unheilige Fluth durchdringt,

Der Tempel stürzt und liegt begraben,

Eh ihn Nachtgeister verwüstet haben.

Die Frau, die spielt mit Herz und Treu,

Die reinigt Beichte nicht, noch Reu.

Sie nicht! Die ärmste Sünderin,

Die ihren Leib der Lust gab hin,

Die büßt und betet die Nächte lang,

Vernimmt, wie Leben den Tod bezwang,

Und liest im siegenden Morgenlicht

Der Gnade Wort. Sie nicht! Sie nicht.

In ihrem Busen nagt ein Wurm,

Ein Flüsterwort, doch laut wie Sturm,

Todkalt, und heiß wie Höllenpein,

Ruft ihr ins Ohr und schläft nicht ein:

»Du hast dein Kleinod fleckenlos,

Das Welt und Himmel in sich schloß,

Den höchsten, einzigen Hort verschwendet,

Hast Herz und Treu und Gott geschändet!« –

Der Mann geht manche Lebensspur,

Das Weib lebt in der Liebe nur.

Ihn laden Pilgerfahrten viel:

Ob Schuld, ob Weh, ihm winkt ein Ziel,

Zu bergen sich vor Rachepfeilen,

Die schwerverletzte Brust zu heilen.

Ob er stillsegnend wirkt und schafft,

Ob er mit lauter Heldenkraft

Des Geistes Nerv, des Herzens Blut

Zum Opfer gibt mit treuem Muth

Für seines Volkes Schmerz und Klagen,

Für Sonnen, die der Menschheit tagen,

Er kann in Thaten Ruhe finden,

Kann büßen, kämpfen, überwinden.


Und doch, so lang er hienieden lebt,

Wie er auch wirkt und wie er strebt,

Aufragend über Leut und Land

Um einen Kopf, um eine Hand,

In Reden und Thaten wundergroß, –

Das Herz, das Herz bleibt heimathlos!

Wie Mancher, der, ein Mann, ein Held,

Nach außen leuchtet vor der Welt,

Im Herzen gleicht er dem Waisenkind,

Einsam, verwildert, irr und blind.


Tristan, verbannt von seinem Stern,

Lief in der Wildniß weit und fern,

Wie damals, wo er am nackten Strand

Vom Schiffe ward gesetzt ans Land

Und sah um sich ein öd Gefild,

Nichts Lebendes, alles wüst und wild,

Wilde Felsen und wilde See:

In dieser Angst, in diesem Weh

Trat erstmals tröstend zu ihm hin

Karsie, die gute Herzogin,

Die ihm so mild, so mütterlich

Das weinende, wunde Herz bestrich

Mit Balsam, wie aus zarten Händen

Ihn nur die Frauen können spenden.

Das war der Fessel erster Ring,

Der ihn, den Vogelfreien, fing,

Das war der erste Reiz vom Leim:

Er fand sich wieder einmal daheim

Und hatte, was zum Lebensmuth

Dem Stärksten Noth, dem Rohsten thut.

Des Landes Retter, dort gelähmt

Zu hoher That, verfolgt, verfehmt,

Hier stand er hoch in Ehr und Macht,

Was er begehrte, das war vollbracht,

Die Lande dienten seiner Hand,

Der Herzog war ihm zugewandt,

Sein Sohn, bedacht auf des Landes Heil,

Spann, ihn zu halten, manches Seil;

Und – nun, ihr kennt sie ganz und gar –

Die mit den weißen Händen war

Bedacht und beflissen von ganzer Seelen,

Ihn seiner Herzensfrau zu stehlen.

Das ist der Mädchen größte Lust.

Meint ihr, sie hab es nicht gewußt?

Nein, nein! und was auch Gottfried spricht,

Ich widersprech ihm ins Angesicht:

Sie wußt' es! Solche Neuigkeit

Tragen die Lüfte, die Vögel weit,

Sie hätt' ihm, wär alles auch still gewesen,[230]

Aus dem Aug la blunde herausgelesen!

Doch barg sie das Geheimniß fein

Und dachte nur: »Er wird doch mein,« –

Indeß sie ihn leis und los umging,

Wie streicht ums Licht ein Schmetterling,

Der an der Flamme sich ergetzt,

Bis daß er sich verbrennt zuletzt.

Dies Schmeicheln, wie es kost und dahlt,

Das hat der Meister so wohl gemalt,

Daß manche Maid ins Herz erschrickt,

Wenn sie auf jene Worte blickt!


Ich will Gewürz nicht würzen,

Ich will die Märe kürzen,

Will Tristans Leidenszeiten

Weder längen, noch breiten;

Ich kann sie doch nicht versüßen:

Er hat noch genug zu büßen.

Wohlan. Es war ein Wink, ein Nu,

Da zogen sich die Schlingen zu,

Und eines Tages stand Tristan,

Mit Feierkleidern angethan,

Neben Isolden in einem Ring,

Wo sie Hand und Gelübde von ihm empfing.

Der Herzog, Frau Karsie gut,

Herr Kaedin, das junge Blut,

Die Barone des Landes all,

Dazu der Hof mit großem Schall

Wünschten dem Paare Heil und Segen

Und streuten Rosen allerwegen.

Was ihm dabei aus dem Angesicht,

Aus den Augen sprach? Ich weiß es nicht.

Nun kam das Mahl, reich, prächtig, laut:

Die Knappen, mit dem Amt betraut,

Riefen, nicht eben leise:

»Hola, hola, Küchenspeise!

Hola, Trank! Hola, Futter!«

Karsie, die frohe Mutter,

Als die Tische weggenommen,

Hieß Pfeifer und Fiedler kommen

Fürs junge Volk. Da ward getanzt,

Umgesprungen und umgeschwanzt,

Und mitten in den Reigen trat

Der Bischof stattlich im Ornat,

Die Ehe zu segnen, die fürwahr

Im Himmel nicht geschlossen war; –

Dann gleich, um niet- und nagelfest

Den Bund zu machen, fort ins Nest!

Doch wie es ging in der Brautnacht zu,

Heinrich von Friberg, sag es du,

Mit Maß! denn wirst du mir zu frei,

So bin ich mit der Scheere dabei.


Karsie und die klaren

Frauen, die dorten waren,

Führten die glühende, holde,

Wonnige Magd Isolde

Zu ihrem Herrn Tristanden,

Den sie zu Bette fanden,

Hinein in die Kemenaten,

Allwo sie den Segen thaten

Und gingen und wünschten gute Ruh.

Karsie machte die Thüre zu;

Da stund Herr Tristan auf und schloß

Dafür noch einen Riegel groß.

Dieweile nun daß Herr Tristan

Abzuschließen die Thür begann,

So lag seines Herzens Fraue dort

Und seiner neuen Freuden Hort,

Die weißgehande schöne Isot,

Und besorgte sich mancher Noth

Für ihren jungfräulichen Ruhm

Und für ihr blühendes Jungfrauthum.

Das wollte sie ernähren,

Sich eine Weile wehren.

Sie dachte: »Ein erobert Gut,

Das däucht ihm noch einmal so gut.«

Zwo Kerzen brannen zu Häupten ihr

Und gaben ihr wonnigliche Zier.

Sie lag zusammen gedrücket

Und minniglich geschmücket

In jungfräulichem Ruhme:

Sie hatte dem Jungfrauthume

Erbauet eine Festen

Aus Gezeuge dem besten,

Das ihre Mutter gezogen,

Aus Armen und Ellenbogen,

Aus Händen und aus Beinen;

Der Feste Dach, der reinen,

Das war ein seiden Hemde:

Mich jammert's und däucht mir fremde,

Wie sie darein so minniglich[231]

Geschmieget und verschanzet sich,

Daß es von ihm, wie sich gebührt,

Nicht ward zerrissen noch zerführt.

Herr Tristan ging zu Bette wieder:

Er legte sich zu der Jungfrau nieder

Und deckte lieblich sich zu ihr.

Sein Herze und all seines Herzens Gier,

Sein Wille, Sinn und all sein Muth

Waren ihm gegen der Jungfrau gut.

An sie gar nahe schmiegte er sich

Und begann gar hold und minniglich

Gegen ihr zu gebaren:

Unter dem Hals, dem klaren,

Ließ er den Arm durchschliefen,

Seine Finger, die liefen

Ueber Kinn und Wange aus und ein.

»Ja,« gedachte Isold, »es muß nun sein.«

Ihr Wille, ihr jungfräulicher Muth,

Der war auch gegen dem Manne gut.

Minne und Lust, die ging gleich sehr

Unter den Beiden hin und her:

Die Magd in seiner Minne brann,

In ihrer Minne brann der Mann,

Er begehrte sie, sie begehrte ihn.

O weh, in diesen Freuden schien

Ein Blitz von einem Golde,

Vom Ringe seiner Isolde,

Und schoß wie eine Schlange

Ihm in das Aug, das bange.

Sein Leib erbebte von einem Schlag,

Sein Herz erseufzete, und er lag.

Lag er? Ja. Wer? Nun, Herr Tristan

Lag recht als wie ein todter Mann.

Warum denn lag er lebend todt?

Da kam ihm jene andre Isot,

Von Kornwall seine Königin,

Die ihm da gab das Ringlein hin

Im Garten dort, der Treue Ring,

Da er in Treuen von ihr ging,

Da sie sich schieden mit bittrer Noth, –

Die kam recht wie ein Morgenroth

Und wie ein brennender Sonnenschein

Tristanden in das Herze sein.

Ihr Beider Fraue, die Minne,

Die freche Stürmerinne,

Die kam dort her, sturmbrausend,

Mit ihren Flammen sausend,

Und führte die Rechte aus Irenland

Durch der Kemenaten ganze Wand

Und legte sie gar schnelle

Recht in die innere Zelle,

Die in Tristandens Herzen stand;

Da nahm sie Tristan allzuhand

Und legte sie minniglich hinein

In seines Herzens innern Schrein,

Allda sein Geist seines Lebens pflag:

Da lag seines Herzens Ostertag,

Isot la blunde, la bele;

Und die von Arundele,

Die lag ihm an dem Arme hie, –

Ihr könnt wohl selber denken, wie.

Genug! Es ist zum Lachen toll

Und ist des tiefsten Elends voll:

Zwei junge Herzen, die zur Stund

Besiegeln sollen ihren Bund,

Und zwischen ihnen welche Kluft!

Ein Brautbett eine Leichengruft!

Wie höbe Meister Gottfried an?

Da war nun freilich mein Herr Tristan

Isolden fern, Isolden nah,

Isolde hie, Isolde da –

Du stammelst nur, so schweige gar!

So plötzlich nun, so schmählich war

Die Hülle, die im Menschenleben

Täuschungen hold gesellig weben,

Vorm goldnen Blitz der Treu zerronnen,

Und nackt lag auf dem Pfühl der Wonnen

Die Lüge, sein, zu ihm gebettet,

Ihm unauflöslich angekettet;

Und mit Entsetzen sah der Mann

Die Gesellin seines Elends an:

Sie däuchte ihm nicht mehr wie zuvor,

Sie kam ihm kahl und widrig vor;

Und war doch sein, sein ehlich Weib,

Ihr eigen er mit Seel und Leib!

Noch einmal sah er sie an mit Weh:

Da war sie wieder schön wie je,

Nur fremd, wildfremd, so daß ihm graute,

Mehr noch, als da er entstellt sie schaute.

»O Tod!« – mehr dachte Tristan nicht:

Er barg im Kissen sein Gesicht,

Und seiner Seele, wirr und wild,[232]

Vorüber sauste Bild um Bild,

Nicht, was zu seinem Schmerz gehörte,

Nur, was der Seele Spiegel störte,

Bedeutungsloses, was erst da

Ihn mahnte, daß er's einstens sah,

Und deutlich, widerwärtig klar,

So daß er dem Wahnsinn nahe war.


Die Schöne indeß lag ihm am Arm

Und sah ihm zu mit stillem Harm:

Ihr Sehnen, Gegenwehr und Zagen

War alles in den Wind geschlagen.

Sie kehrte sich ab, ihr Herze schwoll,

Sie sah nach der Decke gedankenvoll,

Seufzte leise und endlich laut,

Wandte sich schüchtern, schmiegte sich traut

Ihrem liebsten Herren nahe bei

Und fragt' ihn, ob er böse sei.

Er wünschte sich in den härtsten Strauß,

Stammelte dies und das heraus,

Hob endlich von einem Gelübde an,

Das er in Meeresnoth gethan,

Und dachte: »Käme nur Jemand her,

Daß ich nicht so alleine wär!«

Und fühlte, getroffen wie vom Blitz,

Des Wunsches ganzen Aberwitz,

Daß zwischen ihn und zwischen sie,

Die Eigensten, Nächsten auf Erden hie,

Sich eine fremde Seele dränge.

Er suchte Luft, ihm ward so enge,

Und knirschend wieder ins Kissen tief

Drückt er sein Auge, das rollt' und lief.

Sie sprach, ihr sei alles recht und lieb,

Wenn ihr nur seine Liebe blieb,

Und weinte heimlich ein paar Thränen

Gesparter Blüthe, getäuschtem Sehnen.

Die Nacht schlich tödlich, bis der Tag

Schauernd über der Kammer lag,

Karsie mit der Frauenschaar

In Freuden kam gegangen dar,

Mit Imbiß und mit Morgensegen

Des segenlosen Paars zu pflegen.


Und nun, indeß in Hochzeitfreuden

So Hof als Land die Zeit vergeuden,

Wochen auf Wochen fliegen hin,

So viel als Herzog Jovelin,

Stolz auf des Eidams Trefflichkeit,

Dem schönen Feste hat geweiht,

Indeß die Tanzmusik erklingt,

Im Buhurt Speer an Speer zerspringt,

Willst du, o Lied, die Tücher heben,

Die bunt gereiht an Lanzen schweben

Des großen Festsaals Wand entlang?

Wagst du zu lüften den Behang

Der Pracht, die jubelnde Wogen schlägt,

Zu zeigen, was sie im Grunde trägt?

O laß, laß ab! dahinter lauert

Ein Leid, das ist vom Tod durchschauert,

Ein Elend ohne Ziel und Grund;

Kein Mund auf Erden thut es kund:

Stumm in den Herzen ruht solch Loos,

Die stillen Sterne wissen's bloß,

Die ein zerrüttet Haus bescheinen,

Die Engel, die am Herde weinen,

Auf dem kein häuslich Feuer brennt.


Die Lust war aus, das Fest zertrennt,

Die Teppiche ruhten in dem Schrein,

Das Alltagsleben zog nun ein,

Das Mann und Weib erst fest verknüpft,

Den Schleier mancher Täuschung lüpft

Und auch vermindert manchen Fehl:

Doch ward's nicht anders in Arundel.

Isolde schwieg von ihrem Leid,

Sie war eine wohlerzogene Maid,

Auch schied sie von der Hoffnung nicht

Und zeigt' ihrem Herrn ein hold Gesicht,

So lieb sie konnte. Tristan sah's,

So daß es ihm am Herzen fraß.

Was eine liebe Hand nur thut,

Ist alles recht, ist alles gut:

Die ungeliebte, was die hebt an,

Das ist und bleibt verkehrt gethan.

Mitleidig sprach er: »Armes Herz,

Dein Mühen mehrt nur meinen Schmerz.

Du hast, was auch dein Auge spricht,

Den Schlüssel zu meinem Herzen nicht.

Dein Lieben, ach, daß Gott erbarm,

Deine Seele ist so arm, so arm.

Es liegt mehr Herzenshuld darin,

Wenn meine blonde Königin

Freundlich mein Hündlein streichelt,[233]

Als wenn deine Hand mir schmeichelt.

Mich trog dein Aug: ich trog dafür

Dein Herz: nun büßen wir nach Gebühr.« –

Den goldnen Ring von Tintayol

Sah er zu hundert Malen wohl

In einer Stunde seufzend an.

»Weh,« rief er, »was hab ich gethan!

Wie schnöd vergaß ich Ehr und Treu!

Ich wähnte, ich könnte ohne Scheu,

Straflos vertauschen mit leichtem Muth

Den Himmel gegen ein irdisch Gut.

Nun seh ich, daß ich besser bin,

Als ich mich schätzte im blinden Sinn.

Nun steht die Treue, die Minne

Auf meines Herzens Zinne

Und läßt nach schweren Kriegen

Die Fahne wieder fliegen,

Ach, aber nicht mehr roth, wie vor,

Es ist ein dunkler Trauerflor,

Ihr Siegerauge bewölkt, bethränt,

Und unter ihren Füßen gähnt

Ein Grab, vor dem auch sie erbleicht,

Ein Abgrund, der zur Hölle reicht.«


Solch Leben trug Tristan nicht lang:

Er fühlte sein Unrecht still und bang.

Des Herzogs froh Vertrauen,

Karsiens fragend Schauen,

Isoldens heimliche Thränen,

Ihr ungekühltes Sehnen,

Kaedins Lust und Uebermuth,

Das fiel ihm alles schwer ins Blut.

Sein Schwertgenoß, sein Siegsgesell,

Mit seinen Augen jung und hell,

Sein Herzenstrost, sein Kaedin,

War jetzt nur eine Last für ihn.

Wie Vorwurf klang, laut oder leis,

Ihm jedes Wort aus ihrem Kreis.

Er ward nicht heimisch mehr, wie eh:

Nach außen Trotz, nach innen Weh,

Macht' er sich ihnen theuer

Und fuhr auf Abenteuer.

Wer wird nach so drangvollen

Geschicken sie hören wollen?

Sie waren wirr, sie waren wild

Von seinem Innern ein treues Bild.

Den Andern schuf es Zorn und Gram,

Daß er so achtlos ging und kam.

Da sprach sein Weib für ihn: Ihm sei

Zu eng, er dürste nach Thaten frei;

Sie sagte: »Laßt ihm seinen Willen,«

Und ging und seufzt' und weint' im Stillen.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 228-234.
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