Achtes Kapitel

[131] Wie Zögern wechselt mit Überraschen, aber ebenfalls nicht auf angenehme Weise


So verzögerte sich die Ausführung einige Tage, bis endlich die Mutter nachgab und erkannt wurde, es müsse dem Johannes geschrieben werden, daß er die Sache alsbald verrichte.[131] Aber wer sollte schreiben? Die Mutter konnte nicht, Joggeli war eine Feder ärger zuwider als ein angezündet Schwefelholz unter der Nase. Elisi schmierte endlich einen Bogen voll, von dem aber erkannt wurde, den könne man nicht abgehen lassen, denn der gelehrteste Professor könne nichts daraus machen. Elisi heulte, aber damit entstund kein verständlicher Brief. Joggeli mußte endlich das Wort geben, er wolle morgen selbsten einen machen. Am Morgen fiel es Joggeli plötzlich ein, heute sei der Tag, an welchem der Lehenzins verfallen sei, und nun plagte ihn die Neugierde, ob Uli wohl zahlen werde oder nicht? Er hatte gesehen, daß der Müller Korn geholt, hatte auch die Zahl der Malter gezählt, den Preis zu vernehmen gesucht und daraus geschlossen, Uli werde im Sinn haben zu zahlen. Joggeli hatte nicht Angst, er könne um seine Sache kommen, aber er freute sich auf das Geld. Kinder und alte Leute sind auch darin sich ähnlich, daß sie gerne mit Geld spielen, es zählen, es rollen lassen durch die Finger, Häufchen machen, es durcheinanderwerfen, es transportieren aus einem Sack in den andern Sack. Er vergaß den Brief ganz, sah gleich mit Tagesanbruch erst lange durch die Fensterscheiben, ob Uli nicht anrücke. Später träppelte er ums Haus herum, zeigte sich, in der Erwartung, Uli lasse sich dann auch hervor mit einem großen Bündel Geld. Da kein Uli erschien, trippelte er hinüber zum Hause, kam zu den Knechten, frug wie von ungefähr, ob der Meister daheim sei oder fort? Sie wüßten nichts anders, sagten die Knechte, sie hätten ihn erst noch gesehen und gsunntiget sei er nicht gewesen. Er scheuet sich vor mir, dachte Joggeli, darf oder will sich nicht sehen lassen; entweder hat er das Geld nicht oder er will mich nicht bezahlen, eins ist so schlimm als das Andere, aber wenn es vierzehn Tage geht, so schreibe ich Vetter Johannes, er ist Bürge, er kann zur Sache sehen. Doch trotz diesem Rückhalt hatte er[132] den ganzen Tag keine Ruhe, er trappete herum, als ob er ein Wurmpulver im Leibe hätte, und trotz seinem Trappen sah er Uli den ganzen Tag mit keinem Auge.

Uli lebte, er lebte einen großen Tag, er machte seine Jahresrechnung, zog seine Bilanz, verglich mit der Rechnung die Kasse. Das ist ein Stück Arbeit für einen Uli! Zehn Jucharten Roggen säen in einem Tage ist Kinderspiel dagegen. Ja, Rechnen hat eine Nase, besonders wenn man es nicht wohl kann.

Uli hatte begreiflich das Jahr durch schon gar oft gerechnet, vielleicht nur zu viel, doch so recht bis auf den Grund noch nie, und das sei notwendig, hatte er gehört, besonders für Anfänger. Es sei schon gar Mancher zugrunde gegangen, weil er nie nachgesehen, wie er stehe, ob er vorwärts oder rückwärts gehe. Am Jahrestag seiner Meisterschaft übernahm er nun diese Arbeit. Er zählte zuerst das Geld, welches er hier in einem Bündelchen, dort in einem Körbchen, anderwärts in einem Strumpfe hatte. Ein reicher Bauer hatte ihm gesagt, wenn man viel Geld im Hause habe, müsse man es verteilen; kämen Diebe, so kriegten sie doch niemals alles, sondern nur einen Teil. Das Zählen schon trieb ihm den Schweiß aus, denn so oft er zählte, so oft gestaltete sich die Summe anders. Zu der Gewißheit kam er, daß jedenfalls über tausend Taler seine Kasse enthielt. Nun versuchte er die richtige Summe aus seinem Buche zu finden, das war aber erst ein Hexenwerk, aus welchem noch ein ganz Anderer als Uli nicht gekommen wäre. Uli hatte aufgemacht und hatte nicht aufgemacht. Größere Posten waren aufgeschrieben, aber kleinere begreiflich nicht. Verkaufte Kühe waren aufgemacht, aber von verkauften Kälbern fand man wenig Spuren, von verkauften Ferkeln gar keine; so wollten im Buche sich nicht reimen Ausgaben und Einnahmen, und mit dem vorhandenen Gelde paßte die Bilanz im Buche erst nicht. Im Buche[133] fehlten alle kleinen täglichen Ausgaben, nur die größern Summen stunden da. Wer aber einige Zeit hausgehalten hat, weiß, wie viel Kleines zu was Großem sich summiert. Kurz ins Reine brachte er es nicht, er kam bloß so weit ins Klare, daß er mehr als zweihundert Taler in bar gespart. Das Vieh im Stall war von geringerem Werte als das, welches er übernommen, dagegen besaß er noch ein ziemlich Quantum Korn, weit mehr als für den Hausbedarf bis zur Ernte. Vorräte von allen Sorten, wie sie einer Haushaltung wohl anstehen, hatte Vreneli doch gemacht; seit der Bodenbauer seine Vorlesung über Hausökonomie gehalten, war es von Uli weniger gehindert worden. Was er an Vorräten hatte, schätzte er zu ungefähr hundert Talern, so daß also sein Gewinn oder Arbeitslohn zum wenigsten dreihundert Taler betrug. Zuerst wollte er sich freuen darüber, dieweil das ein so schöner Anfang sei, aber nach und nach flogen ihn allerlei Mücken an. Er fand, daß dies doch eigentlich nichts sei. Es sei ein ausgezeichnet gutes Jahr gewesen, sagte er, und nur dreihundert Taler! Jetzt habe er bar auf der Hand, daß er in ordinären Jahren nichts verdiene, nicht so viel als sein schlechtest Knechtlein. Sollte es aber Fehljahre geben, könne er nicht bloß dreihundert, sondern sechshundert Taler verlieren so gut als einen Batzen! Wo dann die nehmen? Und gesetzt, meinte er endlich, was seien doch dreihundert Taler für so viel Not und Mühe und so große Gefahr, um alles zu kommen! Da müsse man es sein Lebtag böse haben und komme doch zu keinem Vermögen. Dann sei es nicht gesagt, daß man immer gesund bleibe und arbeiten möge wie ein Hund bis in das höchste Alter. Am Ende wäre es besser gewesen, er wäre Knecht geblieben, dachte Uli, so finster kam es ihm ins Gemüt. Der Uli, der vor Jahren dreihundert Taler für ein unerschwinglich Vermögen angesehen hatte, der achtete sie jetzt für nichts und hatte gute Lust, wirbelsinnig zu werden, weil[134] er in einem einzigen Jahre bloß dreihundert Taler verdient. So kann der Mensch sich ändern, so wunderlich kann es ihm in den Kopf kommen.

Vreneli sprach ihm zu und sagte ihm: Er mache ihm recht angst. Das sei Undank gegen Gott, und wo der sei, da zeige Gott gerne, daß die Sache an ihm liege, und wenn man nicht zufrieden sei mit seiner Güte, man sich fügen müsse in seine Strenge. Es wären Tausende, welche Gott auf den Knieen danken würden, wenn sie zu dreihundert Talern kämen. Es sei noch kein großes Vermögen, aber doch ein schöner Anfang, es decke den Rücken und um so getroster könne man der Zukunft warten. Daß es so viel sei, hätte es nicht geglaubt, und wenn nur Uli zufrieden sei, so habe es den festen Glauben, es komme alles gut; aber zu viel auf einmal wollen, das sei vom Bösen, damit verderbe man es gerne bei Gott und bei den Menschen. Zur Beredsamkeit enfaltete Vreneli noch seine ganze Liebenswürdigkeit und brachte es wirklich dahin daß es aus Ulis Kopf die Mücken ausjagte und dieser, als er sich endlich aufmachte, um Joggeli den Zins zu bringen, ein ganz zufriedenes Gesicht hatte.

Derselbe hatte wirklich schon alle Hoffnung aufgegeben, heute sein Geld zu sehen. Das sei Bosheit vom Uli, sagte er seiner Frau. Derselbe hätte es, er wisse es wohl, aber er wolle ihn nur plagen; doch das solle ihn nichts nützen, je länger er mit dem Gelde warte, desto mehr schlage er ihm mit dem Zinse auf. Er tat noch viel nötlicher als drüben Uli, so daß auch hier das Weib das Mittleramt übernehmen mußte. Er solle sich doch schämen, so nötlich zu tun. Das wäre wohl gut, wenn sie kein Geld mehr hätten oder sonst nicht zu leben. Es könnte sein, daß ihm zuletzt noch lieber wäre, Uli sei ihm das Geld noch schuldig, als daß er es in Händen habe. Es sei heute der erste Tag, wo es verfallen sei, er solle doch denken, wie Viele froh wären, wenn sie den Zins im[135] ersten Jahre erhielten. Selten einem komme es in Sinn, den Zins auf den ersten Tag zu bringen, und Mancher hätte es noch ungern, wenn sein Pächter am ersten Tage käme, als ob der Herr ohne das Geld nicht mehr auskommen könne. »Das ist mir hell gleich« sagte Joggeli, »wie es Andern dünkt, aber mir hat er versprochen an die Hand zu gehen, und wenn einer was verspricht, sollte er es halten, sonst halte ich nichts mehr auf ihm.« »Du hast mir auch manchmal schon was versprochen und es nicht gehalten,« sagte die Frau. »Ja, das ist was ganz anderes,« sagte Joggeli, »ich bin nicht dein Pächter und du nicht mein Lehenherr,« antwortete Joggeli. »Habe gemeint, Halten sei Halten,« entgegnete die Frau. Da klopfte es. »Sieh doch, Frau, lauf doch, kannst nicht vom Platz, vielleicht ist ers noch, wäre brav von ihm! Aber vielleicht hat er falsches Geld und hat gedacht, wenn es Nacht sei, sehe ich es nicht. Muß die bessere Brille nehmen, wenn er es ist.«

Richtig war es Uli. »Bin wohl spät,« sagte derselbe, »wenn man so viel Geld in allen Winkeln zusammenlesen muß, kann man sich darob versäumen. Aber ich wollte den guten Willen zeigen. Da wärs alles in einem Seckel, es ist ein großer Bündel! Aber wenn es Euch wohl spät ist, so kann ich ja morgen wieder kommen. Es ist eine Zeit, wo man so viel nicht versäumt.« »Nein, nein, bleib, bleib!« sagte Joggeli. »Hat man einmal Geld im Hause, wäre es ja dumm, es wie der forttragen zu lassen. So ein Zinschen ist bald gezählt, und wenn es auch größer wäre, könnte man daran machen, bis man fertig ist.« »Ja,« sagte Uli, »glaube, für Euch sei es nicht viel, Ihr würdet ihn auch noch größer nehmen, aber Geben ist nicht gleich wie Nehmen. Wenn Ihr ihn geben solltet und herausschlagen aus den Steinen, dann würde er Euch mehr als groß genug scheinen und billig und recht, wenn er kleiner wäre und abgemacht würde.« So zählten sie und fochten mit Worten, wie es üblich ist, wenn Pachtzinse gegeben und[136] genommen werden. Joggeli brauchte die schärfere Brille, fand jedoch trotz derselben kein falsches Geld. Die Sache sei recht, sagte er, wie er es erkennen möge. Sollte aber am Tage sich was noch zeigen, so werde Uli nicht dawider sein, es zurückzunehmen. Er glaube nicht, daß was sei, sagte Uli, daneben könne man sich irren, ja freilich. Und wenn Joggeli was finde, ehe er dieses Geld mit dem seinen zusammengetan, so nehme er es schon wieder. »Du wirst doch nicht etwa glauben, daß ich dich betrügen wolle?« fragte Joggeli. »Bewahre,« sagte Uli, »aber man kann sich irren.«

Joggeli tat wirklich das erhaltene Geld nicht zu dem seinen; den Genuß, mit Zählen und Sortieren desselben den folgenden Morgen sich zu verkürzen, ließ er sich nicht rauben. Am folgenden Morgen sagte seine Frau: »Schreibe doch dem Johannes, ehe du was anders anfangst, sonst wird heute wieder nichts daraus; ich muß es sagen, es wäre mir lieb, wenn die Sache an ihren Ort käme, ds Elisi tut so wüst, ich halte es nicht lange mehr aus.« »Freilich, freilich,« antwortete Joggeli, »geschrieben muß werden, aber jetzt muß das Geld gezählt sein, das wirst doch begreifen! Tue ich es mal weg und komme Uli hintendrein mit Irrtum oder falschem Gelde, so will er nichts mehr davon und ich habe das Nachsehen, begreifst?«

Nun setzte sich Joggeli zurecht zu einem behaglichen, flotten Privatvergnügen; beide Brillen legte er neben sich, Bleistift und ein Stücklein weißes Papier ebenfalls, schüttete den Sack aus, reihete das Bild recht auseinander und begann nun eine vergnügliche Musterung, welche bei der speziellen Inspektion der einzelnen Stücke anfing. Wo sie geendet hätte, wissen wir nicht, denn wie Joggeli am besten daran war, erschien unter der Türe die breite Gestalt von Sohn Johannes. »Ho, da komme ich gerade recht,« tönte es wie aus einem mächtigen Weintrichter hervor.[137]

Wenn ein Blitz ins Stübchen gefahren wäre, Joggeli hätte nicht ärger zusammenfahren können; die bessere Brille fiel auf den Boden und zertrümmerte, mit beiden Händen fuhr Joggeli über den Haufen her als wie zum Schutze. »Gerade recht, beim –, komme ich, nie hätte es mir anständiger sein können, einen so großen Haufen Geld beisammen zu sehen,« sagte Johannes, »den kann ich brauchen, mit dem läßt sich was machen.« »Ja, ja,« sagte Joggeli, »glaubs; es weiß ein je, der was zu machen, einen guten Schick hier, einen guten Schick dort, wenn ich auch nur mal was davon hätte! Aber ob den guten Schicken komme ich am Ende um meine Sache, darum will ich nichts mehr von guten Schicken hören, diesmal brauche ich das Geld selbst; aber eine feine Nase mußt haben, daß du so manche Stunde weit es gerochen hast, daß ich einen Kreuzer Geld im Hause habe.« »Nicht wahr, Vater?« sagte Johannes, »die Nase ist noch gut, die habe ich noch nicht versoffen, die muß erst zuletzt an den Tanz. Aber Scherz beiseite, Vater, die Sache ist die, ich muß Geld haben, um mit Wein zu spekulieren; jetzt ist was zu machen, gerade jetzt, beim Abzug. Wenn einer jetzt mit Geld ins Welschland kömmt, so kann er einen prächtigen Schnitt machen, fünfzig Prozente hat er so gut als einen Kreuzer; ich habe mit einigen Wirten es abgeredet, hineinzufahren, sie sind gut bekannt, kennen die besten Plätze, aber mit dem Gelde steht es bei ihnen schlecht; da dachte ich an Euch und komme eben recht, so mit tausend Talern bar läßt sich schon was machen.«

Potz Kuckuck, wie speite Joggeli Feuer über diesen Vorschlag! »Meinst, ich solle einen Geldseckel halten für das ganze Vaterland und mit demselben jedem Hudelwirte zu Gevatter stehn? Das Geld habe ich schon lange selbst nötig gehabt, brauche es selbst, habe es verheißen, mußte ein ganzes Jahr mit Bangen darauf warten; es ist der Pachtzins, und[138] kaum habe ich ihn im Hause, so führt dich der Kuckuck daher, als ob das Geld ein Aas wäre und du ein Fleischvogel. Aber da wird nichts daraus, gehe zu deinem Schwäher, der tut immer so groß, hat das Maul voll Gold, soll mal auch die Hand in Sack stoßen und dir helfen, es ist an ihm so gut als an mir; er soll mal zeigen, daß er Geld noch wo anders hat als nur im Maul.«

Während der langen Rede strich Joggeli unwillkürlich den Haufen zusammen und suchte nach dem Sacke, er wähnte wahrscheinlich, wenn es mal darin sei, so sei es geborgen. Aber Johannes kannte den Vater und die eigene Macht. Potz Himmeltürke, wie ließ er eine Rede fahren, was das von einem Vater gemacht sei, wenn er dem Sohne vor seinem Glück sein wolle! Was er mit seinem Reichtum anfangen wolle, mit in den Boden werde er ihn doch nicht nehmen wollen? Der Schwäher sei nur der Schwäher, einstweilen ein Unflat; tue er aber mal die Augen zu, so werde er im Ausmetzgen desto besser ausfallen. Dann sei es ja nicht, daß er das Geld um Gottes willen begehre, er wolle Papier dafür ausstellen, es genügend verzinsen, wenn es sein müsse. Ja, ja, sagte Joggeli, Papiere hätte er viele, er könnte drei Jahre die Pfeife damit anzünden, etwas anders würde er damit wohl nicht anfangen können; jetzt habe er mal Geld, und zu demselben wolle er jetzt Sorge tragen, und während er sprach, packte er so unmerklich als nur möglich Geld in den Sack. »Nun,« sagte Johannes kaltblütig und klopfte seine Pfeife aus, »wenn das so gemeint ist und Ihr mir nicht helfen wollt, Wirt zu sein, wie es sich gehört, so kann ich es anders machen; ich gebe mein Wirtshaus in Pacht oder verkaufe es, wie es sich besser schickt, komme her und will da Bauer sein.«

Das war ein Kernschuß! Joggeli hörte alsbald mit Einpacken auf und sagte: »Bist doch gleich so aufbegehrisch, man kann nicht mehr vernünftig mit dir reden; habe ja nie[139] gesagt, daß ich dir nicht helfen wolle, aber alles Geld fortgeben kann ich doch auch nicht, ich und meine Alte müssen auch leben. Du glaubst nicht, welch weit Maul eine Haushaltung hat, was man alles kaufen muß.« »He,« sagte Johannes, »wenn Ihr die Zinse von dem Kapital braucht, welches Euer Herr Tochtermann Euch eingehändigt hat für verkaufte Vorräte, so kommt Ihr schon weit damit.« »Schweig mir von dem Lumpenhund, wegen ihm wollte ich dir schreiben, er bringt mich noch vor der Zeit ins Grab; der Lumpenhund prügelt Elisi, Elisi läuft fort, ist jetzt hier, verpestet uns das Leben, und er tut kein Lebenszeichen, läßt das Mensch uns auf dem Halse.« »Warum gabet Ihr es ihm?« sagte Johannes. »Bin nicht schuld daran,« antwortete Joggeli, »wollen lieber nicht davon reden. Aber wahrhaftig, das Geld kann ich dir nicht alles geben, wieviel mußt haben?« »He, mit sechshundert Talern ließe sich schon was machen,« antwortete Johannes. Endlich marktete Joggeli bis auf fünf hundert Taler hinunter, leerte den Sack wieder aus, zählte sie langsam mit bedenklichen Seufzern zweg. Johannes sah mit behaglichem Lächeln zu, seit langem hatte er nicht mit solcher Freude an einer Pfeife gezogen als an der, welche er eben im Maul hatte. Als Joggeli endlich fertig war, betrachtete er wehmütig den Rest, es war, als dünke es ihm, es lohne sich kaum der Mühe, denselben wieder in den Sack zu tun.

Da ging die Tür auf, und unter derselben stand der Lumpenhund, der Tochtermann. Wohl, da kam Leben in Joggelis Hände: hui, wie die fuhren nach dem Gelde und es bergen wollten im Sacke! Aber allzu große Eile tut nicht gut, unter den Tisch, statt in den Sack, rollten die Taler mit großem Gepolter, und mit schlauem Lächeln sagte der Baumwollenhändler: »Da treffe ich es doch gut, der Vater wird was zu teilen geben wollen und ich komme wie gerufen.« Johannes sah ihn an mit dem Blicke eines Stiers, der einstweilen[140] noch an der Kette liegt. Joggeli aber sagte, sie hätten zusammen gerechnet und er käme gerade recht, auch mit ihm hätte er noch zu rechnen, wenn es ihm recht im Kopfe sei. Das sei ihm ganz recht, sagte der Baumwollenhändler, Besseres wünsche er nicht, gleiche Kinder, gleiche Rechnung der Herr Schwager werde selbst es billig finden so. Es hätte ihn schon lange gelüstet, mit ihm abzurechnen, sagte Johannes, besser treffen hätte er es nicht können. Mit ihm hätte er einstweilen keine Rechnung, sagte der Baumwollenhändler, es könnte eine Zeit kommen, wo es freilich noch eine muntere absetzen werde; jetzt wolle er davon nichts sagen, sondern sich an den lieben Vater halten, der habe dem Herr Schwager Geld zurechtgelegt, er wolle sich jetzt auch rekommandiert haben, es sei ein Kind wie das andere.

Nun gab es einen wüsten Lärm, der mehr als einmal in Handgemenge überzugehen drohte, daß mehr als einmal man Uli zu Hülfe zu rufen drohte, der endlich damit endete, daß Johannes mit fünfhundert Talern, der Tochtermann mit vierhunderten davonfuhren, Joggeli nichts übrig blieb als der leere Sack, an dem er seinen Zorn ausließ, ihn mit seinem Stecken in der Stube herumtrieb, bis derselbe unter das Bett fuhr, wo er einstweilen in Sicherheit war. Der Tochtermann hatte eine so gute Handhabe am Geldseckel als Johannes Er drohte Elisi dazulassen, selbst nachzukommen, da eine kleine Fabrik einzurichten, kurz Dinge, ob welchen dem Vater und der Mutter die Haare zu Berge stunden und vierhundert Taler ihnen als ein sehr billig Lösegeld aus so großen Plagen erschienen, wenigstens solange Elisi und sein Mann noch da waren. Aber als die Plagegeister abgefahren waren, nichts da war als der leere Sack unterm Bette, da kam großes Elend über Joggelis Gemüt. Aus den Händen hatte er den Hof gegeben aus den Händen rissen ihm die Kinder das Geld, nahmen ihm wie mit Gewalt den Löffel, ehe er gegessen hatte! Das[141] hatte er also vom Verleihen, welches man ihm so herrlich vorgestellt hatte! Aus dem Regen war er unter die Traufe gekommen. Er hatte nun Ruhe, aber eine Ruhe vom Teufel, wie er sagte, ob welcher er verhungern konnte, und wer war daran schuld als seine Frau, welche auch zum Verleihen geraten, dasselbe ihm so dringlich geraten und gleichsam mit Gewalt erzwungen hatte? Die gute Frau hatte einen schweren Abend und wußte nicht, sollte sie wirklich bereuen, ein Wort zur Sache gesprochen zu haben; denn erzwungen hatte sie dieselbe nicht, erzwingen tat sie ja nie was, nur reden, wie es sie dünkte und wo sie es in ihrer Pflicht glaubte. Auch das wird dem Menschen oft erleidet und verkümmert, so daß ihm die Vorsätze kommen, fürderhin zu schweigen und zu keiner Sache mehr was zu sagen. Wenn solche Vorsätze stichhaltig wären, so hätten die Pfarrer in den Kirchen für nichts anderes zu bitten als für plötzlich stumm gewordene Weibspersonen, nach dem Beispiele, welches einst ein Pfarrer gab. Seine Frau war auch zum Vorsatze des Schweigens gekommen, der Pfarrer, darüber wahrscheinlich geängstigt, da die verstummte Zunge sonst nicht zu den schweigsamen gehörte, führte am nächsten Sonntage, wo seine Frau in der Kirche saß, unter den Kranken, welche der Fürbitte der Gemeinde empfohlen wurden, eine plötzlich stumm gewordene Weibsperson an. Man sagt, der Erfolg soll wirklich so auffallend gewesen sein, daß der Pfarrer darüber erstaunt und in großen Schrecken gefallen. Es ist allerdings sehr schwer, abzugrenzen zwischen Reden und Schweigen, und unmöglich, wenn man die Grenze bestimmen möchte nach den Reden eines Joggeli, der in seiner Schwäche das Beste verkehrte, die besten Ratschläge zunichte machte und dann die Schuld, daß er wirklich Dornen las von Weinstöcken, Andern zuschob, Schweigen und Reden beides gleich zum Vorwurf machte. Bei solchen Gemütern entrinnt man Vorwürfen nimmer, darum[142] muß man tun nach seiner Pflicht und nach dem Maße seiner Stellung. Ein Mann darf gebieten, ein Weib darf sagen, mahnen, warnen.

Joggeli gehörte zu den unglücklichen Menschen, welche weder was Gutes ausführen können noch was Gutes ausführen lassen. Wollte er, was recht war, so lähmten ihn böse Einflüsse, welche stärker waren als seine Kraft, wollte jemand anders was Gutes, so stach ihn der alte böse Mensch in der eigenen Seele, daß er diesem Willen hemmend in den Weg trat und ihn, wenn nicht ganz hinderte, so doch lähmte. Das sind unglückliche Menschen, ihnen geht alles schief; sie selbst sind immer Klagens voll, aber sie erkennen nun und nimmer, wie ihr Charakter ein Gemisch von Schwäche und Bosheit ist, ein bitterer Kelch, aus dem sie und Andere trinken müssen und der nie leer wird, sondern stets neu sich füllt, weil eben im Kelch eine lebendige bittere Quelle ist, das dem Eigentümer unbekannte Gemüt. Alle Leute können nicht Helden sein, aber alle Leute sollten doch zu der Erkenntnis gebracht werden, daß zwischen unglücklichen Verhältnissen und Gemütskrankheiten ein wunderbarer Zusammenhang ist, und zu dem ernstlichen Bestreben, diesen Zusammenhang zu fassen, um namentlich zu der Weisheit zu kommen, welche nie Ursache mit Wirkung, nie Wirkung mit Ursache verwechselt, nie die Quelle des Unglücks in der Luft sucht, während sie tief im eigenen Ich sprudelt.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 131-143.
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