1214. Bunder Steenhuus.

[984] (S. Ostfries. Jahrbuch 1850 S. 63.)


Beim Marktflecken Bunde steht noch heutigen Tages ein altes Haus, das jedes Kind unter dem Namen »Steenhuus« kennt. Da wohnte vor grauen Jahren ein Fräulein, das war schön wie die Sonne, aber kalten Herzens wie Eis. Ein junger Ritter verlor sein Herz an die gefühllose Schöne, aber all sein Werben war umsonst. Er härmte sich krank und bleich und fühlte, daß er bei solcher Kälte des angebeteten Mädchens nicht länger leben könne. Da sprach er eines Tages: »Den Genuß soll die Grausame nicht haben, mich hier an gebrochenem Herzen sterben zu sehen. Auf ins gelobte Land! Noch habe ich Kraft, den Rittern des Kreuzes zu folgen. Dort[984] wird ein Heidensäbel mich erlösen, wenn Gott mir gnädig ist!« Sprachs und zog fort. Es war aber eine alte Frau dort, die wußte um den Schmerz des Ritters, fühlte Mitleid und beschloß bei sich, ihm an das Fräulein zu verhelfen. Sie braute deshalb auf geheimnißvolle Art einen Liebeszaubertrank, den sie dem schönen Fräulein heimlich zu trinken gab. An einen Balken des Hauses aber schrieb sie sieben geheimnißvolle Lettern. Die Folge des Zaubers blieb nicht aus und die Schnöde verging nun ihrerseits in Sehnsucht nach dem Ritter. Täglich stand sie am Fenster und schaute unverwandt nach Süden, wohin er gezogen war. Der Ritter aber kam nicht heim. Vor Antiochien hatten sie ihn begraben, eine Cypresse neigte sich über sein Grab. Als diese Nachricht kam, ertrug die Dame die Trennung nicht, bald folgte sie dem Todten ins Grab. Aber das Grab gab ihr die ersehnte Ruhe nicht, sie ging als Geist allnächtlich im Steinhause um. Viele Leute erblickten die weiße Gestalt, schlugen ein Kreuz und eilten vorüber. Endlich aber schlug für die Sehnende die Erlösungsstunde. Ein neuer Bewohner des Steinhauses wollte seinen Torf einheimsen, kam dabei auf den Oberboden und erblickte die seltsamen Lettern am Balken. In der Meinung, diese Zeichen seien Kunstprodukte seines kleinen Sohnes, sprach er: »Daar hett de dumme Junge sien Kreienpooten ook an de Balke margelt. Gien Schwien kann's lesen un doch is de Bengel all'n half Jahr bi't Schriefen«, und in gerechter Entrüstung löschte er die Runen aus. Seit der Zeit hat das arme Fräulein Ruhe im Grabe und Niemand hat fürder die weiße Gestalt am Fenster gesehen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 984-985.
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