1138. Der Brautstein bei Woltersdorf.

[920] (Nach Harrys, Niedersächs. Sagen Th. I. S. 60 etc. u. Hennings a.a.O. S. 14 etc.)


Ziemlich weit von der Heerstraße bei Woltersdorf auf der Kolborner Heide und der sogenannten Brautsteinkoppel liegt ein rothgesprenkelter Granitblock, nach oben unregelmäßig spitz zulaufend und etwa 5 Fuß hoch und ohngefähr 22 Fuß an seiner Basis im Umfang. Derselbe heißt der Brautstein und man sieht aus mehreren an ihm befindlichen Rissen, daß man mehrmals versucht hat ihn auseinander zu sprengen, doch sagt man, stets seien die Arbeiter wieder entlaufen, weil Blut herausgelaufen sei und dies sie erschreckt habe. Ueber die Entstehung desselben giebt es eine zweifache Sage.

Nach der einen haben einst ein Ritter und ein Edelfräulein, zwei Verlobte, hier in der Heide auf diesem Steine bei einander gesessen und von einander Abschied genommen, weil der Ritter in den Krieg ziehen mußte. Der Ritter aber war sehr traurig und fragte seine Braut, ob sie ihm wohl auch treu bleiben und nicht etwa ihre Liebe einem Andern schenken werde. Das Mädchen aber vermaß sich hoch und theuer, eher solle der Fels sich von der Stelle rücken und sie verfolgen und lebendig begraben, ehe sie ihm die Treue brechen werde. Gleichwohl hat sie ihm ihr Wort nicht gehalten und nach nicht gar langer Zeit hat sie mit einem Buhlen auf demselben Steine gesessen und mit ihm gekost, da hat sich der Stein plötzlich geregt, hat sich riesengroß aus der Erde gehoben und die Falsche, die vergeblich vor ihm geflohen, hinabgedrängt in die aufgerissene Erde. Ihr Blut aber tränkte den Felsen und die kleinen weißen Blumen der Heide. Als nun aber der Ritter heimkam aus dem Kriege, da suchte er seine Braut und fand sie nicht, er begab sich aber hin zu dem Felsen, wo er das letzte Mal mit ihr gesessen hatte, und als er sah, daß blutrothe Adern über den Stein liefen und die Heide mit rothen Blümlein bedeckt war, da ahnte er, was geschehen war, und als er mit seinem Schwerte an den Stein schlug, siehe da sprang ein rother Blutstrahl heraus und aus der Tiefe klang ein dumpfer Klageton, und so oft er dies that, so oft strömte Blut aus dem Stein und erklang der Wehelaut. Da zog der Ritter verzweifelnd wieder hinaus in den Krieg und der Stein ward fortan der Brautstein genannt und die rothe Heide die Brauttreue.

Nach der andern Sage hat vor sechshundert Jahren zu Woltersdorf eine Hochzeit gefeiert werden sollen. Der reichste Bauer im Dorfe wollte sich verheirathen und nicht weniger als 564 Gäste waren schon in seinem Hause angelangt, Alles war aufs Herrlichste vorgerichtet, nur die Braut, welche in einem benachbarten Dorfe wohnte, fehlte noch. Er bestieg also nach der damaligen Sitte den Wagen, um sie aus dem Hause ihrer Eltern abzuholen und unter Jubel folgte ihm das ganze Heer der Gäste zu Roß und zu Wagen. Die Braut wartete schon im schönsten Staat ihres Bräutigams, derselbe hob sie in den Wagen und nun ging es, was die Pferde laufen konnten, nach Hause, allein inzwischen war ein Gewitter heraufgezogen und die Braut bat, man möge doch dasselbe erst vorüberlassen, doch der Bräutigam rief: »Laß regnen, laß donnern, was geht dies uns an? Bei unserem Feste ist zum Beten jetzt keine Zeit!« Seine Genossen stimmten jubelnd ein und selbst die Musikanten ließen sich durch den Donner nicht stören, ihren Hochzeitsmarsch[921] zu blasen. Da plötzlich fuhr unter furchtbarem Krachen ein falber Blitz herab und schlug den Wagen mit dem Brautpaare tief hinein in die Erde. Statt dessen sah man sofort einen großen Stein und vor demselben fünf kleinere, das waren der Fuhrmann und die Pferde. Man hat seitdem manches Mal versucht, den Stein zum Bauen zu verwenden, allein sowie man ein Sprengloch hinein zu bohren anfing, da füllte es sich mit hellem rothem Blute und kein Steinmetz hat sich dann wieder daran versucht. In der Nacht aber kommt der versunkene Bauer heraus aus der Erde und führt den hierher verirrten Wanderer irre, tief hinein in das Moor.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 920-922.
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