Achter Auftritt.

[34] Jungfer Lottchen. Herr Reinhart. Herr Sinnreich. Herr Vielwitz.


JUNGFER LOTTCHEN. Das ist ja ein ungezogener Mensch. Mich wundert, daß nicht alle seine gute Freunde taub sind. Sie setzt sich und die andern setzen sich auch.

HERR SINNREICH. Er fühlt sich freylich, daß er ein sehr witziger Kopf ist.

HERR REINHART. Er würde aber sehr wohl thun, wenn er nicht nur seine Stärke, sondern auch seine Schwäche fühlte.

JUNGFER LOTTCHEN giebt Reinharten den Brief. Da Herr Reinhart, thun Sie uns den Gefallen, und lesen Sie dieß laut. Ich werde wohl genug zu thun haben, daß ichs nur verstehe.

HERR REINHART liest. »Werthgeschätzter liebster Herr Vater ...«

HERR VIELWITZ springt erstaunt auf, und will ihm den Brief entreißen. Er aber versteckt ihn. Um des Himmels Willen! was haben Sie da? Geben Sie mich den Brief, wofern Sie es ein Bißchen gut mit mich meynen.

JUNGFER LOTTCHEN. Bey Leibe nicht, Herr Reinhart! sonst verlieren Sie alle meine Gunst.

HERR REINHART weigert sich gegen Vielwitzen. Da sehen Sie es! das ist ja der ärgste Fluch den eine Schöne nur thun kann.[34]

HERR VIELWITZ ängstlich. Es ist aber ein Brief an meinem Vater ... Es stehen da Domestiksachen innen ... Ich bitte Sie um alles, warum man in der Welt bitten kann.

JUNGFER LOTTCHEN. Nein, nein! ich muß durchaus wissen, was darinnen steht: es werden doch solche heimliche Sachen nicht seyn, die Sie ihm von hieraus schreiben könnten. Sie sind ja nicht verheirathet, Herr Vielwitz?

HERR VIELWITZ fällt vor ihr auf die Knie. Ach! Ach! ich bitte Sie auf das inständigste, Mademoiselle, lassen Sie mich den Brief wiedergeben.

JUNGFER LOTTCHEN. Gelt! Sie haben eine Liebste zu Hause gelassen? Die muß ich erfahren! Lesen Sie nur Herr Reinhart.

HERR VIELWITZ springt auf, und hält Reinharten, welcher lesen will, den Mund zu. Ach allerliebstes, englisches Reinhartchen, ließ nicht!

JUNGFER LOTTCHEN. Nun so geben Sie mir den Brief wieder her. Ich will ihn sachte für mich lesen.

HERR VIELWITZ sehr ängstlich. Ach! ich bin des Todes, wo Sie ihn lesen, Mademoiselle. Er windet die Hände. Was habe ich in der Eile vor einen Irrthum begangen? Da habe ich die Verse an Sie, in meines Vaters Brief eingesiegelt, und den Brief an meinem Vater, bey Sie eingeschlagen. Er wirft sich ganz matt auf den Stuhl und windet die Hände.

JUNGFER LOTTCHEN. Wenn Sie nicht so ängstlich thäten: so wäre ich nicht halb so neugierig. Geben Sie mir nur den Brief, Herr Reinhart: ich will ihn zum mindesten für mich allein lesen. Sie liest und sieht den Vielwitz dann und wann ernstlich an, und macht erstaunte Geberden. Vielwitz sitzt ganz ängstlich auf dem Stuhle. Reinhart zieht einen versiegelten Brief aus der Tasche und macht ihn auf.

JUNGFER LOTTCHEN. Nun das hätte ich mir von Ihnen nicht vermuthet, Herr Vielwitz. Für alle Höflichkeit und Ehre, die Ihnen in unserm Hause wiederfahren ist; ja ich sage mehr: für alles das Gute, was der alte Herr Reinhart, wie ich gewisse Proben davon habe, mit Ihnen noch im Sinne gehabt hat, dafür schreiben Sie Ihrem Vater so verächtlich von ihm? Gesetzt, daß er auch so wenig Vernunft und Witz hätte, als Sie schreiben: so hat er doch ein redliches Herz, und dieß macht allemal ein besser Glück in der Welt, als der größte Witz; wenn er mit einem bösartigen, hochmüthigen und undankbaren Herzen verknüpft ist. Was meine Wenigkeit anlanget: so versichere ich Sie, daß, wenn ich[35] Ihnen zu dumm bin, Sie mir hergegen so klug noch nicht sind, daß ichs nicht schon vor 14 Tagen gesehen hätte, daß Sie ein Geck sind. Was diesen jungen Herren Reinhart betrifft ...

HERR REINHART. Wie? was? Stehe ich auch darinnen?

JUNGFER LOTTCHEN. O ja! der Herr Vater wird es Ihnen schon zu lesen geben. Zum Vielwitz. Was ihn belanget! so versichere ich Sie, daß seine empfindlichste Rache an Ihnen, der Verlust seiner Freundschaft ist, die er Ihnen bisher ohnedieß nur aus Ehrfurcht gegen seinen Vater bewiesen hat. Die witzigen Köpfe hier in der Stadt, von denen Sie, ehe Sie sie noch gekannt, so verächtlich geurtheilet haben, die werden sich unfehlbar selbst rächen, und Ihnen gleiches mit gleichem vergelten.

HERR SINNREICH hitzig. Was? was? hat er von den witzigen Köpfen allhier auch übels geredet?

JUNGFER LOTTCHEN. O ja! Er schildert sie so schön ab, daß er ihnen endlich keine bessre Benennung zu geben weis, als daß sie dumme Jungen sind.

HERR SINNREICH zum Vielwitz. Warten Sie, Sind Sie der Haare? das will ich dem Jambus sagen! Wir wollen eine Satire auf Ihnen machen, die sich gewaschen haben soll. Er läuft in die Ecke, nimmt seinen Hut und Degen und geht zornig ab.

JUNGFER LOTTCHEN. Ich will hinunter gehen, und dem alten Herrn Reinhart doch zeigen, was für einen schönen Gast er hier im Hause hat. Sie will gehen.

HERR REINHART. Ey, warten Sie noch ein wenig. Hier ist noch ein andrer Misverstand vorgegangen. Die Verse die Sie haben kriegen sollen, die sind hier an mich eingesiegelt. Lesen Sie sie doch. Er giebt sie ihr.

JUNGFER LOTTCHEN. Ach! ich habe viel zu wenig Verstand dazu. Sie schmeißt sie dem Vielwitz vor die Füße, und geht zornig ab.


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Der Witzling. Berlin 1962, S. 34-36.
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