790. Das Christophelgebet.

[702] (S.J. Kehrein, Volkssprache und Volkssitte im Herzogthum Nassau. Weilburg 1862 Bd. II. S. 280 etc.)


Im Anfange des 19. Jhdts. war das Christophelgebet in Nassau und Rheinhessen allgemein verbreitet. Es wurde allgemein angewendet beim Schatzgraben, wobei der Betende es vorwärts und rückwärts beten mußte, ohne an einem Worte anzustoßen. Irrte er sich beim Beten oder sprachen die Anwesenden ein Wort, so war das Graben vergebens, ja der beschworne böse Feind fügte oft den Schatzgräbern großen Schaden zu.

Im Amte Montabaur im Nassauischen glaubten die Leute, wenn sie das Christophelsgebet in der Nacht beteten, so würden sie durch den Schornstein nach Marokko gebracht. Es kamen nun einst Einige zusammen, unter ihnen auch eine Magd. Der Familienvater würde, so glaubten sie, König in Marokko, die Magd daselbst die reine Jungfrau werden. Die im Hause Versammelten beteten nun und sahen dabei, wie ihnen vorgeschrieben war, die Wände hinauf, sprachen auch kein Wort. Die erste Nacht beteten sie ganz durch, aber es kam Niemand, der sie durch den Schornstein geholt hätte. Die zweite Nacht ging es ebenso. In der dritten Nacht gab es unter dem Gebete um Mitternacht ein Gerappel und die Betenden glaubten, nun würden sie durch den Schornstein geholt. Der Lärm hörte bald auf, aber Niemand wagte hinauszugehen und nach der Ursache des Gerappels zu fragen. Am andern Morgen aber sahen sie, daß ein Stück Holz die Treppe heruntergefallen war. Als die Leute so drei Nächte und zwar vergebens gebetet hatten, glaubten sie, es wäre Einer unter ihnen gewesen, der nicht an die Kraft des Christophelgebets geglaubt hätte, darum seien sie nicht gehört und nach Marokko geführt worden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 702.
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