a) Das steinerne Kreuz im Teufelsthal.

[230] In einer düstern Gegend, nahe am Fuße des wilden Eulengebirges lag ein einsames Haus mit einem schönen Garten; in diesem wohnten einst zwei Frauen: die eine in mittleren Jahren, die andere im blühenden Jugendalter, eine Nichte der erstern. Ein alter treuer Diener besorgte ihre häuslichen Geschäfte, Umgang mit andern Menschen hatten sie nicht. In der Nähe des Häuschens stand ein steinernes Kreuz zwischen hohen Fichten am Fuße eines schroffen Felsens angeblich zum Andenken daran gesetzt, daß einst hier ein junger Rittersmann aus Habsucht seinen Vetter im Zweikampf erschlagen hatte. Einst saß die Jungfrau, wie sie dies fast täglich zu thun pflegte, an einem schönen Oktobernachmittag an diesem Kreuze, als sie von Weitem Hundegebell und Stimmengewirr vernahm; plötzlich stürzte ein großer Hirsch in rasender Eile an ihr vorüber, eine Meute bellender Hunde folgte ihm und oben auf der steinernen Felswand, gerade über dem Kreuze sah sie plötzlich mehrere Männergestalten, von denen der eine, ein junger blonder Rittersmann, den Abgrund hinabklimmen wollte, aber von einem seiner Knappen mit den laut gesprochenen Worten davon abgehalten ward, er solle sich nicht in dieses Thal wagen, das noch keiner seiner Vorfahren wieder betreten habe, seitdem sein Großvater dort am Kreuze seinen Vetter erschlagen habe. Der junge Ritter warf einen Blick in die Tiefe hinab nach der ihm ganz unvermuthet aufgestoßenen Erscheinung und entfernte sich, das Mädchen aber eilte auch nach Hause zurück und theilte ihrer Base das, was sie gesehen, mit. Diese erkannte aus der gegebenen Beschreibung, daß der Ritter der Enkel ihres Todfeindes, des Ritters von Kynau sein müsse, dem das ganze Gebiet des Weistritzthales zu eigen gehörte. Da sie nun aber wußte, daß dieser ein Todfeind ihrer Familie sei, so hielt sie es für das Beste, ihre bisherige einsame Wohnung zu verlassen und sich einen andern, mehr verborgenen Aufenthaltsort zu suchen. Dies that sie auch, und als der junge Ritter von Neugier getrieben an einem der nächsten Tage ohne Begleitung wieder auf der in das Teufelsthal hinabblickenden Felswand erschien,[230] sah er sich vergeblich nach dem schönen Mädchen am Kreuze um, es war verschwunden. Da er nun aber das Häuschen erblickte, so glaubte er die Jungfrau jedenfalls in diesem anzutreffen; er klomm also den Felsen hinab und näherte sich demselben. Da er keine menschlichen Stimmen darin vernahm, auch auf sein wiederholtes Klopfen keine Antwort erhielt, so öffnete er die übrigens gar nicht verschlossene Thüre; allein er fand alle Zimmer leer, nur ein an der Wand hängendes Bild stieß ihm auf, welches einen Ritter darstellte, der einem ungeharnischten Gegner, der vor ihm kniete, sein Schwert in die Brust stieß, während eine etwas entfernt stehende gut gekleidete Frau einen Knaben in die Höhe hielt, um ihn gewissermaßen zum Zeugen des begangenen Mordes zu machen. Aus diesem Gemälde erkannte er leicht, daß in dieser Wohnung die Nachkommen des von seinem Großvater schmählich gemordeten Ritters ihren Aufenthalt genommen haben müßten, er beschloß aber gleichzeitig auch, das, was jener verbrochen, nach Möglichkeit wieder gut machen zu wollen. Diese Absicht wiederholte er auch dem in diesem Augenblicke in das Gemach tretenden Diener der bisherigen Bewohnerin dieses Hauses, der ihm gleichzeitig eröffnete, daß seine Herrin eben darum, weil sie diese endliche Entdeckung gefürchtet, einen bessern Versteck aufgesucht habe. Von diesem erfuhr er auch den genauen Bericht über die Unthat seines Großvaters.

Dieser war Besitzer der Burg Kynsberg nebst der Umgegend von Kynau bis an die große Steinkohlengrube gewesen, hatte aber nach dem Teufelsthale, welches nebst dem größten Theile des Eulengebirges und dem Weistritzthale seinem Vetter Albert von Falkenberg gehörte, Verlangen getragen und ihn deshalb befehdet. Endlich hatte er ihn hinterlistiger Weise zu einer Zusammenkunft im Teufelsthale geladen, angeblich um auf friedlichem Wege ihre Streitigkeiten auszumachen. Letzterer war auch gekommen, allein da jener sich mit ihm allein glaubte, reizte er ihn, den Unbewaffneten, zum Zweikampf und stieß ihm das Schwert in die Brust. Die Gemahlin Falkenberg's jedoch war ihrem Manne gefolgt und hatte den Mord mit angesehen. Durch ihr Hülfegeschrei aufmerksam gemacht, eilte er herbei, ergriff sie und schleppte sie mit auf seine Burg Kynsberg, wo sie im Gefängniß starb; die Besitzungen seines Vetters aber riß er ohne Mühe an sich, da die zwei Kinder des Gemordeten von einem treuen Diener gerettet und nach Breslau in ein Kloster gebracht worden waren. Letzterer ließ ein Gemälde jener grausigen That anfertigen, und als die Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, herangewachsen waren, ließ er sie vor demselben einen theuern Eid schwören, nicht zu ruhen und zu rasten, bevor sie nicht den Tod ihrer Eltern an dem Mörder gerächt hätten. Der Sohn konnte sein Wort jedoch nicht halten, er blieb auf einem Kreuzzuge und hinterließ eine kleine Tochter, die nun, da auch seine Gattin gestorben war, seiner Schwester zur Erziehung verblieb. Diese zwei Frauen waren es, welche bisher in diesem Häuschen gelebt hatten, und der alte Diener, welcher bei ihnen war, war derselbe, welcher einst die zwei Kinder Falkenberg's gerettet hatte und der jetzt mit dürren Worten dem erstaunten Ritter sagte, daß er sich keine Hoffnung machen dürfe, je das junge Mädchen die Seine nennen zu dürfen, denn er werde sie niemals wiedersehen.

Traurig kehrte der junge Kynsberger nach seiner Burg zurück, beschloß aber doch, sein Wort zu halten und die Schuld seines Ahnen durch Buße[231] zu sühnen. Er begab sich also am nächsten Tage nach Breslau, um dort in ein Kloster als Mönch zu treten. Dort angekommen, ging er nach der Elisabethkirche, die Messe zu hören; allein wie ward ihm, als er unter den Andächtigen die zwei Frauen aus dem Teufelsthale erkannte. Er wollte zwar, als sie die Kirche verließen, sich zu ihnen durchdrängen, allein diese hatten ihn auch erkannt, und so gelang es denselben, ihm auszuweichen und eher die Kirche zu verlassen, als er bis zu ihnen gelangen konnte. Als er endlich den Ausgang erreichte, waren sie verschwunden und trotz aller angewandten Mühe vermochte er nicht zu erfahren, wohin sie sich gewendet hatten. Sie hatten sich an einen Ritter von Zedlitz, der die Burg auf dem Zobtenberge besaß, gewendet, ein Freund ihrer Familie, und dieser war gern bereit gewesen, sie sammt ihrem alten Diener mit auf sein festes Schloß zu nehmen. Zwei Jahre vergingen für den jungen Kynsberg mit vergeblichem Suchen nach den zwei verschwundenen Frauen, er konnte sie nicht wiederfinden; da beschloß er eines Tages auf die Eberjagd im Teufelsthale zu gehen und ließ sich auch von seinen Dienern, welche ihm sagten, seit einiger Zeit sei dasselbe durch Teufels- und Gespenstergestalten heimgesucht und deshalb von Jedermann gemieden, nicht abwendig machen. Er nöthigte sie, mit ihm in den Abgrund über dem Kreuze hinabzusteigen und war nicht wenig verwundert, statt des Häuschens ein großes Gebäude im Thale zu erblicken. Als er in der Nähe des Kreuzes war, hörte er plötzlich eine klagende Frauenstimme, die einer andern drohenden antwortete; er schlich sich heran und sah seine geliebte Verschwundene auf den Knieen vor einer Teufelsgestalt liegen, welche ihr mit dem Dolche drohte. Dieses sehen und durch das Gebüsch dringen und gleichzeitig die Gestalt niederstoßen, war Eins; allein gleichzeitig sah er auch aus dem Hause eine ähnliche Gestalt nach dem Kreuze und dem an demselben befindlichen kleinen Weiher eilen. Er hatte keine Zeit nach der Ursache der Anwesenheit des Mädchens an diesem grauenvollen Orte zu fragen; er hob sie auf den Arm und klomm mit ihr die Felsenwand hinan, wo seine Diener standen, und ehe ihm noch die Verfolger nachkommen konnten, hatte er sich schon auf sein obenstehendes Roß geschwungen und jagte mit seinen Begleitern den Falkenberg hinab über den Stenzelberg, das Weistritzthal entlang der Kynsburg zu; seine Verfolger aber gaben bald die Verfolgung auf, da sie zu Fuß waren, und so gelang es ihm, die Burg seiner Väter unangefochten zu erreichen. Dort angekommen erfuhr er denn, daß das Mädchen mit ihrer Base und ihrem Diener vor zwei Jahren auf der Reife nach dem Zobtenberge von einer Räuberschaar überfallen worden war, die Letztere und ihren Beschützer, den Ritter von Zedlitz, bei der Vertheidigung der Frauen ermordet und diese dann erst nach ihrem Raubneste, und als dieses bald darauf von Rittern der Umgegend belagert und eingenommen ward, in das Teufelsthal geschleppt hatte. Hier erbauten sich die Wegelagerer ein ziemlich festes Haus und setzten die ganze Umgegend dadurch, daß sie sich in Thierhäute verkappten und in Teufelsgestalt herumliefen, in Furcht, so daß Niemand in die Nähe ihres Wohnsitzes zu kommen wagte. Das Mädchen rettete blos dadurch ihr Leben, daß sie dem Anführer der Bande vorspiegelte, sie wisse, daß unter dem Kreuze ein Schatz verborgen liege, der aber erst nach Verlauf von zwei Jahren von einer reinen Jungfrau am Tage der h. Walpurgis zwischen[232] acht und neun Uhr Morgens gehoben werden könne. Diese Zeit war gerade um und der Kynsberger dazu gekommen, als der Räuberhauptmann die Jungfrau dorthin geschleppt und sie mit dem Tode bedroht hatte, wenn sie nun nicht ihr Wort halten werde, den Schatz versprochenermaßen an's Tageslicht zu fördern. Glücklicher Weise hatte die Dazwischenkunft des Kynsbergers die nun ihr bevorstehende Katastrophe abgewendet. Da mittlerweile auch ihre Base gestorben war, hinderte nichts mehr ihre Vermählung mit ihrem Erretter, und so ward denn die Blutthat des Großvaters durch die Tapferkeit des Enkels gesühnt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 230-233.
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