48. Woher der Name: Der dumme Junge von Meißen?

[56] W. Schäfer, der Judenkopf als Helmkleinod im meißnischen Wappen, in d. Sachsenchronik B. II. H. II. u. Sachsengrün 1861. II. Jahrg. S. 24 fgg.


Wenn man früher Fremden die Porzellanfabrik zu Meißen zeigte, so führte man sie auch in ein übrigens ganz leeres Zimmer, in dessen Winkel eine Porzellanfigur stand, welche einen 12-14jährigen Knaben in natürlicher Größe darstellte. Trat man nun aber auf eine gewisse Diele, unter der eine Feder war, welche mit jener Figur in Verbindung[56] stand, so steckte jener Knabe die Zunge heraus, wie es die chinesischen Porzellanpagoden noch jetzt machen, wenn man ihren in einem Gewichte gehenden Kopf in Bewegung setzt. Diesen Porzellanjungen, von dem ein zweites Exemplar auch auf dem Schlosse Hubertusburg stand, nannte man den dummen Jungen von Meißen. Gleichwohl ist dieser Spottname wahrscheinlich weit älter und bezeichnet den bekannten Judenkopf im Wappen der meißnischen Markgrafen. Hier kommt derselbe ohngefähr erst seit 1349 vor, wo dieselben die Belehnung mit dem Judenschutz vom Kaiser erhielten. Das Volk, welches die Bedeutung des Judengesichts mit der Schellenkappe nicht begriff, legte der Figur jenen Beinamen bei, und so entstand aus dem dummen Juden von Meißen ein dummer Junge von Meißen. Sonderbarer Weise haben aber die Juden jetzt noch ein freilich entgegengesetztes Sprichwort von den Weisen zu Meißen, welches sich auf den Sanhedrin, den sie früher hier besessen haben sollen, bezieht.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 1, Dresden 21874, S. LVI56-LVII57.
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