1136. Der Kreuzbaum und der Kronenbaum.

[919] (S. Neues Vaterl. hannöversches Archiv Bd. XXI. S. 300 etc.)


In den wendischen Kirchspielen oder dem sogenannten Wendlande im Fürstenthume Lüneburg herrschten sonst sehr sonderbare Gewohnheiten. Darunter gehört der Aberglaube, den sie mit dem sogenannten Kreuzbaum und Kronenbaum trieben.

Der Kreuzbaum bestand aus einer starken hohen Eiche, die gehörig zubereitet am Himmelfahrtstage errichtet ward, auf deren Spitze ein Kreuz und über dem Kreuze ein hölzerner Hahn stand. Fiel der Kreuzbaum um, so durfte er vor Himmelfahrt nicht wieder aufgerichtet werden, weil es ihre »Stedte« nicht leiden wollte. Diese Stedte erklärten Einige für einen Mann oder ein Weib, der Pastor zu Bölitz aber vermuthete, es sei ein Genius, der sich an der Stätte des Kreuzbaums aufhalten sollte. Wenn nun Himmelfahrt kam, so erwählten sie einen andern Kreuzbaum im Holze, da denn die ganze Dorfschaft sich versammelte und ein jeder Hauswirth gewisse Hiebe zu thun hatte. Der Baum mußte aber gerade und frisch sein. Nachdem er umgehauen war, legten sie ihn auf einen Wagen, bedeckten ihn mit ihren Kleidern und fuhren ihn an die Stätte, wo der vorige gestanden. Hernach kam ein alter wendischer Zimmermann, der behaute ihn vierkantig. Er ward nun kreuzweise durchbohrt und mit Pflöcken bestochen, so daß Jemand hinaufsteigen konnte. Hierauf ward ein großes Sauffest angestellt und mit großem Unfug und Trinken gefeiert und es gingen stets an die neun und zehn Tonnen Bier darauf. Sie sagten, wenn sie dies nicht thäten, gedeihe ihnen kein Vieh. In Breselenz wurde der Kreuzbaum noch besonders eingeweiht, sie stiegen nämlich die Säule, wie er hier genannt ward, hinan, gossen von oben Bier herunter und salbten das Kreuz ein. In Predöll weihten sie den Baum gleichfalls mit Bier ein und jagten das Vieh herum, meinend, so werde es gesegnet. Zu gewissen Zeiten gingen sie mit einem brennenden Wachslichte herum, sagten auch etwas dazu, ein alter Mann mußte allezeit vor der Stange niederknieen und hier seine Andacht, vornehmlich an Bettagen verrichten.

Der Kronenbaum dagegen war eine Erle, abgezweigt und abgeschält, so daß nur die Krone stehen blieb. Erstlich ward am Johannisabend ein Baum gehauen in dem Markischen Holz und abgezweigt bis oben an den Poll. Sie nahmen am Johannistage das vordere Stell vom Wagen und dies thaten die alten wie die jungen Weiber allein und spannten sich vor, legten das Stammende auf das Theil des Wagens, zogen ihn also durch Koth und[919] Morast bis an den Leib dem Dorfe zu, und es mußten Etliche hinterher gehen und den Poll hinten halten, daß er nicht besückelt ward. Wenn sie nun vor das Dorf kamen, fingen sie in wendischer Sprache ein Freudengeschrei an, darauf ward der alte Kronenbaum umgeworfen und an dessen Statt der neue aufgerichtet. Den alten Kronenbaum mußte ein Köthner annehmen und dafür den alten Weibern zwei Schillinge zum Vertrinken geben. Dann tranken sie sich toll und voll, gingen um den Baum und tanzten dabei die ganze Nacht hindurch in der Meinung, wenn sie es nicht thäten, gedeihe ihr Vieh nicht. Der Schulze mußte sich glatt anziehen und ein Handtuch um den Leib binden, dann ein brennendes Licht in die Hand nehmen, ums Vieh herumgehen und dasselbe weihen. Sie sagten, der Kronenbaum sei einmal umgefallen und habe den Bullen erschlagen, was ein großes Unglück gewesen.

Auf dieselbe Weise weihten sie auch Ställe und Häuser, indem sie solche in allen Ecken mit Branntwein und Bier begossen, indem sie sagten, die Stedte wollte das haben, sonst bekäme das Vieh Schaden. Diese Einweihung geschah alle Quartale. Ebenso gossen sie Bier hinein und das erste Wasser, welches sich wieder in den Brunnen fand, gossen sie zu ihrem Bier und tranken es. Eine ebenso große Rolle spielten die Lichter. An Lichtmessen brachten sie 16 brennende Lichter in die Kirche, damit ihr Vieh gut gedeihe. Bei der Communion verlangten sie drei brennende Lichter auf den Altar. Das Wachs wurde zu dem mittelsten Altarlichte von den Frauen präparirt und weich gemacht und sodann von dem Kirchenvorsteher und Küster verfertigt, wobei wenigstens 14 Tonnen Bier ausgetrunken wurden. Dieses Mittellicht sollte eine besondere Kraft haben, Einige zündeten daran ein Licht an und umgingen damit die Ställe und das Vieh. Der Pastor in Clarge sah auf einer Hochzeit, daß eine Frau im Hochzeitshause vier brennende Lichter zwischen den Fingern gehabt, vor der Thürschwelle habe eine Axt gelegen mit Stroh bedeckt, worüber die Braut geführt worden, sowie ferner in alle Stuben, Kammern, Küchen, Ställe, insonderheit um den Herd.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 919-920.
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