Zweyter Auftritt


[91] Frau Glaubeleichtin, Frau Zanckenheimin, Frau Seuffzerin, Herr Scheinfromm.


HERR SCHEINFROMM. Sie disputiren ja recht hefftig, wie ich höre. Was haben sie vor? Wenn ich fragen darff.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Die Frau Seuffzerin erkläret uns vor dumme Weiber.

HERR SCHEINFROMM. Ah!

FRAU ZANCKENHEIMIN. Sie droht, sie will Orthodox werden.

HERR SCHEINFROMM. Ah! ach!

FRAU SEUFFZERIN. Nein, sie haben mich geschimpft, und sind mit meiner Theologie nicht zufrieden.

HERR SCHEINFROMM. Oh! oh!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Sie gab uns eine Erklärung, die gefiel uns nicht: Und das verdreusst sie.

HERR SCHEINFROMM. Ha! Ha!

FRAU ZANCKENHEIMIN. Sie will durchaus, daß sie besser seyn soll, als unsere.

HERR SCHEINFROMM. Ah! Ha![91]

FRAU SEUFFZERIN. Sie müssen uns entscheiden, Herr Magister. Man soll die Wiedergeburth erklären. Die Erklärung aber soll kurtz, nett und gründlich seyn; denn wir wollen einen Glaubens-Artickel daraus machen. Wir haben eine jede unsere Meynung gesagt. Sie sollen nun sagen, wer recht hat.

HERR SCHEINFROMM. Gantz gern. Sagen sie nur, wovon die Rede ist.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ich sage: Die Wiedergeburth ist – – –

FRAU ZANCKENHEIMIN. Eine Erbohrenwerdung – – –

FRAU SEUFFZERIN. Nein! Herr Magister! die himmlische Tinctur – – –

FRAU GLAUBELEICHTIN. Und ich sage: Sie ist das süsse Quell-Wasser – – –

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ich sage aber noch einmahl: Es ist die Erbohrenwerdung – – –

FRAU SEUFFZERIN. Ja! was wollts nur nicht! Es ist die himmlische Tinctur, sag ich; und das ists auch.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nein! Es ist das süsse Quell-Wasser, und ich weiche nicht ein Haar.


Alle drey zusammen.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ein süsses Quell-Wasser – – –

FRAU ZANCKENHEIMIN. Eine Erbohrenwerdung – – –

FRAU SEUFFZERIN. Eine himmlische Tinctur – – –

HERR SCHEINFROMM. Zum Hencker! so reden sie doch nicht alle drey auf einmahl;[92] ich kann ja nichts verstehen. Was sagen sie, Madame? Sagten sie nicht, es wäre eine Tinctur?

FRAU SEUFFZERIN. Nein! die Tinctur war von mir!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Das Wasser war von mir!

FRAU ZANCKENHEIMIN. Und die Erbohrenwerdung von mir!

HERR SCHEINFROMM. Noch einmahl bitte ich mirs aus.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ich will ihnen sagen, Herr Magister, die Sache ist Sonnenklar.

FRAU ZANCKENHEIMIN. Nur ein Wort.

FRAU SEUFFZERIN. Nur ein halbes Wort.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ich muß zuerst reden.

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ich habe nur ein Wort zu sagen, Madame!

FRAU SEUFFZERIN. Lassen sie mich nur einen Augenblick reden. Hernach mögen sie sagen, was sie wollen.

HERR SCHEINFROMM. Mein GOtt! vereinigen sie sich doch, wenn es möglich ist!

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ists nicht wahr, Herr Magister? Die Wiedergeburth ist das süße Quell- Wasser des Hertzens.[93]

FRAU ZANCKENHEIMIN. Nein! Es ist die Erbohrenwerdung der himmlischen Wesenheit aus der Selbstheit der animalischen Seele, in dem Centro des irrdischen Menschen, und windet sich einwärts wie ein Rad.

FRAU SEUFFZERIN. Nein! Es ist die himmlische Tinctur, wodurch die neue Seele das vegetabilische Leben der vier Elemente wegwirfft, und die magische Seele, als die Gottheit, nach dem Modell der Weisheit in alle Dinge einbildet.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Das Qvell-Wasser – – –

FRAU ZANCKENHEIMIN. Die Erbohrenwerdung – – –

FRAU SEUFFZERIN. Die himmlische Tinctur – – –

FRAU GLAUBELEICHTIN. Habe ich nicht recht, Herr Magister?

FRAU ZANCKENHEIMIN. Irre ich wohl, Herr Magister?

FRAU SEUFFZERIN. Ists nicht wahr, Herr Magister?

HERR SCHEINFROMM. Wie kan ich sie doch vereinigen, wenn ich nicht weiß, worüber sie sich zancken? Es ist der beste Rath, ich gehe fort. Adjeu!


Alle zusammen

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! bleiben sie Herr Magister!

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ach! gehen sie doch nur nicht weg!

FRAU SEUFFZERIN. Nur einen Augenblick![94]

HERR SCHEINFROMM. Gantz gern; Aber mit der Bedingung, daß mir nur immer diejenige antworte, die ich fragen werde.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Gut, Herr Magister! fragen sie mich zuerst.

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ach! fragen sie mich zuerst, ich bitte sie drum!

FRAU SEUFFZERIN. Ich werde gantz kurtz antworten.

HERR SCHEINFROMM. Zum Hencker! Es hat ja noch kein Ende! Adjeu! ich gehe.


Alle drey

FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! ich lasse sie gewiß nicht weg.

FRAU ZANCKENHEIMIN. Sie müssen bleiben.

FRAU SEUFFZERIN. Wir lassen sie nicht.

HERR SCHEINFROMM. Nun, so reden sie hübsch eine nach der andern.

ALLE DREY. Nun, wir versprechens!

HERR SCHEINFROMM. Madam Glaubeleichtin, was sagen sie?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Die Wiedergeburth ist das süsse Qvell-Wasser des Hertzens sag ich, welches aus der Sophia urständet, und das himmlische Weltwesen gebiehret.

HERR SCHEINFROMM nachdencklich. Das süs–– se Quell– Was–– ser des–– Her–– tzens– -das ist ziemlich deutlich. Wel–– ches–– aus–– der––[95] So–– phi–– a–– ur–– stän–– det,–– und–– das–– himm–– li–– sche–– Welt–– wesen ge–– bieh–– ret. Das ist sehr schön und deutlich erklärt. Und sie Madame?

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ich sage, es ist die Erbohrenwerdung der himmlischen Wesenheit aus der Selbstheit der animalischen Seele in dem Centro des irrdischen Menschen, und windet sich einwärts wie ein Rad.

HERR SCHEINFROMM. Die–– Er–– boh–– ren–– wer–– dung–– der–– himm–– li–– schen–– We–– sen–– heit–– In Wahrheit! das ist sehr schön gesagt! Und sie Madame?

FRAU SEUFFZERIN. Es ist eine himmlische Tinctur, wodurch die neue Seele das vegetabilische Leben der vier Elementen wegwirfft, und die magische Seele, als die Gottheit in seiner Gleichheit, nach dem Modell der Weisheit in alle Dinge einbildet.

HERR SCHEINFROMM. Potz tausend! das ist hoch! Eine himmlische Tinctur, wodurch die vegetabilische Seele – – –

FRAU SEUFFZERIN. Nein! die neue Seele – – –

HERR SCHEINFROMM. Schon gut! es ist einerley. Aber die Erklärung gefällt mir sehr.

FRAU GLAUBELEICHTIN. Könnten sie nicht etwa von der Materie eine hübsche Stelle aus Francken finden: Das würde den Streit entscheiden.

HERR SCHEINFROMM. Es ist so gut, als wenn ich sie wüßte; denn ich habe in meiner Bibliothec alle seine Wercke.[96]

FRAU ZANCKENHEIMIN. Mich dünckt, Spener wird auch etwas davon haben.

HERR SCHEINFROMM. Das kan wohl seyn; denn ein guter Freund von mir hat seine Sachen gekaufft.

FRAU SEUFFZERIN. Ich bin gewiß, daß meine Erklärung von Wort zu Wort in Jacob Böhmen steht.

HERR SCHEINFROMM. Ja, ja! ich sahe neulich ein Exemplar, das war vortrefflich schön eingebunden.

FRAU ZANCKENHEIMIN. Nun Herr Magister! Wer hat recht von uns?

HERR SCHEINFROMM. Alle dreye! Glauben sie mir, bleiben sie nur eine jede bey ihrer Erklärung.

FRAU SEUFFZERIN. Das kan aber nicht seyn: Es soll ein Glaubens-Artickel werden.

HERR SCHEINFROMM. Oh! ho! Ein Glaubens Artickel?

FRAU ZANCKENHEIMIN. Ja!

HERR SCHEINFROMM. Ein Glaubens-Artickel! Wie? haben sie denn unsere Herren darum befragt?

FRAU GLAUBELEICHTIN. Nein!

HERR SCHEINFROMM. Wie? und wollen Glaubens-Artickel machen, ohne die Einwilligung unserer Herrn zu haben. Ich bin ihr Diener: Damit habe ich nichts zu thun.[97]


Quelle:
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Stuttgart 1979, S. 91-98.
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