Einundzwanzigstes Kapitel

[356] Wie Uli mit Menschen rechnet und Gott sucht


Ihre Lage war allerdings trüb und bedenklich. Wenn Uli seine frühern Ersparnisse einzog, so konnte er den Bodenbauer[356] bezahlen und was er sonst noch schuldig war. Sein so sauer Erworbenes war also zugesetzt; vor ihm war ein Jahr ohne Ernte, wo er genötigt war, einen Teil des Brotes zu kaufen. Sein Freund, der Müller, hatte ihm so viel Korn abgeschwatzt, daß sein Speicher fast leer war. Woher das Saatkorn nehmen? Brot kaufen müssen bei einem Haufen Gesinde, ist übel. Er hatte nichts als Heu und Kartoffeln, beides reichlich und gut. Mit Milch und Butter konnte er etwas Weniges machen, aber es gab kaum die Hauskosten, noch viel weniger die Dienstenlöhne; wenn man Brot sparen muß, muß man mit etwas anderm nachhelfen.

Aus dem Stalle konnte er etwas ziehen. Jetzt sah er ein, wie gut es gewesen, daß Vreneli für Vorräte gesorgt, welche größer waren, als er glaubte. Hanf und Flachs hatte man reichlich zum Spinnen, und vielleicht war vom erhaltenen Garn etwas zu erübrigen zum Verkauf. Dazu endlich hatte er noch die Rechnungen mit Müller und Wirt, welche nicht erledigt waren, von denen Uli Bedeutendes erwartete. Wie Vreneli manchmal gesagt hatte: »Mach doch die Sache fertig, ich ließe mich nicht immer so abspeisen, du bist viel zu gut und wirst sehen, wie es dir geht,« wehrte es jetzt vom Rechnen ab und sagte: »Wart, das pressiert doch nicht so.« Die beiden Busenfreunde hatten in Ulis ganzer Krankheit nichts von sich hören lassen, und während seiner Genesung ließen sie sich nicht sehen. Sie machten vielleicht das Wort Nervenfieber fürchten, jedenfalls aber fühlt ein Schuldner, welcher nicht gerne zahlt, kein entschiedenes Bedürfnis, sich einem Gläubiger unter Augen zu stellen, von dem er voraussetzen muß, er sei Geldes bedürftig. Vreneli fürchtete Ärger und Zorn für Uli, und ob jetzt eine Woche früher oder später, darauf kam es in Beziehung auf das Geld nicht viel an, wohl aber in Beziehung auf Ulis Gesundheit. Endlich sagte Uli: »Ich merke wohl, warum du mir das Rechnen mit den Beiden[357] verhalten willst, aber sei ohne Sorge, ich kann es geduldig nehmen, wie es kömmt. Sieh, ich habe da auch was verdient, ich sehe es je länger je besser ein. Wären sie die Freunde, wie sie sich immer gestellt, sie wären wohl schon gekommen und hätten ihre Hülfe angeboten. Warum stellte ich meinen Glauben auf sie und bildete mir ein, wie wunder gut sie es mit mir meinten? Merke wohl, woher es kömmt, und damit soll mich niemand mehr fangen, wie man mit Speck die Mäuse fängt. Es tat mir einerseits wohl, Freunde zu haben, Männer, von denen ich meinte, sie bedeuteten was und meinten es gut. Solche Freunde sind was, nicht nur wegen der Hülfe, sondern es tut einem wohl im Herzen, wenn man denken kann: es mag dir gehen, wie es will, so hast du Freunde, und rechte Männer. Ich muß es bekennen, an diesem Gedanken habe ich große Freude gehabt und oft gedacht: nicht jeder hat Freunde, so wie nicht bei jedem Menschen die Hunde bleiben. Aber wahr ists, ich lebte noch wöhler an ihren Worten; sie rühmten mir alles und lobten mich immer, da war nichts als Uli hinten und Uli vornen. Wenn man nichts gewesen, tut es einem so wohl, wenn man auf einmal so viel sein soll; man weiß manchmal nicht, geht man auf dem Kopf oder auf den Füßen, man kommt ordentlich in einen Schwindel, wo man sich dreimal größer sieht, als man ist, und in süße Träume, wo man meint, man sei wirklich im Schlaraffenland und die gebratenen Würste hingen bereits zunächst dem Maule. Jetzt, aus diesem Traume Gottlob erwacht, schäme ich mich, kann nicht begreifen, wie ich das nicht merkte, daß dieses eben die Speckbrocken waren, mit welchen man die Mäuse fängt, daß ich mich so ganz blindlings fangen ließ. Aber es dünkte mich, sie täten den Nagel auf den Kopf treffen, und weil ich ihnen dieses glaubte, glaubte ich ihnen alles andere, hielt sie für die glaubwürdigsten Männer auf der Welt. Ungefähr so wird es der Eva im Paradiese mit dem Teufel ergangen[358] sein. Ward sie gestraft, werde ich billigerweise es auch. Wie ich merke, wird es vielen Menschen schon so gegangen sein. Ich sehe erst jetzt, wie gefährlich es ist mit dem Glauben, wie leicht man ihn am unrechten Orte anwendet. Habe daher nicht Kummer, ich muß es nehmen, wie es ist; mich dauert nur, daß auch du damit leiden mußt.«

An einem schönen Abend machte Uli sich endlich auf zu dem Müller; weit war es nicht, aber müde ward er doch. Als er zur Mühle kam, wollte ihn lange niemand sehen, dann lange niemand wissen, wo der Müller sei, dann niemand Zeit haben, ihn aufzusuchen, und als endlich jemand sich dazu herabließ, verging eine mörderliche Zeit, bis der Müller sich zeigte. Das sind immer schlimme Zeichen und lassen eben auf den zärtlichsten Empfang nicht schließen.

Endlich erschien der Müller. »Lebst auch noch?« sagte er. »Es hielt dich hart, wollte kommen und sehen, wie es dir gehe, es wollte sich aber nie schicken, daneben hätte ich doch nichts helfen können.« »Du hast recht,« sagte Uli, »da mußte ein Anderer herbei; aber was ich sagen wollte, schickt es sich dir etwa, mit mir zu rechnen? Es wäre mir sehr angenehm. Es plagte mich die Zeit über oft, daß ich meine Sache nicht im Reinen hatte; wenn ich hätte sterben sollen, wer hätte die Sache auseinandermachen sollen, an das sollte man immer denken.« »Du hast recht,« sagte der Müller, »es ist auch gut für die Überlebenden. Wie aufrichtig man ist, so sollte man am Ende doch betrogen haben; besonders ist immer alles auf den Müllern, wenn die einmal was eingeben, so soll es falsch und erlogen sein. Es ist akkurat, als ob alle Leute die Wahrheit redeten und nur sie lügen könnten.«

So begehrte der Müller in einem fort auf, und Uli mußte denken: »Hat der etwa schon auf meinen Tod hin eine Eingabe gemacht gehabt in mein Beneficium Inventarii oder Vermögensliquidation, und erscheine ich ihm jetzt so gleichsam[359] als ein Gespenst oder wie ein alter Papa aus dem Grabe erblustigen Söhnen,« »Hast das Hausbuch bei dir?« fragte der Müller. »Den Kalender habe ich,« sagte Uli. »Hast denn kein Hausbuch?« fragte der Müller. »Ich denke,« sagte Uli, »der Kalender werde einstweilen wohl genug sein.« Er hatte eine ganz andere Antwort auf der Zunge, allein während seinem Prozessieren hatte er doch was gelernt, das teure Lehrgeld war nicht umsonst ausgegeben, wie es übrigens oft genug der Fall ist; er hatte uneinläßlich antworten lernen, dies ist keine unbequeme Redeweise. »So gib an, was sollte ich dir schuldig sein?« sagte der Müller. »Wenn du dann fertig bist, so will auch ich dir deine Sünden ablesen, es wird dann bald aus, gerechnet sein.«

Wir wollen dem Verlauf dieser Rechnung nicht folgen, das Ding wäre zu lang und langweilig. Wir wollen bloß sagen, daß der Müller sich offenbar auf Ulis Tod eingerichtet zu haben schien, wenigstens dem Hausbuch nach, welches er in Händen hatte; denn vielleicht hatte er mehr als eins, eins für die Lebendigen und eins für die Toten. Bei jedem Ansatz von Uli gab es Anstoß, bald wegen dem Preise und bald wegen der Zahl der Säcke, und als erst der Müller seine Gegenrechnung ablas, gab es der Anstände bei jedem Wort und nicht bloß über Maß und Preis, sondern ob die Sache wirklich geliefert worden oder nicht. Es war da Geld angesetzt für Mehl, Spreuer, Kleien, Abschlagszahlungen dazu und weiß Gott was alles, von dem Uli entweder gar nichts wußte oder aber überzeugt war, daß er dasselbe frei in den Kauf gedungen oder daß es von Mehl kam, welches er hatte mahlen lassen, der Müller Kleien und Spreuer von Rechts wegen ihm schuldig war. Aber man gehe und mache eine dreijährige Rechnung auseinander und dazu aus Büchern, welche ein Uli und ein Müller führten! Uli sah mit Schrecken, daß der Müller, dessen Rechnung nach, ihm viel weniger[360] schuldig war, als er gedacht, auch wenn Ulis Rechnung für Verkauftes als gültig angenommen wurde. Des Müllers Gegenrechnung war gar greulich. Es dünkte Uli doch stark, zu jedem A, welches der Müller vorsagte, B nachzusagen, aber was sollte er machen? Mit seinem Buch konnte er vor dem Richter nicht viel ausrichten; ob das des Müllers besser sei, wußte er nicht, prozedieren wollte er nicht, seinem Kopf traute er nicht, und bei dem vielen Wechsel seines Gesindes während dem ganzen Verlaufe der Rechnung wußte er nicht, ob nicht das Eine oder das Andere etwas auf des Meisters Namen genommen oder nicht. Man sollte immer, wenn man das Gesinde wechselt und offene Rechnungen sind irgendwo, wo Knechte und Mägde zu- und abgehen, bringen oder holen, diese beim Wechsel abschließen oder untersuchen, es gibt da manchmal fatale Entdeckungen. Uli kam das Aufschieben in Sinn, was gewöhnlich der beste Ausweg scheint, wenn man in Verlegenheit ist. Er solle es ihm auf ein Papier machen, was er zu fordern habe, sagte Uli; er wolle es der Frau zeigen und mit seinen Leuten reden, ob sie um dieses und jenes wüßten. Zudem könne man den Karrer bescheiden, welcher früher bei dem Müller gewesen und jetzt beim Sternenmüller sei, der habe das meiste Korn gefaßt und werde wohl noch im Kopfe haben wieviel, es sei der vernünftigste Mensch, der ihm je vorgekommen; zudem werde er dies Jahr viel aus der Mühle bedürfen und dem Müller noch schuldig werden, so daß es ihm im Grunde nicht so pressiere mit der Rechnung. Das alles leuchtete dem Müller schlecht ein. Er kannte Vreneli, wußte also im voraus, was es sagen würde; mit seinem Karrer war er in großem Unfrieden auseinander, gekommen, auch diente derselbe bei seinem ärgsten Feind, er wußte also im voraus, was er von diesem zu erwarten hatte; zudem machte er mit Uli nicht ungern fertig, er gab ihm nicht gerne mehr was aus seiner Mühle, er war überzeugt,[361] Uli sei zugrunde gerichtet, wer an ihn zu fordern habe, verliere. Vor allem aus aber wollte er eine richterliche Untersuchung seiner Rechnung bei Ulis Lebzeit nicht und am allerwenigsten eine Abtretung dieser Rechnung an Joggeli, wo deren Bereinigung wahrscheinlich dem Baumwollenhändler übertragen worden wäre; den kannte der Müller und haßte ihn.

Der Müller sagte daher, sie seien jetzt bei einander, das Gestürm wegen Rechnen sei ihm zuwider, und wenn sie nicht übereinkommen könnten, wer es denn solle? Übrigens habe er geglaubt, er habe es mit einem braven Manne zu tun, und nicht daran gedacht, daß hintendrein müsse gezankt sein, sonst hätte er die Sache längst ins Reine gebracht; daneben könne Uli machen, was er wolle, aber das wolle er ihm sagen, er, Müller, sei dann nicht das Mannli, mit welchem Uli den saubern Kuhhandel gehabt. Wenn er dort gewonnen habe, so solle er ja nicht denken, es gehe immer so. Das war fast zu viel für Uli, er dankte Vreneli im Herzen, daß es ihn so lange hingehalten, die Unverschämtheit des Müllers war doch gar zu groß. Uli war es noch nicht klar, wie viele Menschen, und zwar kleine und große, den Mangel an Recht durch Frechheit ersetzen. Er mußte gewaltig sich zusammennehmen, um nicht abzubrechen, sondern einzutreten in ein Markten, welches doch endlich nach manchem harten Worte und mit bedeutendem Schaden für Uli zum Ziele führte. Da Müller warf das Geld, welches er noch schuldig blieb, hin fast wie einem Hund ein Stück Brot und sagte, da solle er das ungerechte Geld nehmen, wenn er das Herz habe. Wenn er aber künftig Mehl oder was sonst nötig habe, so sei es ihm lieber, er nehme es an einem andern Orte. Mehr als der Verlust schmerzte Uli der Vorwurf, er sei der Betrüger, der ungerechte Forderer und daß der Müller dabei auf seinen Kuhhandel sich stützte, und zwar nicht ganz mit Unrecht.[362] Er fühlte jetzt, was ein gut Gewissen wert sei und daß der geringste Makel daran sei, was eine Spalte in einem Bogen. Wenn nun der Makel im Gewissen auch zum Makel am Namen werden sollte, wenn es an jedem Markttage und bei jedem Handel heißen sollte, er sei ein ungerechter Mann und begehre die Leute zu betrügen, so war er ja für sein ganzes Leben unglücklich, gleichsam gebrandmarkt; das fühlte er so recht lebendig, und es ward ihm himmelangst dabei, denn welch armer Tropf war er, wenn er den ehrlichen Namen verloren hatte, der war sein Vermögen, seine beste Bürgschaft, da er von Anderer Vertrauen leben mußte. Hatte er den nicht mehr, so war ihm der Weg zum ehrlichen Fortkommen versperrt, er mußte künftig vom Betrug oder vom Betteln leben. Da erkannte er, wie eine einzige Handlung, unbedacht und leichtsinnig vollbracht, als unbedeutend geachtet, entscheidend für ein ganzes Leben werden kann.

Tief gedemütigt und niedergeschlagen kam Uli heim. Nun wäre das für manche Frau ein wahres Herrenfressen gewesen. »Siehst, ich habe es dir gesagt, es gehe so, habe gewarnt, habe gemeint, ehrlich währe am längsten, aber du hast mir nicht geglaubt, hast gemeint, ich sei nur so ein Weib und du viel gescheiter; siehst, jetzt erfährst, wer recht hat. Jetzt denkst: hätte ich nur geglaubt, aber jetzt ists zu spät, kannst lange jammern! Ein andermal denk daran! Ich hätte jetzt gute Lust, nie mehr was zu sagen und meinen Rat für mich zu behalten.« Doch Vreneli war nicht von dieser Rasse; es tröstete, er solle es nicht so schwer nehmen, das Lehrgeld sei nicht so groß; der Müller werde sich hüten, viel von der Sache zu reden, es sei nicht das erstemal, daß er es so mache, und er wisse wohl, daß man ihn kenne. Gut sei es, daß die Sache abgemacht sei, so wisse man doch jetzt, woran man mit ihm sei, wenn es nur mit dem Wirte auch in Ordnung wäre. Uli hätte gute Lust gehabt, Vreneli zum Wirte zu senden, aber Vreneli[363] wollte nicht gehen. Wenn es nicht sein müsse, so bleibe es lieber einige hundert Schritte von dem weg, sagte es; der werde es aber nicht so machen wie der Müller, der werde mit guten Worten zahlen wollen, denn man sage, das Geld sei rar bei ihm, wenn ihm ein Taler eingehe, so seien Zehne da und möchten ihn.

Wie Vreneli sagte, so war es auch. »Will schon mit dir rechnen, warum nicht? Die Sache ist punktum aufgeschrieben und in der Ordnung, zähle darauf, aber Geld kann dir mein Seel keins geben, habe selbsten keins, und wo nichts ist, ist nichts, wie du weißt,« so sprach der Wirt. »Ich glaube, wenn es mir drei Tage lauter Taler durch den Rauchfang runterregnete, sie wären immer alle weg. So hungrig nach Geld habe ich mein Lebtag die Leute noch nie gesehen. Wenn ich von weitem jemand mit langen Schritten kommen sehe, so weiß ich schon, der wird auch Geld wollen, ich muß allemal lachen; nimm, wenn du findst, denke ich. Sie wissen wohl, daß nichts zu verlieren ist, bewahr, ich habe mehr als Sachen genug, aber es gibt Zeiten, wirst es auch schon erfahren haben, wo man beim besten Willen nicht zahlen kann. Da wird es den Leuten angst und sie kommen daher wie Tauben, wenn man Hanf gesäet hat, und wollen Geld für Sachen, welche ich beim Hagel nicht einmal mehr im Hause habe; aber denen will ich daran denken, die müssen warten bis zuletzt. Du aber sei nur ruhig; sobald ich Geld bekomme, mußt du es haben, und lieber, als daß du einen Kreuzer an mir verlieren solltest, wollte ich es zusammenbetteln, und sollte ich laufen müssen bis nach Konstantinopel. Einer, der seine Sache auch nur verdienen muß, soll an mir nie was verlieren, lieber wollte ich, so lange ich lebe, Hunger leiden und keinen Schoppen mehr trinken. Sieh, ich habe selbst viel Geld einzuziehen, aber es läuft nicht. Du glaubtest es nicht, wenn ich dir meine Schuldner nennen würde, aber sie können[364] mir in diesem Augenblick nicht an die Hand gehen. Dann habe ich auch noch was verloren, es ist ein Nichts, das heißt es ist viel genug, aber es würde nichts machen, wenn es nicht alle Leute wüßten und nun alle daherkämen und Geld wollten. So könnte man dem Rothschild die Hosen umkehren, wenn er in einem Tage alles bezahlen sollte, was er schuldig ist. Hast du das Geld so sehr nötig, diesen Augenblick?« Ho, sagte Uli, wenn er es haben könnte, würde er es gerne nehmen. Indessen setzte er, durch die guten Worte des Wirts bestochen, hinzu: »So einige Wochen könnte ich im Falle der Not warten; der Lumpenhund, der Müller, hat mir einiges Geld geben müssen, ungern genug, aber wenn man Brot kaufen muß, so ist bald viel gebraucht.« »Es ist schlecht vom Müller, es dir so zu machen« sagte der Wirt, »er ist nicht der Sauberste; es gelüstete mich manchmal, dir zu sagen, du solltest dich in acht nehmen, aber wenn ich dann sah, wie gut ihr zusammenhieltet, und weil er der Gevattersmann ist, so wollte ich nicht was Böses zwischen euch hineinmachen, daß es hinterher hieße, ich hätte euch gegeneinander aufgehetzt.« »Joggeli ist mißtrauisch, er hat schon Kummer, er müsse an mir verlieren. Wenn ich ihm zeigen könnte, daß ich noch einzuziehen hätte, so ließ er mich desto ruhiger,« sagte Uli. »Weißt was,« sagte der Wirt, »komm ins Stübli, wir wollen sehen, wieviel ich dir schuldig bin; dann mache ich es dir aufs Papier, auf Stempelpapier, eine rechte Obligation, mein Seel, und verzinsbar zu vier Prozent, oder wenn du fünfe willst, so sage es. Die kannst du ihm zeigen, sie ist so gut als bar Geld, und sobald mir Geld eingeht und du es begehrst, so löse ich sie ein und gebe dir Geld.« Wenn es nicht anders sein könne, sagte Uli, so lasse er es sich gefallen, Geld wäre ihm freilich lieber gewesen.

Ihr Rechnung hatte nicht viel Stößiges, und wo was sich zeigte, gab alsbald der Wirt nach. »Du wirst recht haben,«[365] sagte er, »nimm es nicht für ungut, aber wenn man in einem so großen Wesen ist, wie ich bin, und so viel im Kopf haben sollte, daß es mir manchmal ist, als fahre der Napoleon mit seiner Reiterei darin herum, so ist bald was vergessen oder bald was unrichtig aufgeschrieben. Nimm es nicht übel, daß ich in deiner Krankheit nicht zu dir kam, aber es hieß, du kämest nicht davon. Das hat mich zu sehr gedauert, als daß ich hätte kommen können, ich hätte deiner Frau nur angst gemacht. Es weiß kein Mensch, wie ich so ein lindes Herz habe, ich muß mich manchmal deretwegen schämen und darf es nicht zeigen, es kömmt gar zu lächerlich heraus für so einen großen Mann, wenn er plären muß wie ein Kind.«

Uli mußte dann noch mit ihm zu Abend essen, eine Flasche vom Besten trinken, kurz der Wirt war die Liebe und Güte selbst. Die Wirtin brachte noch was in einem Papier, ein alt Stück Kuchen; das sei für den Gevattersmann, sagte sie, daß Uli ganz glücklich und Rühmens voll nach Hause kam. Es seien doch nicht alle Menschen gleich, sagte er, und wenn man von Einem Unrecht leide, so müsse man sich hüten, auch Andern Böses zuzutrauen, man könnte sich sonst leicht versündigen. »Ich will dem Wirt nichts Böses nach, reden,« sagte Vreneli, »aber urteile auch du nicht zu schnell, sondern warte, bis du das Geld hast. Hast du dann einmal dies, dann will ich dir gegen den Wirt gar nichts mehr haben, ich verspreche es dir.« Es ist immer das Gleiche, dachte Uli bei sich selbst; haßt es jemanden, so haßt es ihn, und wen es liebt, den liebt es, und dann ists fertig. Indessen versprach er, sein Urteil nicht abzuschließen und einstweilen vor dem Handeln mit dem Wirte sich zu hüten.

Daß Uli wiederum so viel Glauben zu ihm hatte, freute Vreneli sehr, doch eins freute ihns noch mehr: Ulis Gedanken hatten wieder eine höhere Richtung genommen, verarbeiteten nicht mehr bloß in ewigem und doch mühseligem[366] Kreislauf das Einmaleins, sondern betrachteten Gottes Worte und Wege, forschten nach seinem Willen und bestimmten nach ihm das Tun. Er sprach gerne mit Vreneli über höhere Dinge und erzählte gerne göttliche Fügungen, welche die, die ihn lieben, zur Seligkeit führen, und wie Gott das Verlorne suche und trachte selig zu machen. Er fühlte einen unbestimmten Drang, ein Ungenügen, und dieses verschwand, wenn er mit Vreneli sprach oder las in der heiligen Schrift oder an göttliches Schaffen dachte, die Wunder der Welt betrachtete. Es war dies der geistliche Hunger und Durst, welche begehren nach den Worten, welche aus des Herrn Munde gehen, welche kennen die Speise des Erlösers, das Vollbringen von des Vaters Willen. Es war der eigentliche Zug in ihm erwacht, ohne welchen niemand zum Vater kömmt; das wunderbare, unerklärliche Verlangen ward in ihm stark und mächtig, welches Christus mit den Worten ausdrückte: »Mich verlanget, das Passahmahl mit euch zu essen.« Es verlangte ihn nach dem Pfande, daß er einer sei, der wohl in der Irre gewesen, aber wieder gefunden worden und über den nun Freude im Himmel sei, nach dem Bewußtsein, zu denen zu gehören, welche lebendige Glieder sind am Leibe, dessen Haupt Christus ist.

In gesunden Menschen lebt ein Trieb des Zusammenhaltens, des Einsseins mit Andern, man nennt ihn auch den gesellschaftlichen Trieb. Derselbe kömmt in hunderterlei Gestalten zum Vorschein. Wie oft ists einem Menschen, wenn er doch nur da oder dort eingeladen, in diese oder jene Gesellschaft aufgenommen würde, es ist der höchste Gegenstand seines Sehnens und Strebens. Ist er aufgenommen, ist er mitten unter ihnen, sitzt er am ersehnten Tische, dann fühlt er sich unendlich gehoben; er steht an einem Ziele, er ist glücklich, hoffnungsvoll, er gehört einem Kreise an, der ihm Halt im Leben gibt, eine Stellung verschafft. Ähnlich hat es das[367] Kind mit dem Triebe, in die Kreise der Erwachsenen aufgenommen zu werden, und einmal aufgenommen, wird es nicht fehlen, wenn der Kreis sich sammelt, die Stunde mag es nicht erwarten, lange vor der Zeit steht es draußen und klopfet an. Grade das gleiche Sehnen und Trachten nach der Gemeinschaft ergreifet die, welche Christus angenommen haben. Es zieht sie zu den Brüdern, sie sehnen sich, das Pfand zu erhalten und das Bewußtsein zu stärken, daß sie aufgenommen seien, Christus angehören und vom Vater zu seinen Kindern gezählt werden. Es strömt eine eigene Wonne durch die Berechtigten, wenn sie weilen dürfen in den heiligen Kreisen und empfangen die heiligen Pfänder, und keiner betrachtet die Berechtigung so gleichsam als ein altes Recht, welches man ererbt hat, nichts abträgt, man jedoch nicht erlöschen lassen darf. Davon hat natürlich keinen Begriff, wer den christlichen Zug nicht in sich trägt, nicht geistigen Hunger und Durst hat, sondern bloß fleischliche Triebe und moderne Richtung nach Kneipen, Kaffeehäusern, Spektakeln von allen Sorten, kurz nach etwas Diesseitigem. Solcher Richtungen und Triebe schämt man sich begreiflich nicht, sondern trägt sie offen zur Schau mit großem Gepränge, rühmt sich ihrer mit mächtigem Behagen, betrachtet sie gleichsam als ein Siegel, daß man an der Spitze der Menschheit marschiere munter nach dem Gipfel der Kultur, der freilich einstweilen noch verhüllt im Nebel liegt. Gepränge treiben mit dem Zuge nach oben, mit seiner Freude an der Gemeinschaft kann der Christ nicht, sonst hat er weder den Zug noch kennt er die Gemeinschaft, doch schämen wird er sich der, selben nicht, sonst kennt er sie ebenso wenig. Er wird den Hohn der Kinder der Welt nicht scheuen, der Kinder der Welt, welche in ihrem kurzen Sinne keinen Unterschied zu machen wissen zwischen einer veralteten Mode und der Erlösung durch Christum.[368]

Schüchtern tritt man in unbekannte Kreise oder in solche, denen man fremd geworden, und eine gewisse Scheu ist immer zu überwinden, ehe man über ihre Schwelle tritt, und eine Weile gehts, bis das Bewußtsein, daß man hierher gehöre, das Gefühl des Fremdseins überwunden hat. Nun hatte Ulis Entfremdung nicht so lange gedauert, um recht Wurzel zu fassen, sie glich mehr einem Wirbel, in welchem er eine Weile halb bewußtlos herumgetrieben worden, einem Windspiel, einer Wasserhose, welche ihn ergriffen, durch die Luft geführt, ihn wieder hingestellt, daß ihm alle Gebeine knackten, er nicht wußte, wo er war, daß er sich erst langsam zurechtfinden, mühsam seine alte Heimat wieder suchen mußte. Uli hatte das Glück, welches nicht jedem wird, die Brücke ins alte Heimatland in der Nähe zu haben; es war Vreneli. Ulis Abwenden und Weggerissenwerden hatte bei der eingerissenen Lauheit und Gleichgültigkeit wahrscheinlich niemand bemerkt außer eben Vreneli; hatte er nun mit diesem sich verständigt, hatten sie sich gemütlich wiedergefunden, so achtete sich wahrscheinlich niemand seiner, und wer sein Wiedererscheinen bemerkte, fand es sicher sehr natürlich, daß nach so schwerer Krankheit er im Hause Gottes und an des Herrn Tisch erschien, wie ja auch der Kindbetterinnen erster Ausgang ins Haus des Herrn ist und die nächsten Anverwandten, welche einen Geliebten zu Grabe getragen, es nicht versäumen, am nächsten Sonntage in der Kirche zu erscheinen.

In der Mitte des Herbstmonats war es, als Uli mit Vreneli zur Kirche ging. Es war ein feuchter Nebelmorgen, nicht zehn Schritte weit sah man. Kahl wie mitten im Winter waren die armen, zerschlagenen Bäume. Emd lag gemäht in den Matten und harrte traurig der Sonne, um sich trocknen zu lassen. Hier und da, wo man das spärlich gewachsene Gras des Mähens nicht würdig fand, hörte man das Läuten der[369] weidenden Kühe. »Wie doch die Zeit vergeht und was sie alles bringt und nimmt, in wenig Jahren wird es ganz anders um uns und immer nicht so, als wir es uns gedacht«, sagte Uli. »Wie lange ist es wohl, daß ich das erstemal hier zur Kirche ging? Es war im Winter und mächtig kalt, es ist mir, als ob es erst gestern gewesen, und doch wird es schon neun Jahre sein oder mehr. Damals dachte ich nicht daran, daß ich jetzt noch da sein werde, damals wiesen mich die Leute auf, daß ich fast noch selben Tages fortgelaufen wäre. Jetzt bin ich noch hier, ein verhagelter Pächter, damals ein munterer Knecht, den es dünkte, die halbe Welt sei sein, jetzt ein geschwächter Mann, der nicht weiß, wo er übers Jahr ist und ob Frau und Kinder zu essen haben oder nicht.« »Bist reuig, daß es so gegangen, daß du nicht am selben Tage fortgelaufen bist?« frug Vreneli mit weicher Stimme. »Nein, wahrhaftig nein,« sagte Uli, »dann hätte ich ja dich nicht und die Kinder nicht, und was will ich mehr auf der Welt! Nein, ich danke Gott aufrichtig, daß er mich so geführt hat und nicht anders. Wenn man alles, was einem begegnet, zu Nutzen anwendet, so soll man nicht reuig werden, und wenn man hineinkömmt, daß das Unglück über den Kopf hinausgeht, so ist das wohl große Pein, aber es setzt sich auch wieder, und wenn man endlich es überstanden hat, so ist man froh dar, über und mochte gar nicht, daß es nicht begegnet wäre. Es freut mich nichts mehr, denn es ist mir ein Zeichen, daß die Zucht Gottes bei mir wohl angeschlagen hat, als daß ich so zufrieden bin mit meinem Lebenslauf und Gott aufrichtig danken kann. Ich weiß zwar nicht, wie es gehen wird. Macht Joggeli das Wüsteste, so kündigt er uns, aber wenn wir einander verstehen und helfen, so schadet alles nichts; der liebe Gott, der bis hierher geholfen hat, wird ferner helfen.«

Ulis Vertrauen und Ergebung hatte noch eine Probe zu bestehen. Als er unter die Menschen kam, war es fast, als[370] sei er ein Gespenst, welches aus dem Grabe komme, frech am hellen Tage. Mit weiten Augen glotzten ihn die Leute von ferne an, als sei er eine Giraffe aus Afrika, und kam er näher, so drehten sie sich weg und machten sich auf die Seite. Da waren Wenige, welche ihm standhielten, und noch Wenigere, welche ihm die Hand boten freundlich, ihm Glück wünschten über seine Genesung, ihn bedauerten wegen seinem Unglück. Sie wußten zwar wohl, daß er kein begrabener Mann war, aber es wäre ihnen recht gewesen, er wäre es, dann aber auch im Grabe geblieben. Sie betrachteten ihn als einen verlornen Mann, und von solchen hat man es lieber, wenn sie einem aus den Augen kommen, solche setzen die meisten Leute in die größte Verlegenheit. Bloß die, welche allen feinern Gefühlen abgestumpft sind, die gröbste Selbstsucht für die größte Tugend halten, halten ihnen kaltblütig stand und fertigen sie sackgrob ab. Andere kommen aber eben in große Verlegenheit. Den Einen sagt das Gewissen, sie könnten helfen und sollten helfen, aber sie mögen nicht; Andere fürchten, sie möchten um Hülfe angesprochen werden, sie wollen sie abschlagen, natürlich, aber ihnen fällt nicht gleich eine Ausrede ein; noch Andere glauben, herabgekommene Leute müsse man verachten, man schade der eigenen Ehre und seinem Kredit, wenn man mit ihnen freundlich sei, gut bekannt scheine, aber es drückt sie eine gewisse Unbeholfenheit, mit Manier das alte Verhältnis abzubrechen und ein neues festzustellen. Das Kürzeste und Kommodeste wäre immer in alle Wege, einen solchen Menschen totzuschlagen und sechs Fuß hoch mit Erde zu bedecken, da kriegte man ihn nicht mehr zu Gesichte. Wir sind halt in alle Wege von Natur schwache, schlechte Geschöpfe und zwar ehemals und jetzt, siehe Petrus in Kaiphas Hofe, siehe auf jeder Börse und an jeder Kirchtüre, absonderlich auf den Rathaustreppen. Das sind aber harte Erfahrungen für einen Menschen, der[371] ohne seine Schuld, wie man zu sagen pflegt, obgleich es nur teilweise richtig ist, ins Unglück gekommen, wenn er sieht, wie man ihm ausweicht, ihn aufgibt. Da gibt Mancher sich selbst auch auf. Es braucht Mut dazu, das Vertrauen festzuhalten, wenn man sieht, daß alle keines mehr zu uns haben. An die Stelle des Vertrauens kömmt der Zorn, der Haß und die Rache, und aus einem, der zu retten gewesen, wird ein unversöhnlicher Feind der Menschen.

So geschah es jedoch mit Uli nicht. Er bemerkte das Benehmen der Menschen wohl, und Vreneli fühlte es noch besser, da sogar Bettelweiber sich seiner verschämten und ihm auswichen. Anfangs tat es Uli im Herzen weh, als er aber in die Kirche kam, die Orgel rauschte, die Gemeinde sang, der Pfarrer betete und predigte, die Gemeinde zum heiligen Tische wallte, da vergingen ihm die bittern Gefühle; er vergaß das Tun der Einzelnen, er fühlte nur die Wonne, der Gemeinde Christi anzugehören und Pfänder und Siegel zu empfangen, daß auch ihm seine Sünden vergeben und Gerechtigkeit und ewiges Leben um Jesu willen aus Gnaden geschenket sei. Wenn schon die Einzelnen von ihm wichen, er blieb doch in der Mitte der Gemeinde, blieb teilhaftig der Schätze und Gaben, welche unser große Meister und Herr seiner Gemeinde erworben hat. Was hat das Abwenden Einzelner zu bedeuten, wenn man dabei ein lebendig Glied des großen Ganzen wird, dessen Herr und Meister der ist, von dem sich auch alle gewandt, über den ein toll und töricht Volk das »Kreuzige!« gerufen hat. Aber wenn einer die Gemeinde Gottes verlassen und Fleisch für seinen Arm gehalten hat, und nun wird er auch von den Menschen verlassen, der ist dann allerdings ein armer Verlassener, ein unglücklicher Tropf.

Ein Herz voll reichen Segens trug Uli aus der Kirche, sein Sinn war so mild wie die Sonne, welche den Nebel durchbrochen[372] hatte und gar lieblich schien, er konnte von Herzen sagen: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Er konnte wie ein Kind sich freuen und sagen: Weichet nur von mir, ich gehöre euch doch an und es kommt die Zeit, wo ihr mich werdet als Bruder erkennen, euch meiner freuen werdet und mir danken, daß ich nicht Gleiches mit Gleichem vergalt, in Gott die Gemeinschaft festhielt, als die Welt feindselig sich zwischen uns stellen wollte. Als sie alleine auf dem Wege wieder waren und Vreneli frug: »Und was sagst zu den Leuten?«, antwortete Uli: »Nicht viel, es ist immer wie immer und wird also bleiben, man kann es zum voraus wissen, und doch tut es anfangs weh, wenn man es selbst er, fährt.« Nun erzählte er Vreneli, was ihn getröstet, das freute Vreneli sehr, und einiger als nie kamen sie heim. Es war, als hätten sie neu ihren Bund geschlossen, und mit neuer Kraft und Besonnenheit gingen sie an ihr schweres Tagewerk.

Eine große Freude hatten sie. An einem schönen Morgen kam ein Wägelchen daher, fast anzusehen wie ein Müllerwägelchen, denn Kornsäcke lagen darauf Den muntern Jungen auf demselben kannten sie nicht, und erst als er den Gruß von Vater und Mutter vermeldete, erkannte ihn Uli als des Bodenbauern Kind, welches ihm aber aus den Augen gewachsen war. Der brachte einige Scheffel vom schönsten Samenkorn und anderes Gesäme. Der Vater habe gesagt, sie könnten es wohl entbehren und hier werde man es brauchen können, berichtete der Junge. Eine solche Gabe in der Not hat nicht bloß einen äußern Wert, sondern einen noch viel größern innern, ist so gleichsam das Ölblatt, welches die Taube dem Noah brachte als das Zeichen, daß Gottes Zorn im Aufhören sei und seine Güte wieder hervorbreche im Grünen und Blühen der Erde. Joggeli ärgerte sich über des Bodenbauern Güte, wahrscheinlich nahm er sie als Vorwurf für sich. Er fragte den Jungen, was das Malter kosten solle?[373] Soviel er wisse, nichts, sagte der Junge, es sei Steuer an den Hagel, wie das so der Brauch sei unter rechten Leuten von je. »Aber Junge, wenn dein Vater sein Korn so billig verkauft, was erbst du dann?« frug Joggeli hämisch. »Gottes Segen, sagt die Mutter«, antwortete der Junge. »Ja,« sagte Joggeli, »aber damit hat man nicht gegessen, und nur mit dem kriegst du keine reiche Frau. Wenn mein Vater so gewirtschaftet hätte, es hätte mir angst gemacht.« »Glaubs,« sagte der Junge, »Ihr und der Vater werdet darnach gewesen sein, mir aber macht es nicht angst; habe noch nie gesehen, daß der Vater was Unrechtes getan, und wenn er auch alles weggibt, so ist es seine Sache und nicht meine. Und wenn ich schon nichts erbe, so hat der Vater uns so erzogen, daß wir uns was erwerben können, und nicht zu Tagdieben und um von seiner Sache zu schmarotzen und sie zu verbrauchen.« Das kam Joggeli in die Nase, er kehrte sich, steckelte ins Stöcklein und machte die Türe zu.

Ulis ruhigere Gemütsweise, sein milderes Wesen, welches nicht immer erhitzt war zu Feuer und Flammen im Jagen nach einem unerreichbaren Ziele, einem Wagen gleich, den man ohne Roß und ohne Schmiere dahintreibt, hatte einen wohltätigen Einfluß auf die Arbeiter und das Gesinde. Dasselbe schaffte williger, schickte sich in die Lage, und der Eine oder der Andere sagte: Es sei kurios, er habe geglaubt, erst jetzt hätten sie es recht bös, das sei aber nicht, es sei ein viel besser Dabeisein als vor Hagel und Krankheit. Der Junge wußte nicht, daß für das Dabeisein es viel mehr ankömmt auf die Stimmung im Gemüte als auf das Schmalz im Gemüse. Diese Ruhe muß sein, wenn die notwendige Besonnenheit, welche alleine den Sturm der Umstände siegreich bestehen kann, sich entwickeln soll. Napoleons großer Heldenmut bestund bekanntlich eben in diesem besonnenen Zusammenziehen seiner Kräfte, vermittelst welchem er nirgendwo unnütze[374] Kräfte liegen hatte, sondern alle schlagfertig unter Augen, nicht bloß um Angriffen zu begegnen, sondern am geeignetsten Punkte durch rasches Durchfahren sich Luft zu machen.

Gelehrte, Schulmeister und andere Züchtlinge der modernen Schule werden diese Vergleichung sehr ab Ort finden, denn Krieg und ein Hauswesen, Napoleon und ein Uli scheinen weit außerhalb dem Kreise möglicher Vergleichungen. Wir bemerken einfach, daß nicht bloß jeder Christ ein Kriegsmann sein soll, sondern daß jeder Hausvater einer sein muß, er mag wollen oder nicht, daß die Welt ringsum auf ihn schaut Tag für Tag und daß er gegen diese Welt, bestehend aus Umständen und Persönlichkeiten, stehen muß, wenn er nicht zu Boden getreten sein will, daß er ihr abstreiten muß, was er sein nennen will. Die erlaubten Streitweisen, das wahre Kriegsrecht findet sich in Gottes Gebot und nicht in ochsenhaften Gelüsten. Wahre Grundsätze müssen aber wahr sein, im Kleinen und Großen sich bewähren. Daher meinen wir, Napoleons Kriegsgrundsätze, mit welchen er die halbe Welt bezwang, dann der halben Welt standhielt, bis die Übermacht ihn ohnmächtig machte, seien von jedem Hausvater zu brauchen, der eine Ziege und drei Hühner hat. Es liegt eine so wunderbare Einfachheit darin, daß sicher so mancher Holzhacker wunderbare Triumphe über die Welt feiern würde, wenn er sich die Mühe nehmen täte, dieselben sich zu eigen zu machen. Daß aber menschliche Berechnung und die kaltblütigste Besonnenheit ihre Schranken haben und daß nicht ein Mensch es ist, sondern ein ganz Anderer, der sagt: Bis hieher und nicht weiter, das hat niemand wiederum besser erfahren als eben der Napoleon. Die Anwendung aller in ihm liegenden Kräfte und die Bestimmung der Richtung dieser Anwendung liegen am Menschen, den Ausgang aber bestimmt Gott.[375]

Das sind große Worte für kleine Dinge, aber die kleinsten Dinge sind für den, welcher nicht größere erlebt, groß genug, um mit den größten Worten sie auszudrücken, und die Zahl derer, welche nur sogenannte kleine Dinge erleben, ist unendlich größer als die Zahl der Herkulesse, Alexander und Napoleon. Daher wird dem Volksschriftsteller, welcher nicht für große Helden, nicht einmal für eidgenössische schreibt, erlaubt sein, das sogenannte Kleine, aber den Weisen das Wichtigste, auch mit den gewichtigsten Worten darzustellen, welche ihm zu Gebote stehen.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 356-376.
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