358. Die Stadt Julin.

[413] (S. Micrälius, Altes Pommerland Bd. I. S. 98. Gesterding S. 403-405.)


Die Stadt Julin auf der Insel Wollin ist nach dem Untergange Wineta's eine berühmte, ja, wie Adam von Bremen sagt (Hist. Eccles. Brem. II. 12), die größte Stadt Europas geworden. Denn aller Handel, der zuvor zu Wineta war, zog sich entweder nach Wisby, auf Gothland oder nach Julin auf Wollin. Die Stadt Julin ist aber bald so mächtig geworden, daß sie große Kriege angefangen hat, unter andern mit den deutschen Königen. Wie volkreich sie gewesen, geht daraus hervor, daß, als Bischof Otto sie endlich zum christlichen Glauben brachte, sich bei 22,000 Menschen zur Taufe bei ihm gemeldet haben. Aber kurz nach dem Weggange Bischof Otto's sind die Einwohner von Julin wiederum vom christlichen Glauben abgefallen und da sie im Anfang des Sommers alter Gewohnheit nach ein heidnisches Fest mit aller möglichen Völlerei und Ueppigkeit feierten und einen ihrer alten Götzen wieder hervorsuchten und mit großem Frohlocken in der Stadt herumtrugen und dabei Christum auf's Gräßlichste verlästerten, ist Feuer aus der Luft in die Stadt gefallen, hat sie angezündet und von Grund aus verbrannt. Ob sie nun wohl später wieder aufgebaut worden ist, hat sie doch nie wieder ihre frühere Herrlichkeit zu erreichen vermocht, sondern Gottes Hand ist schwer über ihr geblieben, bis endlich im Jahre 1170 Waldemar, König von Dänemark, durch die Divenow mit einer ansehnlichen Schiffsflotte auf sie losging, sie unversehens überfiel, plünderte und auf's Neue verbrannte.

Sie lag auf der Spitze der fruchtbaren Insel Wollin, da wo jetzt die Stadt gleiches Namens steht, allein sie war bei Weitem größer als diese, und wie man aus den Ueberbleibseln ihrer Trümmer, die noch hier und da in der Erde stecken, abnehmen kann, größer als eine deutsche Meile. Die Michaelskirche, welche jetzt eine gute Strecke weit außerhalb Wollin liegt, soll früher mitten in der Stadt Julin gestanden haben. Im Süden der Stadt Wollin, aber ziemlich weit von ihr entfernt, ergebt sich der sogenannte Galgenberg, der hat früher so nahe am Thore Julin's gelegen, daß man mit einem Steine bis nach ihm werfen konnte. Auf vier verschiedenen[413] Bergen rings um Wollin sieht man noch die Trümmer von vier Kastellen, welche früher zum Schutze der Stadt gedient und ihre alten Namen bis jetzt behalten haben. Eins davon heißt jetzt noch Kakernel, eins Moderow, das dritte der Schloßberg und das vierte der Silberberg; letzterer Berg ist aber von allen der höchste und hier findet man noch oft beim Graben Münzen und Knochen von Menschen, die aber riesengroß gewesen sein müssen. Ueberhaupt sollen in der Gegend noch viele Schätze vergraben liegen, namentlich suchen Schatzgräber häufig nach einer großen goldenen Kette, welche der Rath der untergegangenen Stadt aus dem Lösegelde eines gefangenen dänischen Königs soll haben anfertigen lassen. Man sagt, sie könne durch viele Messen, welche zu Rom, Mainz und andern heiligen Orten gelesen werden müßten, wieder an's Tageslicht gebracht werden.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 413-414.
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