Vierzehntes Kapitel

[168] Der erste Sonntag am neuen Orte


In der Samstagnacht ging es aus und ein wie in einem Taubenhaus. Als am Sonntagmorgen Uli zur gewohnten Stunde hinunterkam, war es still von Menschen, aber die Pferde scharrten, die Kühe brüllten und kein Melcher, kein Karrer waren da. Uli gab einmal Futter, gab zum zweitenmal, setzte sich endlich selbst ans Melchen, denn es ist nichts schlimmer, als wenn nicht immer zur gleichen Stunde gemolken und gefüttert wird. Mit Schrecken sah er, wie verwahrloset die Euter der Kühe waren, nicht die halben Striche gut; es schien ihm, als wenn der Melcher nicht melchen könne oder sich nicht Zeit nehme, es gut zu machen. Er war bald fertig, als der Melcher fluchend kam und sagte, das hätte nicht so pressiert, die Kühe hätten wohl der Zeit gehabt, zu warten, bis er gekommen, und wenn er ihm mehr unter eine Kuh sitze, so schlage er ihn unter sie, daß er sich seiner Lebenlang daran besinne. Uli sagte, das könnte er machen, wie er wolle, aber es wäre möglich, daß der Melcher eher unter der Kuh wäre als er. Übrigens wolle er, daß zur rechten Zeit gemolken würde und zwar gut, sonst tue er es. Die Kühe mangelten es, daß man gut zu ihnen sehe.

Im Hause verwunderte man sich gar sehr, als diesmal die[168] Milch so früh kam, und Vreneli sagte: Es sei gut, wenn es eine andere Ordnung gebe, es wäre schon lange nötig gewesen. Als es zum Essen rief, war Uli zuerst auf dem Platz; selbst die beiden Jungfrauen erschienen erst später, verstrupft und schliefrig anzusehen, die Knechte drehten sich mit unerträglicher Langsamkeit herbei. Vreneli balgete: Es sei ein unerträglich Warten, man könne an einem Sonntag gar nicht mehr fertig werden, um in die Kirche zu gehen. Von den Schlinglen gehe keiner, es wäre auch schade um die Kirche, wenn einer hineinkäme; aber das sei das Verflüchtest, daß ihretwegen auch niemand anders hineinkomme. Uli fragte, wie weit es sei bis zur Kirche, wann man gehen müsse, um zu rechter Zeit zu kommen, und wo syr Gattig säßen darin? »Die werden doch luegen,« sagte Vreneli, »wenn einer aus der Glungge in die Kirche kommt, das ist schon manches Jahr nicht der Brauch gewesen. Der Vetter geht, wenn er Götti sein muß, die Base zweimal im Jahr zum Nachtmahl und übers ander Jahr an dem Bettag, Lisabethli (Elisi sött men ihm säge) allemal, wenn es ein neues seidenes Tschöpli bekommen, ich, wenn ich einmal allen wüst gesagt, daß sie doch zur rechten Zeit zum Essen kämen, und die Andern gar nie, die denken so wenig daran, daß sie eine Seele haben, als unser Ringgi. Es nimmt mich wunder, was einist der liebe Gott aus sellige Trüßle, wenn sie gestorben sind, macht, bsunders mit dem Melcher. Wenn ich ihn wäre, den wollte ich einbeizen hundert oder zweihundert Jahre in ein Bätzifaß und ihn dann erst hervornehmen und luegen, ob er noch stinke; dann wär es erst noch Zeit, zu denken, was man aus ihm machen wolle. Aber, Uli, sie lachen dich aus,« sagte Vreneli, »wenn du gehst, und du hast Verdruß.« »I Gottsname,« sagte Uli, »aber z'Kilche z'gah brauch ich mich doch nicht zu schämen, und wenn ich hier nicht gehen dürfte, so wollte ich lieber fort. Der Lohn wäre mir noch lang zu klein, als daß ich meine Seele darob vergessen[169] sollte.« »Du hast recht,« sagte Vreneli, »geh du nur; ich wollte, ich könnte mit dir. Aber dene Tüfels Trüßle will ich einmal wieder recht wüst sagen, vielleicht kann ich dann den andern Sonntag gehen.« »Warum sagt auch der Meister zu solchen Sachen nichts? Mein Meister, wohl, der hat uns gesagt, ob wir in die Kirche sollten oder nicht.« »Der Vetter«, sagte Vreneli, »sagt, es gehe ihn nichts an, was sie mit ihren Seelen anfangen wollten; wenn sie ihm nur brav werchen und nicht stehlen täten, und das sei fast nicht zu erwehren.« »Das glaube ich,« sagte Uli, »das kann er nicht erwehren; wenn da nicht ein Anderer wehrt, so ist Joggeli lang z'mutze dazu.«

Uli machte sich zweg, trotz dem Gespött der Andern, nahm ein Psalmenbuch in die Kuttentäsche und wanderte der Kirche zu. Die Andern lachten ihm nach und sagten: Er wolle zu Üfligen den neuen Meisterknecht zeigen; er werde meinen, die Leute werden auf die Bänke hinaufsteigen, um ihn zu sehen. Aber Solche hätte man schon manchen gesehen und noch Brävere. Vielleicht meine er gar, der Pfarrer ziehe ihn an in der Predig, aber sellig Flause wollten sie ihm schon vertreiben. Vreneli war, vielleicht zufällig, vielleicht nicht, unter der Türe gestanden und hatte ihm nachgesehen und sagte den Andern: Es wäre eher möglich, daß der Pfarrer sie anzöge und von Hurenbuben, Faulhüngen und Lugibuben redete, darum dürften sie nicht in die Kirche gehen. Dann werden sie denken, solche Fötzel an Leib und Seele gehörten nicht in die Kirche. »Säg ume,« sagte einer, »es uverschants Mul hescht; aber gäll, der gfiel dr, du redst sonst nicht so; du bist nicht besser als die Andern, sonst wärst du auch zKilche gange. Du wirst denken, wenn er nur einmal mit dir zKilche chömm, so heygs de für dyr Lebtig.« »Das geht dich nichts an; einmal mit dir begehre ich nicht zKilche, lieber mit einem Schinderhund«, sagte Vreneli und verschwand. Wildes Gelächter scholl ihm nach.[170]

Uli fand bald Begleiter auf seinem Wege und ein Geständ um das Schulhaus, wo die Predigt abgehalten wurde. Das werde der neue Meisterknecht in der Glungge sein, sagte hier einer, dort einer. Es nehme sie wunder, wie lange er es mache. Meisterknecht möchten sie da nicht sein. Alle Andern hätten es gut, der müsse für alle ausfressen. Könne er es wohl mit den Diensten und mache auch, was sie, so passe ihm Joggeli auf wie ein Häftlimacher, bis er ihn fortschicken könne. Wolle einer Ordnung halten und das Land werchen lassen, wie öppe der Brauch sei, so hocken ihm die Diensten auf, und Joggeli werde zuletzt noch gar schalus und meine, er wolle regieren, und statt ihn zu unterstützen, kujiniere er ihn, bis er fortlaufe. Hintendrein sei er dann reuig und laufe ihnen nach, aber kaum habe er sie wieder, so fange das alte Spiel von neuem an. Das sei der wunderlichste Joggi, den es auf der Erde gebe, und dJoggeni seien doch füra etwas wunderlich, es wohne dem Namen an.

Jeder wußte von Joggeli ein Müsterli zu erzählen, was er gemacht und wie es ihm dieser und jener gereiset, und alle ermahnten ihn, er solle sich da nicht plagen, sondern für sich sehen; wenn er es verstehe, so sei da etwas zu machen. Uli wurde ganz sturm darob und konnte seine Gedanken gar nicht bei der Predigt behalten. Alles, was er schon gesehen, bestätigte ihm das Gesagte; dasselbe kam ihm immer ärger, greller vor, das Unangenehme wuchs handgreiflich vor seinen Augen bis zur Unerträglichkeit. Er werde wohl nicht mehr oft in die Kirche gehen, dachte er, da halte er es nicht lange aus. Als er heimging, finster und trübselig, schien die Sonne so freundlich, und es glitzerte der Schnee so rein und weiß, und traulich hüpften und flogen die Gilberiche vor ihm her, daß ihm ganz heimelig zumute wurde, daß es ihm ward, als sei er wieder am alten Ort und Johannes gehe neben ihm und rede zu ihm. Und da ward ihm, als hörte er ihn sagen: »Weißt[171] du noch von den zwei Stimmen, die einen begleiten im Leben, einer aufweisenden und einer mahnenden, und weißt du, wie die aufweisende, schmeichelnde Stimme vom Versucher kömmt, der Schlange im Paradiese, und wie sie einem den Kopf groß machen, ableiten will vom rechten Pfade und hinterher auslachet, wenn sie einen in Unglück und Schande gebracht, wie man die von sich weisen und sagen muß: Weiche von mir, Satanas! Wie sollte ich ein so großes Übel tun und wider den Herrn, meinen Gott, sündigen!« So glaubte Uli den Johannes reden zu hören; und da gedachte er, was die Menschen, die gekommen waren, an Gottes Wort sich aufzuerbauen, zu ihm gesagt, wie sie ihn aufgewiesen, den Kopf groß gemacht. Da erkannte er, was das für Stimmen seien, was sie für eine Bedeutung hätten und wie er vor ihnen die Ohren verschließen müsse. Aber es fing ihm fast an zu grusen vor den Leuten, die zusammenkommen, das Wort Gottes zu hören, Gott zu dienen, wie sie sagen, und die, statt Gott zu dienen, dem Satan dienen, statt sich zu erbauen, Andere niederziehen wollen in den Abgrund der Sünde. Es sei doch fürchterlich, dachte er, wenn den Leuten die Kirchenwege zu Höllenwegen würden, und es sei doch fürchterlich, ein Herz zu besitzen, das einem das Wort Gottes in Gift verkehre und dem Satan angehöre, während man mit dem Leibe Gott zu dienen vermeine. Da richtete er sich wieder auf und ward wohlgemut, daß er wieder wußte, woran er sei, und den rechten Weg wieder unter den Füßen fühlte. Doch schämte er sich fast, daß er beinahe und so leicht verführt worden, und er dachte, daß der Mensch fast sei wie ein Rohr, das der Wind hin- und herbewege, und wie notwendig es sei, zu wachen und zu beten, damit man nicht in Versuchung falle. Nun begriff er, was aus den Menschen werden müsse, die nicht wachen, nicht beten, und es kam ihm fast verwunderlich vor, daß nicht noch größere Ruchlosigkeit sei unter den Menschen.[172]

Beim Mittagessen konnte er ohne Zorn die Spöttereien ertragen: Er solle sich schicken, er werde wohl noch in die Kinderlehre gehen und Fragen aufsagen wollen. Er solle doch für sie alle beten; es käme ihnen jetzt kommod, daß sie einen Geistlichen unter sich hätten, der könne es für sie alle machen. Aber fluchen werden sie nüsti doch dürfen? Uli hätte es nie geglaubt, daß an einem Orte die Gottlosigkeit auf einem solchen Punkte stünde, daß sie so frech sich zeigen und die offen verfolgen dürfe, welche Gott dienen wollten. Uli wußte dar, um nicht, daß alle, die etwas Apartiges wollen, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit wollen, bis sie in dieser Duldsamkeit zur Macht erwachsen und dann despotisch und gewaltsam Zwang und Tyrannei des Gewissens und des Glaubens einführen. Und merkwürdigerweise ist gerade die Gottlosigkeit am unduldsamsten, sobald sie das Recht erstritten hat, mit Frechheit offen sich zeigen zu dürfen. Sie will keine Gottesverehrung mehr dulden und verfolgt jede mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, legt euch Glaubens- und Gewissensfreiheit so aus, daß niemand mehr einen Glauben haben, niemand ein Gewissen zeigen solle. Wer fühlt nicht diese zur Macht strebende Gottlosigkeit und den Zwang, den sie bereits auszuüben beginnt?

Nach dem Essen ging Uli in sein Stübchen herauf, das kalt und dunkel war. Er nahm die Bibel hervor, die er im Trögli verschlossen hatte; es war eine sehr schöne, die ihm seine Meisterfrau zum Andenken geschenkt, mit grobem, weitem Druck und stattlichem Einbande. Da schlug er gleich das erste Kapitel auf, las die Schöpfungsgeschichte und staunte ob den Wundern, die Gottes Hand geschaffen, und dachte, wie weislich alles sich gestaltet und wie unendlich der Raum sein möge, den Gottes Allmacht mit Sternenheeren bevölkert. Er freute sich ob der Herrlichkeit des Paradieses und dachte sich in dieses wunderherrliche Tal, über das ein ungestörter[173] Friede sich gelagert hatte, das noch keine Leidenschaft gesehen, keine Störung erfahren. Er mußte es sich denken in herrlichem Sonnenschein wie ein himmlischer Sonntag, der in aller seiner Heiligkeit sich ausgebreitet wie ein unsichtbarer, aber alles verklärender Teppich über diesen schönen Garten. Vor seine Augen stellte sich wie ein himmelanstrebender dunkler Tannenbaum an silbernem Gewässer der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Goldene Früchte sah er strahlen in dunklem Laube, er sah die bunte Schlange schimmern in den dunklen Ästen, sah sie spielen mit der goldenen Frucht und naschen davon mit lustfunkelnden Augen. Und wie zwei Lichter strahlten diese Augen weithin in die Ferne; zwei andere Augen begegneten ihnen, und er sah flüchtigen Schrittes die junge Mutter des alten Menschengeschlechtes nahen dem verhängnisvollen Baume. Und in zierlichen Ringen funkelte die Schlange so herrlich in dunklem Laube und naschte so zierlich von der prangenden Frucht und ringelte sich noch funkelnder hinaus auf des Baumes Äste, wiegte sich in süßem Behagen, und hinauf mit glänzenden Augen sah die junge Mutter. Die Schlange prangte so üppig, die Frucht duftete so süß, in ihrer jungen Brust schwoll das Gelüsten auf. Da wiegte die Schlange näher und näher sich, wälzte spielend die schönsten der Früchte zu des Weibes Füßen und lockte in süßen Tönen die neu geborne Lust zum fröhlichen Genuß. Schmeichelnd pries sie des Weibes Wohlgestalt und herrlich Wesen und schalt bitter des Allvaters Mißgunst, der ihr diesen Genuß verpönt, damit sie nicht an Herrlichkeit würden wie er. Er sah, wie die giftigsüßen Worte schwellten die Lust, wie sie höher und höher wuchs, wie die schmeichelnde Stimme verdrängte des Allvaters gebietend Wort; er sah, wie Eva naschte in neugieriger Schüchternheit, wie sie eilte, mit Adam die Sünde zu teilen, wie einer düstern, geheimnisvollen Wolke gleich ein düsteres Etwas über das Tal sich senkte, es verhüllte.[174] Wüst und dürre breitete der Erdboden vor ihm sich aus, und im Schweiße ihres Angesichtes sah er die ersten Eltern verdüstert und verstört den ersten Acker bauen, sie, die ersten Opfer der verlockenden Stimme, die vom Vater die Geschöpfe locket und ihnen Elend gibt zum Lohn.

So saß Uli in seinem kalten Stübchen vertieft in die heilige Geschichte, und seine Einbildungskraft stellte ihm das alles so lebendig vor, als wenn er es wirklich vor Augen hätte. Er vergaß, daß er in der Glungge war, und es kam ihm wirklich vor, als sei er im Paradies hinter einem Holderstock und er, lebe alles mit. Da wurde plötzlich die Türe aufgerissen und eine rauhe Stimme sagte: »Seh, bist du da, und wieder geistlich!« Uli, obgleich er nicht nervös war, fuhr doch hochauf, als die unerwartete Stimme ihn anrief; er wußte es nicht gleich, war es die des Engels Michael, der ihn dem Adam nachjagen wolle, und erst bei näherem Besinnen merkte er, daß es einer der Knechte war. Sie hatten ihn allenthalben gesucht, sagte dieser, aber nicht gedacht, daß er in diesem kalten Loch sei. Er solle hinüberkommen in die Küherstube. Uli war aufgestanden und fühlte erst jetzt die Kälte, die ihn ganz steif gemacht. Was er dort solle? fragte Uli. Er solle nur kommen, hieß es, er werde es dann schon sehen. In des Kühers großer, warmer Stube war die ganze Dienerschaft versammelt, sogar die zwei Mägde. Einige spielten mit einem Kartenspiel, das so beschmutzt war wie zehnjährige Küherhosen, Andere lagen auf dem Ofen herum. Fluchen und Zotenreißen waren Trumpf. Als Uli kam, brüllte ihm alles entgegen: Er müsse Brönz oder Wein zahlen, was er lieber wolle, das täte jeder neue Meisterknecht. Es komme auf sie an, ob er dableiben könne oder nicht, und sie wollten ihn bald weghaben, wenn er sich nicht nachela well. Uli wußte anfangs gar nicht, was er da machen solle. Das Geld reute ihn, er hatte nicht Lust, gemeine Sache mit ihnen zu machen, fürchtete sich nicht vor[175] ihnen; aber geizig mochte er auch nicht scheinen, und zuletzt dachte er, wenn er hier etwas nachgebe, so könne er vielleicht um so besser beharren auf seinen Forderungen an sie.

Es wurde abgeredet, daß sie nach dem Abendessen ins Wirtshaus wollten, und die Leute, die nicht Zeit hatten, für die Kirche sich anzuziehen, die hatten jetzt Zeit genug, sich anzuziehen für das Wirtshaus; die Leute, welche um Gottes und ihrer armen Seele willen zu faul waren, zu rechter Zeit aufzustehen, die waren jetzt mit Freuden bereit, um einer Man Wein willen viele Stunden ihres Schlafes zu opfern. Als beim Nachtessen die ganze Sippschaft gsunntiget erschien und die Mägde mit dem Essen pressierten, machte Vreneli große Augen und fragte, was das geben müßte? He, sie wollten alle ins Wirtshaus, hieß es, Uli müsse Wein zahlen. Vreneli war das nicht recht. Es konnte nicht begreifen, warum Uli das tat. Wollte er jetzt auch mit ihnen gemeine Sache machen und war es ihm schon erleidet, ihr Widerpart zu sein, oder hatte er sich betören lassen? Es hatte das für sein Leben gerne gewußt. Es war kurz angebunden beim Nachtessen und trümpfte alles, was ihm nahe kam, verzweifelt ab. Und als Uli, ehe er wegging, es fragte, ob es nicht auch mitkommen wolle, so antwortete es: Es wurde sich schämen, mit sellige Fötzle ins Wirtshaus zu gehen, für so was sei es noch lange nicht gut genug. Als Uli schon unter der Türe war, rief es ihm noch nach: »Nimm dich in acht, wenn dr rate cha!«

Auf dem Hinwege und im Wirtshause wollte jeder Uli der Liebere sein. Einer drängte sich näher als der Andere, Einer rühmte dies an ihm, ein Anderer etwas anderes. Hie und da warf Einer einen Zweifel auf, aber nur, damit die Andern Uli desto höher heben könnten. Der Melcher meinte: Er hätte nicht bald einen gesehen, der sich auf das Vieh besser verstünde, und der Karrer sagte: Im Fahren fürchte er Keinen, aber beim Holzführen hätte er von Uli lernen können. Und wenn[176] der jüngste Knecht sagte, sie wollen sehen, ob er vormähen könne, da wollten sie ihm noch heiß machen, so sagte ein Anderer: Einmal er begehre nicht, mit ihm zu machen, sondern er wolle es im voraus verspielt geben. Und wenn die eine Magd klagte, er sei gar so ein Stolzer und möge sich nicht mit einem abgeben, ihrer Gattig seien ihm nur zu gering, sie wisse aber wohl, wer ihm in die Augen scheine, sagte die andere: Einmal sie hätte nichts über ihn zu klagen, so ein Bhülflige und Manierlige sei ihr noch nicht bald vorgekommen. Die seien ihr dann nadisch nicht die Liebsten, die meinten, sie müßten ihre Finger gleich an allen Orten haben. Und dann sei Uli auch erst acht Tage da und wisse es noch nicht, mit wem er sich könne anlassen und wer es eigentlich gut mit ihm meine. Während sie so rühmten, verschwand eine Maß nach der andern, und Uli konnte gar nicht Einhalt tun. Vom Rühmen ging man in Vorschläge über und sagte ihm, er werde bald sehen, wer es gut mit ihm meine. Er solle doch nicht ein Narr sein und meinen, er wolle dem Meister husen und zu seiner Sache sehen. Gerade das wolle der selbst nicht, und wer es am besten mit ihm meine, den nehme er am meisten auf die Mugge. Wenn man aber mache, wie es einem in Gring komme, und mit ihm aufbegehre, wenn er etwas sage, so fürchte er einen und habe Respekt vor einem. Er sollte doch nicht sich und Andere plagen für nichts und wieder nichts, sein eigen Sohn mache es akkurat nicht besser, und wenn er den Alten bschummeln könne, so lache er sich den Buckel voll. Wenn man einander verstehen wolle, so ließe sich da etwas machen, nur müsse er es nicht machen wie der frühere Meisterknecht: der habe alles für sich wollen und Andern nichts gegönnt, darum sei es ihm auch so gegangen. Wenn er öppe auch Andern etwas gegönnt, er hätte noch lange gut Sach haben können, Joggeli hätte nichts vernommen. So er, zählte und brichtete man Uli, daß er ganz sturm wurde und[177] lange nicht wußte: waren das die gleichen Leute, welche die ganze Woche durch ihm alles Mögliche in den Weg gelegt, oder waren es ganz andere? Ein Glück für ihn waren die Vorgänge des Tages; der Wein, das Rühmen, die Gutmeinenheit hätten ihn überwältigt. Nun aber an das Erlebte, an Vrenelis Rat denkend, blieb er vorsichtig, konnte sich aber des Gedankens fast nicht erwehren: die Leute seien doch besser, als er sie gedacht und sie im ersten Augenblick ihm geschienen hätten, und es müßte bös gehen, wenn er mit denen nicht nachkommen sollte.

Endlich wollte der Wirt keinen Wein mehr geben, weil es über die Zeit sei. Da wußte man noch, was für Zeit es sei. Wo man aber nie weiß, was für Zeit es ist, da ist eine Hudelornig, mags nun ein Haus, ein Bureau oder gar ein Oberamt sein. Ach, so ein verhudeltes Oberamt ist doch eine gräßliche Sache. Es schämt sich jeder Mensch, in verhudelten Kleidern zu laufen, und Mancher, der keinen vorrätigen Kreuzer hat, schickt doch sein Kleid zum Schneider zum Plätzen; aber ein Oberamt läßt man verhudeln und läuft in diesem verhudelten Oberamte herum dick und breit und meint noch, wer man sei. Du guter Gott, hat man denn ganz vergessen, daß die Welt alles verachtet, das in Hudeln herumgeht, Hudeln an sich hängen hat? Wenn aber einer nie weiß, was für Zeit es ist, so ist er immer wie sturm im Kopf, legt die Nachtkappe an, wenn er einen Dreiröhrenhut aufsetzen sollte, setzt sich aufs hohe Roß, wenn er kusch machen sollte unter den ersten besten Ofen.

Während Uli mit innerlichen Seufzern die ziemlich hohe Ürte bezahlte, ging Eins nach dem Andern hinaus, nur ein Knecht blieb bei ihm. Draußen war es dunkel, es schneite stark, man sah kaum eine Hand vor den Augen. Sein Begleiter sagte ihm, jetzt wolle er ihn zKilt führen. Ihm seien alle Meitscheni bekannt weit und breit und er wolle sie alle unters[178] Fenster bringen und es sei in der ganzen Gemeinde nicht manches Gaden, in dem er noch nicht gewesen sei. Uli weigerte sich und sagte, er sei noch fremd hier und habe keine Lust, zu erfrieren an unbekannter Mädchen Fenstern; sie wollten machen, daß sie den Andern nachkämen, die vorausgegangen seien. So solle er doch mit ihm nur einen Augenblick da nebenauskommen, nicht fünfzig Schritte vom Wege; es nähmte ihn wunder, ob dort die Tochter einen Kilter hätte oder nicht. Es solle sie nicht fünf Minuten aufhalten. Uli ging. Kaum war er vom Wege ab, in einem dunklen Gäßchen, zwischen schwarzen Gebäuden, so pfiff ein Scheit ihm hart am Kopf vorbei, ein Streich surrete ihm im Nacken, ein anderer auf der Achsel. Rasch griff er ins Dunkel hinein, packte eine Hand mit einem Scheit, riß es aus derselben, tat zwei, drei tüchtige Schläge um sich, daß es klepfte, schmiß mit gewaltiger Kraft einen ihm im Wege stehenden Gegenstand weit in eine Hofstatt hinaus und war verschwunden, wie wenn ihn der Boden verschluckt hätte. Man hörte noch hie und da einen Tätsch, dann: »Nit, nit zDonner, ih bis!«, flüsternde Stimmen: »Wo ist er, wo ist er? Ih weiß ne niene meh, es isch, wie wenn ne dr Tüfel gno hätt! Aber chumm hilf mr dr Karrer aufstellen, der hat ein Näggis erwütscht. Ich blüte auch wie eine Sau, aber dem Donner wollen wir es noch eintreiben. Wir wollen ihm vorlaufen und dann beim Türli ihm warten; es müeßts dr Tüfel tue, wenn wir ihn dort nicht erwütschen, und dort wollen wir ihn dann salben, bis er zfrieden ist.« Sie liefen, taumelten, warteten beim Türli, aber kein Uli kam. Endlich wurde ihnen angst, er konnte vielleicht bewußtlos niedergefallen sein und nun erfrieren. Sie schlichen sich heim, und der Karrer fluchte in einem fort: E sellige Ketzer hätte er noch nie bekommen, und er wollte, Uli erfriere; aber wenns dann nur nicht auf sie herauskäme, weil sie mit ihm aus dem Wirtshaus gegangen, es sei jetzt gar verflucht kalt i dr Kefi.[179]

Am Morgen erschraken sie heftig, als Ulis Stimme wie gewohnt aufrief. »Dä Dolder lebt scheints noch!« sagte der Karrer zum Melcher. »Wie Tüfel ist der heimgekommen?« Aber niemand konnte Bescheid geben. Sie fragten Uli, wie er heimgekommen, sie hätten ihm lange gewartet, doch umsonst; er werde zu Kilt gewesen sein. Darauf erzählte Ulis Begleiter, wie es ihnen im Gäßchen ergangen, und klagte Uli an, daß er ihn im Stich gelassen und davongelaufen sei, ohne sich darum zu bekümmern, ob er zu Tod geschlagen wurde. Uli antwortete nicht viel, als daß jeder zu sich selbst sehen müsse. Er hätte übrigens nicht gewußt, wie ihm helfen, da er ihn gleich nicht mehr gesehen. Die Andern taten gar unbefangen und wünschten nur, daß sie dabeigewesen, denen hätten sie es zeigen wollen. Uli nahm das hin, ohne nach ihren Beulen zu fragen, ohne einläßlich über die Art seiner Heimkunft zu antworten. Vreneli, welches auf die Heimkehr der Abwesenden bange gewartet, hatte Uli zuerst und alleine heimkommen hören und schlief darauf ein. Am Morgen sah es einige blaue Beulen, und im Vorbeigehen sagte ihm Uli: »Du sollst Dank haben, du hast recht gehabt.« Aber mehr zu sagen schickte es sich nicht. Es wurde natürlich darüber gwunderig, und endlich gelang es ihm, von der einen Magd, die sich etwas auf Ulis Seite neigte, zu vernehmen, wie die Abrede gewesen, Uli recht tüchtig zu prügeln, nachdem man seinen Wein getrunken und mit Rühmen ihn recht zutraulich gemacht. Man habe das schon im Dorfe versucht, damit man die Schuld auf die Dorfbuben werfen konnte. Aber sie wisse nicht recht, wie es gegangen, und niemand könnte rechten Bricht geben. Es seien ein paar Streiche gewechselt worden, dem Karrer sei es gschmucht geworden, der Herdknecht sei unter einen Wagen gefahren wie aus einer Kanone, der Melcher habe ein Loch in den Kopf erhalten, daß das Blut herausgefahren sei wie aus einer Brunnröhre, aber keinen Uli[180] hätte man mehr gemerkt, so daß sie fast glauben, sie hätten einander selbst geschlagen. Sie hätten ihm noch gepaßt beim Türli, aber kein Uli sei gekommen, dagegen habe er sie heute geweckt; sie könnten gar nicht wissen, wie das gekommen, da auch sie Mägde, die auf der Straße geblieben, von Uli gar nichts gemerkt. Heute beim Betten habe sie Blut auf Ulis Hauptkissen gesehen, so daß sie glaube, er müsse doch dabei, gewesen sein. Aber wie es zugegangen, könne sie nicht sagen, und wenn man ihr den Gring abschreiße. Und niemand kam darüber. Auch Vreneli hätte es nie erfahren, wenn Uli es ihm später nicht selbst erzählt, wie er, nachdem er einige ausgewischt, unter das schwarze Dach eines Ofenhauses gestanden, weil er zu alt dazu gewesen, eine Schlägerei auf Tod und Leben fortzusetzen. Da, ganz an ihnen an, hätte er ihre Reden vernommen, ihre Stimmen gekannt und sei unvermerkt, aber schnell ihnen, die noch mit dem Karrer zu tun gehabt, vorausgekommen und heim, ehe sie daran gedacht. Es hätte ihn freilich gejuckt, selbst beim Türli zu lußen; allein am Ende habe er gedacht, es könnte ein Unglück geben und am wöhlsten sei er daheim im Bett. Das habe ihm wieder die Augen aufgetan, was man den Leuten trauen könne und wie er hier zweg sei. Er solle nur nicht gerade erschrecken, sondern sich niemere nüt achten und seine Sache recht machen, so werde das schon gut kommen, sagte Vreneli. Dann aber sagte es auch der Mutter, was gegangen und wie die Diensten den Meisterknecht verfolgeten, und man müsse doch ein wenig zu ihm luegen, sonst laufe er ungsinnet fort. Er scheine ein braver Bursche und nehme sich der Sache an, man kriege vielleicht nicht bald wieder so einen. »Wir wollen sehen,« sagte die Mutter, »wir wollen öppe machen, was wir können; wenn nur der Ätti nicht so ein Wunderlicher wäre, dem ist bim Schieß Keiner recht.«[181]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 168-182.
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