Sechstes Kapitel

[50] Wie das Hurnussen dem Uli vom Unkraut hilft


Es war schon lange die Rede davon gewesen, daß die Bursche aus Ulis Gemeinde, die Erdöpfelkofer, mit den Brönzwylerern einen Wetthurnußet abhalten sollten. Das Hurnußen ist nämlich eine Art Ballspiel, welches im Frühjahr und Herbst im Kanton Bern auf Wiesen und Äckern, wo nichts zu verderben ist, gespielt wird, an dem Knaben und Greise teilnehmen. Es ist wohl nicht bald ein Spiel, welches Kraft und Gelenkigkeit,[50] Hand, Aug und Fuß so sehr in Anspruch nimmt als das Hurnußen. Die Spielenden teilen sich in zwei Partien, die eine hat den Hurnuß zu schlagen, die andere ihn aufzufangen. Der Hurnuß ist eine kleine Scheibe von nicht zwei Zoll im Durchmesser, in der Mitte etwas dicker als an den Rändern, welche abgerundet und zwei Linien dick sind. Derselbe wird mit schlanken Stecken von einem Sparren, der hinten auf dem Boden, vornen auf zirka zwei bis drei Fuß hohen Schwirren liegt, geschlagen, auf den er aufrecht mit Lehm angeklebt wird. Etwa zwanzig Schritte weit vor dem Sparren wird die Fronte des Raumes bezeichnet, innerhalb welchem der Hurnuß fallen oder abgetan werden muß. Dieser Raum oder dieses Ziel ist an der Fronte auch ungefähr zwanzig Schritte breit, erweitert sich nach und nach auf beiden Seiten, hat aber keine Rückseite, sondern ist in seiner Längenausdehnung unbegrenzt; so weit die Kraft reicht, kann der Hurnuß geschlagen werden. Innerhalb dieses Zieles muß nun der sehr rasch fliegende Hurnuß aufgefaßt, abgetan werden, welches mit großen hölzernen Schaufeln mit kurzen Handhaben geschieht. Fällt derselbe unabgetan innerhalb des Zieles zu Boden, so ist das ein guter Punkt. Wird er aber aufgefaßt oder fällt er dreimal hintereinander außerhalb der Grenzen zu Boden, so muß der Schlagende zu schlagen aufhören. Die zwei Partien bestehen aus gleich viel Gliedern und schlagen und tun wechselseitig den Hurnuß ab. Haben alle Glieder einer Partie das Schlagrecht verloren, indem der Hurnuß entweder abgefaßt worden oder außer das Ziel gefallen, so zählen sie die guten Punkte und gehen nun ins Ziel, um den Hurnuß aufzufassen, den nun die andere Partie schlägt, bis auch alle Glieder das Schlagrecht verloren. Welcher Partie es gelungen ist, mehr Punkte zu machen, den Hurnuß ins Ziel zu schlagen, ohne daß er abgetan wird, die hat gewonnen. Nun muß man wissen, daß dieser Hurnuß fünfzig bis siebzig Fuß hoch und vielleicht[51] sechs- bis achthundert Fuß weit geschlagen wird, und doch gelingt es bei geübten Spielern den Partien oft nicht, einen einzigen Punkt zu machen, höchstens zwei bis drei. Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit gewandte Spieler dem haushoch über sie hinfliegenden Hurnuß ihre Schaufel entgegenrädern, wie man zu sagen pflegt, und ihn abtun mit weithin tönendem, hellem Klang, mit welcher Schnelligkeit man dem Hurnuß entgegenläuft oder rückwärts springt, um ihn in seinen Bereich zu kriegen. Denn je gewandter ein Spieler ist, ein desto größerer Raum wird ihm zur Bewachung anvertraut. Je gewaltiger einer den Hurnuß zu schlagen vermag, um so mehr müssen die Auffassenden im Ziel sich verteilen, so daß große Zwischenräume zwischen ihnen entstehen und auf den geflügelten Hurnuß eine eigentliche Jagd gemacht werden muß. Dieses Spiel ist ein echt nationales und verdient als eins der schönsten mehr Betrachtung, als es bisher gefunden hat. Daß es ein nationales ist, beweist das am besten, daß ein ausgezeichneter Spieler durch eine ganze Landschaft berühmt wird und die Spieler verschiedener Dörfer ordentliche Wettkämpfe miteinander eingehen, wo die verlierende Partie der gewinnenden eine Ürti zahlen muß, das heißt ein Nachtessen mit der nötigen Portion Wein usw.

Zur Zeit, als die Erdöpfelkofer und die Brönzwylerer mit einander hurnußen wollten, war noch der Dorfhaß in vollem Leben. Es war nämlich eine Zeit im Kanton Bern, wo jedes Dorf das andere haßte, jedes Dorf seinen Spottnamen hatte, wo dieser Haß bei jedem Tanz, an jedem Markte und zwischendurch im Jahr noch sehr oft mit Blut neu besiegelt wurde, daher nie veraltete, sondern in seiner gleichen Schärfe von einem Geschlecht zum andern überging. Damals schlug man sich mehr als jetzt, es floß mehr Blut als jetzt; aber damals war es ein nationales Schlagen mit Scheitern, Stuhlbeinen, Zaunstecken, und die harten Bernergrinden wurden wohl sturm[52] davon, aber brachen nicht ein. Jetzt aber ist es mehr ein banditenmäßiges Morden, ein unnationales Messerbrauchen, und je stumpfer das Schwert der Gerechtigkeit wird, desto schärfer werden die Messer, und je feiger die Richter sind, desto frecher wird das Pack. Ach Gott, wenn doch so ein Richter durch seine vermeintliche Popularität hindurch sehen könnte, wie geehrt und beliebt er sich durch seine Feigheit macht, wie hoch ihn die Mit- und Nachwelt schätzt, wenn er jedem Spitzbuben, jedem Vieh herauszuhelfen sucht, ja dadurch so recht eigentlich zu ihrem Helfershelfer sich macht, er würde zittern und schlottern vor Angst und Scham und doch vielleicht nicht anders können, von wegen seinen natürlichen Anlagen.

Schon lange hatten sie sich gegenseitig ausgeboten und verhöhnt, schon manches Loch in die Köpfe war geschlagen worden, ehe man dazu kam, einen Tag zum Wettkampf anzusetzen. Nun entstund in beiden Dörfern ein reges Leben, jede Abendstunde wurde zur Vorübung benutzt. Die Alten brummten über viele Zeitversäumnis, sagten voraus, das wer – de eine schöne Geschichte absetzen, und doch nahmen sie eifrig teil an allem, nahmen selbst noch die Schaufeln zur Hand und probierten die Schlagstecken, wie sie sich in die Hand schickten und was für einen Zug sie hätten, bis sie sich nicht enthalten konnten, den Hurnuß auch zu schlagen. Zugleich führten sie die Jungen aus, wie sie gar nichts mehr könnten und wie die Andern ihnen den Marsch machen werden, und doch ließen sich noch einige alte Berühmtheiten mit fast weißen Haaren erbitten, am eigentlichen Kampfe teilzunehmen. Die Auswahl der Spielenden geschah mit der größten Sorgfalt und nach langem Prüfen und Wägen, denn die Ehre des Dorfes stund auf dem Spiele, und es war lustig anzusehen, wie die Auserwählten sich ordentlich in die Brust warfen, die Nichterwählten aber sich klein machten und demütig zu den Andern aufschauten.[53]

Unter den Auserwählten sollte auch Uli sein, denn für so ein Junger war er ein Meister, und wenn ihm schon im Schlagen noch hie und da ein Streich fehlte, so war er doch im Abtun, wo es Springen und Werfen galt, einer der Tüchtigsten. Sein Meister riet ihm ab, die Wahl anzunehmen. Das sei nichts für ihn, sagte derselbe. Verliere seine Partie, so komme er unter fünfundzwanzig bis dreißig Batzen nicht daraus. Das sei noch das Wenigste. Am Abend gebe es Streit, und was dann das kosten werde, das wisse man nicht voraus. Wenn es bös gehe, so könne es zu Leistungen kommen, und man habe Beispiele, daß so ein Streit viele hundert Kronen gekostet habe. Das sei für reiche Bauernsöhne, welche gerne ihre Neutaler sonneten und denen ihre Alten nichts darauf hätten, wenn sie nicht alle halben Jahre eine Ausmacheten hätten, wenn sie nicht während ihrer ledigen Zeit einige hundert Neutaler an Schmerzengeld und Bußen zahlen müßten. Ob solchem sei schon mancher Bauer arm geworden, ein Knechtlein vermöge es vollends nicht. Er solle daher zurückbleiben, meinte der Meister, es könnte ihn sonst um manches Jahr zurückschlagen, ja machen, daß er nie mehr ins Geleise käme. Den Uli dünkte, was der Meister sagte, gar vernünftig, obgleich es ihn hart hielt, nicht an der Ehre teilzunehmen, an jenem Sonntag vor der großen Zuschauerschaft als ein bewährter Hurnußer aufziehen zu können. Er ging den nächsten Abend hin, um abzusagen. Natürlich nahm man sein Wort nicht gerne an, und unglücklicherweise war gerade jener oben genannte Nachbar auch dabei. Nachdem man lange umsonst in Uli gedrungen war, nahm jener Nachbar ihn nebenaus und stellte die Sache nun anders dar.

Der sagte nun dem Uli, wie es seinem Meister nur darum zu tun sei, daß er ihm nicht etwas versäume und daß er nicht etwa einen Abend für ihn füttern müsse. Er kenne den Bodenbauer von Jugend auf, sagte er. Das sei ihm der größte[54] Fuchs und scheinheiligste Ketzer unter der Sonne, und so wie er wisse Keiner die Diensten auszunutzen. Da gebe er ihnen alles Mögliche an und stelle sich lauter gutmeinend, nur um sie zu Hause zu behalten, damit keiner einen Augenblick versäume und er sie brauchen könne Tag und Nacht. Auch wolle er nicht, daß sie mit andern Leuten Gemeinschaft hätten und Bekanntschaft machten, damit sie nicht vernähmten, wie viel Lohn man hier oder dort gebe, wie gut man es hätte usw. So mache er es allen seinen Diensten, und wenn er einen recht ausgenutzet habe, ihm alles aufgebürdet und der etwas mehr Lohn wolle, so jage er ihn fort und stelle wieder einen wohlfeilern an. Jetzt wolle er nur nicht, daß Uli gute Kameradschaft mache mit reichen Bauernsöhnen und dadurch vielleicht sein Glück machen könne, man wisse nicht wie. Er, Uli, solle nur dem Meister sagen, man hätte ihn nicht loslassen wollen. Es sei ihm nützlicher, der Meister brumme ein wenig, als wenn die ganze Dorfschaft ihn zHaß ergreifen würde. Uli schwankte, gab nach; solche Worte fanden noch Glauben bei ihm, zudem gefiel ihm die Kameradschaft mit reichen Bauernsöhnen; er wußte nicht, daß auch hier das Sprüchwort giltet, es sei bös mit großen Herren Kirschen essen, weil sie einem gerne Steine und Stiele ins Gesicht würfen, das Fleisch aber behielten. Wer mit Höhern ohne eigenen Schaden umgehen will, muß sehr klug sein, sonst wird er mißbraucht, muß die Ehre teuer bezahlen und wird am Ende doch mit Spott und Hohn weggeworfen, wenn man seiner satt hat oder ihn nicht mehr zu brauchen weiß oder wenn er sich einfallen läßt, Ansprüche zu machen. Das ist ganz akkurat gleich zu Erdöpfelkofen wie zu Paris, zu Brönzwyler wie zu Bern.

Als Uli dem Meister sagte, er müsse doch mithalten, man wolle ihn nicht loslassen, so erwiderte dieser wenig darauf, nur ermahnte er Uli, daß er sich wohl in acht nehmen möchte;[55] es wäre ihm leid, wenn er in Ungelegenheit käme und wieder ans alte Ort. Diese Milde rührte Uli fast, und beinahe wäre er jetzt noch zurückgegangen, aber die falsche Scham war stärker in ihm als die gute Regung.

Der ersehnte Sonntag brach endlich an, und mit ihm nahm Manchem eine schlaflose Nacht ihr Ende. Wenige hatten Zeit, die Kirche zu besuchen; alle Teilnehmer mußten sich rüsten, Schaufeln probieren, Stecken fecken, die Andern hatten ihnen zu helfen, und alle Weiber mußten das Mittagsmahl wenigstens eine halbe Stunde früher bereit halten als sonst, was für die einen eine schwere Aufgabe war, welche Fleisch im Hafen hatten, das drei Jahre im Kamin gehangen und von einer Kuh gekommen war, welche, wenn sie eine Frau gewesen, fast gar zur goldenen Hochzeit gekommen wäre.

Indessen wenn das Fleisch auch blieb wie mittelmäßiges Sohlleder, heute nahm es niemand übel, und glücklich war man, als endlich nichts mehr zwischen dem Nachmittage war, an dem des Dorfes Ehre für Kind und Kindeskinder neu bewährt werden sollte.

Noch lange hatte die bestimmte Stunde nicht geschlagen, als man schon mit dem Rüstzeug auf den Achseln Einzelne dem Sammelplatz zuziehen und dort Stecken und Schaufeln von Hand zu Hand zu sorgfältiger Prüfung wandern sah. Die Knaben drängten sich gar eifrig herbei und schwangen mit Eifer die Stecken und redeten mit gar wichtigen Gesichtern, welche Schaufel am besten in die Hand sich schicke; die Alten aber stunden scheinbar kaltblütig draußen auf der Straße, die kurzen Pfeifchen trotzig im Munde, die Hände in den Kuttentäschen und Westensäcken, und redeten vom Luft und vom Säen. Endlich wurde aufgebrochen, die jubelnde Jugend voran. Mit glücklichen Gesichtern die, welche eine Schaufel, einen Stecken tragen konnten, branzend und zankend[56] die, welche leer nebenbeiliefen, kühn und trotzig, hie und da einer einen ungelenken Sprung versuchend, wenn er eben ein Mädchengesicht erblickte, das ihm nicht gleichgültig war, marschierten die Kämpfer in halbmilitärischer Ordnung nach, und hintendrein trätscheten, wie in halbem Selbstvergessen, die Alten, und einer sagte dem andern, er müsse auf seinen Acker, man habe ihm gesagt, die Schnecken machten gar wüst in seinem Roggen, und da gehe es ihm in einem zu, zu sehen, wie die Jungen es verspielten. Es sei unter ihnen kein Einziger, der ihm die Schuhriemen aufgetan hätte, wo er noch jung gewesen, und doch seien noch ein halb Dutzend ebenso bös gewesen oder noch böser als er. Und als die Mannschaft aus dem Dörfchen war, hielt das Weibervolk Rat, was sie wohl zWort haben könnten, um auch auf dem Kampfplatz zu erscheinen oder wenigstens von weitem zuzusehen. So mir nichts dir nichts dem Zuge nachzulaufen, schämten sie sich. Ei nun, die Vorwände waren bald gefunden! Die jungen Mädchen zogen aus in langen Zeilen, Hand in Hand, und flatterten herum, bis sie mitten unter den Buben saßen; etwas ältere zogen langsam, in weiten Kreisen um den Platz herum und stellten sich in geziemender Entfernung auf einem kleinen Hübeli auf, wo sie weithin gesehen werden konnten, und eine Alte nach der andern trappete nach mit einem Kinde an der einen, einem Rosmarinstengel in der andern Hand und sagte jedem Begegnenden: Sie müsse auch noch da hinaus, wenn es ihr schon zwider sei, aber das Kleine hätte ihr keine Ruhe gelassen. Es wolle auch luegen, wie dr Ätti hurnußen könne, hätte es gesagt.

Es war ein schöner herbstlicher Tag, hell die Luft und grün die Erde; einzelne Schäfchen gingen am Himmel, ganze Scharen weideten auf der Erde, und eine liebliche Wärme lag auf Menschen und Tieren, die in süßer Behaglichkeit sich ausstreckten im grünen Grase an der hellen Sonne.[57]

Draußen trafen auf einer weiten Matte die Partien zusammen und ordneten sich zum Spiele, das hundertmal schöner und tausendmal nationaler ist als das fratzenhafte Komödiespielen, das den Leib nicht übt, an dem die Seele nicht wohl, lebt, das eine leidige Nachahmung ist und Gelegenheiten zum Faulenzen oder Hudeln gibt.

Der günstigste Standpunkt wurde auserlesen, die Sonne für die Abtuenden in den Rücken genommen, der Sparren zum Schlagen des Hurnußes sorgfältig gestellt, wo kein dunkler Hintergrund das Aufsteigen des Hurnußes verbarg, wo er gleich von der Stange weg in freier Luft wahrgenommen werden konnte. Wo dies nicht beachtet wird oder der Tag etwas dunkel ist und der Schläger den Hurnuß rasch und kräftig zwickt, da fliegt er mit solcher Schnelligkeit, daß er nicht wahrgenommen wird, bis er Einem schwer verletzend an den Kopf fliegt oder mit dumpfem Schlage neben Einem zu Boden fällt. Daher haben auch die Vordersten im Ziele die Aufgabe, denselben, sobald sie ihn erblicken, mit Händen und Schaufeln den Hintern zu zeigen, und weithin schallt dann das ängstliche: »Da da, da da, hier hier!«

Lange gings, bis der Sparren oder die Stange aufgerichtet war in ebenrechter Höhe, bis das Ziel ausgesteckt war in ebenrechter Weite und Breite, bis die Regeln des Spieles festgesetzt waren und geloset war, wer anschlagen solle. Jede Partie suchte ihre wirklichen oder vermeintlichen Vorteile, und eine brauchte nur etwas vorzuschlagen, so verweigerte es die andere hartnäckig, etwas Verdächtiges dahinter witternd. Dann zankte man sich, bis die Alten sich dareinlegten, den Einen oder den Andern nebenausriefen, ihm etwas ins Ohr sagten, welches gewöhnlich darauf hinauslief: mit Aufgeben eines Vörtelchens ein anderes zu erlistelen.

Es war schon über zwei Uhr geworden, ehe die Spieler ins Ziel traten, sich verstellten, vom Sparren herauf der Ruf ertönte:[58] »Weit dr ne?«, von dort her die Antwort kam: »Gät ume!«, ein Schläger rasch hinzutrat, aufzog, den Stecken über den Sparren, ihn hörbar berührend, niedersausen ließ, alle Herzen pochten, alle Mäuler aufgingen, alle Augen in zitternder Spannung zum Hurnuß sahen, ihn suchten in der Luft, ihn nirgends sahen; und während alle die Augen aus dem Kopfe sahen, tönte ein zweiter Schlag, da flog der Hurnuß hoch herein übers Ziel, wurde zu spät entdeckt und machte eins. Der erste Schlag war ein Vexierschlag gewesen.

Ich will nun nicht fortfahren, wie ich angefangen, nicht den Lauf des gesamten Spiels erzählen, wie oft man branzte miteinander über vermeintliche und wirkliche Täuschungen, wie man sich manchmal die Fäuste unter die Nase hielt, wie die Alten Schiedsrichter sein mußten, wie sie mittelten von beiden Seiten und wie die Jungen sich ihnen fügten, freilich oft sperrig; wie die Alten sich nicht enthalten konnten, praktischen Unterricht zu geben, einem Schläger zuzurufen: Er solle bas hingere stah oder bas füre; den Abtuenden: Sie sollen sich besser auseinanderlassen und ihre Schaufeln nit z'gly werfen, das sei nichts wert. Ich will auch nicht weiter beschreiben, wie allmählich ein dichter Kranz von Zuschauern die Spielenden umschlang, wie die alten Mütter mit pochenden Herzen an dem Spiele teilnahmen, wie die Mädchen vor Angst oder Freude zitterten, wenn ihr Liebster ans Schlagen trat oder den Hurnuß abtat, auch nicht, wie die Buben von Erdöpfelkofen und Brönzwyler sich boshaft neckten und endlich jämmerlich prügelten, bis die Mütter und Schwestern sie auseinanderrissen, während die Väter und Brüder es nicht der Mühe wert fanden, einzuschreiten. Das alles will ich nicht erzählen, sondern bloß noch sagen, daß die Erdöpfelkofer es verloren, freilich nur um eins, aber doch verloren. Sie zankten sich zwar tüchtig, ehe sie es glauben wollten, versuchten alle List und alle Vörtel, konnten wirklich einen noch einmal[59] schlagen lassen, nachdem er schon abgetan worden, stüpften einen Hurnuß, der ins Ziel gefallen war, hinaus und hoben ihn erst draußen auf und leugneten es dem alten Brönzwyler, der pfiffig in der Nähe aufpaßte, ab; aber es half alles nichts, sie mußten es endlich verloren geben. Sie waren unwirsch und hielten den Entscheid des Schicksals für durchaus ungerecht, weil sie offenbar die Bessern gewesen, und hie und da einer konnte sich nicht enthalten, einem schuld zu geben, daß er schlecht geschlagen oder im Abtun sich verfehlt. Die Alten verließen brummend den Platz und meinten, sie hätten es schon lange gesagt, es komme so; allbets wäre es anders gegangen, sie seien manchmal dabeigewesen, aber so leid hätten sie sich nie gestellt. Und die Weiber und die Mädchen gingen auch mit schweren Beinen heim und sagten: Das mach ihnen zuletzt noch nichts, wenns Ihrer schon verspielt hätten, wenn es hinecht nur nichts Uwatligs geb, aber sie förchte, die kämen nicht ohne Kläpf auseinander. He nu, was das denn mache, sagte so ein alter Fäger; er sei auch manchmal dabeigewesen, wo es Kläpf gegeben habe, und noch ganz andere als heutzutag, und er sei doch immer mit dem Leben davongekommen.

Uli hatte sich brav gestellt, und doch trümpfte ihn ein Baurensohn, der selbst den Hurnuß mehr als einmal liederlich vorbeigelassen, als ob er am Verlust schuld sei. Das und die Aussicht, so mir nichts dir nichts um zwei bis drei Pfund zu kommen, machte ihn ganz böse und ärgerlich; er sagte: Er denk, er komme nicht mit zum Trinken, es sei ihm nicht darum und er müsse daheim füttern, der Meister werde kaum daheim sein; es soll doch einer für ihn zahlen, was es ihm breiche, er wolle es ihm dann wiedergeben. Aber da sagte man ihm, ob man ihn hintersich darauslassen wolle! Er hätte es verspielen helfen, er müsse jetzt auch zahlen helfen und mit den Andern halten, es möge kommen, was da wolle.[60]

Das wäre lustig, wenn jetzt ein jeder heim wollte, dem Müetti unter dScheube schlüfen. Uli mußte mit, unzufrieden mit sich selbst und der ganzen Welt. Er hatte im Stillen gehofft, einmal wieder recht trinken zu können auf anderer Leute Kosten, nun ging es ihm umgekehrt.

Es war wirklich für die Erdöpfelkofer eine harte Nuß, so gleichsam im Triumph von ihren Siegern aufgeführt zu werden dem auserwählten Wirtshaus zu und in diesem Zuge die fröhlichen Gesichter der Brönzwyler Weiber und Mädchen zu sehen und hören zu müssen: Wie sie es nicht geglaubt hätten, daß es Ihrer so wohl könnten, aber da hätten sie keinen vorbeigelassen, wie hoch einer auch dahergekommen sei und wie schnausig. Sie mußten es indessen leiden, gebärdeten sich dabei aber so trotzig als möglich, waren auf Spottreden mit Schlagworten bereit, und wenn die Mädchen mit schelmischen Blicken sie neckten, so vergalten sie es ihnen mit schlüpferigen Reden.

Im Wirtshause glimmte das heimliche Feuer, vom Weine genährt, immer mehr auf Stichelreden flogen hin und her, und manche Faust hob sich, und manche Flasche wurde zum Wurfe gefaßt; aber noch mittelten die Ältern, setzten die Jüngern und mahnten, ja nicht anzufangen; aber wenn die Andern anfängen; so sollten sie sich wehren vom Teufel und nichts borgen. Aber immer mehr stieg auch den Ältern der Wein zu Haupt. Sie begannen zu erzählen von vergangenen Zeiten, wie sie hier und dort sich geprügelt, daß das Blut durch die Karrgläuse gelaufen sei, wie aus allen Häusern die Leute zusammengelaufen seien, wie wenn man zusammengeläutet hätte, und wie sie allen Meister geworden wären. Die Erdöpfelkofer hielten den Brönzwylern vor, wie oft sie dieselben gejagt, gescheitert, gebodiget hätten. Die Brönzwyler führten anderes an und namentlich den heutigen Tag, und wenn sie es so verspielt hätten, so wollten sie[61] sich nicht so groß machen; es hätten es ja alle Leute sehen können, welche die Leideren seien. Und Einer begann dem Andern vorzuhalten, wie er ihn dort in einen Bach geworfen oder in einer Mistgülle herumgezogen, mit einem Zaunstecken traktiert, daß er am Boden gelegen sei wie ein Kalb. Und der Andere erhob dann die Faust und wollte er, fahren, wer heute Meister sei. Und die Älteren, die früher abgewehrt, waren jetzt die Hitzigsten geworden, und hier griff ein Paar zusammen, und dort drückten sich einige alte Mannlein an die Wand, während einige mächtige Männer ruhig hinter den Tischen saßen und mit bewunderungswürdiger Gravität in das Getümmel schauten, nur hie und da einige gewichtige Worte sprachen, als: »Eh eh, ih wett nit; la dä gah, sust wills dr zeige«;und ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Es waren die Künge, die man kannte, von denen man wußte, daß wenn die einmal aufstünden, es den Fall Vieler zu bedeuten hätte, denen es aber selten mehr der Mühe sich lohnte, ihre Kraft in die Wagschale zu legen. Ihre Worte unterstützten die Bemühungen des Wirtes, der Ruhe halten wollte, seiner Tische und Stühle, seiner Flaschen und Gläser wegen. Er war ein kräftiger und beliebter Mann, der ohne Furcht mitten unter die Streitenden trat, sie auseinandertat, den Einen hiehin, den Andern dorthin setzte, wenn sie sich wehren wollten, und mit mächtigem Arme den aus der Stube warf, der sich nicht ergeben, nicht ruhig sein wollte.

Dem guten Mann floß von der Stirne heiß der Schweiß: wenn er hier auseinandergetan, so klebten dort Andere zusammen; aber er gab nicht nach, sondern rief immer mächtiger: Hier sei er Meister und hier dulde er keinen Streit; wer für ds Teufels Gwalt Schläge haben wolle, der solle hinaus, dort hätten sie Platz genug, und dort könnten sie einander seinethalb dGringe abschryße. Die recht Streitbrünstigen ließen sich das gesagt sein. Es verschwand einer nach dem andern;[62] einer wollte dem andern auflauern, und ehe er recht draußen war, hagelten Streiche auf ihn ein wie von unsichtbaren Händen; er konnte kaum seinen Kopf sichern und mit Dreinschlagen den Feind sich vom Leibe halten. Wie man es draußen so tätschen und klepfen hörte, so nahm es die drinnen immer mehr wunder, wie es draußen ginge, sie stürzten hinaus und hingen sich auch in den großen, immer blutiger werdenden Knäuel, auf den mild lächelnd die heitern Sterne schienen, aber nicht hell genug leuchteten, daß der Freund vor Freundes Schlag sich wehren, der Feind den Feind er, kennen konnte. Es ging wüst draußen, und hie und da kam einer herein, mit Blut überströmt, sagte, es werde ihm fast gschmucht und man solle ihm Wasser geben. Der Wirt, der Wasser holen wollte, kam auch blutend, mit zerschlagener Flasche und sagte den Küngen, die noch immer am Tische saßen, es wäre doch afe Zeit, daß sie hinausgingen und sähen, was es gebe; es dünke ihn, es gehe afe wüst genug. Die Mannen tranken aus, klopften ihre Pfeifen aus, erhoben langsam ihre Riesenglieder und schritten langsam hinaus; sie wären schneller gegangen, wenn man sie gerufen hatte, draußen einem Pferde die Fliegen zu wehren. Draußen stellten sie sich, betrachteten gemächlich das Gewühl der auf dem Boden Liegenden, der in Masse Kämpfenden, und endlich sagte einer: Es dunke ihn, es sollte jetzt genug sein, sie sollten jetzt aufhören, sonst wolle man es ihnen teilen, aber dann unsauber. »La gseh, guetets jetz de?« rief ein anderer, als der Streit fortdauerte, nahm den Nächsten und schmiß ihn rücklings in einen Haufen hinein, daß er durch denselben fuhr wie eine Kanonenkugel und jenseits in einem Zaune hängen blieb. Die andern griffen auch zu, und es war merkwürdig zu sehen, wie die wildesten Schläger im Arme eines der Künge zappelten wie Fische in der Hand einer Köchin, und in kurzer Zeit war der Platz von Streitenden leer, nur noch hie und da, in[63] immer zunehmender Ferne, hörte man Schläge fallen, Flüche schallen. Nun wurden die Verwundeten aufgehoben, ausgewaschen und suchten sich im Geleite der Künge den Weg nach Hause. Nur zwei von Brönzwyler wollten nicht fort, sondern blieben, wie man zu sagen pflegt, in der Leistung liegen und begehrten einen Doktor, das heißt sie blieben auf Kosten ihrer Schläger liegen so lange als möglich oder bis der Handel ausgemacht, die Entschädnis ausgemittelt war. Das wollte zwar den Küngen nicht gefallen, sie sagten: Zu ihren Zeiten hätte man sich wegen solchen Flöhbicken nicht umgesehen, es sei nichts mehr mit den Leuten. Aber die Bursche ließen sich nicht abwendig machen; es waren halt nicht die reichsten und es war ihnen nur um das Stück Geld zu tun.

Uli war gereizten Gemütes zum Weine gekommen und hatte viel getrunken. Er dachte, wenn er doch mitzahlen müsse, so wolle er wenigstens machen, daß er redlich seinen Teil bekäme. Er war auch im Streit gewesen, aber nur so im allgemeinen, weil gerade kein besonderer Haß gegen irgend einen Brönzwylerer in ihm war. Er teilte tüchtige Schläge aus hie und da, aber mißhandelte niemand insbesonders; er erhielt einige räße Kläpfe, blutete, und sein Sonntagsstaat hing ihm zerrissen am Leibe. Als die alten Fäger dem Streit ein Ende machten, so hatten die Erdöpfelkofer die Oberhand, auch waren die beiden in der Leistung Liegenden Brönzwylerer. Die Ersten schrieben sich daher den nächtlichen Sieg zu, trösteten sich deswegen über die Niederlage beim Hurnußen und verführten beim Heimgehen einen Mordsspektakel, und manches unschuldige Bäumchen und manch noch unschuldigeres Fenster mußten ihren Sieges- und andern Rausch büßen. Die Helden von Waterloo oder Morgarten konnten nicht bäumeliger heimgekommen sein als sie. Am Morgen verging Einigen der Jubel. Als Uli erwachte, der zerschlagene Kopf ihn brannte, ein Arm sich fast nicht wollte[64] bewegen lassen, seine zerfetzten Sonntagskleider ihm in die Augen und die mächtige Ürti ihm ins Gedächtnis fielen, da hätte er fast weinen mögen. Jetzt sei alles aus, dachte er, Hausen lohne sich nicht der Mühe. Er habe doch recht, ein arm Knechtlein komme zu nichts, und wenn er ein einzig Mal übertrappe, so sei er fertig, es möge ihm auch gar nichts erleiden. Er hatte allen Mut verloren, gab nicht nur niemand ein gutes Wort, sondern ging umher wie eine geladene Kanone, vor der jedermann floh, weil man fürchtete, sie könnte jeden Augenblick losgehen.

Unterdessen hatten die in der Leistung Liegenden zwei Männer nach Erdöpfelkofen gesandt mit der Frage, ob sie es mit ihnen in Freundlichkeit ausmachen oder ob sie es dem Landvogt anzeigen sollten. Diese Männer hatten sich an den Bauer gewandt, der den Uli aufgestiefelt hatte gegen seinen Meister, und dieser gab ihnen den Bescheid: Man werde wohl ausmachen, wenn es der wert sei, es werde wohl nicht so bös gegangen sein. Indessen müsse er mit den Andern reden, man könne ihnen morgen den Bescheid sagen lassen. Der Fuchs hatte seinen Plan schon gemacht, wie er und seinesgleichen darauskommen wollten, ohne daß es sie etwas koste. Er gab unter der Hand den Andern an, sie wollten den Uli vermögen, daß er sich als den Schuldigen, welcher jene Beiden mißhandelt, dargebe und entweder mit ihnen abmache oder sich dem Landvogt anzeigen lasse. Das tue der schon, sagte er, wenn man ihm den Mund recht süß mache, ihm nicht nur verspreche, ihn in allem auszuhalten, sondern noch einen schönen Lohn obendrein zu geben. Man könne von diesem allem hintendrein immer halten, was einem anständig sei. Zugleich schmiere man so die Brönzwylerer an, die an Uli auch nicht reich werden würden.

Das gefiel den Meisten wohl, daß Uli die Suppe ausessen sollte; sie hatten so halb und halb Angst, der Landvogt könnte[65] diesmal nicht bloß büßen, sondern bannisieren; und wenn ein reicher Bauernsohn schon das Geld lieb hat, so zahlt er doch zehnmal lieber, als daß er leistet, und sein Vater hundertmal lieber und das Mütti gar tausendmal.

Resli, wie der alte Fuchs hieß, machte sich also an Uli, als der fütterte am Abend, und sagte ihm, es hätte gefehlt und die Brönzwylerer hätten Mannen geschickt und es komme jetzt darauf an, wie man es etwa ausmachen könne, viel Geld könnte es allweg kosten. Das war bei Uli die Lunte auf die Kanone, und die brannte nun krachend und donnernd über Resli los. Uli nannte ihn einen alten Schelm, der ihn ins Unglück gestürzt. Er hätte nicht kommen wollen, Resli hätte ihn beredet; er hätte den Streit nicht angefangen, gerade die Alten, wo am witzigsten hätten sein sollen, hätten am wüstesten getan, und namentlich er, Resli. Nun sollte er, ein armes Knechtlein, ein halbes oder ganzes Jahrlöhnli dargeben, ein ganzes Jahr umsonst arbeiten; das sei vor Gott und Menschen nicht recht! Aber so habe man es mit den dolderschießigen Bauren; wenn die ein arm Knechtlein ins Unglück stoßen könnten, so bsinnten sie sich nicht zweimal.

Resli ließ den Sturm gelassen austoben und sagte endlich: Wenn er ihn wollte zu Worten kommen lassen, so sollte er gerade das Gegenteil erfahren; man hätte sein Glück im Sinn, und wenn er vernünftig tue, so wolle man es einrichten, daß er allein den Vorteil vom ganzen Handel hätte. Er hatte Mühe, Uli zu gschweigen und zum Losen zu bringen. Als es Resli endlich gelang, zu sagen, daß Uli sich als Täter dargeben solle, so ging ein neuer Schuß los, Uli wollte vom Nachtrag lange gar nichts hören. Endlich gelang es Resli doch, anzubringen, wie man hinter ihm stehen und nicht nur alle Kosten tragen, sondern auch dem Uli ein Schönes geben wolle für sich; er solle nur fordern, man wolle ihm geben, bis er zufrieden sei. Wenn Uli sich dargebe, so könne man[66] es viel wohlfeiler ausmachen; oder wenn es endlich vor den Landvogt komme und Uli leisten müsse, so mache ihm das ja nichts. Ein Kerli wie er finde allenthalben Meister; ds Gunträri, es hätte schon Mancher in der Fremde, wohin er nie gegangen, wenn er nicht bannisiert worden wäre, sein Glück gemacht. Und die fünfzig oder hundert Kronen, die man ihm geben wolle, er solle ja nur heuschen, kämten ihm auch wohl; er könne lange arbeiten, ehe er so viel verdient hätte. Und wenn man ihm weiter sonst dienen könne, so solle er nur zusprechen, man werde ihn nie stecken lassen, sondern sein Leben lang ihm daran denken. Kurz Resli wußte dem Uli die Sache so süß vorzustellen, ihm es glaublich zu machen, das er noch großen Gewinn aus dem ganzen Handel ziehen würde, statt Schaden zu haben, daß er versprach, nach dem Feierabend in eine Versammlung zu kommen, wo man das Nähere verabreden wolle.

»So komm dann,« sagte Resli, »aber sag deinem Meister nichts, der braucht eben nicht alles zu wissen, was wir unter uns machen; es geht ihn ja nichts an, darum hat er nichts dazu zu sagen.«

Kaum war der Resli fort, so trat der Meister zu Uli in den Stall, und nach einigen gleichgültigen Worten fragte er: »Ist nicht der Resli bei dir gewesen? Hat er etwa zu mir wollen,« Uli sagte, er wisse es nicht, er hätte nichts davon gesagt. Der Meister sagte, er wüßte auch nicht, was er mit ihm hätte, er werde wohl nur zu Uli gewollt haben. Uli sagte, sie hätten noch von gestern miteinander brichtet. Der Meister wußte wohl was. Er war, während Uli und Resli miteinander geredet, die ganze Zeit über im Futtergang gewesen, hatte alles gehört. Es ward ihm daher nicht schwer, durch eine Reihe von Fragen Uli endlich zum Geständnis der Wahrheit zu bringen. In seiner angestammten Bedächtigkeit hatte der Meister einen Kampf in sich zu bestehen: ob er sich weiter in eine[67] Sache mischen wolle, die ihn allerdings nichts anging, und ob er eines Knechtes gegenüber von Nachbarn sich annehmen wolle. Indessen siegte seine Gutmütigkeit, sein Wohl, wollen zu Uli und auch etwas der Ärger, daß man hinter seinem Rücken an seinen Knecht sich mache, ihn erst aufreise und dann mißbrauchen wolle. Er sagte daher Uli: »Du kannst meinethalben machen, was du willst; du hast mir nicht gehorcht, als ich dir von dem Mitmachen abgeraten; du kannst jetzt auch machen, was du willst. Indessen, wenn ich dir gut zu Rate bin, so laß dich nicht ein; man will dich hineinsprengen, und die Andern wollen sich hinter dir drausmachen. Man wird dir alles versprechen, was du willst, aber gar nichts halten. Wenn du mit den Brönzwylerern abmachst, so kannst du bezahlen; wenn du leisten mußt, so kannst du ihrethalben gehen, wohin du willst, keiner wird dir Dankeigist sagen.« »Glaub mir nur, so gehts; der Gattigs hab ich schon mehr erlebt.« Aber das wär ihm doch dr Tüfel, sagte Uli; was man ihm verspreche, werde man ihm wohl halten, oder er müßte sich dann gar nichts auf die Leute verstehen. »Ja, du guter Tropf du,« sagte der Meister, »man hält, was man gerne will oder halten muß, aber mehr nicht, am allerwenigsten in solchen Händeln, das sind die wüstesten Bschyßhändel von der ganzen Welt. Wenn man da einen hinein, sprengen kann, so lacht man sich den Buckel voll.«

Da wurde es Uli angst, es war ihm fast, als wäre er schon hineingesprengt, und weinerlich sagte er: Er könne nicht glauben, daß die Menschen so schlecht seien; wenn es also wäre, so erleide es einem, dabeizusein, und es wär eim am besten, wenn man dahin und daweg aus allem heraus könnte, ganz aus der Welt heraus. Da müsse er die Leute nehmen, wie sie seien, sagte der Meister, er könne sie nicht besser machen. Je gescheuter man sei, desto besser komme man mit ihnen nach, denn da fanden sie nicht Gelegenheit, einen zu[68] betrügen, und scheuten sich auch mehr oder weniger davor; es heiße ganz recht, man solle klug sein wie eine Schlange, aber auch ohne Falsch wie eine Taube. Ein dummer Mensch sei eine immerwährende Versuchung für Andere, ihn hinters Licht zu führen, ihn zu betrügen. Er solle nur gescheut tun, so hätte alles nichts zu sagen. Ja, was er dann zu machen hätte? fragte Uli. »Vielleicht wäre das das Witzigste, du gingest gar nicht hin, ließest dich nirgends finden; da wurden sie dann von selbst deinen Namen aus dem Spiel lassen müssen. Indessen gehe und wehre dich, da werden sie dir das Schönste versprechen und immer mehr und mehr und werden schwören und alle Zeichen setzen, daß es dir ganz warm ums Herz werden wird, daß es dich dünkt, es müsse wirklich so sein und es wäre die dümmste Sache von dir, wenn du nicht nachgäbest und dein Glück zu machen suchtest. Dann sag in Gottes Namen Ja, aber man solle dir die Sache gschriftlich geben. Sieh dann, was das für Gesichter gibt und wie man dir sagen wird, das mangle sich nicht; wenn es dir ja alle versprechen, so werde das wohl gut sein, und man wollte sich doch schämen, so etwas zu versprechen und nicht zu halten. Indessen bestehe darauf und sieh dann zu, was man dir gibt, wer es unterschreibt und daß darin alle vernamset seien und Einer für den Andern gut ist.« Ja, sagte Uli, das wäre wohl gut, aber er könne nicht Geschriebenes lesen. »Ei nun«, sagte der Meister, »das macht nichts; nimm das Papier nur heim, man kann sehen, was darin ist, und du kannst morgen noch immer machen, was du willst.« »Aber meinst dann, Meister,« fragte Uli mit Beben, »das mache nichts und ich verfehle mich nicht?« »Das kömmt darauf an,« sagte der Meister; »wenn du mir diesmal glauben willst, dich nicht willst mißtreu machen, aufreisen lassen, so verspreche ich, dir hinauszuhelfen. Willst du aber den Andern wiederum mehr glauben als mir, so kannst du meinethalb; siehe dann, wie es dir[69] geht. Ich habe es dir im voraus gesagt, wie das Ding auslaufen werde, aber du hattest zu den Andern mehr Glauben als zu mir. Ich weiß wohl, wie sie mich werden verdächtigt und gesagt haben, es sei nur Mißgunst von mir, nur Zwang, ich wolle meinen Leuten keine Freude gönnen; und nicht recht von dir, Uli, daß du solche Dinge von mir glauben konntest. Ich hätte geglaubt, du solltest wissen, wie ich es mit dir meine, und du verdientest wirklich, daß ich dich stecken ließe. Aber das sage ich dir rundweg; wenn du mir noch einmal so mißtreu wirst und jedem Ohrenbläser und Lumpenhund mehr glaubst als mir und seine Aufweisungen gegen mich annimmst, so sind wir geschiedene Leute für immerdar. Wenn ich ein Vater an dir sein will, so kann ich doch fordern, daß du Glauben zu mir habest, und den solltest du wohl haben können!« Uli bekannte sein Unrecht und daß er nicht geglaubt, daß die Menschen so seien. »Was,« sagte der Meister, »daß die Menschen so seien? Du hast ja geglaubt, ich sei ein schlechter Meister und wolle dich ausnutzen; du hast geglaubt, daß der, der mit der Tat sein Wohlwollen dir zeigte, schlecht sei, hingegen gut diejenigen, die dir flattierten, schmeichelten, aber auch nicht ein Augvoll an dir taten. Du hast es gehabt wie alle: du hast den Glauben an die Schlechten gehabt und Unglauben gegen die, welche gut an dir waren; dann kommst du wie alle Andern: du hättest nicht geglaubt, daß die Menschen so schlecht seien. Das ist eine unvernünftige Rede. Aber ihr könnt Gut von Schlecht nicht unterscheiden und habt eine natürliche Vorliebe für die, welche euch aufweisen, und eine natürliche Abneigung gegen die, welche euch befehlen, euch in Ordnung halten müssen, und darum glaubt ihr zehnmal einem Halunk und nicht einmal einem Meister. Darum gehts den Meisten auch so gut und kommen so weit. Glaubs mir nur: die, welche Knechte und Mägde haben müssen, sind weit mehr gestraft[70] als die, welche Knechte und Mägde sein müssen.« Der Meister war wider seine Gewohnheit ganz heiß geworden. Uli hielt ihm an: Er solle doch recht nicht böse sein; wenn es jetzt so gehe, wie er gesagt habe, so wolle er sein Lebtag an ihn glauben und nie mehr an Aufweisungen und Halunken.

Am andern Morgen früh kam Uli zum Meister und sagte ihm: Er hätts nicht geglaubt, aber punktum sei es gegangen, wie er gesagt; er glaube, der Meister könne hexen. Sie hatten ihn fast gefressen vor lauter Liebe und Freundschaft, und zwischenein habe hie und da einer ihn wollen zu fürchten machen, und am Ende hätten sie ihm über alles aus tausend Pfund für ihn versprochen. Da habe er nachgegeben und es gschriftlich gefordert. Lange hätten sie mit ihm gezankt, und endlich habe Resli gesagt: He, was das dann mache, sie könnten es ihm wohl geben, und er solle selbst schreiben, wie er es haben wolle. Da habe er gesagt, er verstand sich nichts aufs Gschriftliche, und Resli habe gesagt, so wolle er es machen, und Zwei müßten es im Namen aller unterschreiben. Nun hätten sie ihm dieses Papier mitgegeben, aber ihm gesagt, er solle es bei Leib und Leben einstweilen niemandes zeigen, sonst könnte das Ganze fehlen; und wie sie es ihm abgelesen, sei alles so gewesen, wie sie es abgeredet. Aber das hätte ihm nicht gefallen, sie hätten zäpflet untereinander, und jeder habe das Maul verzogen, wenn er dareingesehen.

Der Meister sagte: »Soll ich dir jetzt ablesen, was darauf steht; Hör:

Daß vergangenen Sonntag es schlecht gegangen mit dem Hurnußen und daß nachher auch übel geschlagen worden, woran des Bodenbauren Knecht schuld ist und sich auch als schuldig dargegeben und bekannt hat und alle hiemit liberiert sind, das bezeugen mit ihren Unterschriften für sie und die Andern:[71] Heuschrecken, den siebenesiebezigst Jänner 1000,8005.

Johnes Fürfuß.

Bendicht Hemmlischilt.«


Als Uli das Papier ablesen hörte, wurde er bald rot und bald weiß, und als es aus war, hatte er beide Hände geballt und konnte nichts sagen als: »Die Donnere, die Donnere!« »Und jetzt, Uli,« sagte der Meister, »wem ist nun zu glauben?« »Schwyg doch, Meister,« sagte Uli; »aber wart, dem Donners Resli schlag ich auf der Stelle beide Beine abenandere.« »Das käme gut heraus,« sagte der Meister. »Da kämest du vom Regen unter das Dachtrauf.« »Aber was soll ich machen?« sagte Uli, »so will ich es nicht annehmen.«

»Gehe, mach deine Sache,« sagte der Meister, »und laß mir das Papier da, ich will das Ding in der Stille fertig machen; es ist am besten, man mache nicht Lärm, es könnte für beide Teile nichts Gutes dabei herauskommen, nichts als Futter für die Lämmergeier, welche vom Streit der Bauren leben.« Als der Meister ruhig zMorgen gegessen hatte, trätschete er so wie von ungefähr gegen Reslis Hofstatt, wo dieser Äpfel auflas, rühmte ihm, wie viele und schöne Bäume darin seien und wie sie bsunderbar gerne trügen. Er ging darauf einige Schritte, kehrte sich dann um und sagte: »Jä, jetzt hätte ich es bald vergessen! Uli geht heute nicht an die Ausmacheten, das Papier hat ihm nicht recht gefallen.« Resli bückte sich nach Äpfeln und sagte: »He nun, er hat dWehli; aber sehe er nur, was er macht.« »He, ja ja,« sagte der Meister, »aber ich habe dir nur sagen wollen, daß man mir Uli eh rüeyig läßt; es ist euch nützlicher, ihr machet aus und zahlet und fordert dem Uli keinen Kreuzer, als daß er das Papier dem Landvogt zeigt.« Darauf gab Resli gar keine Antwort, sondern sagte: »Johannes, es wäre mir lieb, wenn du deinen Hag besser vermachtest; deine Schafe sind immer in meiner Hofstatt, und[72] wenn eins an einem Öpfel erstickt, so will ich nicht schuld sein.« Noch diesen Nachmittag solle die Lücke vermacht werden, sagte Johannes; es wäre schon lange geschehen, wenn man Zeit gehabt hätte. Er solle es nicht für ungut halten. Nein, sagte Resli, aber es hätte ihn gedünkt, es wäre afe Zeit. Er hätte nichts dawider, sagte Johannes, »aber Resli, du weißt wohl, wenn ds Hurnuße nicht gewesen wäre, so wäre Manches gemacht, was nicht gemacht ist, und manches wäre unterwegs geblieben, was nichts abtragt.« Dem Resli kam der Tubak in den letzen Hals; er mußte husten, und Johannes ging fürbas; aber zu Uli sagte von wegen dem Zahlen niemand etwas mehr.

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Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 50-73.
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