901. Die letzten Herren von Ulrichstein.

[774] (S. Landau a.a.O. S. 116 etc.)


Landgraf Philipp von Hessen (denn das Schloß gehörte dieser fürstlichen Familie seit 1397) hatte in seinem Testamente diesen Ort nebst andern Besitzungen seinen sieben mit der Margarethe von Sahl erzeugten Söhnen vermacht. Anfangs wohnten die vier ältesten Brüder, Philipp, Herman, Christoph Ernst und Albrecht hier. Hatten sich diese nun schon bei Lebzeiten ihres Vaters oft so betragen, daß dieser nicht selten Anlaß sie zu strafen fand, so wurde nun, nachdem dessen strenges Auge nicht mehr über sie wachte, ihr Treiben um so wilder und zügelloser und ihre Leidenschaften schienen jeder Fessel entledigt. Dem Grafen Hermann führte ein Vater sogar die eigene Tochter zu, die von jenem die Lustseuche erhielt und an derselben eines elenden Todes starb. Philipp und Albrecht zogen bereits 1568 nach Frankreich und fielen 1569 in dem Blutkampfe des schrecklichen Karl IX. gegen die Hugenotten, als gegen dieselbe Sache streitend, deren Sieg sich ihr Vater zum höchsten Ziele seines Lebens gesetzt hatte. Als nach der Nachricht von des erstern Tode zuweilen des Nachts am Burgberge des Ulrichssteins sich eine Hellung zeigte, erklärte der Volksglaube dieselbe für Graf Philipps irrenden Geist. Nur allein Graf Christoph Ernst behielt seinen Sitz auf Ulrichstein und machte sich bald zum Schrecken der Umgegend. In der Befriedigung seiner unreinen Triebe ungezügelt, wurde Ulrichstein die Stätte, auf der die Unschuld einer großen Zahl von Mädchen gemordet wurde. Vorzüglich waren es drei Weiber, die ihm als Kupplerinnen dienten und die unterstützt von zweien seiner Diener Mädchen, von denen sie glaubten, daß sie dem Grafen gefallen würden, unter allerlei Vorwänden auf sein Schloß lockten. Ihren Widerstand besiegte der Graf durch die schrecklichsten Mißhandlungen und ihr Hilfegeschrei tönte oft so laut durch die Stille der Nacht, daß die Hunde im Zwinger davon aufgeschreckt und geängstigt in grausenerregendes Heulen ausbrachen. Zu seinen Drohungen gehörte das Einsperren in den Eselstall, das verrufene Gefängniß des Schlosses. Die bittersten Klagen über diese Gewaltthaten liefen bei dem Landgrafen ein. Dazu kam noch, daß die Grafen[774] sich weigerten, dessen Oberhoheit anzuerkennen, und daß Graf Christoph Ernst bekannte Reichsächter, wie Ernst von Mandelsloh, Anton Pflug und Dietrich Pieht zu Ulrichstein und Schotten aufgenommen und mit Letzterem sogar einen Freundschaftsbund geschlossen hatte, indem er mit ihm Schwert um Schwert und Dolch um Dolch tauschte. Da beschlossen denn die Landgrafen Ludwig und Georg durch einen Handstreich dem Unwesen ein Ende zu machen, sie erschienen in der Nacht vom 5/6. April 1570 mit 200 Reitern und 2000 Mann Fußvolk plötzlich vor Ulrichstein, Thore und Pforten wurden ohne Mühe gesprengt und der Graf mit den Seinigen im Schlafe überrumpelt und gefangen genommen. Die Letztern wurden nur zum Theil festgesetzt, der Graf aber in einer verdeckten Kutsche nach Ziegenhain geführt und ihm dort jenes merkwürdige Gefängniß angewiesen, welches früher Herzog Heinrich von Braunschweig bewohnt hatte. Obgleich er zum Tode verurtheilt wurde, so vollzog man das Urtheil doch nicht, er ward aber in ewiger Gefangenschaft gehalten und starb nach 33jähriger Haft im 60. Jahre seines Lebens am 20. April 1603. Von seinen Kupplerinnen hatte man zwei gefangen genommen, die dritte hatte Zeit gewonnen, zu entfliehen. Jene wurden dem peinlichen Gerichte zu Marburg übergeben, welches eine Menge Zeugen verhörte. Als man endlich zu ihrer Vernehmlassung schritt, spannte man sie erst auf die Folter, um sie zu Eingeständnissen und zur Aussage der Wahrheit geneigter zu machen, und während des ganzen Verhörs mußte der Henker gegenwärtig bleiben, um, wo sie stockten oder leugneten, mit der Folter zur Wahrheit aufzumuntern; die jüngere, 20 Jahre alt, wurde der Kuppelei für schuldig erkannt und verurtheilt an den Pranger gestellt, mit Ruthen gepeitscht und des Landes verwiesen, die ältere aber, 26 Jahre alt, ward des Ehebruchs und der Kuppelei für schuldig erkannt und verurtheilt, durch das Wasser vom Leben zum Tode gebracht zu werden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 774-775.
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