Sechsundzwanzigstes Kapitel

[435] Der neue Bauer in der Glungge erscheint


Endlich war das Kleine wieder entschlummert. Vreneli hatte es abgelegt, zugedeckt, wollte eben auch die Ruhe suchen,[435] da pochte es draußen. Der Lümmel, dachte Vreneli, wäre der doch jetzt im Wirtshause geblieben oder drüben in sein Bett gekrochen, was braucht der jetzt so spät mit seinem Gestürm uns unruhig zu machen! Unwillig öffnete es die obere Tür, aber draußen stand nicht Hans, sondern ein alter Mann mit einem Kopf, der wirklich einem hundertjährigen Weidenstock glich. »Möchte hier über Nacht sein,« sagte rauh der rauhe Kopf. Erschrocken sagte Vreneli: »Es ist wohl spät, mein Mann ist nieder und schläft.« »Selb ist mir eben recht«, sagte der Mann, »deswegen brauchst du nicht zu erschrecken. Bin kein Vagabund, sondern der neue Glunggenbauer. Im Wirtshaus ist mir zu viel Lärm, will probieren, wie hier ein Schlafen ist.« Da blieb Vreneli nichts übrig, als Platz zu machen vor der Türe dem großen Mann, hinter dem ein Hund dreinkam wie ein großes Kalb. Um Uli nicht zu wecken, führte es ihn in die jenseitige Stube und frug, ob es ihm mit etwas aufwarten könne. »Ein Kaffee wäre mir recht,« sagte der Mann, »wenn es dir nicht zu viel ist,« und dazu betrachtete er Vreneli mit zwei so scharfen Augen, daß Vreneli nicht wußte, was das bedeuten sollte.

Doch Vreneli war keine erschrockene Frau bekanntlich, war eine Frau von dem Selbstgefühl, welches Frauen eigen ist, daß ihnen nichts Unanständiges begegnen werde und daß, je ungestörter sie mit einem Menschen eine halbe oder eine ganze Stunde zubringen könnten, sie um so besser wüßten wie sie mit ihm dran seien. Wichtig schien es wirklich Vreneli zu wissen, woran man mit dem neuen Bauer sei, und manierlich mit ihm zu sein, damit er nicht Ursache zum Gegenteil hätte. In diesem Punkte traute es Uli wirklich nicht ganz, denn auch ihns kostete es Mühe, freundlich mit ihm zu sein. Es zwang sich, hieß ihn, sichs bequem zu machen, fragte ihn, wie er den Kaffee liebe, stark oder schwach, legte buchene Scheiter ans Feuer, damit tannerne durch ihr Sprätzeln niemanden[436] wecken möchten, fragte, ob es dem Hund auch was reichen solle und was derselbe liebe? Der Alte gab ganz kurzen Bescheid. Er sprach fast, als ob er seine Sprache aus einem Exerzierreglement gelernt hätte. Rasch war das Kaffee fertig, sauber, appetitlich, wackeres Hausbrot samt einer schönen Schnitte Käs stunden dabei. Oder ob er Butter liebe, frug Vreneli, dieselbe sei aber nicht mehr recht frisch. Mit der Milch seien sie gegenwärtig nicht am besten bestellt. Zucker hätten sie keinen im Hause, entschuldigte es sich, dergleichen brauche ein Pächter nicht.

Als alles da war, der Alte es sich behaglich gemacht, zog es einen Korb mit dürren Bohnen an sich, hülsete sie, um die Finger nicht müßig zu lassen. Ob sie schon lange da seien? frug der Alte. »Ihr werdet euch da gewärmt haben?« »Wäre gut,« meinte Vreneli, erzählte dann ruhig, welch Unglück sie gehabt und wie sie jetzt davon müßten, ehe sie sich erholt. Wenn es ihm naß ward in den Augen, so trocknete es sie so unvermerkt als möglich.

»So gehts,« sagte der Alte, »wüste Leute tun wüst, drum gehts ihnen bös.« Wen er damit meine? frug Vreneli. »Den Glunggenbauer und seine Frau, wen sonst? Hätten die bräver getan, so wäre der Hof schwerlich verkauft worden,« entgegnete der Alte. Da wurde Vreneli warm, stund ein für Base und Vetter, absonderlich für die erste, und ließ die Tränen laufen ohne Scheu. »So, warst noch dazu verwandt,« sagte der Mann, »und machten es euch so?« »Ja,« sagte Vreneli, »und daß ich unehlich war, ließ mich die Base nie entgelten, sie war mir eine Mutter und ich ihr Kind und oft werter als das eigene Kind.« »So, und wo warst du daheim?« sagte der Alte. Vreneli nannte kurz den Ort. »So,« sagte der Alte, »deine Mutter wird geheiratet haben?« »Sie starb bei meiner Geburt, und wäre die Base nicht gewesen, die Großeltern hätten mich vielleicht nicht taufen lassen. Aber Bericht, warum[437] und wie, wollte mir die Base nie geben, kann also auch nicht Auskunft geben. Doch Ihr werdet müde sein und Ruhe Euch anständig; Euer Bett ist gemacht, ich will es Euch zeigen.«

»Also seither warst hier?« frug der Alte. »So so, und jetzt, wohin,« Dafür sei gesorgt, sagte Vreneli kurz, sie hätten sich noch guter Leute zu trösten, welche sie nicht im Stiche ließen, wenn sonst auch alles fehle. »So,« sagte der Alte, »das ist allweg kommod. Sie sind rar, diese Leute, aber noch rarer sind die, welche die guten Leute, wenn sie sie auch finden, auch gut behalten können.« Das käme immer auf den Verstand an und wie man tue, sagte Vreneli. »Mit Schein weißt du was davon, weil du deiner Base nicht davonliefest, als sie dich erzogen hatte, wie es die Meisten machen. He nun so dann, so will ich ins Bett, so kannst du auch hinein.«

Somit stund er auf, Vreneli erschrak fast vor dem Mann und seiner gewaltigen Gliedermasse. Wenn in einem Walde er ihm begegnet wäre, hätte es ihn für einen übergebliebenen Riesen gehalten und die Flucht genommen. Auch sein Hund erhob sich, dehnte sich, stund auf die hintern Beine, legte seine vordern Tatzen auf Vrenelis Achseln und leckte ihm das Gesicht. Ein kleiner Schrei entfuhr Vreneli, als das Untier ihm so nahe kam, doch fiel es nicht in Ohnmacht.

»So,« sagte der Alte, »das ist seltsam, das hat er noch keinem Menschen gemacht als mir. Niemanden wollte ich raten, ihn nur von ferne anzurühren. Kurios!« »Ich gab ihm zu fressen,« sagte Vreneli, »und manchmal sind die Hunde dankbarer als die Menschen.« »Er frißt alle Tage dreimal, aber deswegen ist er noch nie an jemanden aufgestanden, es mag ihm das Fressen geben, wer will.« Kopfschüttelnd suchte der Alte sein Lager, nachdem ihm Vreneli gute Nacht gewünscht und ihn ermahnt, recht auszuruhen und am Morgen nicht zu früh aufzustehen.[438]

Als Vreneli sich niederlegte, schlief Uli fest, und Vreneli weckte ihn nicht. Als es erwachte, war Uli fort, ohne daß er um den Gast im Hause wußte. Er hatte die Kehr, das heißt die Reihe war an ihm, das Wasser auf seine Matte zu lassen; die versäumt kein Bauer und wacht, bis das Wasser aufgelaufen, um zu sehen, wie es überall seine Pflicht tue, und damit nicht etwa ein guter Freund und Nachbar in Versuchung gerate, an ihm zum Schelme zu werden und das Wasser zu stehlen. An der Sonne sah Vreneli, daß es sich verspätet, hantierte nun um so rascher, trieb mit kundiger Hand das Räderwerk des großen Haushalts. Es glaubte den Gast noch im Bette, sorgte für Stille, um so lange als möglich nicht von ihm gestört zu werden. Am Herde hantierend, fühlte es plötzlich was Kaltes in der Hand; erschrocken und mit einem kleinen Gix drehte es sich um, da war der mächtige Hund, der liebkosend seine kalte Schnauze Vreneli in die Hand gestoßen hatte, und unter der Türe, dieselbe fast ausfüllend, stund des neuen Bauern gewaltige Gestalt.

Eben willkommen war sie nicht, doch Vreneli besaß die Freundlichkeit, welche Mißliebiges überwindet, dasselbe nicht tagelang ablagern läßt, bot freundlich einen guten Tag, hieß ihn zum Frühstück kommen, frug, wie es ihm gefalle hier usw. Neugierig streckten die Kinder eins ums andere ihre Gesichtchen durch die Türe, welche ins Nebenstübchen, wo sie schliefen, führte, fuhren dann mit Schreien und Lachen zurück, wenn sie den fremden Mann und den großen Hund sahen, der sie noch mehr interessierte als der Mann. Der Mann war ernst, doch nicht unfreundlich, gab gut Lob ihrer Wirtschaft, frug nach Uli, und als endlich die Kinder sich dem Hund zulieb in die Stube wagten, war er freundlich mit ihnen, besonders mit dem kleinen Vreneli. Der Hund ließ mit ruhiger Ehrenhaftigkeit der Kinder Streicheln sich gefallen, nahm ihnen das Brot ab, welches sie der Mutter für ihn[439] abgebettelt hatten. Vreneli mußte von den Kindern erzählen, mußte abwehren, daß sie nicht zutäppisch wurden.

Da ging die Türe auf. »Vater, Vater, sieh, was das für ein Hund ist, hast du auch schon so einen gesehen?« schrien die Kinder. Uli stand da wie Lots Weib, als es Sodom und Gomorrha brennen sah, und glotzte den Mann an mit offenem Munde. »Das ist der neue Bauer,« sagte Vreneli, »er war hier über Nacht. Als er kam, schliefest schon, und heute warst fort, ehe ich es dir sagen konnte.«

Uli glotzte noch immer, so daß Vreneli es recht ungern hatte, daß Uli so unmanierlich tat. Der neue Bauer sah Uli auch an, und seltsam zwitzerte es ihm um den Mund und in den Augen. Endlich frug er: »Dünkt es dich etwa, du hättest mich schon gesehen, und weißt nicht wo?« »So ists,« sagte endlich Uli, »aber es wird nicht sein.« »Wen meinst?« sagte der Mann. »Es wird nicht sein,« sagte Uli. »Wir haben einen, der noch unser Vetter sein soll von der Frau her, der wohnt weit weg; bei dem war ich einmal, es ist schon lange her. An den mahntet Ihr mich im ersten Augenblick, aber der ist ein wüster und struber Mann und es ist besser, man rede nicht viel von ihm.« »Wirst doch nicht den Hagelhans im Blitzloch meinen?« frug der Bauer. »Wohl, gerade den,« sagte Uli, »meine ich, kennt Ihr ihn?« »Allweg, den kenne ich,« sagte der Mann, »von wegen gerade der bin ich, der Hagelhans im Blitzloch und jetzt der neue Glunggenbauer.«

Ja, jetzt gab es Gesichter, man kann sichs denken, und lange gings, bis Vreneli sich faßte und sagte: »Seid Gottwillche, Vetter, und zürnet nicht! Böse gemeint wars nicht, und daß ein Mensch, absonderlich ein Mann, wenn er nicht gebartet hat, daheim strüber und wüster aussieht, als wenn er gsunntiget ist, selb versteht sich und ist nichts Böses. Es wäre uns grausam leid, wenn Ihr es uns nachtrüget und entgelten ließet, was Uli in der Unachtsamkeit gesagt hat.«[440]

»Ihr guten Tröpfe« sagte der Mann, »Hagelhans hat schon ganz andere Dinge gehört; wenn er, was er gehört, nachtragen und eintreiben sollte, so müßte er den ewigen Juden ablösen; Hagelhans ist aber nicht so wüst, als er scheint, und wenn er den Menschen schon nicht die Hände unter die Füße legt und jedem Narr flattiert, lebt, wie es ihm gefällt, so hat er das Recht dazu, ihm ward auch nicht flattiert; jede Katze meinte, sie könne ihm den Talpen geben, und jeder Hund, er könne seine Schnauze an ihm abwischen. Übrigens kam ich nicht in böser Absicht her, sondern eigentlich wegen euch. Daß ihr mich zum Gevatter nahmet, darauf hielt ich euch nicht viel und noch viel weniger, als ich hörte, daß die Bäurin hier dazu geraten. Sie ist viel schuld an dem, was ich geworden; den Hans hielt sie für nichts gut, als um ihn zum Besten zu haben, die alte Blindschleiche war glatter und ihr lieber; sie hat es erfahren, wie weit man mit einer solchen kömmt. Wenn er nicht tot wäre, ich redete noch ganz anders von ihm. Deine Mutter, Gott verzeihe ihr ihre Sünde, hat es mir noch viel ärger gemacht. Möglich, daß ich es ärger nahm, als es war, als es nachher den Schein gewann, möglich, daß der Teufel seine Hände im Spiele hatte. Dachte oft darüber, seit das Blut kälter ward; daß der Hund dir flattiert, ist wunderlich. Du trafst es gut, als du kamest,« sagte er zu Uli, »ein andermal wärest du übel weggekommen. Ich hörte nicht ungern Bericht von der Glungge, freute mich darüber, wie es ging, dachte oft: weißt jetzt, wer schuld ist, daß es dir nicht besser geht! Aber daß ich deswegen einen Tritt versetzt, hätte ich ihr nicht zu Gefallen getan. Ich wußte wohl, die Alte vernahm gerne etwas von mir, hätte vielleicht gerne mich gesehen, aber jetzt war es an mir, den Kaltblütigen zu machen. Doch kam mir seit jener Zeit das vergangene Leben oft in die Gedanken und manches anders vor als bisher. Als ich in jener Nacht dich antraf, wo ich eigentlich auch zu Markte[441] wollte, den Tod der Alten und deinen Zustand vernahm, da kam mir Mitleiden und es dünkte mich, ich möchte auch mal was tun und zeigen, daß der Hagelhans innen besser sei als außen schön. Daß du ehrlich warst und aufrichtig, gefiel mir, so habe ich die Leute gerne, so sie nötig, obgleich ich Schelmen und Lumpenpack nicht fürchte. Hagelhans weiß, wie man mit Pack umgeht, und kennt das Pack. Aber eins hing am andern, daß nichts zu machen war, bis endlich das Gut zum Verkaufen stund. Das ließ ich nicht gerne aus der Familie; hatte ich es einmal, konnte ich machen, was ich gut fand. Das Blitzloch ist nicht bös, die Glungge ist aber doch was anders; daß die mal in meine Hände kommen würde, hätte ich nicht gedacht, das freute mich sehr; wäre sie vor Zeiten mein gewesen, wer weiß, wie alles gegangen, Der Lumpenhund, der versoffene Sohn, wollte mir die Freude verderben, konnte es aber nicht, mußte sie bloß einige tausend Gulden teurer haben, macht aber nichts.«

»Vernahm es beim Wässern,« sagte Uli. »Wenn Ihr dem Johannes gesagt hättet, wer Ihr wäret und daß Ihr es eigentlich, wie es scheint, für ihn wollt, hättet Ihr das Geld sparen können.«

»Wer sagt es, daß ich es für ihn will? Mit dem Lumpenhund will ich nichts zu tun haben, bin kein Narr, der, wenn ein Haus brennt, Holz herbeischleppt, damit das Feuer nicht aus, gehe. Das Gut ist mein und fragen wollte ich: willst mein Pächter sein einstweilen, bis mir was anderes einfällt?«

Da waren Beide wie aus dem Himmel gefallen, daran hatten sie nicht gedacht. Hagelhans glich so wenig einem Engländer, nicht einmal einem Neuenburger. Vreneli schossen die Tränen in die Augen, und Uli sagte endlich: dSach wäre ihm wohl recht und hart halte es Beide, hier fortzugehen, aber er sei zu arm, um so was mehr übernehmen zu dürfen, und Bürgen wüßte er ihm keinen zu stellen. Dem Bodenbauer,[442] der wie ein Vater an ihm gehandelt habe, sei er bereits mehr schuldig, als er ihm bezahlen könne. Ihn nun noch einmal ansprechen wolle er nicht, die Sache könnte fehlen, dann müßte er sich sein Lebtag ein Gewissen daraus machen.

»Wenn der Bodenbauer vermag, dir Bürge zu sein, so vermag ich vielleicht, dir das Gut ohne Bürgen zu verpachten; bin ich doch sogar Gevattersmann und habe meiner kleinen Gotte noch gar nichts gegeben, nicht einmal einen Einbund. Ihr werdet mich doch oft schmählich herumgerissen haben, du und die Base,« sagte er zu Vreneli und blitzte scharf ihm in die Augen.

»Nicht einmal,« sagte Vreneli. »Ich hatte es von Anfang ungern, daß man so einen fremden, unbekannten Menschen ansprach, dem es wie eine Bettelei vorkommen mußte. Aber sie wollte es haben, und als alles ging, wie es ging, hatte sie es ungern und man sprach nicht davon.« »Und jetzt wegen der Pacht, was meinst?« »Ach Gott,« sagte Vreneli, »was soll ich meinen? Mein Lebtag war ich hier; wie mirs ums Herz sein muß, hier fort zu müssen, kann man denken. Aber hier zu sein zwischen Leben und Sterben und in beständiger Angst, die Leute müßten an uns verlieren, das ist ein ängstlich Leben, welches ich in die Länge nicht aushielte und Uli es nicht zumuten möchte, um am Ende doch auf die Gasse zu kommen.«

»So, hast ein schönes Zutrauen zu mir,« sagte der Alte. »Indessen man nimmt es, wie es ist, bis es besser kömmt. Einstweilen habe ich nicht im Sinn, euch auf die Gasse zu bringen, und wie man es macht, so hat mans. Nach dem, was ich gesehen habe, wirtschaftet ihr Beide nicht übel jedes an seinem Orte, habt ziemlich Ordnung und könnt es vielleicht noch besser lernen, denn im Blitzloch siehts besser aus. Das geht mir einstweilen über den Zins, besonders wenn es mich noch ankäme, selbst Glunggenbauer zu werden. Ich könnte[443] dich zum Hausknecht machen, mag aber nicht. Hausknechte erfaulen gerne, verlassen sich auf des Herrn Geldseckel, und scharf gibt die Frau nicht acht, wieviel Mehl und Butter sie zu einer Suppe braucht, geht es doch über des Herrn Buckel aus; es gibt selten etwas Gescheutes aus solchen Leuten, besonders wenn ihr Dienst lange währt, und Lust zum Sterben habe ich einstweilen noch nicht.«

»Ihr habt ein schlecht Zutrauen zu uns, daß Ihr glaubt, wir können zu fremder Sache nicht so gut sehen als zu der eigenen« sagte Vreneli. »Mensch ist Mensch,« sagte der Alte. »Aber warum sagst du nicht Vetter?« Vreneli wurde rot und sagte: Kinder, wie es eins sei, wüßten eigentlich nie recht, ob sie Verwandte hätten oder nicht. »Wie sagtest du der Bäurin hier?« frug barsch Blitzhans. »Base und manchmal Mutter, wie sie auch eine an mir war,« sagte Vreneli.

»Ho,« sagte Hagelhans, »so ist es dir einstweilen erlaubt, mir Vetter zu sagen; vielleicht, wenn du siehst, wie ich es meine, sagst du mir einmal auch noch Vater. Also in den Schulden bist, dem Bodenbauer bists? Du weißt, ich habe den Hof sehr teuer samt Schiff und Gschirr und aller Bsatzung. Wie ich mir habe sagen lassen, hat man dich hart gehalten, und doch habest du den Hof verbessert, was mir zugut kommt. Das mußt dem Alten und dem Jungen nicht für übel nehmen; wer ertrinken will, hält sich an jedem Rohr, denkt nicht, daß es ihm nichts hilft, als daß er das Rohr ausreißt. Wer es aber hat und so es macht, der ist ein Hund und ist zu achten als ein Hund. Willst es mit mir probieren, so wollen wir zusammen hinauf zum Bodenbauer, die Sache richtig machen mit ihm, denn er hat seine Arbeit und ich habe besser Zeit, ihm nachzulaufen, als er mir. Ich heiße nicht umsonst Hagelhans, aber schlechter ist doch Mancher am kleinen Finger als ich am ganzen Leibe. Nicht daß ich mich rühmen will, aber wenn mich schon alles fürchtet, so hat doch niemand Ursache,[444] mich zu hassen, als vielleicht – –. Doch redet mit einander. Ists euch anständig, so gehen du und ich diesen Nachmittag zum Bodenbauer, bleiben dort über Nacht und machen die Sache. Wenn Hagelhans was anfängt, so fährt er gerne gleich aus bis zhinterst. Jetzt will ich in die Schreiberei, mach daß wir was essen können, wenn ich zurückkomme, halte nicht viel auf Warten. Bhüt euch Gott unterdes.«

Da saßen sie nun, Uli und Vreneli, sahen einander an, wußten nicht, hatten sie ein Gespenst gesehen oder einen guten Engel. Unerwartet wie ein Hagel vom Himmel war der grauliche Mann in ihr Leben hineingeplumpst, aber nicht zerstörend, sondern Gaben verheißend. Er war wie eine Gestalt in der Finsternis, von der man nicht weiß, ist sie Freund oder Feind, die wohl ein Losungswort gibt, von dem man aber nicht weiß, hat man es richtig gehört, ist es das rechte oder nicht.

»Was sagst dazu?« fragte endlich Uli. »Weiß nicht,« sagte Vreneli. »Glauben tue ich, er meint es jetzt gut, aber wie lange das Gutmeinen währt, das weiß ich nicht. Es ist mir gar wunderlich um ihn herum, bald wohl, bald angst, bald graut mir vor ihm, bald dünkt mich, ich müsse ein großes Erbarmen haben mit ihm. Die Base selig redete immer mit Schrecken von ihm als wie von einem halben Ungeheuer und doch glaube ich fast, die letzten Worte, welche wir nicht verstehen konnten, haben ihm gegolten, er lag ihr doch im Sinn.« »Aber glaubst, es sei ihm Ernst, er stelle uns nicht etwa Fallen?« frug Uli. »Glaube es nicht,« sagte Vreneli, »daß er an so was denkt. Es möchte mir fast scheinen, als sei er so ein alter Menschenfeind, der wieder das Verlangen nach Menschen bekömmt. Daneben aber schadet in acht Nehmen nicht, und daß er zum Bodenbauer begehrt, gefällt mir, es ist ein Zeichen, daß er uns nicht so ungesinnet zu übernehmen begehrt.« »Aber,« sagte Uli, »ich kann es doch fast nicht[445] glauben, wir wären ja viel zu glücklich, wenn das sich jetzt so machen sollte, und wie es scheint viel besser, als es früher war, gerade als wir meinten, wir seien auf dem Äußersten.« »So geht es mir freilich auch« antwortete Vreneli. »Aber das erstemal wäre es nicht, daß so was geschieht, daneben kann man immer vorsichtig sein. Du hast gehört, wie er schon lange was im Kopf gehabt, er sagte aber nicht was, aber nicht Gelegenheit gehabt bis zur Steigerung.«

»Da hätte es bald Streit gegeben«, sagte Uli. »Johannes hoffte, es werde ihn niemand abbieten, und hatte, wie man sagt, einen Käufer an der Hand und die Aussicht, eine schöne Summe zwischenauszunehmen. Als nun Bott um Bott aus der Ecke kam von einem alten Mann, dessen sich niemand geachtet, fing Johannes Händel an. Jeder Lump und Stöffel könnte ihm den Hof herauftreiben um Wein oder aus Bosheit. Der alte Hund solle schweigen oder er werfe ihn zur Türe hinaus. Der Alte rührte sich nicht, bot kaltblütig weiter. Johannes wollte ihm auf den Leib, da stund der Alte auf, der Hund auch, und der Alte sagte: Büebli, laß dich nicht gelüsten, du bist am Unrechten. Ich bin der Hagelhans im Blitzloch, vielleicht habt ihr auch schon von dem gehört. Da kann der Schreiber sehen, daß ich nicht bloß bieten, sondern auch zahlen kann, und zwar bar, so viel man will und so schnell man will. Er legte vor den Schreiber eine Brieftasche, und nachdem derselbe hineingesehen, ward er höflich und sagte, ja, so sei es. Und jetzt, frug Hagelhans und streckte seine Glieder, daß er anzusehen war fast wie ein alter Turm aus der Römerzeit, und jetzt, will mich noch jemand hinaustun oder mir das Bieten wehren?« Aber niemand hatte Lust dazu, weit um ihn stund niemand mehr. Die Einen hatten von ihm gehört und hielten ihn so gleichsam für des Teufels Halbbruder, die Andern erschreckte der große Mann mit dem knurrenden Hunde. Johannes fluchte alle[446] Zeichen, daß der Teufel den hergebracht und daß er ihn nicht gekannt. Es sei eigentlich ein Vetter von der Mutter selig her, habe keine Kinder, und wenn er es gewußt, so solle ihn der Teufel nehmen, den hätte er ins Garn jagen wollen, daß es einen prächtigen Fisch für ihn abgegeben hätte. Solche Kühe seien das lustigste Metzgen, sie fielen gut ins Gewicht, hätten zumeist mehr Fett, als man glaube. Es müsse den Teufel tun, wenn er den Alten nicht um den Finger wickle, ehe die letzte Halbe getrunken sei. Doch Johannes kannte Hagelhans nicht, mußte das Feld räumen, wenn er sein Fell ganz erhalten wollte, und natürlich halfen alle, welchen mit barem Gelde gedient war, daß dem Alten das Gut baldmöglichst zugeschlagen werde. »Jetzt wird er gegangen sein, um Kaufbrief und Zahlung zu besorgen.«

»Weißt, was es kostet?« frug Vreneli. »Gräßlich Geld,« sagte Uli, »sechzigtausend Gulden. Kein Christ bringt da den Zins vom Gelde heraus, und wer weiß, ob er nicht meint, mit Gutmeinen könne er uns locken, daß wir es um diesen Zins übernehmen.« »Zweifle,« sagte Vreneli, »er würde, wenn er das wollte, nicht zum Bodenbauer begehren. Und was hülf es ihm, wenn er uns schon hineinsprengte; er weiß ja, daß wir nichts haben, begehrt keinen Bürgen, und wo nichts ist, hat ja selbst der Kaiser sein Recht verloren. Mich dauert nur der Johannes und seine Kinder, daß die um das Gut kommen und für immer. Jetzt ist kein Pardon mehr für sie, sie müssen herunter bis zum Bettlerbrot. Er hat uns schlimm behandelt, aber ich kann mir nicht helfen: seine Mutter tat mir Gutes, und nichts kann mich mehr erbarmen, als wenn Familien auf diese Weise zugrunde gehen. Hundert und vielleicht mehr Jahre geht es, bis vielleicht wieder ein Glied derselben festen Fuß faßt, wurzelt, aus dem abgehauenen Stamme ein Sprößling hervorwächst, der wieder sein Haupt erhebt über das niedere Gesträuch.«[447]

»Und deine Kinder, erbarmen dich die nicht auch?« frug Uli, den jetzt eben kein großes Mitgefühl plagte. »Nicht halb so viel,« sagte Vreneli, »die werden gewöhnt, wie sie es ihr Lebtag haben können, lernen arbeiten, kommen hoffentlich einst mit Ehren durch, und wer weiß, was aus ihnen wird, was recht Gutes, so Gott will. Was jene an Gut haben, verprassen ihnen die Eltern, zu was Besserm helfen sie ihnen nicht. Was meinst, wer ist mehr zu bedauern, wenn sie nichts erben, ihre Kinder oder unsere Kinder?« Er meine es nicht so, sagte Uli, sondern er meine, jene Kinder gingen sie nichts an, die ihren wohl. Böses wünschen wolle er ihnen nicht, aber sagen müsse man doch: wenn es ungeheißen komme, unverdient sei es nicht. »Uli, Uli, nicht so,« sagte Vreneli; »sind nicht vielleicht auch noch Leute, die sagen könnten, Gott strafe unsere Kinder um der Eltern willen?« Uli stutzte, gab Vreneli die Hand und sagte: »Du hast recht! Wie schnell man doch so was vergißt! Umsonst sollst du mich nicht gemahnt haben.«

Hagelhans kam zurück, Vreneli war mit dem Essen noch nicht fertig. »Jetzt ist das Geschäft mein, jetzt will ich mir es recht ansehen, da gibt es was zu schaffen.« Die Sache hätte man in Ehren gehabt, so gut man gekonnt, sagte Uli, dem die Bemerkung ins Fleisch gegangen war. Aber Joggeli hätte nicht gerne Geld ausgegeben für Handwerksleute, er selbst hätte es sonst zu brauchen gehabt. Er hätte auch nicht immer alles aufputzen können; wenn man das Meiste mit fremden Leuten machen müsse, so graue es einem am Ende des Jahres über die vielen Taglöhne. Daneben sei das Haus so alt nicht, noch währschaft, mit Wenigem komme man weit. Der Alte sagte nicht viel darauf, guckte überall herum, und als sie zum Essen kamen, sagte er Vreneli: »Was sagst du dazu, wenn ich ein neues Haus da baue, eins, das einer hoffärtigen Frau besser ansteht als diese alte Hütte?« Vreneli[448] meinte, das werde ihm nicht Ernst sein, wäre Sünde. »Denn das hieße das Geld in Bach geworfen, das alte ist noch hundert Jahre gut.«

Den Alten hatte der seltsame Baugeist ergriffen, der unwiderstehlich fassen soll, wer sich ihm einmal ergeben hat. Das alte Haus schien ihm Reparaturen nicht wert, zu klein, zu unkommod, zu viel Hüttchen aller Art darum herum, so übel anzusehen, so unbequem; man müsse, sagte er, was zusammengehöre, unter ein Dach ziehen. Er sprach, als ob morgen der Bau beginnen müßte, daß Vreneli endlich sagte: Wenn es an seiner Stelle wäre, so wollte es sich einstweilen damit nicht so plagen; sollten sie dableiben, so wollten sie ja zufrieden sein, sie begehrten es nicht besser. Dann dünke ihns, man hätte ihm einstweilen stark genug zu Ader gelassen, er sollte froh sein, frisch Atem zu fassen. »Das, Base, wenns erlaubt ist, dies zu sagen, verstehst du nicht«, antwortete Hagelhans. »Kommt einer mal in Zug, dem Geld den Lauf zu lassen, so ist ihm nicht wohl, bis der letzte Kreuzer durch die Finger ist. Der Anfang ist schwer im Sparen und Ausgeben; wenn Hagelhans was anfängt, so fährt er zu bis ans Ende, halbwegs bleibt er nicht. Doch wegem Weg, wenn wir zum Bodenbauer wollen, so mach dich fertig, es ist Zeit.« Er sei fertig, sagte Uli, er wolle anspannen lassen, wenn er es befehle. »Was anspannen?« sagte Hagelhans. »Du wirst doch nicht einer von denen sein, welche meinen, daß wenn sie drei Schritte vor das Dach hinausgehen, es gefahren sein müsse? Das wäre mir nicht anständig.« Es sei wegen ihm, daß er fahren wolle, die Rosse hätten eben nicht viel zu versäumen, sagte Uli. »Meinetwegen braucht es sich nicht,« sagte Hagelhans. »Ob unsere Beine müde werden vom Fahren oder müde vom Laufen, kommt auf eins heraus, und wenn du nicht zu vornehm bist, so schämst dich nicht und nimmst mit mir den Weg unter die Füße.« Dagegen war nichts zu sagen.[449]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 435-450.
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