152. Die eiserne Jungfrau auf der Burg in Breslau.

[168] (Nach Ziehnert Bd. II. S. 190 etc. und Gödsche S. 39 etc. Anders erzählt von Selt, Sagen aus Breslau's Vorzeit. Breslau o.J. in 12. S. 25 etc.)


Am Oderthor, wo jetzt das Matthiasstift ist, stand ehemals die alte Kaiserburg, die von Kaiser Sigismund oder noch früher erbaut worden ist. In einem unterirdischen Raume derselben soll ehemals eine sogenannte eiserne Jungfrau, eine Martermaschine gestanden haben, die ein verborgenes Räderwerk in sich schloß, welches, wenn es durch den Tritt eines Menschen in Bewegung gesetzt ward, die eiserne Jungfrau soweit in Bewegung setzte, daß sie die Arme öffnete und den Unglücklichen, der ihr verfallen war, an sich zog, umarmte und gleichzeitig in die Messer, mit der ihr Gürtel und Leib besetzt war, hineindrückte und so tödtete. Man hörte oft des Nachts dort ein dumpfes Geräusch wie von Mühlrädern und Jeder vermied sorgfältig diese Gegend des Schlosses.

Zu jener Zeit war Werner von Bruneck Verwalter der Burg, der eine Tochter, Namens Maria hatte, die als die schönste Jungfrau der Stadt Breslau galt. Der Tempelritterorden war aufgehoben und die Güter desselben sollten vertheilt werden. Dies veranlaßte einen jungen Ritter des deutschen Ordens, Konrad von Salza, der später der berühmteste Hochmeister desselben ward, in der Breslauer Burg seinen Aufenthalt zu nehmen. Dort sah er das Mädchen, sie gefiel ihm nicht wenig, er ihr aber noch mehr und da er einsah, daß aus dieser Liebe nichts werden könne, da er als deutscher Ordensritter überhaupt sich nicht verehelichen durfte, so beschloß er durch seine Entfernung der Sache ein Ende zu machen. Er schrieb also am Abend vor dem Tage, wo er abreisen wollte, einen Brief an Werner und einen an dessen Tochter und ging dann ins Freie. Bei seiner Rückkehr verirrte er sich aber in der weitläufigen, ihm doch noch nicht recht bekannten Burg und kam statt in sein Gemach auf einen Gang, an dessen Ende ein Licht schimmerte. Er ging darauf zu und kam ganz unerwartet in eine Halle mit steinernem Fußboden, links und rechts mit Thüren. An der Decke hing eine Lampe, die nur ein düsteres Licht verbreitete. Ringsum herrschte die tiefste Stille. Der Ritter erinnerte sich nicht jemals in dieser Halle gewesen zu sein, und wollte eben wieder umkehren, als die Burgglocke die Mitternachtstunde verkündete. Plötzlich schien in und um das Gemach herum Leben zu werden. Die Mauer bebte, Thüren krachten auf und zu, der Fußboden gerieth in eine zitternde Bewegung und unter ihm rauschte ein Räderwerk in gewaltigem Getriebe. Darauf pfiff ein Windstoß durch das Gemach,[168] der die Lampe abwechselnd auslöschte und stärker entflammte und zu seinem lauschenden Ohre das klägliche Wehegeschrei einer weiblichen und einer männlichen Stimme führte. Die Jammerlaute kamen näher und mit ihnen auch eilig ein Weib mit blutigem Gewande und fliegenden Haaren, und ihr folgte auf dem Fuße ein Ritter, durch dessen zerquetschten Harnisch das Blut strömte. Beide Gestalten eilten hastig durch die Halle und zur Thüre, die aufsprang, hinaus. Kaum war aber die Erscheinung den Augen Konrad's entschwunden, als er ein dumpfes Räderrauschen und Wimmern hörte, das nach einigen Secunden schwächer ward und endlich gänzlich schwieg. Aber mit dem Verhallen des letzten Jammerlautes traten die Gestalten wieder durch die erstere Thüre herein und schienen die ganze Scene wiederholen zu wollen. Da zog Konrad sein Schwert und stellte sich mit dem Rufe: »Wer seid Ihr?« ihnen entgegen. Die Gestalten blieben stehen, hefteten ihre Blicke, wie es schien, besonders auf das Kreuz seines Mantels und schwiegen. Konrad wiederholte seine Frage und statt der Antwort deutete ihm das starre Todtengesicht des Mannes an, daß er ihnen folgen solle. Da dies aber dem Ritter bedenklich schien, wurde der Blick des gespenstigen Ritters flehender, Konrad folgte also den Gestalten. Plötzlich sah sich der Ritter Konrad am Rande einer erleuchteten Tiefe, in der er die Riesengestalt der eisernen Jungfrau sitzend erblickte. Wie ein Wildverzweifelnder jagte die männliche Spukgestalt die weibliche hinab und stürzte sich dann selbst ihr nach, worauf sich das schreckliche Rauschen der Räder, das Wimmern und Röcheln wiederholte. Von einem unnennbaren Entsetzen ergriffen trat Konrad in die Halle zurück und fand die beiden Unglücklichen vor sich stehen, die von ihm ihr Urtheil zu erwarten schienen. Er gewann Geistesgegenwart genug um sie zu fragen, ob er sie retten könne und wodurch. Da zeigte die männliche Gestalt mit ihrem Arme auf eine Schrift über der Thüre zu dem Orte der eisernen Jungfrau, Konrad folgte dem Winke und las: »Entsagung bringt Erlösung!« – »Ihr seid erlöst!« rief Konrad mit fester Stimme. Da trat der Mann mit heitrer Miene auf ihn zu und reichte ihm eine Pergamentrolle, die er unter seiner Rüstung hervorzog und als ihn die kalte Todtenhand berührte, geschah ein so heftiger Knall, daß die Lampe erlosch, die Mauern wankten, das ganze Gebäude zusammenstürzte und Konrad das Bewußtsein verlor.

Als er wieder zur Besinnung kam, befand er sich in seinem von innen verriegelten Gemache und es war heller Tag. Er hätte die ganze Erscheinung für ein lebhaftes Traumbild gehalten, wenn er nicht die Pergamentrolle vor sich gesehen hätte. Er wußte nicht, ob er sie lesen solle oder nicht, aber indem er noch da stand und nachdachte, meldete ihm sein Knappe, daß das Nebengebäude der Burg, wo die eiserne Jungfrau steht, in der letzten Nacht bei einem heftigen Sturm in Schutt und Trümmer zerfallen sei. Dieses neue wundersame Ereigniß veranlaßte ihn, die Rolle zu öffnen und ihren Inhalt zu lesen. Er entfaltete sie und fand darin die Geschichte jener Unglücklichen, eines Ritters und einer Nonne, die jener verführt und die Beide zur Strafe diesen grausamen Martertod erleiden mußten. Von seinem Gewissen gemahnt zog aber Konrad eilig von dannen und als er nach Jahresfrist wiederkehrte, fand er die schöne Maria als Gemahlin eines Andern. Er hielt sein Gelübde der Entsagung und wurde einer der berühmtesten[169] Hochmeister des deutschen Ordens und sein Name war bald von allen Feinden desselben gefürchtet.

Von der alten Kaiserburg ist jedoch heute nichts mehr zu schauen, als allein noch eine uralte Mauer.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 168-170.
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