IV.

[182] Nach einer andern Volkssage soll sich der Geldkeller allemal am Johannistage Mittags um 12 Uhr öffnen und sich des Nachts wiederum um dieselbe Stunde schließen. Wer nun zur angeführten Zeit in selbigen eintritt und desselben labyrinthische Gänge durchwandelt, wird an deren Ende Haufen von Gold- und Silbermünzen finden, von denen er sich nach Belieben, so viel er davon will, einstecken kann. Am Johannistage 1516 hatte ein Bauer das Glück, den Eingang geöffnet zu finden, er ging hinein und erblickte mit offenen nüchternen Augen den unermeßlichen Schatz. Zuerst unschlüssig, was er thun oder lassen sollte, entschloß er sich endlich, seine Taschen und Mütze zu füllen und belastet mit der köstlichen Beute den Rückweg anzutreten. Allein vorher schon durch das viele Hin- und Hergehen zweifelhaft gemacht und nunmehr ob seines Glückes trunken, verirrte er sich in den Kreuzgängen und die verhängnißvolle Stunde, mit welcher sich der Eingang schloß, ertönte. Von Grabesnacht umdustert sah sich nun der Arme, Klagen, Rufen und Weinen half nichts, da ihn Niemand hörte. Endlich versank er in einen tiefen Schlaf, aus welchem er erst das kommende Jahr, am Johannistage, wieder erwachte, allein Taschen und Mütze leer fand. Durch Erfahrung klug geworden, wollte er die unterirdische Wanderung nicht wieder von Neuem beginnen, sondern verließ die Höhle ebenso arm, als er sie vor Jahresfrist betreten hatte.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Band 2, Dresden 21874, S. 182.
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